Während Erich Kästners „Emil und die Detektive″ von Eltern gekauft und von Produzenten verfilmt werden, sind andere Kinderbücher der Weimarer Republik vergessen. Zum Beispiel „Müllerstraße. Jungens von heute″. Der Verlag Walter Frey hat die Geschichte (bei der auch einige wenige Mädchen mitspielen) vor kurzem in seiner Reihe Wedding-Bücher neu herausgebracht. Beim ersten schnellen Lesen der Geschichte fällt auf, wie viel Selbstständigkeit die Autorin Ruth Rewald den Grundschülern vor 90 Jahren zutraute.
Wie viel traut man den eigenen Kindern zu – oder wie wenig? Das wiederentdeckte, beinahe 100 Jahre alte Kinderbuch der Autorin Ruth Rewald kann für heutige Eltern ein Anstoß sein. Es sagt zwischen den Zeilen: Gib auch deinen Kindern Gelegenheit, sich zu beweisen.
Aber ein Kinderbuch sollte ja von Kindern gelesen werden. Wenn 10-Jährige die Geschichte von Kurt und Geuni und den anderen Jungs heute lesen, dann werden eine Menge Fragen entstehen. Und das Wundern ist ja eigentlich immer etwas Positives, denn es erweitert die Welt im Kopf. Fragen, die heutige Kinder beim Lesen des Buches haben könnten, sind zum Beispiel: Warum will der Geuni unbedingt „verschickt″ werden? Kannten die Menschen damals wirklich keinen Urlaub? (Im Buch enthalten ist ein Glossar, das das Wort “Verschickung” erklärt). Dafür werden die jungen Leser des Buches andere Dinge sofort nachempfinden können: Soll ich mir am Nachmittag die Zeit vertreiben oder etwas mit ihr anfangen?
Beim zweiten, genaueren Lesen des Buches kommt für den Erwachsenen das Nachwort von Dirk Krüger in den Blick. Der Lehrer und Wissenschaftler verrät, dass “Müllerstraße” im Jahr 1932 einen regelrechten Hype auslöste, über 70 Rezensionen beschäftigten sich mit dem Buch. Die erste Auflage war schnell vergriffen. Dirk Krügers Veröffentlichungen und Forschungen ist es zu verdanken, dass die einst bekannte Autorin ab 1990 langsam wieder entdeckt wurde. In seinem Nachwort zur aktuellen Ausgabe von “Jungens von heute” erfährt der Leser auch viel über die Autorin Ruth Rewald.
Beschrieben wird Ruth Rewalds Anstrengung, Kinderbuch-Autorin zu werden. Das erzwungene Exil konnte ihre Karriere nicht beenden. Spannend ist dabei, wie Ruth Rewald ihren Platz zwischen anderen für Kinder schreibenden Frauen wie Alex Wedding und Lisa Tetzner suchte – und fand. Mit der Ermordung der 36-jährigen Jüdin in Auschwitz gelang des Nationalsozialisten beinahe auch die Erinnerung an ihre Arbeit auszulöschen. Mit der Neuauflage des Kinderbuches im Verlag Walter Frey verbindet Dirk Krüger die Hoffnung, “unsere jüdischen Mitbürger nicht vorwiegend und ausschließlich als Opfer nationalsozialistischer Verbrechen zu begreifen”. Er möchte, dass sie “auch und vor allem als bedeutende Mitschöpfer der deutschen Kultur” gesehen werden. Das liest der erwachsene Leser mit. Das Kind als Leser lässt sich mit einfacher, direkter Sprache von Altersgenossen erzählen, die vor 100 Jahren ihre Nachmittage selbst in die Hand nahmen.
Der Nachdruck von Ruth Rewalds „Müllerstraße. Jungens von heute″ aus dem Jahr 1932 mit einem aktuellen Nachwort von Kurt Krüger ist im Verlag Walter Frey erschienen und kostet 15 Euro.
Ich habe das Buch gelesen, allerdings eher aus lokalhistorischem Interesse. Es ist gut, dass es wieder aufgelegt wurde, als ein Zeugnis der Zeit und in Erinnerung an die Autorin. Vom Schriftstellerischen her ist es allerdings – und so lautete auch ein Teil der damaligen Literaturkritik – recht hölzern verfasst, aber wenn man es mit Kindern zusammen liest, kann man viel über die Zeit der 30er lernen und erhält sicher gute Anregungen. Also nur zu, gibts bei Karstadt.….…..
Als Kind bin ich auch “draußen” groß geworden, in den späten 1960er bis 1970er Jahren: Alle Eltern sagten: “Geht raus spielen mit den anderen Kindern”, Mädchen und Jungs, Eheliche und Uneheliche, aus Arbeiter- und Angestelltenfamilien, jeden Tag alle zusammen, Völkerball, Fußball, “Eins, zwei, drei, vier, Eckstein …”.
Das war allerdings nicht im Wedding. Mich interessiert, ob das im Wedding auch so war?!
Heute kann meine Tochter das nicht mehr. Wahrscheinlich ist es wegen der vielen Radfahrer zu gefährlich…
Ähem, wohl eher wegen der vielen Autos? Wo bitteschön können Kinder wegen der vielen Radfahrer nicht mehr draußen spielen?
