In der Beuth Hochschule für Technik wird seit längerem wegen rassistischer Äußerungen des Namensgebers diskutiert. Kürzlich ging es bei einer zweitägigen Tagung wieder um das Thema. Die meisten Teilnehmer standen einer Umbenennung der Weddinger Hochschule offen gegenüber.
Kurz erklärt
Eine studentische Initiative erklärt den ganzen Sachverhalt anhand eines Comics. Der folgende Gastbeitrag von Paul Jerchel zeigt die vielen Facetten der Umbenennungsdebatte in einem längeren Artikel auf.
Die Redaktion
Beuth. Statt der Zukunft?
„Studiere Zukunft in der Stadt der Zukunft!“ ist das Motto der Beuth Hochschule für Technik im Weddinger Kiez. Seit 2009 heißt die feste Größe zwischen Leopoldplatz, Virchow-Klinikum, Brüsseler und Sprengelkiez so. Doch in den vergangenen Monaten holte die Gremien und Interessenvertretungen der Hochschule weit in der Vergangenheit Liegendes ein. Rassismusforscher und Techniksoziologie-Professor Achim Bühl hatte ein Gutachten veröffentlicht. Daraus ging hervor, dass Namensgeber Christian Peter Wilhelm Beuth im Rahmen der Deutschen Tischgesellschaft, eines demokratiefeindlichen Zirkels um 1811, antisemitische und frauenfeindliche Äußerungen von sich gegeben habe. Im Zuge dessen kommentierte er zynisch die Überlegungen, dass auch im Ritual unausgebildete christliche Priester die Beschneidung durchführen sollten: „So wird das Verbluten und Verschneiden manches Judenjungen die wahrscheinliche und wünschenswerte Folge davon sein“. Für den öffentlichen Raum forderte er eine Kennzeichnungspflicht der jüdischen Bevölkerung. Was nach der Veröffentlichung des Gutachtens folgte, gestaltete sich als ein Auf und Ab verschiedenster Forderungen und Positionierungen, die sich zunächst im personell begrenzten Kreis der aktiven Beschäftigten und Studierenden der Hochschule äußerten. Eine Arbeitsgruppe des Akademischen Senats und wiederkehrende Jour Fixe sollten weitere Schritte in Erfahrung bringen. In Beuths Geburtsort Kleve wurde eine Plakette abgehängt; der Beuth-Verlag des Deutschen Instituts für Normung (DIN) erwog eine Aufarbeitung der Person.
Die Vorgeschichte
Das Gutachten Bühls sieht die Deutsche Tischgesellschaft in der Position, den religiös begründeten Antijudaismus des Mittelalters im Zuge der bevorstehenden Demokratiebestrebungen des Vormärz gezielt durch einen „rassisch“ begründeten Antisemitismus erweitert zu haben; Beuth sei damit in gewisser Weise ideologischer Vorvater der Shoah des Dritten Reichs. Ein vom Hochschulpräsidium beauftragtes Gegengutachten fiel zurückhaltender aus; bestätigte aber die Authentizität der Redebeiträge: Beuth sei möglicherweise nur Mitläufer gewesen, der sich mit den Äußerungen als junger Beamter im Staatsdienst die Aussicht auf erhöhten Einfluss und Karriere versprach.
Christian Peter Beuth hatte Gewerbe‑, Steuer- und Ausbildungsreformen für technische Berufe eingeleitet, die dem ehemaligen Agrarstaat Preußen die Konkurrenzfähigkeit im Maschinenbau ermöglichte. Auch eine Lokomotive im Deutschen Technikmuseum trägt dafür ehrenhalber seinen Namen.
Die beiden Gutachten verbreiteten sich innerhalb der Hochschule. Sie wurden bald durch ein Positionspapier des ehemaligen Hochschulpräsidenten ergänzt, der der Hochschule den Namen gab. Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) sprach sich für die Aufarbeitung aus und begann, nach Möglichkeit nur noch die Initialen „BHT“ zu verwenden. Verschiedene Tageszeitungen wurden aufmerksam, berichteten über den Namensstreit, der so in ähnlicher Weise an der Universität Greifswald geführt wurde und dort zehn Jahre andauerte.
Einen Pressespiegel findet man zum Beispiel auf den Seiten der „Initiative zur Umbenennung der Hochschule“ , die über den Professor für Ethik und Unternehmensführung Matthias Schmidt, betrieben werden. Die vorrangig aus Lehrkräften der Hochschule zusammengesetzte Gruppe hat eine Stellungnahme verfasst, die sich für den Spagat aus Würdigung der erbrachten Leistungen und die Ablehnung ethnischer Diskriminierung ausspricht.
