Designer-Babys, geklonte Schafe oder Gen-Food sind wahrscheinlich die ersten Dinge, die einem Menschen in den Sinn kommen, wenn er oder sie das Wort ‚Gentechnik‘ hört. Seit der Corona-Pandemie denken viele vielleicht aber auch an den bahnbrechenden mRNA-Impfstoff von Pfizer und BioNtech.Kleiner Exkurs: BioNtech steht für Bio and Technology, zu deutsch also Biotechnologie, genau die Technologie, mit welcher ich mich am Virchow-Klinikum im Wedding beschäftige.
Kleiner Exkurs: Biotechnologie
Beginnen wir jedoch von vorn. Die Gentechnik ist ein Teilbereich der Biotechnologie und steht – berechtigterweise – oft im schlechten Licht. Sie hat aber nicht nur negative Seiten. Vielleicht wird sie enorm bei der Bekämpfung des Klimawandels mitwirken, uns vor Mangelernährung retten oder (noch) unheilbare Krankheiten besiegen. Wir erleben gerade eine Zeit, in der uns Biotechnologie vor der Pandemie rettet, nicht in Zukunft, sondern jetzt gerade, in diesem Moment.
Wie schon erwähnt, studiere ich Biotechnologie. Das Studium kann im weitesten Sinne in zwei Richtungen eingeteilt werden: Die industrielle und die medizinische Biotechnologie. Beide beschäftigen sich mit der Nutzung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen, wie Hefen oder Bakterien, zur Herstellung verschiedenster Produkte. Von Waschmittel über Lebensmittel, bis hin zu Impfungen, alles ist möglich. Obwohl die Menschheit schon seit Jahrzehnten – besonders die industrielle – Biotechnologie nutzt – beispielsweise bei der Herstellung von Bier oder Wein – blieben die biochemischen Hintergründe unklar. Gerade im Wedding können wir auf eine lange Tradition dieser Richtung verweisen, z.B. mit dem Institut für Zuckerindustrie, der Versuchs und Lehranstalt für das Brauwesen und dem Institut für Gärungsgewerbe. Im 19. Jahrhundert erlebten verschiedenste Wissenschaften, darunter auch die Mikrobiologie einen Fortschritt und die Biotechnologie wurde entwickelt. Den Höhepunkt ihrer Prominenz erreichte die Biotechnologie aber erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, als James Watson, Francis Crick und Rosalind Franklin die Struktur der Desoxyribonukleinsäure (DNS/DNA) entschlüsselten. Gerade entsteht auch ein Forschungsgebäude namens “Der simulierte Mensch” an der Ecke Seestr./Amrumer Str.
Die Geschichte des Virchow
Ich bin an einem Forschungsinstitut im Virchow-Klinikum tätig und möchte euch den forschenden Teil des Wedding vorstellen. Zunächst nehme ich euch jedoch auf eine kleine Zeitreise mit.
Das Virchow-Klinikum wurde 1906 am heutigen U‑Bahnhof Amrumer Straße erbaut. Aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl im Nordwesten Berlins ergab sich die Notwendigkeit, dort ein viertes, großes Krankenhaus zu errichten. Nach Eröffnung des Weddinger Klinikums galt dieses seinerzeit als modernste Krankenhauseinrichtung Europas und als Vorbild für spätere Krankenhausneubauten. Für die Erstbesetzung der Kliniken konnten einige namhafte Berliner Ärzte gewonnen werden, unter anderem der Chirurg Otto Hermes und Moritz Borchardt oder der Internist Alfred Goldscheider. Zu Beginn bestand das Krankenhaus aber nur aus zwei Abteilungen, der dermatologischen und der Abteilung für Geschlechtskrankheiten. 1933 erfolgte schließlich eine bedeutsame Neuorganisation und es entstand eine urologische, sowie eine psychiatrisch-neurologische Abteilung.
Durch Kriegsschäden sank die Bettenzahl bedauerlicherweise von 2500 auf 400 und wurde dann mühsam erneut aufgebaut. Seit 1995 ist das Krankenhaus Teil der Charité und trägt den offiziellen Namen ‚Charité Campus Virchow-Klinikum‘.
