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Interessantes Buch in der Wedding-Reihe:
Buchtipp: Müllerstraße. Jungens von heute

26. Juli 2023
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Wäh­rend Erich Käst­ners „Emil und die Detek­ti­ve″ von Eltern gekauft und von Pro­du­zen­ten ver­filmt wer­den, sind ande­re Kin­der­bü­cher der Wei­ma­rer Repu­blik ver­ges­sen. Zum Bei­spiel „Mül­lerstra­ße. Jun­gens von heu­te″. Der Ver­lag Wal­ter Frey hat die Geschich­te (bei der auch eini­ge weni­ge Mäd­chen mit­spie­len) vor kur­zem in sei­ner Rei­he Wed­ding-Bücher neu her­aus­ge­bracht. Beim ers­ten schnel­len Lesen der Geschich­te fällt auf, wie viel Selbst­stän­dig­keit die Autorin Ruth Rewald den Grund­schü­lern vor 90 Jah­ren zutraute.

Müllerstraße historisch
His­to­ri­sches Kin­der­buch spielt an der Mül­lerstra­ße. Ansichts­kar­te: Archiv Anno erzählt

Wie viel traut man den eige­nen Kin­dern zu – oder wie wenig? Das wie­der­ent­deck­te, bei­na­he 100 Jah­re alte Kin­der­buch der Autorin Ruth Rewald kann für heu­ti­ge Eltern ein Anstoß sein. Es sagt zwi­schen den Zei­len: Gib auch dei­nen Kin­dern Gele­gen­heit, sich zu beweisen. 

Aber ein Kin­der­buch soll­te ja von Kin­dern gele­sen wer­den. Wenn 10-Jäh­ri­ge die Geschich­te von Kurt und Geuni und den ande­ren Jungs heu­te lesen, dann wer­den eine Men­ge Fra­gen ent­ste­hen. Und das Wun­dern ist ja eigent­lich immer etwas Posi­ti­ves, denn es erwei­tert die Welt im Kopf. Fra­gen, die heu­ti­ge Kin­der beim Lesen des Buches haben könn­ten, sind zum Bei­spiel: War­um will der Geuni unbe­dingt „ver­schickt″ wer­den? Kann­ten die Men­schen damals wirk­lich kei­nen Urlaub? (Im Buch ent­hal­ten ist ein Glos­sar, das das Wort “Ver­schi­ckung” erklärt). Dafür wer­den die jun­gen Leser des Buches ande­re Din­ge sofort nach­emp­fin­den kön­nen: Soll ich mir am Nach­mit­tag die Zeit ver­trei­ben oder etwas mit ihr anfangen?

Beim zwei­ten, genaue­ren Lesen des Buches kommt für den Erwach­se­nen das Nach­wort von Dirk Krü­ger in den Blick. Der Leh­rer und Wis­sen­schaft­ler ver­rät, dass “Mül­lerstra­ße” im Jahr 1932 einen regel­rech­ten Hype aus­lös­te, über 70 Rezen­sio­nen beschäf­tig­ten sich mit dem Buch. Die ers­te Auf­la­ge war schnell ver­grif­fen. Dirk Krü­gers Ver­öf­fent­li­chun­gen und For­schun­gen ist es zu ver­dan­ken, dass die einst bekann­te Autorin ab 1990 lang­sam wie­der ent­deckt wur­de. In sei­nem Nach­wort zur aktu­el­len Aus­ga­be von “Jun­gens von heu­te” erfährt der Leser auch viel über die Autorin Ruth Rewald. 

Beschrie­ben wird Ruth Rewalds Anstren­gung, Kin­der­buch-Autorin zu wer­den. Das erzwun­ge­ne Exil konn­te ihre Kar­rie­re nicht been­den. Span­nend ist dabei, wie Ruth Rewald ihren Platz zwi­schen ande­ren für Kin­der schrei­ben­den Frau­en wie Alex Wed­ding und Lisa Tetz­ner such­te – und fand. Mit der Ermor­dung der 36-jäh­ri­gen Jüdin in Ausch­witz gelang des Natio­nal­so­zia­lis­ten bei­na­he auch die Erin­ne­rung an ihre Arbeit aus­zu­lö­schen. Mit der Neu­auf­la­ge des Kin­der­bu­ches im Ver­lag Wal­ter Frey ver­bin­det Dirk Krü­ger die Hoff­nung, “unse­re jüdi­schen Mit­bür­ger nicht vor­wie­gend und aus­schließ­lich als Opfer natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ver­bre­chen zu begrei­fen”. Er möch­te, dass sie “auch und vor allem als bedeu­ten­de Mit­schöp­fer der deut­schen Kul­tur” gese­hen wer­den. Das liest der erwach­se­ne Leser mit. Das Kind als Leser lässt sich mit ein­fa­cher, direk­ter Spra­che von Alters­ge­nos­sen erzäh­len, die vor 100 Jah­ren ihre Nach­mit­ta­ge selbst in die Hand nahmen. 

