26.09.2020 In einem Jahr steht die Dreifachwahl an. Im Herbst 2021 wählt Berlin die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen (BVV), das Abgeordnetenhaus und den Bundestag. Vor der Wahl kommen jedoch erst einmal die Vorwahlen, sprich die Parteien stellen auf, wer überhaupt zur Wahl steht. Heute, am 26. September, war der Weddingweiser live dabei, als die Grünen in Berlin-Mitte ihren Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters in Mitte und ihre Direktkandidaten für das Abgeordnetenhaus gewählte haben. Parallel stellt die CDU in Berlin-Mitte ihre Namen für das Abgeordnetenhaus und für die Bezirksverordnetenversammlung auf. (Berichte zu den Nominierungen bei CDU, SPD und Linke folgen).
In den USA ist es üblich, dass die Vorwahlen manchmal genauso spannend sind, wie die eigentlichen Präsidentschaftswahlen. In Deutschland ist das seltener der Fall und Kampfkandidaturen gelten in manchen Parteien als Zeichen fehlender Geschlossenheit. Bei den Grünen wurde es dieses Mal spannend, sie stellten ihre Kandidaten für die Wahlen 2021 nicht einfach auf, sondern machten aus der Mitgliederversammlung zur Nominierung des Kandidaten für das Amt des Bezirksbürgermeisters ein Duell. Bei einigen wenigen der sieben Wahlkreise in Mitte ermittelten die Grünen ihren Direktkandidaten ebenfalls per Stichwahl, die allerdings eindeutig ausgefallen sind. Immerhin: ein Hauch von Vorwahlen in Mitte.
Die anderen Parteien folgen mit ihren Nominierungen später, manche erst im nächsten Jahr. Die Kandidaten für den Bundestag und die Listen werden auch bei den Grünen später gewählt.
Lest hier den Liveticker direkt von der Wahlversammlung der Grünen in Mitte.
Tatsächliche Wahl
14:37 – Die Wahlen im Laufe des Tages waren aufgrund des Wahlgesetzes nur ein “Meinungsbild”. Die eigentliche gesetzmäßige Wahl findet nun per Wahlzettel statt. Das Stimmungsbild wird offiziell bestätigt. Im nunmehr strömenden Regen verlassen die Mitglieder das Poststadion in Moabit.
Laura Neugebauer für Brunnenviertel und Wedding
14:16 – Laura Neugebauer: Man müsse sich seinem kolonialen Erbe stellen. Straßenumbenennungen müssten vereinfacht werden, postkoloniale Initiativen müssten es an dieser Stelle einfacher haben. “Ich habe es satt, Erinnerungskultur wie einen Flickenteppich anzugehen.”
Bibliotheken sind für Bildung wichtige Orte, es brauche neben Landesbibliotheken auch Bibliotheken in vielen Stadtteilen. “Chancengleichheit muss Realität werden.”
Sie gewinnt mit 96 von 116 Stimmen.
Tuba Bozkurt für Soldiner Kiez und Gesundbrunnen
14:05 – Tuba Bozkurt fordert gleiche und gerechte Chancen für alle Kinder in einem Kiez, in dem die Mehrheit “von ihnen einen so genannten Migrationshintergrund” haben. Das Neutralitätsgebot müsse überdacht werden, das Kopftuch gehöre zur Gesellschaft dazu. “Ob Minirock oder Kopftuch, jede Frau muss selbstbestimmt entscheiden dürfen.” Das Kleingewerbe, gerade im Gesundbrunnen in migrantischer Hand, müsse gestärkt werden. Die Verwaltung müsse digitaler werden und die Digitalisierung nutzen, um diskriminierungsfreier zu werden.
Sie gewinnt ohne Gegenkandidaten 92 von 130 Stimmen.
Ario Mirzaie für Afrikanisches und Englisches Viertel
13:44 – Ario Mirzaie bewirbt sich als einziger Kandidat mit einer schwungvollen Rede. Sein Thema ist Rassismus, Diskriminierung und Rechtsradikalismus. “Jede Silbe für Verständnis für die AfD ist eine zu viel.” Er fordert einen Innenpolitik, die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt und ein Demokratiefördergesetz.
