Meinung: Wohl jeder Weddinger, jede Weddingerin hat Erinnerungen an ein Einkaufserlebnis bei Karstadt am Leo. Wohlgemerkt, Erinnerungen. Denn bei den meisten liegt der letzte Warenhausbesuch schon länger zurück. Jetzt, wo die Schließung des Karstadt angekündigt wurde, wird uns im Wedding schlagartig bewusst, was für ein wichtiger Stabilitätsfaktor dieses Kaufhaus für den Kiez ist. Doch wenn es hier überleben soll, muss sich die Attraktivität von Karstadt ändern. Aber auch unser Einkaufsverhalten.
Ein Besuch im Karstadt Müllerstraße mit der ganzen Familie, das gehörte ab 1978 im Wedding für viele zu einem Samstag wie die Sportschau am Abend. In den unterschiedlichen Abteilungen auf vier Etagen gab es Spielwaren für die Kleinen, Haushaltsartikel, Sportsachen und Elektrogeräte für die Großen; Stoffe, Kleidung, Uhren, Schmuck und Schuhe für alle Altersgruppen. Wenn man darüber nachdenkt, ist das heute nicht mehr zeitgemäß: Online-Händler und große Fachmärkte haben die bunt glitzernde Warenwelt längst übernommen.
Doch auch die Kunden haben mit den Füßen abgestimmt und die Warenhäuser immer öfter links liegen lassen. Karstadt hat darauf in der Vergangenheit reagiert und verschiedene Konzepte ausprobiert. Vieles wurde in ein Shop-in-Shop-System ausgelagert, Filialisten wie Hugendubel, Futterhaus und DEPOT erhielten Unterschlupf im Haus. Sogar die Feinkostabteilung wurde an REWE abgegeben und kommt heute nur noch wie ein etwas besserer Supermarkt daher. Auch Elektrogeräte und viele andere Produkte sind ganz aus dem Sortiment verschwunden – die Zeiten, in denen man alles in einem Kaufhaus bekommt, sind vorbei. Den Wettbewerb mit der unerschöpflichen Auswahl im Internet konnte Karstadt eigentlich nur verlieren, auch auf Grund von offenkundigen Management-Fehlern und Misswirtschaft im Konzern.
Mehr als nur ein Gebäude
Soweit die subjektive Sicht. Doch es gibt auch eine andere Seite: Karstadt am Leo bündelt viel Kaufkraft aus unserem und aus anderen Berliner Bezirken wie Reinickendorf an diesem zentralen Weddinger Ort, der auch Umsteigepunkt zweier U‑Bahnen ist. Kein Zufall, dass vom U‑Bahnhof eine Treppe direkt an den Karstadt-Eingang führt. Das einzige Kaufhaus im ganzen Berliner Norden ist seit 42 Jahren ein Begriff, Arbeitgeber für viele Beschäftigte, vor allem Frauen. Das Umfeld am Leopoldplatz hat von diesem wichtigen Anlaufpunkt immer profitiert, die Gegend vor dem Abrutschen bewahrt. Man sollte auch die Älteren nicht vergessen. Sie kaufen oft nicht im Internet ein, haben gerne alles an einem Ort – und für sie ist der Kaufhausbesuch und das Restaurant im Karstadt ein wichtiger Fixpunkt im Alltag.
Die Hoffnung auf eine Rettung des Standorts Leopoldplatz, der sicher nicht zu den schwächsten von Karstadt gehört, stirbt zuletzt. Die Lokal- und Landespolitik hat sich mit den Beschäftigten solidarisiert; bei einer kurzfristig anberaumten Demo äußerten sich Bezirksvertreter und Landesabgeordnete, dass sie die Schließung durch den in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Konzern Galeria Karstadt Kaufhof nicht kampflos hinnehmen werden. Bei einer Schließung droht zudem auch jahrelanger Leerstand, denn ein solches Gebäude ist als Kaufhaus gebaut und kann kaum umgenutzt werden. Laut Recherchen der Morgenpost gehört das Kaufhaus der Versicherungskammer Bayern – der Verwalter der Immobilie geht übrigens derzeit sogar von einem Weiterbetrieb aus.
Für uns Weddinger kann das bedeuten: Nicht nur in Erinnerungen schwelgen, sondern hingehen, solange es geht. Die Beschäftigten von Karstadt freuen sich über unsere Einkäufe. Dadurch können wir auch als Kunden dazu beitragen, dass ihre Arbeitsplätze am Ende vielleicht doch noch wie durch ein Wunder erhalten bleiben. Und vielleicht wird aus dem Einkauf am Leo irgendwann auch wieder ein Erlebnis?
Am Freitag, 26.6. um 12 Uhr findet vor dem Karstadt eine Kundgebung statt.
Werter Weddingweiser,
wenn ich oder meine Familie etwas brauchen, dann brauchen wir nicht ein Einkaufserlebnis, sondern einfach nur die Schuhe repariert, ein Stück Kuchen, mal ein Fisch und anderes wichtiges mehr. Das alles gibt es im Warenhaus. Und dort können wir zwischen mehreren Marken (z.B. bei Hemden, Hosen, etc.) wählen, ohne durch die ganze Stadt zu reisen.
Bitter rächt sich der boomende Online Handel mit gehetzen Fahrern mit schlechter Bezahlung und Jeff Bezos (President von Amazon) lacht sich eins über unsere Corona-Masken.
Der wahre Verlust ist die Pommesbude Frites van Holland im Erdgeschoss 🙁