Die Tagung
Am 17. und 18. Januar sollte ein zweitägiges internationales Symposium die historischen Umstände der Aussagen Beuths erörtern. Im Vorfeld war der große Beuth-Schriftzug an der Luxemburger Straße mehrmals durch Absperrband, Müllbeutel oder weiße Laken verhüllt wurden. Auf Toiletten und Fahrradständern prangten Anti-Beuth-Sticker. Die abschließende Podiumsdiskussion zur „Herausforderung der Namensgebung von Bildungseinrichtungen“ wurde auf dem hochschuleigenen Online-Portal übertragen, wo mittlerweile alle Beiträge zum Nachsehen eingestellt worden sind.
Auf dem Podium saßen mit Professor Dieter Gloede und Studentin Ronja Marcath je eine Vertretung der Initiative zur Umbenennung der Hochschule sowie der studentischen Initiative für einen schönen Hochschulnamenauf dem Podium. AStA-Vertreter David Czycholl thematisierte unter anderem eine verlangsamte Debattenkultur, die Außenstehenden wie Beteiligten es schwer gemacht habe, sich der Materie zu widmen. Gäste der Universitäten Greifswald und Halle-Wittenberg schilderten ihre Erfahrungen der dort ähnlich zugetragenen Fälle. Der Wissenschaftsjournalist und Blogger Jan-Martin Wiarda moderierte.
Wie die anwesende Presse aber feststellte, war außer des ehemaligen Hochschulpräsidenten kein Verteidiger des Namensgebers auf der Bühne. Die Position des Wirtschaftsingenieurs hatte sich bis zum Tagungsdatum nicht geändert: Die Antisemitismusvorwürfe Beuths würden vor einem „ordentlichen Gericht“ nicht bestehen, sagte er dem Deutschlandfunk. Voreingenommenheit und Unsachlichkeit wird dem emeretierten Professor dafür im Diskurs vorgeworfen, schließlich könne er ohne archivarische oder geschichtswissenschaftliche Ausbildung kaum die bestätigte Authentizität der Schriftstücke und Nachweise anzweifeln, so die Kritiker. Die im Publikum sitzenden Zweitgutachter, bisher eher in deeskalierender und vermittelnder Rolle, positionierten sich eindeutig zur Authentizität der Quellen.
Während des Diskurses wird tatsächlich mehrfach betont, wie sehr die wechselhafte Empirie hinter den Beiträgen das Niveau einer tatsächlich akademisch geführten Debatte vermissen lasse, zugegebenermaßen eine ausbaufähige Kompetenz in einer technischen Hochschule. Auch diese Diskurskultur war es, die das Präsidium veranlasst habe, die betreffenden Dokumente passwortgeschützt nur Hochschulangehörigen zugänglich zu machen, so Präsidentin Monika Gross.. Mittlerweile sind alle Dokumente öffentlich zugänglich gemacht worden.
Auf dem Podium selbst konnte bis zum Schluss kein rechter Kompromiss gefunden werden. Während alle Podiumsgäste die notwendige Sachlichkeit der Diskussion hervorhoben, blieb erkennbar, dass manche von ihnen auch Vorbehalte vor zu raschem Aufbruch hegen. Ein Name, erst vor wenigen Jahren mühsam etabliert, wirkt hier identitätsstiftender, als mancher glauben mag. Und vielleicht sind es auch nur Zweifel über den Weitergang des Verfahrens. Nicht nur, weil eine Umbenennung ins Geld geht. An Alternativvorschlägen für weitere Namensgeber und Namensgeberinnen mangelt es schließlich nicht. Und das obwohl viele die Idee eines neutralen, sachlichen Namens teilen.
Nach Symposium und Ausstellung steht nun eine Online-Umfrage bevor, die bis Ende Januar online unter allen Hochschulangehörigen durchgeführt werden soll. Seit langer Zeit ist im Akademischen Senat die Erstellung eines Ethikkodex‘ (code of conduct) im Gespräch, der die Leitlinien des Zusammenlebens, ‑lernens und ‑lehrens bestimmen soll. Mit ihm soll das bestehende Leitbild der Hochschule, dass sich mit seinem „humanistischen Anspruch“ paradoxerweise gerade auf Beuth beruft, reformiert werden. Aus den Reihen der Studierendenschaft wird hier zeitgleich die Aufnahme einer Zivilklausel gefordert, die militärische Forschung verhindern soll.
Das Danach
Es steht wohl fest, dass die überwiegende Mehrheit der Befürworter einer Weiterführung des Hochschulnamens Beuth nicht wegen seines Antisemitismus‘ ehren möchte. Und sicher erinnert ein Teil der Debatte an einen Grabenkampf, wie man ihn gerade in so viele gesellschaftliche Phänomene hineininterpretieren könnte. Nichtsdestotrotz lässt sich die Frage stellen, inwiefern die Person noch heute als Vorbild für zukünftige Generationen technischer Berufe gelten sollte, deren Einfluss und Verantwortung angesichts raschen technologischen Wandels und steigender Komplexität wächst. Als „Vater der Ingenieurspädagogik“ und der preußischen Industrialisierung hat Beuth sicher Anteil daran gehabt, das zu formen, was ist. Angesichts scheiternder Klimaziele, sozialer Ungleichheit und dem immensen Potential der Anwendung neuer Technologien macht es für alle am Prozess beteiligten vielleicht auch Sinn sich zu fragen, was das ist und was das sein sollte. Das Ausführen dieser Fragen könnte dazu beitragen, Antworten im verfahrenen Prozess zu finden – ohne, dass diese eindeutig mit ihm verbunden wären.
