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Wo es im Wedding entspannter zugeht:
Meine Wedding-Welt: “Isch des bio?”

6. Januar 2024
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Was wur­de das für ein leich­tes Leben, als ich 2003 aus dem Prenz­lau­er Berg in den Wed­ding zog! Die über­dreh­te Welt enga­gier­ter und ver­un­si­cher­ter Eltern, die scha­ren­wei­se die Spiel­plät­ze bevöl­ker­ten, was die Anzahl der dort spie­len­den Kin­der über­traf, wich einem ent­spann­te­ren Umgang mit­ein­an­der. Klar, der Ton auf den Wed­din­ger Stra­ßen ist ger­ne auch mal rup­pig, aber ins­ge­samt herrscht doch als Ein­stel­lung vor: “leben und leben lassen”. 

Unser Kind ging nach dem Umzug noch eine Wei­le auf eine Pan­kower Grund­schu­le, und dort ver­netz­ten sich die besorg­ten Eltern in einer Stamm­tisch­grup­pe, um das (Fehl)Verhalten der nicht weni­ger ver­un­si­cher­ten Lehrer:innen zu bespre­chen. Was gab es nicht alles zu regeln und zu klä­ren! Nichts ent­ging den Eltern, die arg­wöh­nisch auf das Schul­ge­sche­hen blick­ten. Für das Lehr­per­so­nal war das ein wei­te­rer Grund der Ver­un­si­che­rung, denn sie konn­ten ihre Arbeit nur sehr ein­ge­schränkt tun. 

Schließ­lich wech­sel­ten wir auch schu­lisch in den Wed­ding, nicht ohne ein mul­mi­ges Gefühl zu haben. Und doch brach ein ande­res Leben an: Die Lehrer:innen hier waren weit­aus muti­ger und enga­gier­ter, denn ihnen stan­den die Eltern viel weni­ger im Weg. Statt Gleich­ma­che­rei wur­de hier die Viel­falt gefei­ert, denn die Kin­der hat­ten vie­le Mut­ter­spra­chen und kul­tu­rel­le Hin­ter­grün­de. Dass vie­le Fami­li­en sehr viel weni­ger Geld haben, lern­te mein Kind ganz neben­bei auch noch. 

Und wenn es für schu­li­sche Ver­an­stal­tun­gen etwas zu essen mit­zu­brin­gen gilt, ist die ers­te Fra­ge besorg­ter Müt­ter nicht: “Isch des bio?” Son­dern: “Kann ich das Rezept haben?” Denn es wird ganz selbst­ver­ständ­lich nur das Leckers­te aus der tür­ki­schen, ara­bi­schen oder pol­ni­schen Küche auf­ge­tischt. Kei­ner wür­de etwas aus Schwei­ne­fleisch mit­brin­gen, damit nie­mand in Ver­le­gen­heit kommt.

Und das ist dann auch wie­der typisch Wed­ding: Da kommt ein ganz schön bun­tes Buf­fet zusammen! 

Der Umgang mit vie­len Spra­chen, Kul­tu­ren, Reli­gio­nen ist für uns Wed­din­ger sicher nicht immer ein­fach. Aber ins­ge­samt, fin­de ich, funk­tio­niert es weni­ger ver­spannt oder ver­krampft als in Pan­kow oder Prenz­lau­er Berg. 

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

20 Comments

  1. Ich, ddr-sozia­li­siert, lebe seit 30 Jah­ren in p.berg und lese den Wed­ding­wei­ser eigent­lich ger­ne, weil ich den Wed­ding mag. Ja, mir gehen man­che Ver­än­de­run­gen in P.berg auch auf den Sen­kel. ABER was mich min­des­tens genau­so nervt, sind die nicht enden wol­len­den Pau­scha­li­sie­run­gen und Kli­schee­ver­brei­tun­gen über den Typus „Prenz­lau­er Berg Bewoh­ner“. Die­ser Arti­kel so unnö­tig und lei­der dumm. Was soll er bezwe­cken? Das es sooo geil ist, im ver­meint­lich authen­ti­schen Wed­ding zu woh­nen?! Und bit­te schau­ts euch mal um bei euch: der Wed­ding ist längst auch gen­tri­fi­ziert und die geschmäh­ten Bio­el­tern gibt es längst auch da.