Der Nach­druck von Ruth Rewalds „Mül­lerstra­ße. Jun­gens von heu­te″ aus dem Jahr 1932 mit einem aktu­el­len Nach­wort von Kurt Krü­ger ist im Ver­lag Wal­ter Frey erschie­nen und kos­tet 15 Euro.

Cover des Buches. Gra­fik: Verlag

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

12 Comments Leave a Reply

  1. Ich habe das Buch gele­sen, aller­dings eher aus lokal­his­to­ri­schem Inter­es­se. Es ist gut, dass es wie­der auf­ge­legt wur­de, als ein Zeug­nis der Zeit und in Erin­ne­rung an die Autorin. Vom Schrift­stel­le­ri­schen her ist es aller­dings – und so lau­te­te auch ein Teil der dama­li­gen Lite­ra­tur­kri­tik – recht höl­zern ver­fasst, aber wenn man es mit Kin­dern zusam­men liest, kann man viel über die Zeit der 30er ler­nen und erhält sicher gute Anre­gun­gen. Also nur zu, gibts bei Karstadt.….…..

  2. Als Kind bin ich auch “drau­ßen” groß gewor­den, in den spä­ten 1960er bis 1970er Jah­ren: Alle Eltern sag­ten: “Geht raus spie­len mit den ande­ren Kin­dern”, Mäd­chen und Jungs, Ehe­li­che und Unehe­li­che, aus Arbei­ter- und Ange­stell­ten­fa­mi­li­en, jeden Tag alle zusam­men, Völ­ker­ball, Fuß­ball, “Eins, zwei, drei, vier, Eckstein …”.
    Das war aller­dings nicht im Wed­ding. Mich inter­es­siert, ob das im Wed­ding auch so war?!

    Heu­te kann mei­ne Toch­ter das nicht mehr. Wahr­schein­lich ist es wegen der vie­len Rad­fah­rer zu gefährlich…

    • Ähem, wohl eher wegen der vie­len Autos? Wo bit­te­schön kön­nen Kin­der wegen der vie­len Rad­fah­rer nicht mehr drau­ßen spielen?

      • Weil vie­le Rad­fah­ren­de unbe­re­chen­ba­rer fah­ren als Auto­fah­rer, die doch über­wie­gend noch die Stra­ße benut­zen, wäh­rend man Rad­fah­re­ren­den wohl nur noch im eige­nen Gar­ten aus­wei­chen kann. Eige­ne Erfah­rung, leider!

        • Also ich habe noch nicht von Kin­dern gehört, die wegen Rad­fah­rern gestor­ben sind, wohl aber von Tau­sen­den Kin­dern, die von Autos tot­ge­fah­ren wurden.

          • Da schließt sich der Kreis lie­ber Herr Faust: Die Kin­der wer­den ja heu­te häu­fig von den Eltern aus Sicher­heits­grün­den mit Autos trans­por­tiert, zur Schu­le, zu den Hob­bies usw. Ein unbe­fan­ge­nes Lau­fen oder gar Spie­len ist doch auf Geh­we­gen kaum noch mög­lich. Auch Erwach­se­ne füh­len sich dort nicht sicher – und nicht nur blin­de oder mobi­li­täts­ein­ge­schränk­te Men­schen, eben­so der bana­le Fuß­gän­ger hat es nicht leicht. Mei­ne Erfah­rung ist, dass es eini­ge Rad­fah­re­rIn­nen einen Sch. … inter­es­siert wie ande­re sich füh­len, wenn man an ihnen vor­bei­bret­tert. Dar­über klagt die hal­be Stadt. Vie­le Grüße!

          • haha, aber das ist doch das Pro­blem: Autos.
            Nie­mand wird ohne die Gefahr durch Autos auf die Idee gekom­men sein, sei­ne Kin­der wären in Gefahr (vor Autos), wenn es nicht die­se als offen­sicht­li­che Gefahr gege­ben hät­te. Die Reak­ti­on, von der Sie spre­chen, ist kei­ne. Es ist die Ursa­che und die­se führt zu einer Ver­schlim­me­rung des Pro­blems. Rad­fah­ren­de sind sowohl bei ihrer Mas­se als auch ihrer Geschwin­dig­keit bei Wei­tem nicht so gefähr­lich wir die unüber­sicht­li­chen Mutti-Panzer.

