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Verkehrswende:
Mit Kiezblocks den Verkehr im Griff?

Wie man den Durchgangsverkehr aus den Kiezen heraushalten kann
13. April 2021
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Heu­te schwer vor­stell­bar: In den 1980er Jah­ren war Ber­lin schon ein­mal Vor­zei­ge­stadt für Ver­kehrs­be­ru­hi­gung. Noch heu­te kann man das in Moa­bit zwi­schen Strom- und Beus­sel­stra­ße erle­ben, wo flä­chen­de­ckend die soge­nann­ten Moa­bi­ter Kis­sen errich­tet wur­den, die auf­ge­pflas­ter­ten Brems­schwel­len, die man nur in Schritt­ge­schwin­dig­keit über­fah­ren kann. Der zuneh­men­de Ver­kehr stellt unse­re Wohn­kieze erneut vor Her­aus­for­de­run­gen. Jetzt geht es nicht mehr nur dar­um, den Auto­ver­kehr zu ver­lang­sa­men, son­dern zu redu­zie­ren. Da setzt die Kiez­blocks-Bewe­gung an, die sich zum Ziel gesetzt hat, Durch­gangs­ver­kehr aus den Wohn­vier­teln her­aus­zu­hal­ten – auch im Wed­ding. Dahin­ter steht der Ver­ein Chan­ging Cities e.V., der aus dem Radent­scheid her­vor­ge­gan­gen ist.

Hinfahren, aber nicht mehr durchfahren

Den Stau auf der Haupt­stra­ße umfah­ren, Abkür­zun­gen quer durchs Wohn­ge­biet neh­men, dem Navi ver­trau­en, das die kür­zes­te Distanz berech­net – weil vie­le Auto­fah­ren­de so den­ken, ist es mit der Ruhe in man­chem Kiez schnell vor­bei. Dazu kommt der Lie­fer­ver­kehr, der durch den Online-Han­del immer wei­ter zunimmt. Das kann man bekla­gen. Oder man nimmt sich die Ver­kehrs­re­du­zie­rung Kiez für Kiez vor, nach dem Vor­bild von Bar­ce­lo­na, wo bis zu neun Stra­ßen­blocks zu einer Ein­heit zusam­men­ge­fasst wur­den. Die­se ist zwar noch mit dem Auto erreich­bar, kann aber nicht mehr durch­quert wer­den. Die Kiez­blocks-Idee setzt da auch für Ber­lin an und will für 180 Kieze mehr Lebens­qua­li­tät erreichen. 

Dia­go­nal­sper­re im Wran­gel­kiez; Foto: I. Lechner

Autofahren wird komplizierter

Man­chen Kiezbewohner:innen stel­len sich dabei die Nacken­haa­re auf: Was ist mit Men­schen, die ihr Auto wirk­lich benö­ti­gen, um zur Arbeit zu kom­men? Kom­men Müll­ab­fuhr, Lie­fer­fahr­zeu­ge und Ret­tungs­diens­te noch über­all hin? Und wenn himm­li­sche Ruhe ein­kehrt, wird dann der Kiez nicht noch teu­rer als sowie­so schon? Mit Hil­fe eines Fak­ten­checks stellt die Kiez­block-Bewe­gung klar, dass wei­ter­hin alle Stra­ßen mit dem Auto erreich­bar blei­ben. Nur eben nicht mehr ohne Umwe­ge über die Haupt­stra­ßen, was es für den einen oder ande­ren unat­trak­tiv macht, über­haupt das Auto zu benut­zen. Wirk­lich unnö­ti­ge, kur­ze Auto­fahr­ten kön­nen so im Inter­es­se aller ande­ren ver­mie­den wer­den. Ohne­hin besitzt in Ber­lin nur eine Min­der­heit einen eige­nen fahr­ba­ren Unter­satz. Für Rad­fah­rer und Fuß­gän­ger ändert sich nichts – sie kön­nen ohne Umwe­ge ans Ziel kommen. 

Im Wed­ding sind bereits diver­se Kiez­block-Initia­ti­ven aktiv, so im Spren­gel­kiez, im Brüs­se­ler Kiez, im Bad­stra­ßen­kiez und im west­li­chen Brun­nen­vier­tel. Für jeden unter­such­ten Bereich wer­den die Stand­or­te für phy­si­sche Bar­rie­ren ermit­telt (soge­nann­te Modal­fil­ter, die nur Fußgänger:innen und Rad­fah­ren­de durch­las­sen). Ein­bahn­stra­ßen, Sack­gas­sen oder Park­ver­bo­te redu­zie­ren eben­falls die Mög­lich­kei­ten, mit dem Auto durch­zu­fah­ren oder es über­all ein­fach so abzu­stel­len. Anwohner:innen, die sich einen Kiez­block wün­schen, müs­sen nicht bei Null anfan­gen. Denn das Netz­werk von Chan­ging Cities ver­sorgt jede Initia­ti­ve mit Best-Prac­ti­ce-Leit­fä­den, Mate­ri­al und Know-How, zum Bei­spiel wenn es um Unter­schrif­ten­samm­lun­gen oder die Durch­füh­rung von Ver­an­stal­tun­gen geht. Anhand eines Fort­schritts­bal­kens wird dar­ge­stellt, wie aus dem Plan Rea­li­tät wer­den kann. Erst die Initia­ti­ve, dann der Antrag, dann die Unter­schrif­ten­samm­lung und schließ­lich der Beschluss des Bezirks­par­la­ments. In man­chen Kiezen ist die­ser Beschluss sogar schon unmit­tel­bar vor der Abstimmung. 

