Immer nach Weihnachten wurde früher die große Umtausch-Orgie gefeiert. In den Kaufhäusern standen die Beschenkten Schlange. Das ist alles Geschichte, auch bei uns. Denn der Karstadt am Leo schließt. Viel wurde darüber geklagt. Zuerst, weil das Einkaufserlebnis im Laufe der Jahre immer weniger Spaß gemacht hat. Jetzt, weil das Kaufhaus tatsächlich schließt, ohne dass es eine echte Wiedereröffnungsperspektive gibt. Es ist nur eine Hoffnung, dass der geplante Umbau tatsächlich stattfindet und am Ende wieder ein Warenhaus seine Tore öffnet. Ich bin mittlerweile zwiegespalten, ob ich mir das wirklich wünsche. Denn wie oft bin ich selbst in den letzten Jahren bei Karstadt gewesen? Wenn ich ehrlich bin, fast nie.
Neulich habe ich die wunderschöne Hansestadt Stralsund besucht. Die Stadt kann sich rühmen, Stammsitz zweier Kaufhauskonzerne zu sein. Zunächst Leonhard Tietz, dessen Warenhaus später als Kaufhof berühmt wurde. Auf der anderen Seite Wertheim, eine Kette, die es zuletzt nur noch in Berlin gab und die seit den 1980er-Jahren zu Hertie (und später zu Karstadt) kam. Beide Stammhäuser kann man in der Ossenreyerstraße in Stralsund noch besichtigen. Nur: Ein klassisches Warenhaus gibt es in der Fußgängerzone der Hansestadt nicht mehr. Statt dessen: viele kleine Geschäfte, Filialisten, kleinteilige Strukturen. Auch eine Mall konnte ich in der historischen Altstadt nicht entdecken. Hat das der Stadt geschadet? Wohl kaum: 2019 wurde die lebendige Stadt zur Einkaufsstadt des Jahres gewählt.
Altstadt von Stralsund Foto: Pixelteufel / Wikimedia Commons
Klar, den Wedding kann man nicht mit einer touristisch attraktiven Stadt mit Weltkulturerbestatus vergleichen. Aber etwas lernen kann man vielleicht doch: Wenn es gelingt, auf große Einkaufstempel zu verzichten, sondern die Ansiedlung kleinerer Geschäfte fördert, kann das eine einstmals glänzende Einkaufsmeile wie die Müllerstraße beleben. Es ist wohl sinnlos, auf einen Leuchtturm wie das krachend gescheiterte SIGNA- Umbauprojekt Karstadt an der Müllerstraße 25 zu setzen. Ein Geschäftsstraßenmanagement, eine Interessengemeinschaft von Händlern und eine Wirtschaftsförderung durch den Bezirk könnten am Ende mehr bewirken als ein Pleitier aus Tirol.
Das Foto zeigt deutlich einen weiteren Unterschied: auf dem Bild sehe ich eine Fußgängerzone. Viele kleine Läden bedeutet auch, dass ich vom einen zum anderen kommen muss. Das geht vermutlich am besten zu Fuß, das macht wiederum in einer Fußgängerzone mehr Spaß als an der Müllerstraße (und ja, da gibt es ein „dazwischen“ – weniger Verkehr und zumindest ein paar Läden – wie wir es in den Kiezen sehen).
Mir hat Karstadt seit der Schließung jetzt schon ein paarmal gefehlt. Jetzt mache ich Ausflüge zum Alex oder in die Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße.
Überall liest man, dass das Warennhaus tot ist. Dabei schließt Galeria Müllerstraße laut Aussage des Betriebsrates nicht wegen roter Zahlen. Schlechtes Mangement treibt viele Häuser in den Ruin. Man schaue nur ins Ausland: Kaufhausketten wie El Corte Ingles oder Macys fahren – bei gutem Mangement und innovativen Ideen – ordentliche Gewinne ein.
