Ein unaufhörliches Gehämmere hallt vom Friedrich-Krause-Ufer in Moabit zum Weddinger Nordufer herüber. Heute mischt sich ein rhythmisches „Beep-Beep-Beep“ eines rückwärtsfahrenden LKW dazu. Die Rufe der Arbeiter, die Hammerschläge und Sägegeräusche schallen auch an diesem kalten Nachmittag von der Baustelle der neuen „Berlin Decks“ über den verbindenden Torfstraßensteg zum Sprengelkiez.
Foto: Jill Zaun
Der neu entstehende Büro- und Industriecampus, der 2018 von BEOS erworben wurde, wird auf dem ehemaligen ThyssenKrupp Gelände direkt am Ufer des Kanals gebaut. Die schmale und viel befahrene Straße Friedrich-Krause-Ufer trennt das riesige Gelände von einem kleinen Park, der ein Stück weit entlang des Kanals führt. Im Park stehen zwei leere Bierflaschen auf einer Bank, unter der sich eine Pfütze angesammelt hat und nicht gerade zum Hinsetzen einlädt.
Auf dem Gelände soll „ein innovativer Campus in Mitte“ entstehen, wie das Unternehmen wirbt. Das Projekt gehört der schweizerischen BEOS AG, die sich selbst als „führende Asset Manager und Projektentwickler von Unternehmensimmobilien in Deutschland“beschreiben. Der englische Begriff Asset-Management bedeutet Vermögensverwaltung. 2018 hat die BEOS AG das Gelände erworben. Die Berlin Decks werden auf ihrer Website als integrierender Teil der Ortsteile Moabit und Wedding angepriesen. Wie integrativ der Campus nach seiner Fertigstellung sein wird, ist abzuwarten. Auf Anfrage versichert der Senior Projektmanager Tony Praumer, dass „Berlin Decks“ ein zusätzliches Gastronomie-Angebot und öffentlich nutzbare Flächen schaffen werde. „Ferner sehen wir Flächen für Gewerbetreibende und Handwerker vor, welche bewusst für lokale Unternehmen angedacht sind“, antwortet Herr Praumer auf die Frage zur Integration der bestehenden Kieze.
Neue Flächen für Gewerbe, aber das Sprengelhaus ist akut bedroht
Ob der Sprengelkiez die DFFB, die Film- und Fernseh-Akademie, direkt vor der Türe braucht, ist fragwürdig. Ein neuer Platz für das Sprengelhaus, das eine wichtige Nachbarschaftshilfe in sämtlichen Formen anbietet, wäre vermutlich wichtiger. Das Sprengelhaus ist, wie so viele soziale Projekte in Berlin, durch Verkauf akut bedroht und kämpft um seinen Erhalt. Heute ist vom Großbauprojekt „Berlin Decks“ noch nicht viel mehr als eine riesige und lärmende Baustelle zu sehen. Zwei Baukräne drehen sich blinkend über dem Bauvorhaben hin- und her.
Die 36-jährige Vicky geht mit ihrem Freund und ihrem Hund am Nordufer regelmäßig spazieren. Was ihr zum Kanal einfalle? „Schwäne“, sagt sie schnell mit Blick aufs Wasser. Auf dem Kanal picken zwei strahlend weiße Schwäne in Plastikmüll. Und: „Ich würde da um Gottes willen nicht reingehen. Da sind Dinge drin. E‑Scooter und so.“ Die Verbindung zum großen Volkspark Rehberge gefalle ihr besonders gut, erzählt sie. Dorthin seien sie gerade auch unterwegs. Ihnen vorweg laufend trottet der Hund zwischen Fahrradfahrern, anderen Fußgängern und einer Baustelle auf der Straße des Uferwegs umher. Der Autoverkehr ist hier zurzeit gesperrt und Fahrradfahrer:innen müssen auf den Fußgängerweg ausweichen, was immer wieder zu lautstarken Konflikten führt. Doch an diesem ungemütlichen Nachmittag ist das Nordufer weniger stark besucht und es bleibt friedlich.