    • Klar, es gibt natür­lich Aus­nah­men auf bei­den Sei­ten. Für den Arti­kel habe ich mei­ne Erfah­run­gen natür­lich etwas über­spitzt, aber so war es damals halt…

  2. Hal­lo Herr Faust, mit gros­sem Inter­es­se lese ich Ihren Wed­ding­wei­ser. Super wie begeis­tert Sie vom Wed­ding sind.
    Ich lebe auch im Wed­ding und das sehr gerne.
    Schö­nen Tag und Gruß
    Ursu­la Zober

  3. Das kann ich nur 100%ig unter­schrei­ben. Ich woh­ne im Wed­ding, mein Zahn­arzt war am Arko­na­platz. Von der U‑Bahn muss­te man ein Stück lau­fen. Auf die­sem Weg wur­de ich mit fahr­rad­fah­ren­den Eltern kon­fron­tiert, die ihr Kind in einer Sänf­te trans­por­tier­ten. “ Hast du auch dein Din­kel­bröt­chen geges­sen“, hör­te ich und wol­len wir eine Kin­der­lat­te trin­ken gehen. Mir brach der Schweiss aus. Ich habe den Zahn­arzt gewech­selt. Die zie­hen aus der Pro­vinz nach Ber­lin, um aus Ber­lin eine Pro­vinz zu machen. Leh­re­rin möch­te ich da auch nicht sein. Ich arbei­te in einer Schu­le im Wed­ding. Da kann man Schü­lern auch mal eine Ansa­ge machen, ohne dass man anschlies­send einen Brief vom Rechts­an­walt bekommt.

  4. Als Schwä­bin, seit 1971 in Ber­lin lebend, gehen mir die Prenz­l­berg­schwa­ben auf den Geist und ich blei­be lie­ber süd­li­cher in Ber­lin. Wie gesagt ner­ven mich die: Ich und der Rest der Welt Menschen!

  5. Ich sehe das wie der Autor. Ich fin­de die Men­schen im Wed­ding auch ent­spann­ter. Aller­dings kippt das lang­sam mit den vie­len Zuzüg­lern. Denn es sind nach mei­ner Beob­ach­tung (übri­gens selbst gebür­tig aus Bay­ern) vor allem die zuge­zo­ge­nen “Bio-Deut­schen”, die oft sehr mili­tant sind in Sachen “nur Bio”, “Stra­ßen für Autos sper­ren” usw. Unter den weni­gen Ur-Ber­li­nern ist das alles viel mehr nach dem Mot­to “Leben und leben lassen”.

    • Leben und Leben las­sen nach dem Mot­to Ich fah­re mein Auto und du darfst mei­ne Abga­se und den Lärm ertragen.

      Ich ess kein Bio, Tier­leid und Insek­ten­ster­ben. Leben las­sen, das endet da wo es bequem für mich ist.

      • Nie­mand wird etwas gegen Bio haben und schon recht nicht gegen Tier­wohl. Aber vie­le kön­nen es lei­der nicht leis­ten. Zuge­zo­ge­ne – meist Aka­de­mi­ker – ken­nen die­ses Pro­blem aber ver­mut­lich weni­ger. Und Ber­lin ist nun mal eine Groß­stadt, die größ­te Deutsch­lands, und da ist es lau­ter und dre­cki­ger als in der Pro­vinz . Das soll­te man wis­sen, bevor man her­zieht. Ich tei­le Chris­tels Ein­schät­zung: “Die zie­hen aus der Pro­vinz nach Ber­lin, um aus Ber­lin eine Pro­vinz zu machen.”

  6. DAS ist doch das gan­ze Pro­blem.. „ Kei­ner wür­de etwas aus Schwei­ne­fleisch mit­brin­gen, damit nie­mand in Ver­le­gen­heit kommt.“! WIR müs­sen uns ver­bie­gen und sol­len auf das ver­zich­ten, was übli­cher­wei­se den größ­ten Teil an unse­rem Fleisch­kon­sum aus­macht. Wenn jemand – aus wel­chen Grün­den auch immer – kein Schwei­ne­fleisch essen will/kann/darf, i.O.! Aber des­we­gen soll­te doch nicht der Rest der Gemein­schaft dar­un­ter leiden!
    Kein ande­res mir bekann­tes Land macht sol­che Knie­fäl­le vor ande­ren Kul­tu­ren wie Deutsch­land! Mar­tins­um­zü­ge wer­den in Lich­ter­fest umbe­nannt, auf bestimm­te Spei­sen wird ver­zich­tet etc. Wer hier lebt/leben will, muß sich UNSEREN Gepflo­gen­hei­ten anpas­sen und nicht umgekehrt!

