Kati Hertzsch lebt seit 2009 im Wedding. Seit 2014 hat sie ihr Büro im Stadtteil und seit vergangenen August findet man auch die Agentur für guten Stil gretaschreibt.com im Badstraßenkiez. Im November steht ihr nächste Schreib-Workshop an. In diesem Text stellt sie sich und ihre Profession vor.
Wir alle sind Autor:innen, wir verfassen jeden Tag Texte, wenn wir eine Nachricht ins Telefon tippen oder eine E‑Mail schreiben. Aber sich hinzusetzen und ein Buch zu schreiben, das ist schon ein Ding. Als ich 2009 für ein Praktikum nach Berlin gekommen bin, hatte ich keine Ahnung, dass es den Beruf Lektorin gibt, geschweige denn, was die machen. Der Freund eines Freundes (ha! Berlin) war der Verleger Christoph Links, der gleich nach der Wende einen Verlag für Politik und Zeitgeschichte gegründet hatte, der heute im Aufbauhaus am Moritzplatz zu finden ist.
Ich habe schon immer wie eine Süchtige gelesen und dachte, ein Literaturstudium sei eine gute Idee, doch nach den ersten Seminaren bin ich vor lauter Theoriekram und Staub und Langeweile lieber geflüchtet und dann stand ich da, als Aushilfskellnerin mit einem Magister in Philosophie und Sprachwissenschaft (Klassiker, ja, ja). Doch nach den ersten beiden Wochen bei Christoph wusste ich: Das ist es. Das will ich. Dafür will ich meine ganze Energie hergeben. Ich will Lektorin sein.
Es ist unfassbar spannend, wie viel sorgfältige Arbeit nötig ist, bis ein Buch im Laden liegt. Ein wichtiger, aber weitgehend unbekannter Teil davon ist das Lektorat. Nein, das sind nicht die, die die Rechtschreibung korrigieren, sondern Sonderlinge und Nerds, die so tief in jeden Text hineinkriechen, dass sie ihn am Ende fast auswendig können, die Sprache und Stil glätten, schiefe Bilder gerade hängen und erbarmungslos auf der Jagd nach fiesen Wiederholungen sind, die unerbittlich auf Logik pochen, auf Erzählperspektive, auf den Fluss, den Sound, die Figurenrede, jede noch so kleine Angabe überprüfen, die fragen, mäkeln, bohren, kleistern, umgraben und am Ende mit einer sanften Handbewegung das Laken glattstreichen und den Text zurück in die Hände der Autor:innen geben. Wir konsumieren Texte wie andere Menschen Schokolade und lesen wie Verdurstende. Und immer, wirklich immer fällt uns etwas auf. Keine Speisekarte, die nicht unter die Lupe genommen wird, kein Post, Artikel, Buch der Konkurrenz, das man nicht zumindest interessiert abklopft.
Nach dem Sachbuchlektorat bei Christoph Links bin ich zum Berlin Verlag gewechselt, der damals ein Imprint des Harry-Potter-Verlags Bloomsbury beherbergte und vor allem auf Unterhaltungsliteratur spezialisiert war. Da hatte ich schon längst Witterung aufgenommen und wollte hoch hinaus. Mindestens die Schweizer Berge sollten es sein, der Verlag mit den auffälligen weißen Buchumschlägen: Diogenes, Verlagsheimat von so außergewöhnlichen Autor:innen wie John Irving, Martin Suter, Donna Leon aber auch Legenden des Krimis wie Raymond Chandler und Dashiell Hammett, Ross Macdonald und Eric Ambler. Er verwaltet die literarischen Nachlässe von Giganten wie Patricia Highsmith und Friedrich Dürrenmatt, hat Janosch populär gemacht, verlegt Bernhard Schlink und Ingrid Noll, Patrick Süskind und Paulo Coelho.
Seit einigen Jahren weht ein bisschen Wind durch die Reihen und junge Autor:innen wie Elena Fischer, die gerade für den Deutschen Buchpreis nominiert war und noch immer auf der Beststellerliste steht, oder Benedict Wells, dessen Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ Hunderttausenden etwas bedeutet, Daniela Krien oder Stefanie vor Schulte sind starke weibliche Stimmen.
Ähm, wo war ich stehengeblieben? Genau, beim Büchermachen. Und dann waren auf einmal zehn Jahre vergangen, ich hatte zwei Kinder, ein drittes kündigte sich an und es war Pandemie. Und die war trotz aller Angst und Unsicherheit auch ein Geschenk für mich: Man kann ja auch zu Hause arbeiten. Man kann Zeit mit den Kindern verbringen und dann arbeiten, wenn es in den Alltag passt. Habe ich mich also glatt noch mal in diesen Beruf verliebt. Und gleich wieder neue Pläne gemacht, denn die Arbeit im Verlag ist zwar nach wie vor mein Traum, aber für gewisse Dinge gibt es dort wenig Raum. Das gemeinsame Entwickeln von Texten etwa, die noch in den Anfängen stecken. Das Vermitteln von Handwerkszeug, um gut durch den Schreibprozess zu kommen. Das Begleiten von Autor:innen auf ihrem Weg zum Manuskript. Deshalb habe ich die Agentur für guten Stil gegründet und sie nach meiner ältesten Tochter benannt: www.gretaschreibt.com.