Er gewinnt ohne Gegenkandidaten mit 112 von 132 Stimmen.
Brüsseler Kiez – Taylan Kurt gegen Armin Schäfer
13:37 – Taylan Kurt gewinnt mit 124 von 155 Stimmen und tritt damit im Brüsseler Kiez und in Moabit als Direktkandidat für das Abgeordnetenhaus an.
13:27 – Für Armin Schäfer ist aus familiären Gründen Inklusion ein Herzensthema. Als Gewerkschafter will er sich für faire Bezahlung für “Krankenschwester und Polizist” einsetzen.
13:21 – Taylan Kurt bewirbt sich mit dem Thema Armut. Er sei ein “Arbeiterkind” und “Gastarbeiterkind.” Grüne sollten “Anwalt der armen Menschen werden.” Immobilienkonzerne, die auf Shoppingtour gehen, sind längst die Regel, “Mieten sollen bezahlbar sein.” Der Fahrstuhl der sozialen Mobilität solle “endlich nach oben und nicht nach unten fahren.”
Der Wahlkreis 4 umfasst vor allem viele Straßen in Moabit und hat einen Zipfel im Wedding: den Brüsseler Kiez.
Stephan von Dassel knapp Bezirksbürgermeisterkandidat
11:52 – Zweiter Wahlgang wird nötig. Nun gibt es 251 abgegebene Stimmen. Stephan von Dassel erhält 127, Tilo Siewer 115 Stimmen. Im starken Applaus für den Amtsinhaber waren die genauen Zahlen zunächst nicht zu hören. Restliche Stimmen sind ungültig und Enthaltungen.
11:49 – Ergebnis lautet: es gibt kein Ergebnis. 257 Stimmen wurden abgegeben. Stephan von Dassel erhielt 124 Stimmen, Tilo Siewer 117 Stimmen. Damit wurde ein bei den Grünen vorgeschriebenes Quorum von 50% für den Gewinner nicht erreicht. Rest: ungültig und Enthaltungen.
11:30 – Während Stephan von Dassel Bezirksbürgermeister bleiben will, möchte Tilo Siewer es werden; und dafür zum Spitzenkandidaten der Grünen gewählt werden. Stärksten Applaus erhält Siewer nach seiner Rede im Frageteil für: “Mitte soll vielfältig bleiben, in Mitte geht mehr.” Das aus seiner Sicht stärkste Argument für ihn und Begründung für die Kampfkandidatur: “Der Bezirk Mitte hat viele grüne Wähler verprellt, ich möchte zusammenführen.” Er spielt damit auf den Umgang Stephan von Dassels mit obdachlosen Menschen in öffentlichen Parks an (siehe Bericht im Tagesspiegel).
Tilo Siewer bewarb sich bei den Mitgliedern zunächst mit dem Thema Jugend und Kinderarmut. 25.000 Kinder in Mitte seien arm. “Wir Grünen haben uns dafür eingesetzt, den Jugendclub Badstraße nicht zu schließen”, so Siewer. “Wir haben es geschafft, dass Menschen, die in der Jugendarbeit arbeiten, besser bezahlt werden”, und: “Ich will kein Kind zurücklassen.”
Zweites Thema seiner zehnminütigen Rede waren bezahlbare Mieten. “Hier ist auch der Bezirk gefragt. Der Bezirk muss den Kampf gegen Ferienwohnungen verschärfen, mehr Milieuschutzgebiete aufstellen, wir müssen im Stadtplanungsamt mehr tun.” Für Tilo Siewer braucht Mitte eine Diversitymanagement, das heißt, die Verwaltung muss mehr für Antidiskriminierung tun. “80 Prozent der Schulabgänger in Mitte haben Migrationshintergrund, unter den Neuanfängern im Amt sind es nur 20 Prozent. Das geht so nicht.”
Zum ersten Mal einen mehr als höflichen Applaus erhält Tilo Siewer für seinen persönlichen Hinweis, in den 1990er Jahren “mein Coming out gehabt zu haben.” Deswegen sei er “sensibilisiert” für die Frage, dass “Diskriminierung im Bezirk keinen Platz haben darf.”