Weil viele Radfahrende unberechenbarer fahren als Autofahrer, die doch überwiegend noch die Straße benutzen, während man Radfahrerenden wohl nur noch im eigenen Garten ausweichen kann. Eigene Erfahrung, leider!
Also ich habe noch nicht von Kindern gehört, die wegen Radfahrern gestorben sind, wohl aber von Tausenden Kindern, die von Autos totgefahren wurden.
Da schließt sich der Kreis lieber Herr Faust: Die Kinder werden ja heute häufig von den Eltern aus Sicherheitsgründen mit Autos transportiert, zur Schule, zu den Hobbies usw. Ein unbefangenes Laufen oder gar Spielen ist doch auf Gehwegen kaum noch möglich. Auch Erwachsene fühlen sich dort nicht sicher – und nicht nur blinde oder mobilitätseingeschränkte Menschen, ebenso der banale Fußgänger hat es nicht leicht. Meine Erfahrung ist, dass es einige RadfahrerInnen einen Sch. … interessiert wie andere sich fühlen, wenn man an ihnen vorbeibrettert. Darüber klagt die halbe Stadt. Viele Grüße!
haha, aber das ist doch das Problem: Autos.
Niemand wird ohne die Gefahr durch Autos auf die Idee gekommen sein, seine Kinder wären in Gefahr (vor Autos), wenn es nicht diese als offensichtliche Gefahr gegeben hätte. Die Reaktion, von der Sie sprechen, ist keine. Es ist die Ursache und diese führt zu einer Verschlimmerung des Problems. Radfahrende sind sowohl bei ihrer Masse als auch ihrer Geschwindigkeit bei Weitem nicht so gefährlich wir die unübersichtlichen Mutti-Panzer.
Hallo Klaus
das war wohl in ganz Berlin so … nicht nur im Wedding oder dort wo auch immer sie gelebt haben… Cowboy und Indianer wurde gespielt (wird den Kindern heute nicht mehr erlaubt aus politisch Korrektem Blödsinn)
im Gebüsch haben wir uns Höhlen gebaut …
wegen Radfahrer !!?? ja klar die fahren auch ständig kreuz und quer über die Spieplätze , ehrlich sie bringen mich zum lachen…. heute kennen die Kinder so ein Spielen schon lange nicht mehr , lieber am PC hocken oder vor dem TV sitzen
fragen sie ihre Tochter oder am besten sich selbst weshalb das so ist
in diesem Sinne
Bei meinem Zivildienst in den 1990er Jahren habe ich viele Ältere getroffen, die mir erzählten, wie schön es war, in der Kindheit auf der Straße gespielt zu haben. Das heißt: Draußen spielen war wohl angesagt. Ich selbst habe in der Kleinstadt zwar nicht mehr auf der Straße, aber viel draußen gespielt.
@andreischnell danke dafür! Geh ich demnächst Bücher shoppen :]
Auch ich bin mit meinen Geschwistern an der Müllerstr. Groß geworden, genau in der Ofenerstr., für uns war die Müllerstr. Wie ein großer Spielplatz, es war von 1958 bis 1986 unserer Schulweg, zur Goethepark Grundschule und später Einkaufsstraße zur Markthalle, bei uns auch Müllerhalle genannt. Es war eine wunderschöne Zeit die ich sehr vermisse
Claudia, alltäglich den Schulweg von der Greenwicher bis zur Goethepark-Grundschule gegangen. Ein für heutige Verhältnisse weiter Weg, aber immer in einer Traube von ‚Kumpels‘ oder ‚Keulen‘ (Brüder). Ungeliebt war die Querung des Petersplatzes, die von einer ‚gegnerischen Bande (Jungs aus einem Quarree) beherrscht wurde. In Gebüschen oder im Rehbergepark wurden Höhlen gebaut, die nur nach Preisgabe der Parole betreten werden durften. Die Straßen, Hausflure und Keller des Viertels waren unser Spielplatz, allerdings erst nach Erledigung der Hausaufgaben, die in unserem Block der Hauswartsfrau zur Schönschriftkontrolle vorgelegt werden mussten. Ihr etwas kleinwüchsiger Mann, Fixniedlich genannt, verjagte Jungens mit dem immer wieder gehörten Ruf: ‚euch mach ick Beene!‘ oder spürte Mädels auf, die zur Empörung beitrugen, weil sie in den Hausflur gepinkelt hatten.
In Erinnerung sind mir die große Zahl der Kneipen und Destillen. Beim Bäcker Rateitschak in der Müllerstraße bekam man eine Tüte Kuchenbruch ( Randstücke, Reste von Torte) für 5 oder 10 Pfennig, wenn man Glück hatte.
Ein Ballspiel war besonders beliebt, genannt ‚Kante. Mit einem Tennisball versuchte man, den gegenüber liegenden Randstein zu treffen, so dass der Ball über die Mittellinie der Strasse (Teerstreifen zwischen den Fahrstreifen) aufs eigene Feld zurücksprang. Gelang dies, hatte man einen Punkt und durfte fortsetzen, Verfehlte man den Randstein, gab es keinen Punkt und der nächste Wurf wechselte auf die Gegenseite.
Ich hatte eine schöne Kindheit mit vielen Kumpels und Keule, wenn auch Armut, Geldmangel, Alkoholismus und lautstarke häusliche Auseinandersetzungen zum Alltag gehörten.