Was wurde das für ein leichtes Leben, als ich 2003 aus dem Prenzlauer Berg in den Wedding zog! Die überdrehte Welt engagierter und verunsicherter Eltern, die scharenweise die Spielplätze bevölkerten, was die Anzahl der dort spielenden Kinder übertraf, wich einem entspannteren Umgang miteinander. Klar, der Ton auf den Weddinger Straßen ist gerne auch mal ruppig, aber insgesamt herrscht doch als Einstellung vor: “leben und leben lassen”.
Unser Kind ging nach dem Umzug noch eine Weile auf eine Pankower Grundschule, und dort vernetzten sich die besorgten Eltern in einer Stammtischgruppe, um das (Fehl)Verhalten der nicht weniger verunsicherten Lehrer:innen zu besprechen. Was gab es nicht alles zu regeln und zu klären! Nichts entging den Eltern, die argwöhnisch auf das Schulgeschehen blickten. Für das Lehrpersonal war das ein weiterer Grund der Verunsicherung, denn sie konnten ihre Arbeit nur sehr eingeschränkt tun.
Schließlich wechselten wir auch schulisch in den Wedding, nicht ohne ein mulmiges Gefühl zu haben. Und doch brach ein anderes Leben an: Die Lehrer:innen hier waren weitaus mutiger und engagierter, denn ihnen standen die Eltern viel weniger im Weg. Statt Gleichmacherei wurde hier die Vielfalt gefeiert, denn die Kinder hatten viele Muttersprachen und kulturelle Hintergründe. Dass viele Familien sehr viel weniger Geld haben, lernte mein Kind ganz nebenbei auch noch.
Und wenn es für schulische Veranstaltungen etwas zu essen mitzubringen gilt, ist die erste Frage besorgter Mütter nicht: “Isch des bio?” Sondern: “Kann ich das Rezept haben?” Denn es wird ganz selbstverständlich nur das Leckerste aus der türkischen, arabischen oder polnischen Küche aufgetischt. Keiner würde etwas aus Schweinefleisch mitbringen, damit niemand in Verlegenheit kommt.
Und das ist dann auch wieder typisch Wedding: Da kommt ein ganz schön buntes Buffet zusammen!
Der Umgang mit vielen Sprachen, Kulturen, Religionen ist für uns Weddinger sicher nicht immer einfach. Aber insgesamt, finde ich, funktioniert es weniger verspannt oder verkrampft als in Pankow oder Prenzlauer Berg.
Ich, ddr-sozialisiert, lebe seit 30 Jahren in p.berg und lese den Weddingweiser eigentlich gerne, weil ich den Wedding mag. Ja, mir gehen manche Veränderungen in P.berg auch auf den Senkel. ABER was mich mindestens genauso nervt, sind die nicht enden wollenden Pauschalisierungen und Klischeeverbreitungen über den Typus „Prenzlauer Berg Bewohner“. Dieser Artikel so unnötig und leider dumm. Was soll er bezwecken? Das es sooo geil ist, im vermeintlich authentischen Wedding zu wohnen?! Und bitte schauts euch mal um bei euch: der Wedding ist längst auch gentrifiziert und die geschmähten Bioeltern gibt es längst auch da.
Klar, es gibt natürlich Ausnahmen auf beiden Seiten. Für den Artikel habe ich meine Erfahrungen natürlich etwas überspitzt, aber so war es damals halt…
Hallo Herr Faust, mit grossem Interesse lese ich Ihren Weddingweiser. Super wie begeistert Sie vom Wedding sind.
Ich lebe auch im Wedding und das sehr gerne.
Schönen Tag und Gruß
Ursula Zober
Das kann ich nur 100%ig unterschreiben. Ich wohne im Wedding, mein Zahnarzt war am Arkonaplatz. Von der U‑Bahn musste man ein Stück laufen. Auf diesem Weg wurde ich mit fahrradfahrenden Eltern konfrontiert, die ihr Kind in einer Sänfte transportierten. “ Hast du auch dein Dinkelbrötchen gegessen“, hörte ich und wollen wir eine Kinderlatte trinken gehen. Mir brach der Schweiss aus. Ich habe den Zahnarzt gewechselt. Die ziehen aus der Provinz nach Berlin, um aus Berlin eine Provinz zu machen. Lehrerin möchte ich da auch nicht sein. Ich arbeite in einer Schule im Wedding. Da kann man Schülern auch mal eine Ansage machen, ohne dass man anschliessend einen Brief vom Rechtsanwalt bekommt.
