Manchmal dauert es ewig, in Berlin ein Problem zu lösen. Beispielsweise neue Standorte für Gemeinschaftsgärten im Wedding finden, Verkehrsregeln in der Badstraße durchsetzen, Menschen im Bezirksamt finden, die sich für eine nervige Sache zuständig fühlen und auch handeln. Doch manchmal geht genau das so rasend schnell, dass man sich erstmal kurz setzen muss. In der Swinemünder Straße im Brunnenviertel ist das ganz überraschend geschehen. Vor dem denkmalgeschützten, ehemaligen Gymnasium ist jetzt ein Hochbeetgarten. Am Freitag (28.5.), am Tag der Nachbarschaft, ist das Diesterbeet einfach so aufgeploppt. Die Initiative kam mitten aus dem Kiez und lässt nun Blümchen an einer tiefe Wunde im Viertel wachsen.
Wir reden hier nicht über zwei oder drei Hochbeete. Von den geplanten 23 steht schon etwa die Hälfte knallblau bemalt, zumindest die bereits fertigen Exemplare, stehen sie als farblicher Kontrapunkt vor dem orangefarbenenen Schulgebäude. „Susanna+Helge“ steht auf einem Schildchen, das in einem Hochbeet steckt. In einem anderen Beet gärtnert Tina, die schräg gegenüber wohnt. Weitere Schilder verraten die Namen der anderen Gärtner und Gärtnerinnen. Und wer möchte, kann noch Beetpate werden und selbst Hand anlegen (Kontakt siehe unten). In der Nähe wohnen ist jedoch Pflicht, denn einen Wasseranschluss hat der Garten nicht, das Gießwasser muss per Kanne herangeschleppt werden. Trotz dieser erschwerten Bedingungen erfreut sich das Projekt großer Beliebtheit.
Das Diesterbeet: der Standort
Interessant ist, dass eine Gemeinschaftsgarten an der alten Schule schon vor vielen Jahren geplant wurde, vom Projekt „pswedding“. Das Team wollte das seit 2011 brach liegende Gelände reaktivieren, erst allein, dann mit der städtischen Degewo. Günstige Wohnungen sollten entstehen, eine kleine Bibliothek, eine Kita, ein Gemeinschaftszentrum und auch ein Gemeinschaftsgarten. Nach jahrelangem Hin und Her, vielen vor allem internen Gesprächsrunden in verschiedenen Ämtern und Absprachen zwischen verschiedenen Parteien zog der Bezirk 2019 die Reißleine: Die alte Schule, die er Jahre zuvor nicht mehr haben wollte, sollte nun doch wieder eine Schule werden. Alle anderen Pläne liegen seither auf Eis. Weil in absehbarer Zeit aber keine Mittel aus der Schulbauoffensive für die Instandsetzung der Schule verfügbar sind (die Planungen für das Programm sind langfristig, Mittel sind auf Jahre vergeben), wird mit der langsam verfallenen Schule erstmal nichts passieren.
Balsam auf die Kiezseele
Das alte Diesterweg-Gebäude wird im Kiez von vielen aufgrund seiner interessanten Architektur zwar sehr gemocht, es steht aber wie ein Mahnmal des Stillstands und sich blockierender Kräfte in Verwaltung und Politik mitten im Brunnenviertel. Der neue Hochbeetgarten, Diesterbeet genannt, ist da Balsam auf die Kiezseele. In den 1990ern wäre bei einer Situation wie der aktuell entstandenen von einer Win-Win-Situation gesprochen worden. Heute sagt man: Wir holen uns die Stadt zurück! Denn genau das ist hier geschehen. Nachbarinnen und Nachbarn haben sich schon seit Jahren über den Verfall des Schulhauses und die auf dem Grundstück illegal parkenden Autos geärgert – denn die Straße ist eigentlich verkehrsberuhigt und für Kfz tabu (Die Swinemünder zurückerobern!). Autofahrer ansprechen hat nichts genutzt, Gesprächsrunden in der Straße und Kreisemalen auf Asphalt auch nicht. Jetzt wird gegärtnert!
Mehrere Anwohnerinnen haben irgendwie einen Draht zum Straßen- und Grünflächenamt Mitte gefunden. Das gilt bei Eingeweihten als großes Kunststück, das Respekt verdient. Abschleppen der Autos, Schilder aufstellen, Absperrungen installieren? Im guten Gespräch entstand die Idee: wo die Autos illegal parkten, sollte ein Hochbeetgarten entstehen, angelegt und gepflegt von der Anwohnerschaft. Plötzlich ging zumindest vor dem Gebäude im Dornröschenschlaf, das für das der Bezirk Mitte zuständig ist, mal irgendetwas!
Die holzfarbenen Hochbeete wurden neu gebaut,
die blauen Hochbeet fertig geliefert.Kleine Schilder im Beet zeigen, wer hier gärtnert. Pflanzenspenden von der Bürgerredaktion mit der neuen Ausgabe des Kiezmagazins. Beim Hochbeetbau
Zusammen die Stadt zurückerobern
Die Stadt zurückerobern geht nicht allein. Doch die Bewohnerinnen hatten viele weitere Aktive im Rücken: den Stadtteilverein Brunnenviertel e.V., das Quartiersmanagement Brunnenstraße (QM), das Projekt pswedding und weitere Aktive im Kiez. Die Kiezläufer halfen mit am Tag der Nachbarschaft, auch das Team des QM war aktiv bei der Auftaktaktion dabei. Vielen aus dem Kiez schauten trotz zeitweisem Nieselregen vorbei. Kinder und Erwachsene bauten Beete, pflanzten und freuten sich darüber, dass hier nun niemand mehr illegal ein Auto abstellen kann, weil auf der Fläche jetzt Hochbeete stehen. Sogar das Straßen- und Grundflächenamt schickte prompt eine Firma vorbei, um ein entsprechendes Schild aufzustellen, das auf die neue Situation hinweist. „Restlos glücklich“ kochte für die Helfenden mit geretteten Lebensmitteln (Foto rechts), das Baby- und Flohmarktsprojekt Weiterreich stellte einen Marktstand zur Verfügung, der ausgiebig als Unterstand und Ehrenamtlichen-Buffet genutzt wurde. Alle, die konnten, halfen mit. Und irgendwie löste sich so ein Dauerproblem im Brunnenviertel.
Kontakt zum Mitmachen
Wer neugierig geworden ist, kann bei einem Spaziergang durch die Swinemünder Straße das Wachsen des Diesterbeets beobachten. Die Beete sind nicht zu übersehen! Wer möchte, kann sich auch noch für eine Hochbeetpatenschaft anmelden oder Details nachfragen: [email protected].
Alle Fotos: Dominique Hensel
👍🏼🙂🌻🌷🌸🌿🌾🍃🪴