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Straßenumbenennung: Pro und Contra zum Juryverfahren

22. Juni 2017
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Afrikanisches Viertel, Kameruner Straße Ecke Togostraße
Kame­ru­ner Stra­ße Ecke Togostraße

Zum Ver­fah­ren, wie die Vor­schlä­ge für neue Stra­ßen­na­men im Afri­ka­ni­schen Vier­tel erar­bei­tet wur­den, hat es viel Kri­tik gege­ben. Die Anwoh­ner sei­en nicht betei­ligt, Bür­ger­vor­schlä­ge igno­riert und Wis­sen­schaft­ler nicht invol­viert wor­den, so die Vor­wür­fe. Dani­el Gol­l­asch vom Kreis­vor­stand Mit­te von Bünd­nis 90/Die Grü­nen ver­tei­digt das Vor­ge­hen der Jury, die nur aus­ge­führt habe, was das Bezirks­par­la­ment beschlos­sen hat. Anwoh­ner Joa­chim Faust wünscht sich jedoch eine Auf­ar­bei­tung des Jury­ver­fah­rens, eine unzwei­fel­haf­te Namens­ge­bung und einen bür­ger­na­hen Umgang mit den Betroffenen.

Pro: Die Jury hat nur ihren Auftrag erfüllt

“Nach jah­re­lan­ger Debat­te wird vom Bezirks­amt nun end­lich der von einer brei­ten Mehr­heit in der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung (BVV) im März 2016 gefass­te Beschluss umge­setzt. Die­ser for­der­te unter Bür­ger­be­tei­li­gung Umbe­nen­nungs­vor­schlä­ge zu erar­bei­ten, die Per­sön­lich­kei­ten, ins­be­son­de­re Frau­en, der (post)kolonialen Befrei­ungs- und Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung Afri­kas ehren. Eine Jury bestehend aus Bezirks­amt, Bezirks­ver­ord­ne­ten, Mit­glie­dern der afrikanischen/postkolonialen Com­mu­ni­ty und wei­te­ren Initia­ti­ven soll­te die Namen aus­wäh­len. Und nichts ande­res hat die­se Jury dann auch getan.

Besuchergruppe an der Sansibar-/LüderitzstraßeDer Umgang der Jury mit den Bür­ger­vor­schlä­gen stößt nun auf brei­te media­le Empö­rung, an der sich auch der Wed­ding­wei­ser betei­lig­te. Kri­ti­siert wur­de vor allem, dass die am häu­figs­ten genann­ten Bür­ger­vor­schlä­ge von der Fach­ju­ry nicht berück­sich­tigt wur­den. Dar­aus den Vor­wurf abzu­lei­ten, die Jury wür­de den Bür­ger­wil­len igno­rie­ren, ist ja absurd. Eine Jury ist zum Aus­wäh­len und nicht zum Aus­zäh­len da!

Der sehr häu­fig genann­te Vor­schlag, eine Stra­ße nach Nel­son Man­de­la zu benen­nen, ist recht­lich nicht mög­lich, da er noch nicht lan­ge genug tot ist. Und mal ehr­lich: Man fin­det für ihn sicher bald eine ange­mes­se­ne­re Wür­di­gung als eine Sei­ten­stra­ße in nörd­lichs­ten Wed­ding. Vor­schlä­ge nach Benen­nung durch afri­ka­ni­sche Städ­te oder Län­der waren durch den Beschluss der BVV nicht abgedeckt.

Auch den Vor­wurf der Intrans­pa­renz ist bei genau­em Hin­se­hen nicht halt­bar. Ger­ne stel­le ich noch­mal chro­no­lo­gisch den Weg des Ver­fah­rens dar: Bereits am 7. Febru­ar infor­miert die zustän­di­ge Bezirks­stadt­rä­tin Sabi­ne Weiß­ler aus Anlass der Beant­wor­tung einer Ein­woh­ner­an­fra­ge und einer Gro­ßen Anfra­ge die BVV über den Stand des Ver­fah­rens. Am 25. Febru­ar ende­te die Mel­de­frist für Vor­schlä­ge. Das Mitt­e­Mu­se­um recher­chiert unmit­tel­bar danach ers­te Infor­ma­tio­nen dazu. Mit post­ko­lo­nia­len und wei­te­ren Initia­ti­ven, mit denen im drei­jäh­ri­gen Pro­jekt Lern – und Erin­ne­rungs­ort gesam­melt wur­den, unter­brei­tet die Volks­hoch­schu­le eine Vor­schlags­lis­te für Jury­mit­glie­der, der die Bezirks­stadt­rä­tin folgt. Am 3. März wer­den die mög­li­chen Jury­mit­glie­der ein­ge­la­den. Die Bezirks­stadt­rä­tin bit­tet die Anwoh­ner­initia­ti­ve „Initia­ti­ve Pro Afri­ka­ni­sches Vier­tel“ eben­falls der Jury bei­zu­tre­ten, aber ihr Spre­cher Herr Ganz lehnt die Teil­nah­me ab.

