Durch das Gesetz „Über die Bildung einer Stadtgemeinde“ vom 26. April 1920 wurden 8 Stadt‑, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke zu der Stadtgemeinde Berlin in 20 Verwaltungsbezirken zusammengeschlossen. Der „3. Verwaltungsbezirk“ war der Wedding. Dringend benötigt wurde der Bau eines Rathauses, das an der Müllerstraße 146 nach den Plänen des Magistratsoberbaurat Hellwig entstehen sollte.
Mit einer Sage fängt alles an
An dieser Stelle hatte man eines der letzten kleinen Häuschen des Weddings abgebrochen, das der Weddinger in sein Herz geschlossen hatte. Hierüber wird in einer Sage Folgendes erzählt: „Das alte graue Häuslein hatte sich schon tief in die Erde hineingestanden und war so klein, dass man beinahe darüber hinwegschauen konnte. Hatte der Besitzer einmal den Hausschlüssel vergessen, so brauchte er nicht zu klopfen, wenn er heimkehrte. Er langte dann einfach mit dem Arm durch den Schornstein in die Stube und nahm den Schlüssel vom Nagel am Türpfosten. Daher merkte es die Frau nicht, wenn ihr Mann einmal später nach Hause kam, als er sollte“. (Mohnke, Berliner Sagen und Erinnerungen, S. 67)
Jahrelang standen die Steine für den Neubau unverwendet auf der Baustelle. Als nun endlich 1929 die Bauerlaubnis gegeben wurde und der Bau danach turmlos in die Höhe wuchs, sagten die Weddinger: „Sehta, de Steene forn Turm ham se inzwischen jeklaut“. Sie konnten sich den Bau eines Rathauses ohne Turm nicht vorstellen. Am 18. November 1930 wurde das Gebäude durch Bürgermeister Carl Leid (SPD) feierlich übernommen. Der Bau war nüchtern und einfach (Neue Sachlichkeit). Im Amtszimmer des Bürgermeisters war als besonderer Schmuck ein Fries historischer Weddinger Lichtbilder angebracht. Den Ratskeller schmückten Skizzen von Zilletypen, die 1933 der Übertünchung verfielen.
Unaufdringlich wie der Bezirk
Bis auf ein kleines steinernes Wappen an der Straßenecke ist das Gebäude völlig schmucklos, lediglich der Schriftzug „Rathaus Wedding“ über dem Eingangsportal war ein Zugeständnis. Die Eingangshalle ist mit gelben und grünen Keramikfliesen verkleidet, während am Boden ein Mosaik mit dem Berliner Wappen zu sehen ist. Ein Paternoster führte damals in die oberen Etagen. Dieser ist heute nicht mehr vorhanden. Im Innenhof ist der historische Saal, nach Walther Rathenau benannte Saal der Bezirksversammlung angeordnet. Heute tagt z.B. die Stadtteilvertretung Müllerstraße in dem Saal. Walther Rathenau (1867 – 1922) war 1922 Reichsaußenminister und der Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau (1838 – 1915). An der Ecke des Gebäudes zur Müllerstraße befindet sich der Schaukasten des „Städtepartnerschaftsvereins Wedding“ und auf der Seite zum Rathausvorplatz der Schaukasten vom „Heimatverein Wedding“, der von Vereinsmitglied Peter Lüdtke liebevoll gepflegt wird.
Neubau von bedeutendem Architekten
Am 5. Dezember 1964 wurde der 50 Meter hohe Rathaus-Neubau mit seinen 11 Stockwerken festlich eingeweiht. Dieser Rathaus-Erweiterungsbau ist durch einen überdachten Gang mit dem „alten“ Rathaus verbunden. Hier zogen die Abteilungen für Personal- und Verwaltung, Bau- und Wohnungswesen sowie Finanzen und auch das Standesamt ein. Von der Dachterrasse aus bietet sich aus 50 Meter Höhe ein herrlicher Rundblick über Berlin. Das Hochhaus wird vom Fernheizwerk Moabit versorgt. In einem flachen Anbau befindet sich ein Mehrzweckraum mit 145 Plätzen, in dem auch die Bezirksverordneten ihre Sitzungen abgehalten haben. Nach der Bezirksreform 2001 war der Saal nutzlos geworden, da der Bezirk Wedding im Bezirk Mitte als Ortsteil aufgegangen war. Architekt des neuen Gebäudeensembles war Fritz Bornemann. Dieser war der vielleicht wichtigste Architekt der Westberliner Nachkriegsmoderne. Er entwarf die Amerika-Gedenkbibliothek, die Deutsche Oper, die Freie Volksbühne, die Museen in Dahlem und auch die neue Dankeskirche am Weddingplatz. Der Architekt starb 2007 im Alter von 95 Jahren.
Erinnerung an NS-Widerstand
Am 21. Juli 2018 wurde auf dem neugestalteten Rathausvorplatz eine Gedenkstele für die NS-Widerstandskämpfer Elise und Otto Hampel eingeweiht. Das Ehepaar, das in der Amsterdamer Straße im Wedding lebte, rief zwei Jahre lang mit handgeschriebenen Postkarten zum Sturz von Hitler auf, wurde verraten und 1943 in Plötzensee hingerichtet. Der 21.7.2018 wurde als Datum gewählt, weil es der 125. Geburtstag des Schriftstellers Hans Fallada ist. Er hat den Roman „Jeder stirbt für sich allein“ geschrieben, der an das Schicksal der Eheleute Hampel angelehnt ist. Die Künstlerin Ingeborg Lockemann hat die Gedenkstele gestaltet. Auf der Rückseite der Stele wird man Genaueres lesen. Bereits am 6.4.2018 erhielt der Weg zwischen der Müllerstraße und der Limburger Straße den Namen der Eheleute Hampel. Der Rathausvorplatz blieb ohne Namen.
Autor: Bodo Körtge
Literaturnachweis:
Berlin Wedding wie er war und wurde, C. Matthes, S. 21⁄22, Bezirksbildstelle Wedding 1935
700 Jahre Wedding, Bruno Stephan, S. 77 ff., Süssenguth Verlagsgesellschaft Berlin
Der Nord-Berliner v. 15.8.2013 und 13.11.2014
Ecke Müllerstraße, Nr. 2, März/April 2016, S.4, Christof Schaffelder, Bezirksamt Mitte von Berlin, Stadtentwicklungsamt
Der Tagesspiegel v. 21.7.2018; In Gedanken an zwei Helden, lho