Verbindung zum Volkspark Rehberge
Der Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal verbindet. Ob den Uferweg mit den Rehbergen oder die Stadtteile Wedding mit Moabit, die sich hier direkt gegenüber liegen. Auf seinen 12 Kilometern durch den Berliner Nordwesten führt der Kanal von der Havel aus Spandau kommend nach Mitte in die Spree. Seine Wasserstraße dient neben der Freizeitnutzung auch heute noch der Industrie – auch wenn die meisten Schiffe inzwischen Tourismusdampfer sind.
Stella geht zur Entspannung oft auf dem Treidelpfad direkt am Ufer des Kanals spazieren. Der Pfad befindet sich auf Weddinger Seite unterhalb des Nordufers und führt direkt am Wasser entlang. Heute unterbrechen große schlammige Pfützen den Pfad, der von dichtem Buschwerk umsäumt ist. Stella läuft in ihrem dicken Wintermantel und tief sitzender Kapuze direkt am Wasser. Sie wohnt seit 14 Jahren in Moabit, „auf der anderen Seite“, wie sie selbst sagt. „Ich komme vom Zahnarzt“, erzählt die 34-Jährige mit einem gequälten Lachen. „Ich spaziere gerade nach Hause. Es ist viel zu tun, weil ich meinen Job wechsle“. Sie spaziere regelmäßig entlang des Nordufers, mit Blick auf den geschäftigen Westhafen. Ihr gefalle der industrielle Anblick besonders. Die Geräusche des Betriebs – besonders wenn die Kohle abgeladen wird – möge sie sehr. „Wenn man hier lang geht, ist es wie ein Rhythmus, der entsteht. Ich mag das unheimlich gerne“, schwärmt sie. „Ich bin Bauingenieurin, vielleicht kommt mein Faible für industrielle Geräusche daher. Das hat hier so eine Atmosphäre, die ich sehr genieße. Ich weiß, das ist sehr eigen!“, lacht sie auf. Im Hintergrund erschallt der unaufhörliche Baulärm. Den entspannten Spaziergang stellen sich viele Anwohner:innen anders vor. Der Treidelpfad sowie die Uferstraßen bieten bereits kaum Platz für alle. Die „Berlin Decks“ versperren neuerdings auch noch den Blick und engen den Naherholungsraum weiter ein.
Kohleverladung am Kraftwerk Moabit
Im Hintergrund unaufhörlicher Baulärm
Auf der Höhe der Lynarstraße kann man eine Gruppe frierender Menschen vor dem neubenannten „Landesamt für Einwanderung“ am gegenüberliegenden Friedrich-Krause-Ufer erkennen. Sicherheitskräfte mit auffälligen Warnwesten strahlen aus der Ferne. Außer der Umbenennung hat sich hier nichts geändert. Die kleinen Fenster des kastigen Gebäudes sind größtenteils erleuchtet. Es scheint auch hier, hinter dem Gemäuer des Amtes, ein geschäftiger Nachmittag zu sein. Das Landesamt für Einwanderung grenzt nun direkt an das Bauvorhaben „Berlin Decks“, das eine Gesamtgröße von 42.000 qm umfasst und damit fast 6 Fußballfelder groß ist. Es bleibt abzuwarten, ob das Landesamt an dieser Stelle bleiben darf oder weiter aus dem Stadtzentrum gedrängt wird. Das Amt lag vor dem Großbauprojekt leicht abseits des Stadtgeschehens und ist zukünftig direkt an die „Berlin Decks“ angebunden.