Wem das jetzt revo­lu­tio­när vor­kommt, kann sich gleich wie­der ent­span­nen. Denn im Wed­ding gibt es bereits eini­ge Bei­spie­le, wo das Kon­zept in der Ver­gan­gen­heit schon umge­setzt wur­de, ohne dass der Ver­kehr zusam­men­ge­bro­chen wäre. So kann man die Togo­stra­ße zwi­schen Kon­go- und Trans­vaal­stra­ße nicht mit dem Auto befah­ren. Auch enden man­che Stra­ßen als Sack­gas­sen, z.B. die Bel­ler­mann­stra­ße, das Nord­ufer oder die Trift­stra­ße. Für man­ches Ziel muss man vor­her wis­sen, über wel­che Haupt­stra­ße man eine Neben­stra­ße errei­chen kann. Das macht das Auto­fah­ren ohne Fra­ge komplizierter. 

Keine Ausreden mehr für Behörden

Weni­ger kom­pli­ziert ist dafür die Umset­zung eines Kiez­blocks. “Das Ein­rich­ten von Modal­fil­tern und Ein­bahn­stra­ßen ver­ur­sacht nur gerin­ge Kos­ten, ist aber extrem wirk­sam, um Durch­gangs­ver­kehr aus dem Kiez her­aus und zurück auf die nächs­te Haupt­stra­ße zu len­ken”, erklärt Jakob Schwarz von Chan­ging Cities. Gleich­zei­tig kom­men die­se Maß­nah­men ohne auf­wen­di­ge Tief­bau­maß­nah­men aus und sie lie­gen allein in der Ver­ant­wor­tung des Bezirks. Poten­ti­ell lang­wie­ri­ge Planungs‑, Aus­schrei­bungs- und Ver­ga­be-Pro­zes­se, sowie Abstim­mun­gen mit der Senats­ver­wal­tung ent­fal­len also. Kiez­blocks kön­nen grund­sätz­lich schnell und unkom­pli­ziert umge­setzt wer­den – vor­aus­ge­setzt, es gibt den poli­ti­schen Wil­len dazu. “Aus die­sem Grund setzt Chan­ging Cities auf das Instru­ment des Einwohner*innen-Antrags, denn je grö­ßer die Öffent­lich­keit ist, die sich Kiez­blocks wünscht und dafür unter­schrie­ben hat, des­to schwie­ri­ger lässt sich das Anlie­gen igno­rie­ren”, so die Hoff­nung von Jakob Schwarz.
Wer sich im Wed­ding ger­ne für einen Kiez­block ein­set­zen möch­te, kann sich jeder­zeit an ihn wen­den. Bestehen­de Initia­ti­ven, die sich ganz beson­ders über Unter­stüt­zung freu­en, gibt es im Brüs­se­ler Kiez, Spren­gel­kiez oder Brun­nen­vier­tel West.

Foto: Domi­ni­que Hensel

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

2 Comments Leave a Reply

  1. Durch­gangs­ver­kehr aus Wohn­vier­teln her­aus­zu­hal­ten und auf Haupt­stra­ßen zu drän­gen ist ein sehr ver­nünf­ti­ges Kon­zept. Kon­tra­pro­duk­tiv ist aber, dass in Ber­lin par­al­lel dazu gera­de die Haupt­stra­ßen durch Spur­re­du­zie­rung und will­kür­li­ches Tem­po 30 gezielt weni­ger leis­tungs­fä­hig gemacht wer­den. Dadurch ergibt sich oft erst der Anreiz, Schleich­we­ge zu suchen.

    • Ich glau­be, dass Tem­po 30 zunächst kei­nen Ein­fluss auf die Trag­fä­hig­keit der Ver­kehrs­men­ge nimmt.

      Gleich­zei­tig gebe ich zu, dass ich es gut fin­de, wenn Auto­fah­rer durch den selbst­ver­ur­sach­ten Stau zum Nach­den­ken ange­regt wer­den, damit sie ver­ste­hen, dass in einer Stadt der Grö­ße Ber­lins nicht alle mit dem Auto durch die Innen­stadt fah­ren können/müssen/sollen.

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