Hallo
wenn ich all die Kommentare lese juckt es mich doch in den Fingern …. und stelle mal folgende Frage – vielleicht kann mir das mal jemand beantworten
Es gab jede Menge kleine unterschiedliche Geschäfte auf der Müller…. wo sind´se hin ?? Jeder der ein Geschäft eröffnet muss Miete zahlen. Cafe´s , Schicha Bars , Barbershop´s , Bäckereien, Telefonläden , unzählige Dönerläden und ähnliche Restaurant´s – fast nur noch türkische/arabische Inhaber. Sind die bessere Selbstständige?? Bekommen das Deutsche nicht mehr hin ?? wie konnte es nur dazu kommen das die ganze Vielfältigkeit an Geschäften auf der Müller in den letzten 20 Jahren verschwunden ist ?? Es gab mal einen Wienerwald – raus , türkische Bäckerei rein , letzte Videothek raus – Bar rein , Eckkneipe raus – Schichabar rein… hat da das Bezirksamt nicht auch ein Wort mitzureden, wie so eine Straße sich gestallten soll ??
Gruß
Bei der Gestaltung der Müllerstraße kann das Bezirksamt Dinge festlegen, bei der Auswahl der Mieter allerdings gar nicht. An der Müller, zwischen Seestr. und Luxemburger, zähle ich mindestens 15 Cafés bzw. Bäcker, die Stühle vor der Tür haben. Die Marge bei einer Tasse Kaffee ist so hoch, dass der Inhabende die Miete an der Müller zahlen kann. Und beim Imbiß/Döner ist das ähnlich. Die Handelsprofis (Rewe, Penny, Bolu und Biodings, dm usw.) haben zwar eine geringe Marge, aber da macht es die Menge der Kunden. Der (inhabergeführten) Fachhandel is raus, weil mit seinen Margen und geringeren Kundenfrequenzen die Miete nicht verdient werden kann. Buchladen, ein Fahrradladen, eine Weinhandlung o. ä. an der Müllerstraße wird es nicht mehr geben, bzw. nur ganz hinten im Niemandsland kurz vorm Kutschi.
Wenn man genau hinschaut sieht man auch: Es gibt zwischen Seestr. und Luxemburger einen Friseur (wenn ich mich recht erinnere), keine Shisha-Bar, kein Wettbüro, kein Reisebüro, und eine Eckkneipe schon lange nicht mehr. Auch die können die Mieten nicht zahlen, sondern sind in der Brüsseler oder Amsterdamer etc.
Danke für die kurze knackige Antwort
Spannendes 2024
Das Bezirksamt hat das vermutlich nur so bedingt Einfluss. Die Gewerberäume gehört dem Amt ja nicht. Das hat wohl der berühmte Markt geregelt.
Wird hier mit „kleinen Geschäften“ nicht etwas romantisiert? Auch diese möchten Geld verdienen und müssen Miete zahlen. Das beste sind meiner Ansicht nach eine Art Genossenschaften, wo Produzenten und Kunden in engem Austausch stehen. Ob sich solche Ideen aber in der heutigen Zeit Zukunft haben, bleibt abzuwarten.
Das wird stark romantisiert. Und kommt auch nicht wieder. Wie denn auch – da müßte die Mieten ja sinken. Tun sie aber nicht, bei Immoscout werden für den Wedding 16–17 €/m² aufgerufen (und das ist nicht Müllerstraße). Bei der Miete kann ein „kleines Geschäft“ nicht überleben.
Die Ansiedlung kleinerer Geschäfte fördern? – das ist leicht dahin gesagt. Da gibt es NICHTS zu fördern. Es hängt alles an der Miete. Die letzten kleine Geschäfte, die mir einfallen liegen auch in den Seitenstraßen der Müllerstraße (ein Buchladen, Fahrradladen, der CD-Laden) oder, falls doch in der Müller, weiter weg vom Zentrum. Und alle, wirklich, könnten bei der nächsten Mieterhöhung weg sein.
In Neukölln habe ich beim letzten Spaziergang schon fünf Weinhandlungen gezählt – ungefördert wohlgemerkt. Böse gesagt: Selbst die Gentrifizierung kriegt der Wedding nicht auf die Reihe.
Es gibt viele kleine nette Läden z.B. im Sprengelkiez, Brüsseler Kiez oder Holländischen Viertel. Dort kaufe ich gerne ein.
Aber auch da haben die ersten Läden schon wieder dicht gemacht (z.B. Vandely, Sardelle, Kleine Mensa, Zeichencenter….)
NaJa – eine Ansiedlung vieler kleiner Geschäfte haben wir ja schon auf der Müllerstr. Nur dass es sich dabei vorrangig um Imbissläden, Gold- und Schmuckankauf oder Telefonläden handelt.
DAS ist nun auch keine echte Alternative!
Wie Recht Du hast. Das ist doch gruselig.