Die Wiege des Kinos lag im Wintergarten des Hotel Central. Bald schossen Anfang des 20. Jh. spezielle „Kinematographen-Theater“ wie Pilze aus dem Boden, auch uff’n Wedding. 1909 schrieb Alfred Döblin vom Kintopp als dem „Theater der kleinen Leute“. Unsere Großeltern werden diese Kinos noch gekannt haben. In unseren damaligen Bezirk gab es 75 Kinos. Heute gibt es noch zwei: Das Multiplex-Kino Cineplex Alhambra und das City Kino Wedding. (Update 2024: plus Sinema Transtopia 🙂
Wo heute noch Filme flimmern
Das Multiplex-Kino, früher nur als „Alhambra“ bekannt, in der Müller-/Seestraße zeigt angesichts der Bevölkerungsstruktur regelmäßig auch türkische und arabische Filme in der Originalversion. Das City Kino Wedding befindet sich im Centre Francais de Berlin in der Müllerstraße 74. Vor dem Haus kündet immer noch ein Mini-Eiffelturm vom Ruhm der Grande Nation. Am 30.1.2019 berichtete „Der Tagesspiegel“ von der 69. Berlinale. Sie startete erstmals im Jahre 1951. Die Berlinale „Goes Kiez“ fand im City Kino Wedding statt. Erstmals lief eine Ausstellung zum Filmfest im Weddinger Kulturquartier „Silent Green“. Das Thema war die Digitalisierung von Filmen, bei der halb vergessene Schätze aus den Archiven auftauchten. Die Beiträge waren auf Leinwänden und Installationen zu sehen. Das ehemalige Krematorium Wedding in der Gerichtstraße beherbergt das „Silent Green“ seit Herbst 2015. Auf der Freilichtbühne Rehberge gibt es seit 2009 einen Betrieb als Freiuftkino Rehberge.
Verschwundene Kinos
Einige wenige der damals vorhandenen Kinos möchte ich noch in Erinnerung bringen. Vielleicht denkt so mancher Heimatfreund an die Zeiten, wo er spannende Filme gesehen hat. Der Mercedes-Palast (Ufa-Palast), Utrechter-/Turiner Straße, wurde 1926 auf den Grundmauern einer ehemaligen Eisengießerei erbaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er weiterhin als Kino benutzt. Seit 1965 erfolgte die Nutzung als Supermarkt. 1987 erfolgte der Abriss des Palastes. Am 27.7.1933 erhielt die Utrechter Straße nach einem Hitlerjungen den Namen Wagnitzstraße, Rückbenennung am 31.7.1947. Mit der Namensänderung der Utrechter Straße ging auch die Umbennennung des Kinos in „Ufa-Palast“ einher. Die in Potsdam-Babelsberg ansässige Universum Film Aktiengesellschaft (Ufa) wurde bereits am 18.12.1917 gegründet. Ihr Kürzel ist über Jahrzehnte zum Mythos geworden. General Erich Ludendorff hatte angesichts der drohenden Niederlage im Ersten Weltkrieg festgestellt, eine neue große Filmgesellschaft muss her, der Propaganda für Deutschland wegen. Während des Zweiten Weltkriegs folgten zahlreiche Propagandafilme mit Durchhalteparolen. Nach Kriegsende wurde die Ufa von den vier Besatzungsmächten zerschlagen, im russischen Sektor entstand die Defa. Im Westen begann die alte neue Ufa 1956 wieder in Produktion zu gehen. Ebenso beeinflussten französische Filme den Berliner Alltag. Aus einer Spielplanankündigung des Bezirksamtes Wedding im Januar 1946 ist zu entnehmen, dass der französische Filmverleih Berlin in verschiedenen Kinos im Bezirk Wedding sieben deutsche und sechs französische Filme anbot. Die französischen Filme wurden meistens in deutscher Fassung gezeigt. Im Mercedes-Palast wurden nicht nur Filme gezeigt, sondern auch politische Veranstaltungen durchgeführt.
