Pling, ein Termin kommt ins Postfach geflattert: Ortsgespräch zum Brüsseler Kiezblock. Das Bezirksamt lädt ein zum Gespräch mit den Bürger:innen über geplante Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung. Kiezblock, Verkehrsberuhigung, Bezirksamt – das sind hier im digitalen Raum gleich drei Reizwörter. Ich weiß: wenn ich dort hingehe und etwas darüber schreibe (egal was), ist zumindest Kritik programmiert. Vielleicht bekomme ich sogar einen Shitstorm ab. Doch ich bin neugierig, was die Bürger:innen aus dem Kiez sagen und wie das Bezirksamt reagiert. Also gehe ich hin, am 22. September um 17 Uhr in der Genter Straße Ecke Limburger.
Was mir zuerst auffällt: es sind viele Menschen, die sich für das Thema interessieren und die ebenfalls hören wollen, was das Bezirksamt zu sagen hat. Ich bekomme ein ungutes Gefühl. Von den Kommentaren hier auf dem Blog und auf unseren Kanälen in den sozialen Medien weiß ich, dass es anscheinend viele Gegner von Kiezblock, Verkehrsberuhigung, Bezirksamt gibt. Veröffentlichen wir ein Foto oder einen Text zur Verkehrswende, geht es sofort los. „Schweinerei! Ideologie!“, rufen sie ins Netz und regen sich fürchterlich auf. Ich erwarte, dass es beim Ortsgespräch genauso läuft.
Hat das Bezirksamt ähnliche Gedanken wie ich? Zumindest kommt Bezirksstadträtin Dr. Almut Neumann nicht unvorbereitet. Drei Mitarbeitende aus dem Straßen- und Grünflächenamt sind an ihrer Seite, das Kinder- und Jugendbüro ist dabei, um für die Kinder zu sprechen. Vor ihnen steht eine große Traube Menschen um ein Lastenrad herum. Ich sehe Abgeordnete der Grünen und der SPD Mitte. Auch die lokale Presse ist verteten, zwei Kolleg:innen wollen ebenfalls zuhören.
Und dann läuft es ganz anders als ich gedacht habe. Niemand ruft: „Schweinerei! Ideologie!“ Eher im Gegenteil. Es gibt zwar Kritik an einzelnen Maßnahmen, dem Standort der Poller oder auch Gegenvorschläge. Manche beklagen, dass der Bezirk zu spät dran sei mit der Verkehrsberuhigung. Aber vor allem gibt die Forderung nach noch mehr und schnelleren verkehrsberuhigenden Maßnahmen. Noch mehr Poller, Bordsteinabsenkungen, das Entsiegeln von Flächen, das Streichen von Parkflächen, die Verdrängung von Lieferverkehr, die Durchsetzung von bestehenden Regeln. Das klingt nicht immer freundlich und manche sind offenbar ungehalten. Sie warten schon lange. Die Forderung von Verkehrsberuhigung gibt es im Brüsseler Kiez schon seit Jahren. Es gibt eine Bürgerinitiative, die Wünsche gesammelt hat. Auch der ehemalige Student ist anwesend, der das in ein Konzept für den Kiez gegossen hat. Das kam dann in die Bezirksverordnetenversammlung und wurde auch beschlossen.
Bezirksstadträtin Dr. Almut Neumann hat bei dem Termin gut zu tun, zu erklären, warum mit dem vorliegenden “Kiezblock light”-Konzept nicht alle Maßnahmen umgesetzt werden (können). Sie setzt auf schnell umsetzbare und günstige Maßnahmen, die so viel Wirkung wie möglich haben und nennt die Maßnahmen einen ersten Schritt, denen später weitere folgen sollen. Doch etwas Farbe, Poller, Einbahnstraßen und die Sperrung eines kleinen Stücks der Genter Straße für den Autoverkehr, das ist vielen beim Ortsgespräch nicht genug. Die ganze Zeit wird mehr gefordert. Fragen werden wenige gestellt. Eine Frau fragt zum Beispiel nach der Zugänglichkeit für Rettungsfahrzeuge und Stadtreinigung, eine andere fragt, wie ihre Mutter mit dem Auto künftig ihre Wohnung erreichen wird. Diese Sachfragen lassen sich mit Hilfe einer mitgebrachten Karte klären und sind schnell abgehakt. Was bleibt, ist die Forderung nach einem Mehr an Verkehrsberuhigung im Brüsseler Kiez.
Echte Gegner:innen des zweiten Kiezblocks im Bezirk sind offenbar nicht gekommen zum Ortstermin. Oder sie waren stille Beobachter:innen wie ich. Echte Kritik kommt erst nach dem Termin auf Instagram und per E‑Mail ins Postfach. Die Initiative „Tag des guten Lebens“ im Brüsseler Kiez beschwert sich öffentlich bei Dr. Neumann über fehlende Kommunikation mit den Anwohnenden. Die CDU schickt eine Pressemitteilung und schreibt: „der Wedding ist nicht Bullerbü“. „Grüne Träume des heimischen Gartens auf der Straße entsprechen nicht der Lebensrealität der übergroßen Mehrheit der Menschen in unserem Bezirk, gerade im Wedding“, schreibt die CDU. Wie das mit der Mehrheitsmeinung im Bezirk ist, möchte ich nicht beurteilen (müssen). Beim Ortstermin jedenfalls haben sich die meisten der Teilnehmenden, um im Bild zu bleiben, mehr grüne Träume gewünscht.
Schön zu sehen, dass es voran geht. Dann kann man hoffentlich nächsten Sommer entspannt bei den Pizzerien im Brüsseler Kiez draußen essen ohne das ständig Autos vorbei rasen.