Mit zunehmendem Alter kann die Beweglichkeit außerhalb der Wohnung ein Problem werden. Ich schreibe dies in diesem Beitrag zur November-Kolumne, weil ich denke, gerade vor Weihnachten, wenn die Menschen sich auf familiäre Feste und Verabredungen freuen, ist es gut zu wissen, dass es Mobilitätshilfedienste gibt. Damit lässt sich einiges planen und organisieren. Dieses Wissen ist auch gut für diejenigen, die nicht gehbehindert sind.
Fast 10 % der Berliner sind schwerbehindert, also mit einem Grad von mehr als 50 % versehen, und fast 60% der Schwerbehinderten sind über 65 Jahre alt. Somit kann man sagen, dass körperliche Einschränkungen vorwiegend ein Altersproblem sind, ein Teil davon sind auch gehbehindert, blind oder erblindet. In Berlin haben etwa die Hälfte der Schwerbehinderten (169.021 Personen lt. LaGeSo am 30.9.22) einen Ausweise mit den Merkzeichen „G“ („G“ – erheblich gehbehindert) oder „aG“ („aG“ – außergewöhnlich gehbehindert), Kriterien, die für verschiedenste Einschränkungen des Bewegungsapparates gelten, also nicht nur solche, die sich direkt auf das Gehvermögen beziehen, im Bezirk Mitte sind es 16.632 Personen (LOR-Statistik 31.12.21).
Aber wie lässt sich Hilfe für Spaziergänge, Treffen und Besorgungen organisieren? Die Mobilitätshilfedienste in Berlin schaffen Abhilfe. Die Angebote dazu, die vom Land Berlin sozial unterstützt werden, sind kostengünstiger und einfacher, als man denkt.
Der Anschluss an den Alltag mit seinen vielleicht nur noch kleinen Besorgungen oder an das soziale Leben im reifen Alter entfallen meist leider immer mehr, wenn sich jemand nur schwer bewegen kann oder auch gleichzeitig ungünstige Wohnbedingungen vorliegen. Selbst wenn ein Rollator im Allgemeinen noch helfen kann, so wohnen viele ältere Berliner:innen in Altbauten ohne Fahrstuhl oder oft doch mit eigentlich nur kurzen Treppenabsätzen vor den Fahrstuhleingängen, die die Selbsthilfe erschweren, gefährlich werden lassen oder unmöglich machen.
So kann das dauerhafte Zurückziehen in die eigene Wohnung zur Gewohnheit werden. Einsamkeit, schwindende Lebensfreude und leider auch die Möglichkeiten, bei Wechselfällen des Lebens und Verlusten von guten Gefährten, nochmals Anschluss und neue Freundschaften zu finden, können die Folgen sein. Vor allem in der dunklen Jahreszeit, im Advent und an Weihnachten ist dies besonders bekümmernd.
Aber es gibt erschwingliche Hilfen zur Mobilität, um seine Angelegenheiten zu regeln und in der Stadt unterwegs zu sein – in Berlin gibt es 13 Mobilitätshilfedienste, die jeder einen bestimmten Stadtteil als Einsatzgebiet haben und von einer Koordinatorstelle abgestimmt werden. Diese Begleitdienste sind für über 60-Jährige da, die nicht mehr alleine ihre Wohnung verlassen können und dafür dann Angebote bekommen. Es geht also nur um das Alter und nicht um Pflegegrade, denn dieses Angebot steht allen Ü‑60-Jährigen mit Bewegungsproblemen zur Verfügung.
Die Kosten für diese Hilfen kann man als erschwinglich ansehen. Man bezahlt für ein halbes Jahr eine Gebühr in Höhe von 40 € und Empfänger der Altersgrundsicherung zahlen ermäßigte 20 €. Für Sonderfahrdienste zahlt man 30 €, für einmalige Begleitungen von bis zu zwei Stunden fallen nur 5 € an.
Ich führte ein Interviewgespräch mit Sonja Möser, Projektleiterin des Humanistischer Verband Deutschlands (HVD) – LV Berlin-Brandenburg KdöR und mit Herrn Jurlin, dem Einsatzleiter dieses Mobilitätshilfediensts Berlin-Mitte.
Beide hatte ich bereits am Runden Tisch Senioren Parkviertel kennengelernt und auch vor wenigen Jahren bei einer Stadtbegehung im Schillerpark mit Stadtrat Ephraim Gothe, als man ein hilfreiches Gerät für Rollstuhlnutzer vorstellte, einen stabilen elektrischen Treppensteiger, der auf Knopfdruck einen Rollstuhl mit Person darinnen über Treppen aller Art sicher bewegen kann.
Frau Möser, die seit 30 Jahren den Mobilitätsdienst der HVD begleitet und mit aufgebaut hat, berichtet, wie sich der Dienst entwickelte. Zu Beginn, ab dem Jahr 1992 betreute man noch viele Berufsrückkehrer:innen in den ersten Arbeitsmarkt, die teils nur begrenzte Zeit auf den Rollstuhl oder Begleitung angewiesen waren, aber auch Alte. Viele Mitarbeiter kamen damals über die Vermittlung des Arbeitamtes (seit 2005: Jobcenter) in niedrigschwelligen Maßnahmen.