Von 1954-1962 bestand das Scala-Filmtheater in der Müllerstraße 53/ Türkenstraße. Hier befand sich zuvor die Gastwirtschaft „Oldenburger Hof“, das Haus gehörte in den 1920er Jahren dem „Verein für die Armen“. 1952 wurde der Gasthof für den Kinoneubau abgerissen. Es war wohl das älteste, urkundlich belegbare Häuschen des alten Weddings. Das Theater des Weddings, Seller-/Müllerstraße, wurde von 1910-1962 als Kino genutzt. Heute steht ein prächtiges Forschungsgebäude des Bayer-Konzerns (vorher Schering) an dieser Stelle.
Das Welt -Theater (1905-1944) in der Müllerstraße 6/7 war das erste ortsfeste Kino im Wedding. Es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Hier befand sich ursprünglich das Palais Fürst Blücher mit Tanzlokal. 1883 wurde daraus das Vereinshaus „Schrippenkirche“, 1902 Umzug in die Ackerstraße. In Ballschmieders Kastanienwäldchen in der Badstraße 16 wurden ab 1915 die ersten Filme gezeigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dort noch bis 1950 im Rio-Tageskino Filme vorgeführt. Seit 1929 befindet sich zudem an dieser Stelle ein Woolworth-Kaufhaus, das sein Haus 1950 erweiterte.
Die Lichtburg am Bhf. Gesundbrunnen wurde 1929 errichtet. Im Zweiten Weltkrieg erheblich zerstört, erfolgte 1947 die Wiedereröffnung als Corso-Theater. 1962 wurde es geschlossen und 1970 abgerissen. Am 20. April 1948 trat hier Bully Buhlan in einem Benefizkonzert auf und sang den alten, durch Glenn Miller berühmt gewordenen Song „Chattanooga Choo Choo“ interpretiert, in abgewandelter Form: Verzeih’n Sie, mein Herr, fährt dieser Zug nach Kötzschenbroda?“ Woraus dann dank Udo Lindenberg der „Sonderzug nach Pankow“ wurde. 1962 moderierte Hans Rosenthal noch seine Quizsendung „Spaß muss sein“.
Die Humboldt-Lichtspiele in der Badstraße 19 bestanden von 1919 – 1984. In den Räumen im Hof des Hauses befanden sich ursprünglich Joseph Frankes Restaurant und Festsäle, es nannte sich „Schirm’sche Etablissement“. Die letzte Erbin dieses Etablissements überließ die Nutzung des Kinosaals 1962 der SED Westberlin im Gegenzug für die Erlaubnis, das Grab ihres Sohnes auf dem Friedhof zu pflegen, das jenseits der Mauer auf dem Grenzgebiet lag. Dadurch kam der Saal als „rotes Kino“ in Verruf. Zwischen 1977 und 1982 war das Kino für türkische Familien ein soziales Ereignis.
Der Kristall-Palast in der Prinzenallee/Badstraße wurde 1926 als Großkino mit modernstem Komfort eröffnet. 1927 sang hier Claire Waldoff u.a. mit dem Lied „Romanze im Wedding“. Ihr wahrer Name war Clara Wortmann. Sie spezialisierte sich auf Gassenhauer, Schlager und Chansons im Berliner Jargon, den sie auf Kneipentouren gelernt hatte. Mit ihrer Lebensgefährtin Olga von Roeder war sie zugleich Mittelpunkt des lesbischen Berlin. Ab 1933 hatte sie für einige Zeit ein politisches Auftrittsverbot. Ein Missfallen erregte eine im Volksmund auf Hermann Göring hinzu gedichtete Strophe ihres Erfolgs „Hermann heest er“: Rechts Lametta, links Lametta und der Bauch wird immer fetta…..“. Eine Statue von ihr steht in der Friedrichstraße 107 (Mitte). Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kino schwer beschädigt und am 23. Dezember 1955 wieder eröffnet. Der Spielbetrieb endete 1980.