Nicht fehlen durften Klimaschutz und Verkehr – Themen, die in beiden Reden den größten Zuspruch der Grünen Mitglieder erhielt.
11:20 – Nach technischen Vorproben startet der Kampf um die Frage, wer für die Grüne das Amt des Bezirksbürgermeisters anstreben soll. Zuerst spricht Stephan von Dassel.
Zunächst erinnert er daran, dass er noch als Sozialstadtrat vor mehr als fünf Jahren, Flüchtlinge schnell und unbürokratisch in Hostels untergebracht hat. Für den Satz “Moria darf sich nicht wiederholen” sammelt er den ersten Applaus ein. Weiteren Applaus gab es auch für den Hinweis, dass er die Arbeitsbedingungen in Mitte familienfreundlich gestaltet hat und flexible Arbeitsmodelle eingeführt hat. “Ich will, dass Mitte Modellbezirk für lokale Beschäftigung wird.” Zur Zeit arbeiteten dank ihm 50 Langzeitarbeitslose im Bezirk.
Modellbezirk soll Mitte auch bei der Verkehrswende werden. Es brauche einen Sicherheitsbeauftragten. Neben der autofreien Friedrichstraße schlägt Stephan von Dassel eine autofreie Nazarethkirchstraße vor. Er habe die Catcherwiese gerettet (Applaus) und das Himmelbeet werde “am Mettmannplatz zu neuer Blüte kommen.”
Die SPD greift Stephan von Dassel beim Thema bezahlbare Mieten an. “Wir müssen das Planungsrecht im Bezirk für ökologischen Wohnungsbau nutzen – als Gegenentwurf zum sozialdemokratischen Betonplan.”
Das Thema, das in seiner Partei auf ein geteiltes Echo trifft, ist sein Umgang mit Obdachlosigkeit. “Sieben von zehn Obdachlosen kommen aus Osteuropa, sie leben hier ohne Anspruch auf Sozialhilfe.” Dennoch habe er versucht, ihnen zu helfen.
Unwirtlicher Ort und verspäteter Start
09:30 – Statt Beginn der Veranstaltung zunächst Tonprobe am Mikrofon und Schlange stehen.
09:00 – Der Tag bei den Grünen wird mit der Entscheidung beginnen, wer sich dem Wahlvolk als Spitzenkandidat für das Amt des Bezirksbürgermeisters stellen soll. Auf dem Programm steht das Duell Stephan von Dassel (zurzeit Bezirksbürgermeister) und Tilo Siewer (seit 2006 in der BVV). Später folgen die Wahlen der Direktkandidaten für die Wahlkreise eins bis sieben. Auch hier gibt es auf einigen Plätzen Konkurrenz. Für den Wedding interessant sind dabei die Kreise fünf (Englisches und Afrikanisches Viertel), sechs (Soldiner Kiez und Pankstraße) und sieben (Brunnenviertel und Wedding-Zentrum). Der Wahlkreis vier liegt in Moabit und streift den Wedding, indem er den Brüsseler Kiez einschließt.
Corona zwingt zu ungewöhnlichen Lösungen, damit viele Mitglieder einer Partei für die Wahl ihrer Kandidaten zusammenkommen können. Die Grünen in Mitte nutzen die kühle, aber frische Luft auf der Tribüne des Poststadions in Moabit, die CDU in Mitte bevorzugt einen gemütlicheren Ort und trifft sich in einem Hotel im MOA-Bogen in der Stephanstraße in Moabit.
Dreifachwahlen 2021
Grund für die Nominierungen ist die Dreifachwahl 2021. Im Herbst werden der Bundestag, das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlung neu gewählt. Die Parteien beginnen nun ihre Kandidaten aufzustellen. Wie vor fünf Jahren begleitet der Weddingweiser die aussichtsreichen Direktkandidaten für das Abgeordnetenhaus in den Weddinger Wahlkreisen 4, 5, 6 und 7.
Am 26. September 2020 stellten die Grünen Mitte und die CDU Mitte ihre Direktkandidaten auf. SPD und Linke folgen später.
Andrei Schnell friert während der Mitgliederversammlung der Grünen, die ihren Kandidaten für den Bezirksbürgermeister per Kampfwahl ermitteln.
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