    • So ein Quatsch. Es geht nicht dar­um, sich zu ver­bie­gen. Son­dern um Ver­ein­fa­chung. Kom­pro­mis­se. Kin­der nicht in Nöte brin­gen. Da bricht sich nie­mand einen Zacken aus der Kro­ne. Zuhau­se kann jeder essen, was er will.
      Das ist ja genau die Aus­sa­ge des Arti­kels: Wenn man es wie in Prenz­lau­er Berg zu kom­pli­ziert macht, sind am Ende alle gestresst. 

      • Die Kin­der müs­sen eben früh­zei­tig ler­nen, dass es Unter­schie­de gibt! Was für die einen gilt, gilt eben noch lan­ge nicht für die ande­ren. Wer unge­lenk ist und des­sen Gewicht nicht pro­por­tio­nal zu sei­ner Grö­ße ist, muß aner­ken­nen, dass er bei der Aus­wahl zu einer Fuß­ball­mann­schaft eher nicht die ers­te Wahl ist! Und wenn Weih­nach­ten nicht gefei­ert wird, ist es Auf­ga­be der Eltern, dies den Spröss­lin­gen klar­zu­ma­chen! Unter­schie­de wird es immer geben und das ist gut so! Wie im Thea­ter: Es kön­nen nicht alle in der ers­ten Rei­he sitzen!

      • Nach­klapp:
        „Zu Hau­se kann jeder essen, was er will!“ Genau die­se Hal­tung führt doch dazu, dass sich (in der aktu­el­len Situa­ti­on) z. B. unse­re jüdi­schen Mit­bür­ger drau­ßen nicht mehr sicher füh­len, weil man ihnen sagt, dass sie ja „zu Hau­se“ ihren Glau­ben aus­le­ben dür­fen und eben NICHT in der Öffent­lich­keit! Nächs­tes Bei­spiel: alles rund um die „que­e­re“ Bewe­gung! Zu Hau­se immer – aber draußen?
        Nie­mand akzep­tiert mehr das „Anders­sein“ in der Öffentlichkeit!

    • Hal­lo Jupp Schmitz
      per­sön­lich esse ich schon lan­ge kein Schwein mehr… mei­ne Ent­schei­dung, aber es ist eben kei­ne Ver­ein­fa­chung und auch kein Kom­pro­miss , wenn – ach lest selber
      https://www.cicero.de/innenpolitik/schweinefleisch-kita-schnitzel-krieg-muslime-bild
      https://www.stern.de/genuss/essen/schweinefleisch-debatte-in-kita—es-ist-schwachsinn–dass-wir-unsere-deutsche-kueche-verraten-wuerden–8817820.html
      https://www.watson.de/leben/best%20of%20watson/484475727-schweinefleisch-in-der-kita-erzieherin-darum-muessen-wir-es-abschaffen
      https://www.spiegel.de/panorama/leipzig-kein-schweinefleisch-in-kita-warum-deutsche-deshalb-identitaetskrisen-kriegen-a-bb98a27f-b6df-4983-be4d-31d9348b5cce
      … und war das in einer Kita in Ham­burg , wo bloss kein Weih­nachts­baum ste­hen durfte ….
      https://rp-online.de/panorama/deutschland/hamburg-streit-um-weihnachtsbaum-in-kita-zeigt-religioeses-unwissen_aid-102939145
      All die­se schlim­men unsäg­li­chen Dis­kus­sio­nen, die­se spal­ten immer mehr und unüber­brück­bar unse­re Gesell­schaft… bin auch eher beim Jupp als beim Herrn Faust
      ent­spann­tes WE denoch

      • Ich kann die­se Sicht­wei­se auch ver­ste­hen. Ich den­ke, es ist vor allem eine Fra­ge des Alters, wie man das sieht.

