An der Müllerstraße würde man wohl kaum eine neoromanische, dreischiffige Basilika vermuten. Aber die St. Josephskirche ist nicht nur groß und beeindruckend, sondern besticht auch durch die besondere Geschichte ihrer künstlerischen Innenausstattung. Ein Bericht von einem Besuch zum Tag des Offenen Denkmals.
St. Joseph im Wedding
Als die Bevölkerung um die Jahrhundertwende in Wedding explosionsartig anwuchs, reichte der Platz für katholische Gläubige in der St. Sebastiankirche am Gartenplatz nicht mehr aus. Für eine Ausgründung wurde ein freies Grundstück zwischen der Willdenowstraße und der Müllerstraße erworben, wo eine Notkapelle errichtet wurde, die noch heute als Gemeindesaal mit Blick auf den Pfarrgarten dient. Die dem Patron der Arbeiter, Joseph von Nazareth, geweihte Kirche selbst wurde von 1907-09 nach Plänen eines Benediktinerpaters aus Maria Laach am Mittelrhein erbaut. Ein Honorar verlangte der Mönch nicht. Ein bisschen erinnert die Kirche mitten im Wedding an Köln - den Einfluss der rheinischen Romanik erkennt man sofort.
Ursprünglich verfügte die Kirche nur über Stehplätze und ihre Wände und Gewölbedecken waren kahl. Erst in den 1920er-Jahren erhielt sie über der halbrunden Apsis eine Nachbildung des Mosaiks der römischen Kirche San Clemente. 1925/26 wurde die gesamte Kirche mit ornamentalen Mustern und Wandbildern nach der Beuroner Schule ausgemalt. Diese Ausrichtung war von orientalischer und byzantinischer Kunst inspiriert, was man auch der St. Josephskirche anmerkt. Doch war die Innenausstattung nach einem Dacheinsturz infolge eines Bombentreffers verlorengegangen – auch der Hochaltar wurde zerstört. Bei der Wiederherstellung wurden die Wandbilder und Verzierungen bis auf die Kreuzwegmotive und das Dachmosaik in der Apsis in den Seitengängen hell übertüncht.
Erst im 21. Jahrhundert besann sich ein kunstsinniger Pfarrer anhand alter Fotos auf die unter der weißen Farbe schlummernden Schätze. In Absprache mit dem Denkmalschutz wurden die meisten Farbfelder wieder freigelegt und restauriert. Somit erstrahlt die Kirche - bis auf die Deckenwände und das Gewölbe - wieder in rotbraunen, mattgelben und bläulichen Farbtönen. Insbesondere die Engelsfiguren im Altarbereich, die auf den im Krieg zerstörten Putz aufgemalt waren und heute wieder auf Leinwänden abgebildet sind, erinnern optisch an Jugendstil und Art-Déco. Der Altar wurde 1989/90 aus Carrara-Marmor gefertigt.
Einmalig im Wedding dürfte die unter der Apsis liegende Krypta sein, die im Krieg verschüttet war. Sie wurde 1995 als Gedenkstätte für den Priester Max Josef Metzger wiederhergerichtet, der für kurze Zeit in der Pfarrei gewirkt hatte. Er wurde 1944 von den Nazis inhaftiert und unter dem Schafott hingerichtet. Das Kreuz in der Krypta wurde von einem italienischen Künstler aus ausrangierten Werkzeugen in Form einer Guillotine gestaltet. Der gegenüber der Kirche liegende Courbièreplatz wurde später nach Max Josef Metzger benannt.
Nicht nur ist die Größe und die künstlerische Ausgestaltung dieser – ansonsten sehr unscheinbar in eine Häuserfront an der Müllerstraße eingebetteten – Kirche beeindruckend, sondern sie dient seit 2018 sogar als Bischofskirche des Erzbistums Berlin. Die St. Hedwigskathedrale in Berlin-Mitte wird derzeit umgebaut, sodass ein geeigneter Ersatzstandort benötigt wurde.
St. Joseph (Pfarrei St. Elisabeth), Müllerstr. 161
In der St. Afra-Kirche in der Graunstraße gibt es auch eine Krypta! 😉 Vielleicht was für den nächsten Tag des offenen Denkmals.