Benannt wurde das Klinikum nach Rudolf Virchow, einem Berliner Pathologen, Anthropologen und Politiker. Bekannt wurde Virchow durch sein großes, soziales Engagement, zu dem auch der Berliner Asylverein gehörte, der die Wiesenburg errichtete. Er setzte sich für eine medizinische Grundversorgung der Bevölkerung ein:
Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und die Politik ist nichts weiter als Medizin im Großen.,
schrieb er schon 1848. 1861 gründete er zusammen mit weiteren Liberalen die Deutsche Fortschrittspartei und wurde auch Vorsitzender dieser. Er plädierte für eine liberale Gesellschaft und soziale Medizin.
Die Forschungsinstitute des Virchow-Klinikums
Neben dem Krankenhaus besteht das Klinikum heute auch aus zahlreichen Forschungsinstituten mit sechs Forschungsschwerpunkten. Ich selbst bin am Institut für Humangenetik und medizinische Genetik tätig. Als ich das Institut zum ersten Mal besuchte, war ich verblüfft über die Größe des Campus – der schon fast eine kleine Stadt für sich ist – und der vielen Einrichtungen. Bis heute finde ich in den Kellern der Gebäude neue Räume mit großen Maschinen, deren Funktion ich nicht entschlüsseln kann.
Jeden Tag treffe ich viele Menschen in weißen Kitteln (keine Ärzte), die dabei sind unsere Gesellschaft weiterzubringen. Egal ob im Bereich der Infektionsbiologie, Onkologie oder Genetik, hier findet wichtige Wissenschaft statt, die Virchow selbst bestimmt auch befürworten würde.
Was ich auch großartig an den Menschen in meiner Forschungseinrichtung finde ist, dass hier keine Überheblichkeit vorhanden ist. Biotechnische Assistenten, Praktikanten, Doktoranten oder renommierte Professoren, alle sprechen hier auf Augenhöhe miteinander, denn alle teilen die gleiche Leidenschaft: die Forschung.
Was vielen Weddingern, mir inbegriffen, vielleicht nicht bewusst ist oder war, ist die Tatsache, dass das Virchow-Klinikum – in Zusammenarbeit mit der Charité und den Max-Planck-Instituten – ein weltweites Ansehen genießt, denn die Forschung ist hier auf einem wirklich sehr hohen Niveau.
Mein Forschungsthema – Das Lymphödem
Meine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Aufklärung der genetischen Ursachen des Lymphödems, einer schmerzhaften, bis heute unheilbaren Krankheit. Das Lymphödem äußert sich in schmerzhaften Schwellungen der Extremitäten. Die Ursache für die Schwellungen ist die Lymphflüssigkeit, welche sich in den Lymphgefäßen anstaut. Meine Arbeitsgruppe ist auf ein Gen aufmerksam geworden, das bis heute nicht bekannt war und das bei einem Lymphödem-Patienten mutiert ist. Meine Aufgabe ist nun nachzuweisen, ob dieses Gen, umgangssprachlich, tatsächlich in dem Lymphen ‚vorhanden‘ ist. Dafür stehen mir verschiedenste Proben zur Verfügung, beispielsweise humane Hautstanzen oder Maus-Organe, welche ich mit diesem Gen ‚färben‘ muss. Ist das Gen tatsächlich in dem Lymphen vorhanden, leuchten die Lymphe unter einem Mikroskop.
Zu Beginn meiner Tätigkeit in der Gruppe, fand ich die Arbeit ehrlicherweise mühsam und langweilig, denn das Färben besteht eigentlich nur aus dem Mischen verschiedener durchsichtiger Flüssigkeiten. Als ich dann aber mein Ergebnis sah: Ein Bild, unter einem Mikroskop, welches einen schätzungsweise 9 m2 großen Raum ausfüllt, habe ich mich gefreut wie ein kleines Kind. Aber zurück zu dem Ergebnis: Das Bild ähnelte einer bunten Autobahnkarte, große, dicke, verzweigte Lymphgefäße erstreckten sich über den Bildschirm in alle Richtungen.
Die These meiner Arbeitsgruppe zu diesem Gen bestätigte sich also. Wir sind alle glücklich über dieses Ergebnis und forschen jetzt weiter an diesem Gen. Wofür ist es zuständig? Was passiert, wenn es nicht funktioniert? Wie viele der Lymphödem-Patienten tragen die Mutation dieses Gens? All diese Fragen hoffen wir in nächster Zeit beantworten zu können. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht und hoffe, euch mit diesem kleinen Einblick auch ein Stück weit von der Forschung im Wedding und der Genetik begeistert zu haben.