Wichtig scheint hier ein Diskurs, der in den bisherigen Gesprächen am Campus noch kaum geführt wird. Worin besteht das Alleinstellungsmerkmal einer fundierten Hochschulbildung, die vermehrt durch private Bildungsträger und kostenlose Online-Kurse führender Universitäten und Unternehmen in ein Konkurrenzverhältnis tritt? Womit verbringen wir unsere Zeit am Campus, wenn die reine Bereitstellung von Wissen oder Praktiken keine Sicherheit über die spätere Relevanz der erlangten Kenntnisse gibt? Der Frage nach einer Zukunft der Bildung, die soziale und ökologische Perspektiven mit in den Wahrnehmungshorizont einer technischen Ausbildung einschließt, könnte dabei schon mehr Antworten bereithalten als gedacht.
In der Hochschulstruktur verschränkte Nachhaltigkeitsstellen könnten Austausch zwischen verwandten aber organisatorisch getrennten Stellen schaffen und bei Fragestellungen und gemeinsamen Reformansätzen vermitteln, Verwaltung entlasten. Studentische Lehre kann helfen, die Reflektion von neu Erlerntem zu vertiefen, charakterliche Stärken der Studierenden kenntlich zu machen und neue Eindrücke in den Lehralltag einzubringen, der zu tagesaktuell forschungsrelevanten Ansätzen führen kann. Die Verwendung offener Lehrmaterialien und Mitarbeit von Studierenden in der Durchführung und Publikation relevanter Ergebnisse kann den Zugang und die „Explosion“ des Wissens fördern, wie sie von vermeintlichen „tech evangelists“ seit Jahren gepredigt wird.
Initiativen wie der jährliche „Kieznerds“-Tag zeigen schon heute, wie Wissen und Erfolge niedrigschwellig im Berliner Kiez geteilt werden könnten. Mit Reallaboren öffnen sich Wissenschaftler und Forscherinnen den Menschen vor ihrer Haustür und entwickeln gemeinsam Lösungsansätze für Hindernisse vor Ort. Die Verstetigung offener Laborstrukturen (fab labs) ermöglicht, innovative Produktentwicklung zum Standardprozess der anwendungsnahen Wissenschaften zu machen. Neue, zeitlich unabhängigere Prüfungsformen und allzeit verfügbares Wissen durch den geschickten Einsatz digitaler Medien versprechen, das Paradigma der angewandten Wissenschaften als Chance zu begreifen zu können, von Beginn an der Ansprache konkreter globaler und lokaler Probleme arbeiten zu können, ohne dabei die solide fachliche Qualifikation zu vernachlässigen. Studierende entwickeln Robotik-Anwendungen von morgen und starten gemeinsam vielversprechende Unternehmen und gemeinnützige Start-Ups.
Erste Grundsteine sind bereits gelegt: Der neu gestaltete Zeppelinplatz im Brüsseler Kiez wurde durch Studierende und Lehrkräfte der Hochschule gestaltet, Studierenden haben einen kostenlosen Lastenradverleih für Campus und Kiez entwickelt und Ehemalige wie der Architekt Van Bo Le-Mentzel entwickeln Lösungen für die sozialverträgliche und klimagerechte Stadt. Nachhaltigkeitsbezogene Module und Studiengänge haben in den vergangenen Jahren einen Erfahrungsschatz und exzellentes Wissen um Anwendung und Vermittlung guter, aktueller Lehre aufgebaut, die es mit dem breiten Fächerspektrum zu teilen gilt. Fachübergreifende Kooperationen sparen Ausgaben und ermöglichen Win-Win-Situationen – auch über die aktiven Parteien hinaus. Und wenn dann noch irgendwann ein Flughafen öffnet, kann weiter nach vorn geschaut werden.
Diese Ideen und erste Ansätze existieren bereits und zahlreiche Personen sind daran beteiligt, haben Lust, dieses Selbstverständnis zu diskutieren und gemeinsam weiterzuentwickeln. Ob eine solche Hochschule sich dann noch mit einem zum Antisemitismus verleiteten Vordemokraten assoziieren ließe? Wer weiß.
Paul Jerchel ist Student der Beuth-Hochschule und kommissarischer Sprecher der Studierendeninitiative Rat für Zukunftsweisende Entwicklung [https://rze-bht.de/] (RZE) zur „Reflektion und Innovation in Forschung, Lehre und Gesellschaft“. Die Mitglieder veranstalten dazu öffentliche Veranstaltungen und richten eine studentische Lehrveranstaltung aus. Seine Mitglieder haben schon mehrfach für den Weddingweiser geschrieben; u.a. zu Forschungseinrichtungen in Weddinger Kiezen.