Angeordnet in einem Stuhlkreis sitzt eine kleine Gruppe, der Kursleiter räuspert sich und stellt die Frage, die begleitet wird von besorgten Blicken der anderen Teilnehmer. Ob denn die zehnjährige Maxi (Name geändert) Bedenken habe? Die Angesprochene wirkt verwundert, versteht nicht, worauf die Erwachsenen nun schon wieder hinaus wollen. Dann antwortet sie, sie sei hier, weil der Papa sie gefragt habe, ob sie einmal auf einem Friedhof übernachten wolle. “Erst habe ich gedacht, Papa macht einen Witz.” Aber es ist kein Witz, es ist ein Abenteuer und nebenbei ein Vogel-Workshop.
Das Abenteuer beginnt damit, dass Micha und Micha, die beiden Organisatoren, die Feuerschale aufstellen. Es Freitagabend, die Sonne schickt sich an, hinter Wipfeln zu verschwinden, Aprilkühle zieht auf. Wie eine Verheißung steht die Schale neben dem Stuhlkreis. Doch bevor es für das Feuer ausreichend dunkel ist, ziehen die Teilnehmer erst einmal Vogelkarten. Die gezogenen Vogelnamen ersetzen für diesen Abend und den kommenden Tagesanbruch die eigenen Nachnamen. Damit ist klar, es geht um Vögel. “Be the first bird” haben Micha Alt und Micha Grosch das Projekt genannt. Darin können sich Kinder mit ihren Eltern (aber auch Erwachsene ohne Kinder dürfen sich angesprochen fühlen) im Vogellauschen üben. Doch Stopp, falls jetzt bei dem einen oder anderen jetzt schlimme Erinnerungen an Vertretungsstunden während der eigenen Schulzeit hochkommen. Damals, als endlose Vogelkassetten noch als probate Lückenfüller galten. Im Jahr 2023 wissen Vogelfans wie Micha und Micha, dass sie ihre Begeisterung für Singvögel mit viel Unterhaltung rüberbringen müssen. Und deshalb ist das Projekt “Vogellauschen im St. Elisabeth” kurzweilig und abwechslungsreich aufgebaut. Denn bei der Veranstaltung hinter den abschirmenden Mauern handelt es sich um ein Naturerlebnis. Nur eben mal ganz anders.
Apropos, ganz anders. Warum um alles in der Welt haben die beiden Projektleiter einen Friedhof für das Vogellauschen ausgewählt? Bei dem einen oder anderen? Micha Alt, ausgebildeter Wald- und Wildnispädagoge, sagt: “Auf einem Friedhof gibt es die wenigsten menschlichen Störungen”. Dadurch, dass ein Friedhof abends abgeschlossen wird, sei sichergestellt, dass es durchgängig ruhig bleibe. Ausgeschlossen, dass ein morgens jemand, nach durchzechter Nacht über die Wege schwanke, wie dies in einem Volkspark natürlich passieren könne. Und aus Perspektive der Vögel gesehen, böten Friedhöfe viele verwinkelte Ecken und unterschiedlichen Bewuchs vom Busch bis Hochbaum. Das sei für zahlreiche Vogelarten attraktiv.
Naturlehrer Micha Alt will den Kindern und Erwachsenen im abendlichen Stuhlkreis am 21. April das Konzept des sogenannten Sitzplatzes. Einfach ausgedrückt geht es dabei darum, morgens vor dem Erwachen des ersten Singvogels auf einer Bank zu sitzen und abzuwarten. Wie in einem Konzerthaus für nur einen Zuschauer wartet der Vogelbeobachter in der Natur, bis die gefiederten Sänger beginnen. Aber natürlich läuft es dabei nicht so ab, dass der Experte sagt, sei mal still und sage mir dann, welche Vögel du auf deinem Lauschplatz gehört hast. Deshalb steht vor der Morgenstund mit Gesang im Mund das lehrreiche Abendprogramm. Oder sagen wir: der Spieleabend. Bei diesem lernen die Teilnehmer erst einmal, wie man hört. Schwer zu glauben, aber hören will gelernt sein. Das Erlernen des Hörens ist kurzweilig gemacht, auch Maxi fühlt sich sehr lange unterhalten. Bis endlich, nachdem die Lichtverhältnisse auf dem Friedhof von dunkel zu finster gewechselt sind, die Scheite in der Schale angezündet werden. Und noch ein paar Tassen heißen Tee später schlüpfen alle Teilnehmer in ihre Schlafsäcke, die sie am Fuße der Kapelle ausgebreitet haben. Eine Nacht unter freiem Himmel wartet auf sie.
Dann, der frühe, noch schwarze, Morgen. Es gibt es wieder Tee und dann heißt es mit weit geöffneten Ohren der Dinge zu harren, die da erklingen. Tatsächlich ist es dann eine besondere Stunde, in der aus zaghaften Vogelstimmchen ein umfassender Chor erwächst.
In Summe der nächtliche Workshop ein Tipp für Eltern, die mit ihren Kindern etwas gemeinsam machen wollen, dass die lieben Kleinen lange als schönes Zusammensein in Erinnerung behalten. Zumindest Maxi und ihr Papa wirken so, als ob das nicht-alltägliche frühmorgendliche Erlebnis ein weiterer Faden in ihrem Beziehungsseil ist.
Die Idee zu dem Kurs hatten Micha und Micha gemeinsam. Auslöser war für Micha Grosch, dass er selbst in früher Stunde vom Vogelerwachen auf dem Elisabeth-Friedhof überwältigt wurde. Diesen Moment wollte er teilen. Micha Alt, den er im Gemeinschaftsgarten Himmelbeet bei einem Pilzprojekt traf, sagte sofort zu, dabei zu helfen. Mit einem Vorläuferprojekt namens “Beat the first bird” hat er bereits Erfahrungen gesammelt. Micha Alt ist ein zertifizierter Vermittler von Naturerlebnissen und leitet seit rund zehn Jahren Kurse. Er und andere Waldlehrer der INU-Waldschulen haben sich den inhaltlichen Aufbau des Workshops “Be the first bird” ausgedacht. Und alles, was lästig ist (also das Organisatorische), das übernimmt Micha Grosch. Die Stiftung Naturschutz fördert das Projekt “Vogellauschen in St. Elisabeth” mit dem einen oder anderen Groschen. Wer teilnehmen will, wendet sich per E‑Mail an [email protected]. Die nächsten Termine sind die Freitage 28. April, 5. Mai, 12. Mai, 20. Mai, 26. Mai, 2. Juni, 9. Juni, 16. Juni und 30. Juni. Startzeit ist gegen 19 Uhr, wobei sich diese mit jedem Termin nach hinten verschiebt, je später die Sonne abends untergeht. Mitzubringen sind 6 Euro für Kinder und 12 Euro für Erwachsene, eine Isomatte, ein Schlafsack, eine Taschenlampe, warme Unterbekleidung für den kühlen Morgen und ein Trinkbecher. Das Mindestalter beträgt 10 Jahre. Das Maximalalter hängt davon ab, bis zu welchem Alter sich der Interessierte seine Lust am Abenteuer bewahrt hat.