Foto: Jill Zaun
Auf dem Weg zum Sprengelkiez, kommt der 26-jährige Mazen gerade über den Torfstraßensteg aus Richtung des Friedrich-Krause-Ufers gelaufen. Es dämmert bereits und die Lichter des aktiven Kraftwerks erstrahlen festlich entlang des Ufers. Mazen bleibt auf dem Steg stehen und schaut in Richtung des Kraftwerks. Er möge es hier sehr und habe schon viele Fotos mit seinen Freunden von diesem Ausblick gemacht, erzählt er auf Englisch. Allerdings sei es ihm zurzeit zu wenig grün. Dabei betrachtet er die kläglich dreinblickenden nackten Bäume, die das Ufer auf beiden Seiten umrahmen. Auch hier scheint Müll hellblau, gelb und silbern zwischen den kahlen Büschen und Bäumen hervor. Was er mit dem Kanal verbinde? „Ich mag den Blick, aber ich gehe hier auf der Brücke immer zur Ausländerbehörde zu einer unschönen Situation. Es ist hart und wir müssen viel warten“, berichtet er weiter. Er sei aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Aber eigentlich komme er aus dem Libanon. Er sei Zahnarzt und hoffe schon bald seine Praxis in Deutschland eröffnen zu können. „Vielleicht kommst du dann ja mal vorbei“, lacht er. Doch dann wird er nachdenklich. Heute ist er überrascht von den vielen Baustellen. Sein Blick folgt dem Baulärm zu den neuen „Berlin Decks“.
Das noch nackte Gebäude nimmt langsam seine Form eines riesigen Kolosses an. Die geplante terrassenförmige Treppe, die sich ein Stück des heute noch begrünten Ufers entlang strecken soll, lässt sich noch nicht erahnen. Mazens Sorge teilen hier viele. Das Ufer des Schifffahrtskanals ist einer der wenigen grünen Oasen mitten in der Großstadt. Die vielen Baustellen und der nicht enden wollende Lärm sorgen für Stress. Der schmale Steg, der die Ufer miteinander verbindet, läuft nun direkt auf die „Berlin Decks“ zu, wodurch der Erholungseffekt mithilfe des kleinen Stückchens Natur weiter abnehmen könnte. Der Baulärm schallt täglich durch den kleinen Sprengelkiez, was die Stimmung weiter anspannt. Zudem nimmt die Vermüllung auf beiden Uferseiten stetig zu. Zum Einen finden sich neuerdings viele Bier- und Schnapsflaschen am Bauzaun und im kleinen Parkstreifen des Friedrich-Krause-Ufers, zum Anderen häuft sich immer mehr Müll der Spaziergänger:innen auf beiden Seiten an. Es wirkt fast, als hätten die Anwohner:innen diesen kleinen Mikrokosmos aufgegeben.
Der Naherholungsraum muss bestehen bleiben
Das ehemalige ThyssenKrupp Gelände hätte sich ideal für den Bau von Sozialwohnungen geeignet. Stattdessen wird es auch hier weitere Büros geben, die für die BEOS AG ein lukratives Investment darstellen. Und so bleiben die Fragen der Anwohner:innen, wie sich das Ufer verändern wird und ob der Mikrokosmos weiterhin allen Bedürfnissen auf dem bereits beengten Platz gerecht werden kann, unbeantwortet. In einem Punkt scheinen sich die Anwohner:innen einig zu sein: Der Naherholungsraum muss bestehen bleiben. Doch der Rhythmus einer stetigen Veränderung ist nicht zu übersehen – und erst recht nicht zu überhören. Zu hoffen ist, dass die Veränderung nicht allein den Interessen von Vermögensverwaltungen folgt und die hier lebenden Menschen weiterhin ihren so dringend benötigten Platz finden werden. Denn wie lebenswert ist eine Stadt, in der den Vermögensverwaltungen immer mehr Platz eingeräumt wird? Es bleibt abzuwarten, wie sich der Naherholungsraum mit den „Berlin Decks“ verändern wird.
Text: Jill Zaun
Ich finde, der Artikel ist ein wichtiger Beitrag in einer Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander driftet und Menschen im unteren Lohnsegment kaum noch bezahlbaren Wohnraum finden. Darüber hinaus beschreibt die Autorin sehr gut die Veränderung der Kieze und letztendlich auch der Städte durch große Baumogule, die ganze Bereiche aufkaufen und damit die so wichtigen Grünstreifen verdrängen und den Charme ganzer Stadtteile nachhaltig verändern. Leider nicht immer zum Besseren. Aus diesem Grund finde ich den Artikel in seiner Interviewform gelungen. Die Autorin versucht, Stimmen und Stimmungen zur Szenerie einzufangen und gerade nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherzukommen. Danke für den gelungenen Artikel!