Die Marienbad-Lichtspiele in der Badstraße 35/36 existierten von 1908 – 1963. Die Brüder Galuschki kauften um 1870 die Grundstücke Badstr. 35 – 39. Carl Galuschki entwickelte hier in den folgenden Jahrzehnten eine rege Bautätigkeit. In der Folgezeit entstand auf dem Gelände eine Badeanstalt. 1887/1888 wurde das Vestibül-Gebäude mit dem Restaurant “Marienbad“ errichtet. Er warb mit Ballsaal, einer Kaffeeküche, Kegelbahnen, Theater- und Varietéveranstaltungen. Nach dem Tode Galuschkis wurde das Gelände verkauft. Aus dem hinteren Teil des Geländes wurde ein Vergnügungspark, später ein Wochenmarkt, der bis in die Nachkriegszeit bestand. 1911 wurde der Konzert- und Theatersaal zum Lichtspieltheater „Marienbad“ umgebaut. Aus dem Saalgebäude des „Voigt-Theater“ in der Badstraße 58 entstand 1923 das Alhambra-Kino; das ab 1938 den Namen „Neues Alhambra“ trug. Der Kinosaal war mit einer Wurlitzer-Orgel ausgestattet. Am Gebäude ist eine Gedenktafel für Bernd Rose angebracht, der hier 1902 – 1906 sein erstes Rose-Theater betrieb, bevor er mit dem Theater nach Berlin-Friedrichshain zog. Das Neue Alhambra wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur für Filmvorführungen benutzt. Es war auch ein wichtiger Schauplatz außerhalb des Rathauses für die Weddinger Nachkriegspolitik. Zweimal wöchentlich traten die Bezirksverordneten im Herbst 1946 dort auf, um für mehr Rückhalt bei der Bevölkerung zu werben. Das Neue Alhambra schloss am 30.6.1969. Übrigens ist die Alhambra eine bedeutende Stadtburg auf einem Hügel von Granada in Spanien. Sie gilt als Inspiration in Kunst, Musik und Literatur.
Mit der Währungsreform 1949 wurden die Kinos in der Nähe der Sektorengrenze subventioniert, um Bürgern der DDR den Besuch der westlichen Kinos zu ermöglichen. Erst zum halben Preis in Westwährung, ab 1951 dann zum Kartenpreis von 25 Pf. (West) gem. einer Weisung des „United States High Commissioner“.
Autor: Bodo Körtge
Literaturnachweis: - Liste der Kinos in Berlin Wedding und Gesundbrunnen, Wikipedia v. 31.1.2019 - Berliner Straßen, Beispiel Wedding, H. Joop, Ed. Hentrich Berlin 1987, S. 73 128 - Der Tagesspiegel v. 18.12.2017, Ein Epos in sich, Thilo Wydra - Der Tagesspiegel v.25.4.2013, Hier endet der alliierte Sektor, Sven Goldmann - Alliierte in Berlin 1945 – 1994, Jeschonnek, Riedel, Durie, BWV 2007, S. 532 - 700 Jahre Wedding, Bruno Stephan, Süssenguth Verlagsgesellschaft Berlin, S. 46 - Boulevard Badstraße, von Oerzten u. Jäger, Edition Hentrich 1993, S. 103 ff. - Broschüre: Bibliothek am Luisenbad 6.2.2019 - Der Tagesspiegel v. 18.12.2017, Fern von Kötzschenbroda, A. Conrad, B. Buchholz - Der Nordberliner v.25.82011, Rechts Lametta, links Lametta und der Bauch wird immer fetta …,C + D Laudahn - Alhambra, Wikipedia v. 4.2.2019
Der Beitrag erschien zunächst in der Panke-Postille, der Zeitschrift des gemeinnützigen Weddinger Heimatvereins e.V.
Ein „vergessenes“ Kino: In der Müllerstraße gab es noch das Kino „Marmorhaus“. Da habe ich Sonntags meine ersten Winnetou-Filme geguckt. Später abgerissen und für das C&A- Gebäude Platz gemacht.
Zum Kino Scala:
Im Kinosaal etablierte sich nach der Schließung ein Beat Club —Cannonball—
An dieser Stelle gab es später einen. Neubau mit Bankfiliale,was sonst auch anderes