Als Schwäbin, seit 1971 in Berlin lebend, gehen mir die Prenzlbergschwaben auf den Geist und ich bleibe lieber südlicher in Berlin. Wie gesagt nerven mich die: Ich und der Rest der Welt Menschen!
Ich sehe das wie der Autor. Ich finde die Menschen im Wedding auch entspannter. Allerdings kippt das langsam mit den vielen Zuzüglern. Denn es sind nach meiner Beobachtung (übrigens selbst gebürtig aus Bayern) vor allem die zugezogenen “Bio-Deutschen”, die oft sehr militant sind in Sachen “nur Bio”, “Straßen für Autos sperren” usw. Unter den wenigen Ur-Berlinern ist das alles viel mehr nach dem Motto “Leben und leben lassen”.
Leben und Leben lassen nach dem Motto Ich fahre mein Auto und du darfst meine Abgase und den Lärm ertragen.
Ich ess kein Bio, Tierleid und Insektensterben. Leben lassen, das endet da wo es bequem für mich ist.
Niemand wird etwas gegen Bio haben und schon recht nicht gegen Tierwohl. Aber viele können es leider nicht leisten. Zugezogene – meist Akademiker – kennen dieses Problem aber vermutlich weniger. Und Berlin ist nun mal eine Großstadt, die größte Deutschlands, und da ist es lauter und dreckiger als in der Provinz . Das sollte man wissen, bevor man herzieht. Ich teile Christels Einschätzung: “Die ziehen aus der Provinz nach Berlin, um aus Berlin eine Provinz zu machen.”
DAS ist doch das ganze Problem.. „ Keiner würde etwas aus Schweinefleisch mitbringen, damit niemand in Verlegenheit kommt.“! WIR müssen uns verbiegen und sollen auf das verzichten, was üblicherweise den größten Teil an unserem Fleischkonsum ausmacht. Wenn jemand – aus welchen Gründen auch immer – kein Schweinefleisch essen will/kann/darf, i.O.! Aber deswegen sollte doch nicht der Rest der Gemeinschaft darunter leiden!
Kein anderes mir bekanntes Land macht solche Kniefälle vor anderen Kulturen wie Deutschland! Martinsumzüge werden in Lichterfest umbenannt, auf bestimmte Speisen wird verzichtet etc. Wer hier lebt/leben will, muß sich UNSEREN Gepflogenheiten anpassen und nicht umgekehrt!
So ein Quatsch. Es geht nicht darum, sich zu verbiegen. Sondern um Vereinfachung. Kompromisse. Kinder nicht in Nöte bringen. Da bricht sich niemand einen Zacken aus der Krone. Zuhause kann jeder essen, was er will.
Das ist ja genau die Aussage des Artikels: Wenn man es wie in Prenzlauer Berg zu kompliziert macht, sind am Ende alle gestresst.
Die Kinder müssen eben frühzeitig lernen, dass es Unterschiede gibt! Was für die einen gilt, gilt eben noch lange nicht für die anderen. Wer ungelenk ist und dessen Gewicht nicht proportional zu seiner Größe ist, muß anerkennen, dass er bei der Auswahl zu einer Fußballmannschaft eher nicht die erste Wahl ist! Und wenn Weihnachten nicht gefeiert wird, ist es Aufgabe der Eltern, dies den Sprösslingen klarzumachen! Unterschiede wird es immer geben und das ist gut so! Wie im Theater: Es können nicht alle in der ersten Reihe sitzen!
Nachklapp:
„Zu Hause kann jeder essen, was er will!“ Genau diese Haltung führt doch dazu, dass sich (in der aktuellen Situation) z. B. unsere jüdischen Mitbürger draußen nicht mehr sicher fühlen, weil man ihnen sagt, dass sie ja „zu Hause“ ihren Glauben ausleben dürfen und eben NICHT in der Öffentlichkeit! Nächstes Beispiel: alles rund um die „queere“ Bewegung! Zu Hause immer – aber draußen?
Niemand akzeptiert mehr das „Anderssein“ in der Öffentlichkeit!
