Karstadt kann für sich in Anspruch nehmen, mit der Architektur seiner Häuser immer dem Trend der jeweiligen Zeit zu folgen. Das gilt auch für das 1978 fertiggestellte Warenhaus am Leopoldplatz. Ein Vergleich mit anderen Karstadt-Häusern aus jener Zeit erzählt uns einiges über die jüngere Architekturgeschichte.
Die Planungen an dem Standort beginnen schon wenige Jahre nach der Einweihung des U‑Bahnhofs Leopoldplatz, 1923. Man war bestrebt, Warenhäuser an Verkehrsknotenpunkten zu errichten. So verfügt Karstadt am Hermannplatz seit der Einweihung im Jahre 1929 als modernstes Kaufhaus Europas über einen direkten Zugang zu zwei U‑Bahnlinien. Doch um in innerstädtischen Lagen Warenhäuser zu bauen, müssen Grundstücke aufgekauft und Häuser abgerissen werden. Am Leopoldplatz verhinderten dies in den 1930er Jahren Mieter, die ihre Wohnungen nicht verlassen wollten. Sie (und die Wirtschaftskrise) veranlassten den Konzern sogar dazu, seine Pläne aufzugeben. Die Flächen der für das Kaufhaus an der Müllerstraße bereits abgerissenen Gebäude wurden zwischenzeitlich als Kohle- und Holzhandlung sowie als Wochenmarkt genutzt.
In Moabit war der Konzern, der die Häuser seiner Konkurrenten aufkaufte und zum Teil unter anderen Namen betrieb, erfolgreicher. So übernahm Karstadt das Warenhaus Lachmann & Scholz an der Ecke Turm- und Ottostraße und führte es als »Karzentra«-Kaufhaus. Die Fassade des 1903 gebauten Gebäudes war 1924 durch den Architekten Martin Punitzer modernisiert worden.
Erst die neu angelegten Verkehrsverbindungen, die infolge der Nachkriegsteilung der Stadt entstanden, machten den Leopoldplatz für Karstadt wieder interessant. So entstand mit der heutigen U9 ein von Ost-Berlin unabhängiges Rückgrat des West-Berliner Verkehrsnetzes. Dieser U‑Bahn-Neubau verband ab 1961 den Leopoldplatz mit dem neuen Zentrum von West-Berlin, dem Zoologischen Garten, und ab 1976 mit dem Rathaus Steglitz. Durch den Straßendurchbruch der Luxemburger Straße entstand zudem eine direkte Anbindung des Leopoldplatzes an die neue City-West im Hauptstraßennetz. Zeitgleich erfolgt die Umgestaltung des Umfeldes der neuen U‑Bahnhöfe.
Am U‑Bahnhof Turmstraße errichtete der Architekt Hans Soll 1960 den Neubau des Hertie-Kaufhauses. Um einen Ausgleich unter den Konkurrenten zu schaffen, wurde Karstadt gebeten, seinen beengten Standort in der Turmstraße aufzugeben und am Leopoldplatz neu zu bauen.
Dazu wurden Anfang der 70er Jahre die Häuser abgerissen, die den Krieg zum Teil unbeschadet überstanden hatten. Vorgesehen war zunächst ein Neubau als geradezu brutal monolithischer Block, mit riesenhaften dunkelbraunen Betonverblendungen, abgeflachten Kanten und nur schmalen Fensteröffnungen an der Oberkante des Bauwerkes – nach Vorbild der 1969 in Hamburger-Eimsbüttel gebauten Filiale.
Die Planung des Hauses am Leopoldplatz fällt aber in die Zeit der ersten Schritte des Umdenkens in der Baupolitik und der Hinwendung zur historischen Stadt: Anders als bei der neun Jahre vorher eröffneten Hamburger Filiale wurde das Haus am Leopoldplatz 1978 in einer engen Abstimmung mit dem Denkmalschutz errichtet. Dies zeigt sich deutlich in der Gestaltung des Hauses. So ist die Fassade gegliedert, die Lüftungen und Aufzugtürme sind mit bronzefarbenen Metallplatten verblendet. Die Betonfassade mit ihrem hellen Rotton orientiert sich an den Backsteinen der Alten Nazarethkirche, die Fenstergestaltung bezieht sich auf die Fensterbänder des Alten und Neuen Rathauses. In diesem architekturhistorischen Zusammenhang ist der Karstadt am Leopoldplatz einerseits ein Zeugnis jener radikalen West-Berliner Stadtplanung der 1970 Jahre, die mit ihren neuen Zentren, einer modernen Verkehrsführung und den Straßendurchbrüchen sich gegen den Ostteil der Stadt zu behaupten versucht. Das Gebäude ist aber auch ein Beispiel für eine Zeit, in der die moderne Architektur beginnt, erste Kompromisse mit der historischen Stadt zu schließen.
Wäre das Haus nur 13 Jahre später eröffnet worden, so hätte es vermutlich eine historische Fassade, ein Dach mit Gauben und einem Türmchen zu Betonung der Ecksituation – so jedenfalls präsentiert sich das Karstadt-Gebäude am Tempelhofer Damm, das im Jahr 1991 eingeweiht wurde. Ob uns das heute am Leopoldplatz besser gefallen würde?
Autor: Eberhard Elfert
zuerst erschienen in der “Ecke Müllerstraße”
KARSTADT, Müllerstr. 25, Mo-Sa 10–20 Uhr
Wären die Häuser rechtzeitig besetzt worden, stünden da heute noch schöne alte Gründerzeithäuser, mit Wohnungen!
Hey, das in dem Text erwähnte Kaufhaus Karstadt in der Osterstraße 119 in Hamburg-Eimsbüttel wurde im Sommer 1978 nach dreijahriger Bauzeit fertiggestellt – nicht 1969. Die beiden Gebäude sehen sich wirklich sehr ähnlich. Der Hamburger Bau ist aber wuchtiger. Er paßt überhaupt nicht in die Umgebung aus vierstöckigen gründerzeitlichen Mietshäusern – stilistisch steht er irgendwo zwischen Bunker und Raumschiff.
Grüße aus Hamburg-Eimsbüttel