    • Hal­lo Klaus
      das war wohl in ganz Ber­lin so … nicht nur im Wed­ding oder dort wo auch immer sie gelebt haben… Cow­boy und India­ner wur­de gespielt (wird den Kin­dern heu­te nicht mehr erlaubt aus poli­tisch Kor­rek­tem Blödsinn)
      im Gebüsch haben wir uns Höh­len gebaut …
      wegen Rad­fah­rer !!?? ja klar die fah­ren auch stän­dig kreuz und quer über die Spie­plät­ze , ehr­lich sie brin­gen mich zum lachen…. heu­te ken­nen die Kin­der so ein Spie­len schon lan­ge nicht mehr , lie­ber am PC hocken oder vor dem TV sitzen
      fra­gen sie ihre Toch­ter oder am bes­ten sich selbst wes­halb das so ist
      in die­sem Sinne

    • Bei mei­nem Zivil­dienst in den 1990er Jah­ren habe ich vie­le Älte­re getrof­fen, die mir erzähl­ten, wie schön es war, in der Kind­heit auf der Stra­ße gespielt zu haben. Das heißt: Drau­ßen spie­len war wohl ange­sagt. Ich selbst habe in der Klein­stadt zwar nicht mehr auf der Stra­ße, aber viel drau­ßen gespielt.

  3. Auch ich bin mit mei­nen Geschwis­tern an der Mül­lerstr. Groß gewor­den, genau in der Ofe­ner­str., für uns war die Mül­lerstr. Wie ein gro­ßer Spiel­platz, es war von 1958 bis 1986 unse­rer Schul­weg, zur Goe­the­park Grund­schu­le und spä­ter Ein­kaufs­stra­ße zur Markt­hal­le, bei uns auch Mül­ler­hal­le genannt. Es war eine wun­der­schö­ne Zeit die ich sehr vermisse

    • Clau­dia, all­täg­lich den Schul­weg von der Green­wi­cher bis zur Goe­the­park-Grund­schu­le gegan­gen. Ein für heu­ti­ge Ver­hält­nis­se wei­ter Weg, aber immer in einer Trau­be von ‚Kum­pels‘ oder ‚Keu­len‘ (Brü­der). Unge­liebt war die Que­rung des Peters­plat­zes, die von einer ‚geg­ne­ri­schen Ban­de (Jungs aus einem Quar­ree) beherrscht wur­de. In Gebü­schen oder im Reh­ber­ge­park wur­den Höh­len gebaut, die nur nach Preis­ga­be der Paro­le betre­ten wer­den durf­ten. Die Stra­ßen, Haus­flu­re und Kel­ler des Vier­tels waren unser Spiel­platz, aller­dings erst nach Erle­di­gung der Haus­auf­ga­ben, die in unse­rem Block der Haus­warts­frau zur Schön­schrift­kon­trol­le vor­ge­legt wer­den muss­ten. Ihr etwas klein­wüch­si­ger Mann, Fix­nied­lich genannt, ver­jag­te Jun­gens mit dem immer wie­der gehör­ten Ruf: ‚euch mach ick Bee­ne!‘ oder spür­te Mädels auf, die zur Empö­rung bei­tru­gen, weil sie in den Haus­flur gepin­kelt hatten.
      In Erin­ne­rung sind mir die gro­ße Zahl der Knei­pen und Destil­len. Beim Bäcker Ratei­t­schak in der Mül­lerstra­ße bekam man eine Tüte Kuchen­bruch ( Rand­stü­cke, Res­te von Tor­te) für 5 oder 10 Pfen­nig, wenn man Glück hatte.
      Ein Ball­spiel war beson­ders beliebt, genannt ‚Kan­te. Mit einem Ten­nis­ball ver­such­te man, den gegen­über lie­gen­den Rand­stein zu tref­fen, so dass der Ball über die Mit­tel­li­nie der Stras­se (Teer­strei­fen zwi­schen den Fahr­strei­fen) aufs eige­ne Feld zurück­sprang. Gelang dies, hat­te man einen Punkt und durf­te fort­set­zen, Ver­fehl­te man den Rand­stein, gab es kei­nen Punkt und der nächs­te Wurf wech­sel­te auf die Gegenseite.
      Ich hat­te eine schö­ne Kind­heit mit vie­len Kum­pels und Keu­le, wenn auch Armut, Geld­man­gel, Alko­ho­lis­mus und laut­star­ke häus­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen zum All­tag gehörten.

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