    • “muss sich UNSEREN Gepflo­gen­hei­ten anpassen”
      Wer ist denn “unse­ren”, also “wir”? Die­je­ni­gen, deren Opas noch in der Wehr­macht gekämpft haben? Und die ande­ren? Ab wann gehört man denn zu “uns”? Mei­ne Uroma ist als Kind aus Polen ein­ge­wan­dert, gehö­re ich schon dazu?
      Gesell­schaf­ten ändern sich nun mal, da gibt es nicht nur EINE Gepflo­gen­heit. Und anpas­sen müs­sen sich alle, näm­lich so, dass nie­mand unter­drückt oder dis­kri­mi­niert wird.

      • „… anpas­sen müs­sen sich alle, näm­lich so, dass nie­mand unter­drückt oder dis­kri­mi­niert wird.“
        Grund­sätz­lich ein­ver­stan­den, aber es scheint mir doch eher so zu sein, dass die­ses „anpas­sen“ vor­ran­gig von den „Bio-Deut­schen“ erwar­tet wird, wohin­ge­gen sich Ange­hö­ri­ge ande­rer Volks­grup­pen unge­straft aus­to­ben kön­nen. Ganz aktu­ell: hebrä­isch spre­chen­de Men­schen wer­den belei­digt und ver­prü­gelt, Ärzte/Pfleger im Kran­ken­haus wer­den zusam­men­ge­schla­gen, Pro­fi­lie­rungs­fahr­ten mit hoch­mo­to­ri­sier­ten PKW/Hochzeitskonvois fin­den mit enor­mer Belästigung/Gefährdung der Bevöl­ke­rung statt… usw.
        Nein, DAS sind nicht UNSERE Gepflogenheiten…

        • Sor­ry, aber das Ver­hal­ten eines klei­nen Teils einer Grup­pe von Nicht-„Bio-Deutschen“ auf alle zu über­tra­gen, nährt den Ver­dacht auf Ras­sis­mus. Ers­tens sind es extrem weni­ge von denen, die ein sol­ches Ver­hal­ten an den Tag legen. Der gro­ße Rest lebt ganz normal.
          Zwei­tens gilt die­ses Dane­ben­be­neh­men genau­so für Deut­sche. Ich war über 20 Jah­re lang Taxi­fah­rer und habe auch öfters Stress mit Fahr­gäs­ten gehabt. Dabei waren deut­sche genau­so viel oder sogar mehr als ara­bi­sche Kul­tu­ren vertreten.
          Lei­der sind auch in urdeut­schen Gesell­schafts­schich­ten Wer­te wie Rück­sicht, Freund­lich­keit und Hilfs­be­reit­schaft nur sehr begrenzt vor­han­den. Ich emp­feh­le mal zur Haupt­ver­kehrs­zeit ein Umstei­gen zwi­schen den U‑Bahn-Linie am Leo. Da wird von allen Natio­na­li­tä­ten gerem­pelt und geschupst.
          Und wenn wir schon bei Ver­all­ge­mei­ne­run­gen sind: Vor einer Woche in der Bad­stra­ße: Ein (offen­sicht­lich deut­scher) Mann bricht auf dem Bür­ger­steig zusam­men, mög­li­cher­wei­se wegen Alko­hol­ver­gif­tung, kei­ne Ahnung. Meh­re­re augen­schein­lich ara­bisch-stäm­mi­ge Men­schen eilen zu ihm, wäh­rend ein teut­sches Ehe­paar sowie eine bio­deut­sche Mut­ter demons­tra­tiv weg­schau­en und nicht hel­fen. Trotz­dem den­ke ich nicht, dass ALLE Ur-Deut­schen so igno­rant sind.
          Das Pro­blem ist nicht die Her­kunft oder die Kul­tur­zu­ge­hö­rig­keit der Men­schen, son­dern ihr indi­vi­du­el­ler Charakter.

  7. Guten Mor­gen, hier bei mir im Haus, Brüs­sel­er­str., beob­ach­te ich seit Jah­ren, dass die Fami­li­en mit Kin­dern die in die Schu­le kom­men, weg­zie­hen. Mei­ne Erfah­run­gen als Lese­pa­tin an der Brü­der Grimm­schu­le: Klas­se 1–3 jahr­gangs­über­grei­fend : 2 „bio­deut­sche“ Kin­der, sonst inter­na­tio­nal. Eine wun­der­ba­re Erfah­rung, alle spra­chen Deutsch, eine tol­le Leh­re­rin, aller­dings schon 8 Jah­re her.
    Gruß Susan­ne Ringel

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