Hallo Jupp Schmitz
persönlich esse ich schon lange kein Schwein mehr… meine Entscheidung, aber es ist eben keine Vereinfachung und auch kein Kompromiss , wenn – ach lest selber
https://www.cicero.de/innenpolitik/schweinefleisch-kita-schnitzel-krieg-muslime-bild
https://www.stern.de/genuss/essen/schweinefleisch-debatte-in-kita—es-ist-schwachsinn–dass-wir-unsere-deutsche-kueche-verraten-wuerden–8817820.html
https://www.watson.de/leben/best%20of%20watson/484475727-schweinefleisch-in-der-kita-erzieherin-darum-muessen-wir-es-abschaffen
https://www.spiegel.de/panorama/leipzig-kein-schweinefleisch-in-kita-warum-deutsche-deshalb-identitaetskrisen-kriegen-a-bb98a27f-b6df-4983-be4d-31d9348b5cce
… und war das in einer Kita in Hamburg , wo bloss kein Weihnachtsbaum stehen durfte ….
https://rp-online.de/panorama/deutschland/hamburg-streit-um-weihnachtsbaum-in-kita-zeigt-religioeses-unwissen_aid-102939145
All diese schlimmen unsäglichen Diskussionen, diese spalten immer mehr und unüberbrückbar unsere Gesellschaft… bin auch eher beim Jupp als beim Herrn Faust
entspanntes WE denoch
Ich kann diese Sichtweise auch verstehen. Ich denke, es ist vor allem eine Frage des Alters, wie man das sieht.
“muss sich UNSEREN Gepflogenheiten anpassen”
Wer ist denn “unseren”, also “wir”? Diejenigen, deren Opas noch in der Wehrmacht gekämpft haben? Und die anderen? Ab wann gehört man denn zu “uns”? Meine Uroma ist als Kind aus Polen eingewandert, gehöre ich schon dazu?
Gesellschaften ändern sich nun mal, da gibt es nicht nur EINE Gepflogenheit. Und anpassen müssen sich alle, nämlich so, dass niemand unterdrückt oder diskriminiert wird.
„… anpassen müssen sich alle, nämlich so, dass niemand unterdrückt oder diskriminiert wird.“
Grundsätzlich einverstanden, aber es scheint mir doch eher so zu sein, dass dieses „anpassen“ vorrangig von den „Bio-Deutschen“ erwartet wird, wohingegen sich Angehörige anderer Volksgruppen ungestraft austoben können. Ganz aktuell: hebräisch sprechende Menschen werden beleidigt und verprügelt, Ärzte/Pfleger im Krankenhaus werden zusammengeschlagen, Profilierungsfahrten mit hochmotorisierten PKW/Hochzeitskonvois finden mit enormer Belästigung/Gefährdung der Bevölkerung statt… usw.
Nein, DAS sind nicht UNSERE Gepflogenheiten…
Sorry, aber das Verhalten eines kleinen Teils einer Gruppe von Nicht-„Bio-Deutschen“ auf alle zu übertragen, nährt den Verdacht auf Rassismus. Erstens sind es extrem wenige von denen, die ein solches Verhalten an den Tag legen. Der große Rest lebt ganz normal.
Zweitens gilt dieses Danebenbenehmen genauso für Deutsche. Ich war über 20 Jahre lang Taxifahrer und habe auch öfters Stress mit Fahrgästen gehabt. Dabei waren deutsche genauso viel oder sogar mehr als arabische Kulturen vertreten.
Leider sind auch in urdeutschen Gesellschaftsschichten Werte wie Rücksicht, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nur sehr begrenzt vorhanden. Ich empfehle mal zur Hauptverkehrszeit ein Umsteigen zwischen den U‑Bahn-Linie am Leo. Da wird von allen Nationalitäten gerempelt und geschupst.
Und wenn wir schon bei Verallgemeinerungen sind: Vor einer Woche in der Badstraße: Ein (offensichtlich deutscher) Mann bricht auf dem Bürgersteig zusammen, möglicherweise wegen Alkoholvergiftung, keine Ahnung. Mehrere augenscheinlich arabisch-stämmige Menschen eilen zu ihm, während ein teutsches Ehepaar sowie eine biodeutsche Mutter demonstrativ wegschauen und nicht helfen. Trotzdem denke ich nicht, dass ALLE Ur-Deutschen so ignorant sind.
Das Problem ist nicht die Herkunft oder die Kulturzugehörigkeit der Menschen, sondern ihr individueller Charakter.
Stimmt leider alles, was Sie schreiben. Wir sollen uns verbiegen. Das macht keine andere Nation.
Ach ja, die aaarmen Deutschen werden ja so geknechtet.
Lächerlich.
Guten Morgen, hier bei mir im Haus, Brüsselerstr., beobachte ich seit Jahren, dass die Familien mit Kindern die in die Schule kommen, wegziehen. Meine Erfahrungen als Lesepatin an der Brüder Grimmschule: Klasse 1–3 jahrgangsübergreifend : 2 „biodeutsche“ Kinder, sonst international. Eine wunderbare Erfahrung, alle sprachen Deutsch, eine tolle Lehrerin, allerdings schon 8 Jahre her.
Gruß Susanne Ringel