Ich verstehe nicht, wo durch die Baustelle Naherholungsraum eingeschränkt wird? Früher, als das Thyssen Krupp Haus dort vor sich hingammelte, war es weder schöner noch öffentlich zugänglich. Das ganze Friedrich-Krause-Ufer war und ist nicht einladend. Freue mich, wenn das in Zukunft, auch mit Berlin Decks, anders wird.
Die „Berlindecks“ werden zweifellos auch Auswirkungen auf den Sprengelkiez haben – positiv wie negativ! Der im Artikel angesprochene Baulärm ist sicherlich nur vorübergehend, aber der Imagefilm zeigt deutlich, das hier arbeiten und Party dicht nebeneinander liegen werden. Die Bewohner der am Nordufer gelegenen Wohnungen mit Blick auf das Gelände können sich schon mal freuen!
Andererseits ist eine Erweiterung des Restaurantangebots am Kanal dringend geboten!
Dass in der Folge der Mietendruck im Sprengelkiez aber auch weiter zunehmen wird, steht außer Frage! Und vermutlich werden dort durchaus Besserverdienende arbeiten, die den Studies auch die letzten Wohnzellen noch wegnehmen!
Und irgendwann Interessiert sich auch keiner mehr für die Zukunft des Sprengelhauses – bedauerlich, aber auch irgendwie Zukunft!
Seltsamer Artikel. Irgendwie scheint die Autorin die einzige zu sein, die sich darüber ärgert, dass von einer Baustelle Baulärm kommt. Ich wüsste nicht wie ein altes Industriegelände ohne Baulärm wieder nutzbar gemacht werden soll. Selbst die Menschen die hier zu Wort kommen, äussern sich nicht zur Baustelle. Und dann wieder die Autorin “viele Anwohner ärgern sich über den Baulärm”… Wer nochmal? Vielleicht wohnt ja die Autorin in einer schicken Altbauwohnung mit Blick aufs Wasser und kann tagsüber nicht gut schlafen? Zumindest verspüre ich eine besondere Motivation hier auf Seiten der Autorin. Sollen die fiesen Bauarbeiter doch mal bitte leiser sein! Flüsterräder an die Bagger?
Auch die Kritik am Bauvorhaben ist lustig. Irgendwie ist es nicht okay eine Gewerbeimmobilie zu bauen und dort Filmschaffende ein Arbeitsumfeld zu geben, weil das Sprengelhaus Probleme mit dem Vermieter hat. Wo ist die Verbindung? Darf in Berlin nichts mehr gebaut werden, bis das Sprengelhaus seine Mietsituation geklärt hat? Hätte die BEOS 2018 vorhersehen sollen, dass das Sprengelhaus 2023 Mietprobleme bekommt? Natürlich werden auch hier wieder die vielen Anwohner:innen bemüht, die das angeblich genauso sehen.
Also man kann ja immer über Sinn und Unsinn von Bauvorhaben diskutieren. Wobei es ja hier der Adressat ja eher das Land Berlin wäre, welches erst das Gewerbegebiet in ein ein Wohngebiet umwandeln müsste. Ob dann die Lage direkt am Kohlekraftwerk “ideal für den Bau von Sozialwohnungen” ist, bleibt dann wohl dem städteplanerischem Geschmack des Lesers überlassen.
Hallo Peter Dunlop
war auch mein Gedanke beim durchlesen, aber .… Zitat Tony Paumer:
Für unsere Städte brauchen wir klimaneutrale Konzepte, die eine hohe Flächeneffizienz bieten und einen positiven Beitrag zur Stadtentwicklung leisten.
Na bitte da haben wir es… für ein klimaneutrales Konzept sollten die Anwohner und auch Frau Zaun ein wenig Baulärm und Dreck ertragen bzw Verständniss zeigen .… oder !!??
nette Grüße