Erst ab dem Jahr 2016 konnte der HVD erstmals zehn feste Mitarbeiter als Mobilitätshelfer gewinnen. Hier spielt ebenso wie beim Klientel das Altern eine Rolle, denn Nachwuchs der Kräfte muss vorgesehen werden. Es geht um das allgemeine Motto der Mobi-Dienste, das in Berlin „Draußen spielt das Leben …. Wir bringen Sie hin!“ heißt. Es geht darum, etwas Schönes zu erleben, wieder einmal im Park oder unter Leuten zu sein. Hinter diesem Motto stehen berlinweit gleiche Standards, die von den Diensten vereinbart und eingehalten werden. Die Trägerschaft der Mobi-Services ist nach Bezirken unterschiedlich, in fast allen Bezirken unserer Stadt ist ein einzelner Träger wie VdK, Diakonie, DRK, Johanniter zuständig, nur der Bezirk Reinickendorf hat zwei Anbieter.
Viele der Mobilitätsunterstützung bedürftige Mitbürger:innen erhalten Tipps und Hiweise auch über die Angehörigen, die Pflegedienste, die Pflegestützpunkte, die kostenlos, auch über eine 0800-Telefonnummer beraten, und andere Projekte, die nahe am alternden Menschen dabei sind, so beispielsweise vom Tandem-Dienst LeNa, Lebendige Nachbarschaft, im Wedding, angesiedelt auf dem Gelände des Paul-Gerhardt-Stifts.
Der Begleitdienst wird einmal wöchentlich für etwa 1,5 bis 2 Stunden angeboten, und diese Art von Unterstützung ist auch eine Begleitung auf dem Lebensweg, wie Frau Möser betont. Es geht also um das schöne Erlebnis und weniger um Einkaufshilfen oder andere Dienste, jedoch auch um die kleinen Besorgungen und Termine.
Im Jahr 2021 hat HVD fast 350 Klienten mit Mobi-Diensten unterstützt. Die Dauer der Klientenbindung ist dabei sehr unterschiedlich. Herr Jurlin hebt hervor, dass einige wenige der HVD-Klienten bis zu 22 Jahre regelmäßig begleitet wurden, etliche über 10 Jahre oder gar über 15 Jahre. Der Altersdurchschnitt liegt bei etwa 80 Lebensjahren. Dennoch muss der Träger jedes Jahr etliche neue Klienten werben.
Die Einsatzleiter kommen zur Neuaufnahme vor Ort zu den Mobilitätseingeschränkten, um eine Bestandsaufnahme zu Protokoll zu nehmen, um die richtigen Einsatzarten anzubieten und die technischen Notwendigkeiten zu erkunden.
Es gibt verschiedene Arten beim unterstützenden Fortbewegen zu helfen wie beispielsweise das Unterhaken bei Unsicherheiten beim Gehen, die Blindenführung, mit dem Rollator oder mit dem Rollstuhl oder auch weiteren Schiebehilfen unterwegs zu sein.
In der Coronazeit mussten mit dem Einsetzen des ersten Lockdowns umgehend flexiblere und neue Anpassungen vorgenommen werden, und schließlich waren manche der Regelungen noch nicht ausgereift, und im Frühjahr 2021 traten völlig neue Situationen mit Abhängigkeiten von Hilfen recht abrupt ein.
Viele Klienten mussten dann nach dem Lockdown wieder Mut finden rauszugehen. Und diese Menschen sollten sich etwas gönnen, empfiehlt Frau Sonja Möser, denn auch die kurzen Ausflüge bringen doch Glück in den Alltag.
Die Begegnungen, da sie auf Gegenseitigkeit beruhen, sollten auch den Erfahrungsschatz der Mobi-Dienste nutzbar machen, denn viele Begleitete glauben fälschlich, dass der Rollstuhl „das Ende ins Leben bringe“, wohingegen es auch Alternativen gibt und man recht genau im Einzelfall erklären könne, wo eben vor allem auch Chancen des Hilfsmittels liegen, um wieder Kraft zu schöpfen oder die Muskeln wieder zu trainieren.
Auch sind zusätzliche Angebote möglich, das sind Spaziergänge, Gruppenausflüge und Gruppentreffen. Diese helfen, neue soziale Kontakte auzubauen. Der HVD ist hierbei offen für Ideen und Anregungen der Klienten.
Also dann: Auf eine mobilere und lebendige Advents- und Weihnachtszeit!
Kontakte und Informationen
https://www.berliner-mobilitaetshilfedienste.de/bezirksstellen.html
https://www.berliner-mobilitaetshilfedienste.de/
https://www.berlin.de/sen/pflege/pflege-und-rehabilitation/pflegestuetzpunkte/
VBB-Begleitservice im Nahverkehr
Anmerkung „ Ende 2021 lebten in Berlin 339 870 und in Brandenburg 267 820 schwerbehinderte Menschen, das waren 9,2 Prozent der Bevölkerung in Berlin .… Als schwerbehindert gelten Personen, denen ein Grad der Behinderung von 50 und mehr zuerkannt wurde. .. .. Betroffen sind überwiegend ältere Menschen. So waren 58 Prozent der Berliner Schwerbehinderte … 65 Jahre und älter.“ Häufigster Grund mit ca 27% aller Fälle sind dabei nicht orthopädische oder Geh-Probleme, sondern die Beeinträchtigung innerer Organe.“ Quelle: Statistik Berlin Brandenburg
Gespräch, Recherchen und Text © Renate Straetling