Ich bin immer wieder überwältigt, wie viele Menschen Geschichten in sich tragen, wie viele den Mut haben, sie aufzuschreiben, wie viele sich auf das Wagnis einlassen, einen Text zu schreiben, den andere lesen sollen. Und wie viel Zeit und Energie darin steckt! Monate, manchmal Jahre knapsen sich Autor:innen die Stunden am Schreibtisch von Erwerbs- oder Care-Arbeit ab, stellen fest, wie einsam es (auch) ist, zu schreiben, allein zu zweifeln, sich im Text fortzubewegen, ohne zu wissen, ob das überhaupt einen Sinn hat, ob das überhaupt gut ist, was man da macht. Für all diejenigen möchte ich mit meinem Wissen als Lektorin und meiner Leidenschaft für Texte zur Verfügung stehen.
Ich biete klassische Lektorate an, aber auch meinen Leseeindruck oder ein umfassendes Gutachten über ein Manuskript, wir können in Coachings gemeinsam ganz tief in Texte einsteigen oder ich nehme euch das Exposéschreiben ab (unsexy as hell, ich weiß!). Das Herz der Agentur sind Lektoratsworkshops, in denen es drei Tage lang nur um Text, Text, Text geht. Da gibt es Feedback zu den Leseproben und Projektideen, ich gebe meinen Eindruck über Qualität und Verlagsreife der Manuskripte wieder, ich vermittle und übe Grundlagen des Lektorierens, damit frau/man sich danach selbst helfen kann. Und man kann mich und eine Literaturagentin nach Herzenslust ins Kreuzverhör nehmen, wie das eigentlich alles funktioniert, wenn der Roman dann mal fertig ist. A propos Roman: Damit kenne ich mich einfach am besten aus, bei Lyrik und Science Fiction, Fantasy und Horror bin ich raus.
Das nächste Schreibseminar
Das nächste Seminar findet vom 3. bis 5. November 2023 online via Zoom statt. Du brauchst einen Rechner und eine Internetverbindung, ein bisschen Kaffee und Zeit. Wir starten am Freitag um 14 Uhr und sind am Sonntag fertig, wenn alle keine Lust mehr haben. Bis zum 20. Oktober solltest du mir mindestens 20, höchstens 50 Seiten Text schicken, dazu einen Projektbeschrieb, aus dem ich deine Idee erkennen kann und wo es mit dem Text hingehen soll. Wir sind maximal acht Teilnehmer, sodass genug Zeit bleibt, um intensiv über die von mir vorlektorierten Texte zu sprechen. Ich zeige, was Lektorat kann, was ein Lektorat für deinen Text bedeuten würde, gebe Hinweise, wo es hakt und wie man das lösen kann. Im Nachgang des Lektorats hast du insgesamt 50 von mir lektorierte Seiten Text, also eine schöne Leseprobe, um dich damit an Literaturagenturen und Verlage zu wenden.
Literatur ist mein Leben und ich bin glücklich, wenn ich das mit anderen teilen kann. Kürzlich musste ich mich einen Tag von der Familie abmelden (ein wenig Schnupfen gaben dem Ganzen den nötigen Ernst), um mich in Jarka Kurbsovas Roman „Marschlande“ zu versenken. Also los, nehmt eure Texte aus der Schublade!
Text: Kati Hertzsch, Fotos: privat
Lieber Weddingweiser,
einen Text über sich selbst zu verfassen ist oft eine interessante Sache. Dies allerdings über die neue Selbstständigkeit mit Ankündigung zu Seminaren zu tun, nennt man Werbung.
Ich hoffe, dass dies nicht der neue Standard weiterer Artikel wird.
Es ist toll, dass ihr über Gewerbetreibende im Kiez berichtet. Dann aber bitte mit der notwendigen journalistischen Distanz.
Ein regelmäßiger Leser.
Hallo Tim, ich fand es einfach besser, wenn gerade ein Schreibcoach sich selbst vorstellt. Und ich finde, sie kann wirklich unterhaltsam schreiben. Das sagt schon was über sie aus. Aber natürlich sind stark werbende Texte nicht mein Anspruch. Ich sehe es als Ausnahme. Wobei ich sagen muss, dass bei uns in der Redaktion die Schmerzgrenze bei dem Thema enorm unterschiedlich lokalisiert ist… Viele Grüße!