Es ist ein typischer Novembertag im Dezember. Grauer Himmel, 5 Grad. Auf dem Leopoldplatz geht das übrige Treiben vor sich und fast mittendrin steht hier seit 2011 das Café Leo, geführt von Hüseyin Ünlü.
Das Café Leo ist aber mehr als ein Baucontainer auf dem Leopoldplatz, in dem es Kaffee, Sandwiches und noch viel mehr gibt. Es ist ein Treffpunkt für den Kiez, für alle, sagt Ünlü. Leute, die Probleme haben, Obdachlose, die hier einen Kaffee bekommen, Studenten, die sich einen frischen O‑Saft holen, Ältere und Jüngere. Egal welcher Nation. Damit das nicht nur im Sommer so sein kann, sondern auch im Winter, hat Ünlü vor einigen Wochen die genehmigten Tische und Stühle vor dem Container mit einem Pavillon überbaut und um diesen gibt es nun Streit. Das Ordnungsamt fordert ihn auf, den Pavillon zu beseitigen, da keine Genehmigung hierfür vorliegt. Sollte er dem nicht nachkommen, drohen 738,50 € Strafe. Ünlü legte Einspruch ein, aber das Amt blieb bei seiner Androhung. Formal gehört der Teil, auf dem das Café Leo steht, dem Bezirk und unterliegt dem Straßen- und Grünflächenamt, der Bereich zwischen den Betonbänken gehört der Nazarethkirchengemeinde.
Sollte der Pavillon tatsächlich weichen müssen, ist das Café Leo im Winter einzig und allein auf Kundschaft angewiesen, die etwas auf die Hand mitnehmen. Die Kunden, die verweilen möchten, über ihre Probleme sprechen möchten, müssten sich dann einen anderen Ort für soziale Interaktion suchen.
Während des Gesprächs kommt ein Kunde in den Container, Ünlü fragt wie es ihm und der Frau geht. Schlecht, sie ist im Krankenhaus, etwas mit dem Herzen stimmt nicht. Gelebte soziale Interaktion Live vor Ort. Ohne Pavillon nicht mehr möglich.
Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat Mitte Dezember beschlossen, eine Ausnahmegenehmigung für das Café Leo und den Pavillon anzustreben. Einstimmig, ausgenommen die CDU. Bereits 2016 überraschte die CDU mit dem damals zuständigen Bezirksstadtrat Carsten Spallek mit einer Ausschreibung für einen neuen Betreiber für das Café Leo. Die Angst war damals, dass die Arbeit von Ünlü, die weit über das Café hinaus geht, in Gefahr ist. Durch den Druck der Öffentlichkeit und knapp 16.000 gesammelten Unterschriften für den Erhalt des Cafés bekam Ünlü am Ende wieder den Zuschlag.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, wieso Institutionen wie das Café nie die Chance haben, zur Ruhe zu kommen. Die Stadt wird voller und die Schere zwischen Arm und Reich wächst. Aber wir müssen uns jetzt entscheiden, ob wir eine Stadt für alle haben wollen, oder für die mit dem meisten Geld. Ünlü sagt, er habe seit 2011 nie die Preise für Kaffee und Co erhöht. 1 €, und dabei bleibt es. Er sieht sich selbst auch wie eine Sozialstation, wie eine Famlie, mit seinen Gästen. Die meisten von ihnen können sich einen Kuchen im The Visit nebenan ohnehin nicht leisten.
Die Ausnahmegenehmigung für das Café besteht nur noch bis 2021. Der Bezirk muss sich Gedanken machen, wie er dann weiter verfährt. Der Bezirksverordnete Taylan Kurt von den Grünen, der ebenfalls zufällig beim Gespräch vorbeikommt, könnte sich auch vorstellen, das Café von Grund auf neu zu bauen. Und die Toilette nebenan mit zu integrieren. Man hätte gleichzeitig eine dauerhafte Lösung und die meist eh „besetzte“ Toilette wäre etwas unter Beobachtung.
Allerdings: Die Fläche, auf der die jetzige Toilette steht, unterliegt wiederum nicht dem Grünflächenamt. Kurt sagt: „Viele Ämter arbeiten aneinander vorbei, haben verschiedene Ziele. Aufgabe des gesamten Bezirksamt ist es aber, das Ganze auf den Alltag runterzubrechen und eine gemeinsame Lösung zu finden“. Wichtig sei „eine Stadt für alle und ein Kiez für alle“. Das Beispiel himmelbeet zeigt leider, wie Ämter seit Jahren aneinander vorbeiwerkeln. Auch die Staddteilvetretung Müllertraße hat sich inzwischen positioniert und fordert ebenso wie die BVV, eine Lösung zu erarbeiten.
Ünlü selbst möchte ganz einfach Sicherheit haben, wie es weitergeht, in diesem Winter und über 2021 hinaus. Dann kann er vielleicht auch wieder lachen über die Ermahnung des Ordnungsamtes. Im Sommer hatte er Sonnenschirme mit Langnese-Schriftzug aufgestellt. Das ist ihm allerdings verboten. Nur werbefreie Schirme sind erlaubt. Wäre das Ordnungsamt doch nur immer so auf Zack.
Ab und zu kommt bei mir der Verdacht auf, dass „Berlin-Mitte“ möglicherweise einfach zu groß und zu unterschiedlich ist für einen Bürgermeister, für ein Amt, etc. Viel zu unterschiedlich sind Wedding und Moabit im Vergleich zu Alt-Mitte, die gemeinsam den Bezirk Berlin-Mitte bilden, auch wenn wir Weddinger das nicht gern hören. Es wird Zeit für einen Wedding-Bürgermeister! Wir wären bereit. Oder ich.