Am 22. März fin­det die ers­te Jury­sit­zung statt, auf der 190 Namens­vor­schlä­ge von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern oder Initia­ti­ven bera­ten wur­den. Die Jury beschließt für die Dau­er ihrer Arbeit Ver­trau­lich­keit. Nicht auf Drän­gen von Stadt­rä­tin Weiß­ler, wie oft fälsch­li­cher­wei­se behaup­tet, son­dern als gemein­sa­me Ver­fah­rens­ent­schei­dung. Die Jury tagt acht Mal. Im Lau­fe ihrer Arbeit ent­wi­ckelt sie fol­gen­de Kri­te­ri­en, nach denen sie die Vor­schlä­ge beur­teilt: Der Name setzt den Beschluss der BVV um und geht aus der Vor­schlags­lis­te her­vor. Es han­delt sich um den Namen einer her­aus­ra­gen­den Per­son, die lang­an­hal­tend im Wider­stand gegen Kolo­nia­lis­mus /Rassismus aktiv. Sie hat mit ihrem Wir­ken Maß­stä­be gesetzt. Ihre Geschich­te und ihre Wider­stands-Akti­vi­tä­ten sind aus­rei­chend doku­men­tiert. Sie ist eine inter­na­tio­nal, vor allem auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent, bei der afri­ka­ni­schen Dia­spo­ra oder von der UNESCO aner­kann­te Per­son. Zusätz­lich zur Vor­ga­be der BVV: Sie hat einen Bezug zur deut­schen Kolo­ni­al­ge­schich­te und ihren Wirkungen.

Mit der Sit­zung vom 30. Mai steht ein Vor­schlag für sechs Namen fest. Die Jury hebt die Ver­trau­lich­keit zu Ergeb­nis und Mit­glie­dern auf. Am Tag dar­auf wird die Pres­se über die Jury­mit­glie­der, ihre Emp­feh­lun­gen und die Bio­gra­fien der Namens­ge­ben­den informiert.

Für mich sieht die Sach­la­ge nun so aus. Die Jury ist ihrer Auf­ga­be gerecht gewor­den, sechs Namen anhand fach­li­cher Kri­te­ri­en aus den Bür­ger­vor­schlä­gen aus­zu­wäh­len. Inzwi­schen hat dies auch der Kul­tur­aus­schuss fest­ge­stellt und beschlos­sen, die Vor­schlä­ge Wis­sen­schaft­lern vor­zu­le­gen, die ihrer­seits Vor­schlä­ge machen sol­len. Die­se Ergeb­nis­se wer­den anschlie­ßend der BVV vorgelegt.

Wenn nun Ver­tre­ter von Par­tei­en die Jury und die grü­ne Stadt­rä­tin Weiß­ler dafür kri­ti­sie­ren, dass sie dem Ver­fah­ren gefolgt sind, das sie selbst beschlos­sen haben, ist das unred­lich.  Ich freue mich jeden­falls mit den post­ko­lo­nia­len Initia­ti­ven, dass im Wed­ding zukünf­tig kei­ne Kolo­ni­al­ver­bre­cher mehr geehrt werden.”

Autor: Dani­el Gollasch

Contra: Aus Fehlern lernen und es besser machen

“Wir haben in den letz­ten Wochen in Sachen Stra­ßen­um­be­nen­nung gelernt: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Der Beschluss der BVV, nach jah­re­lan­gen Dis­kus­sio­nen, der Auf­stel­lung einer Info­ta­fel und der Ent­wick­lung eines Lern- und Gedenk­or­tes nun die Stra­ßen­um­be­nen­nun­gen für den Nach­ti­gal­platz, die Lüde­ritz­stra­ße und die Peter­s­al­lee vor­zu­neh­men, zeugt von ech­tem poli­ti­schem Wil­len. Das ist zu begrü­ßen. Auch, dass sich das Bezirks­amt an die Vor­ga­be gehal­ten hat, eine Jury ein­zu­be­ru­fen, die die 196 Anwoh­ner-Vor­schlä­ge ein­ge­hend geprüft hat. Erst als die Arbeit der geheim tagen­den Jury been­det war, erwies sich das Ergeb­nis als eine schwe­re Bla­ma­ge für alle Betei­lig­ten. Der Tages­spie­gel deck­te die Iden­ti­tät der Jury­mit­glie­der vor­zei­tig auf, die Namens­wahl selbst barg dann jede Men­ge Zünd­stoff und den Anwoh­nern wur­de der von ihnen allein zu tra­gen­de Ver­wal­tungs­auf­wand erst jetzt so rich­tig bewusst. Dass die Infor­ma­tio­nen nur kleck­er­wei­se über die Pres­se ans Tages­licht gelang­ten, war eben gera­de kein Para­de­bei­spiel für behörd­li­che Trans­pa­renz. Der gan­ze Vor­gang geriet immer mehr zur Lokal­pos­se, auf die sich die Medi­en genüss­lich stürz­ten, was die gan­ze Umbe­nen­nung in Miss­kre­dit brachte.

Hin­ter­her ist man immer klü­ger, heißt es so schön.

Schwamm drü­ber. Jetzt bleibt zu hof­fen, dass von Sei­ten des Bezirks auch die Leh­ren aus dem miss­glück­ten Jury­ver­fah­ren gezo­gen wer­den. Der zustän­di­ge BVV-Aus­schuss für Bil­dung und Kul­tur hat ver­stan­den, dass das Ver­fah­ren bis­lang alles ande­re als trans­pa­rent war. Bür­ger­be­tei­li­gung ist eben kein ein­fa­cher Pro­zess und soll­te für Poli­ti­ker immer auch als Lern­pro­zess ver­stan­den wer­den. Kri­tik am Ver­fah­ren ist nicht gleich ein Infra­ge­stel­len der Legi­ti­ma­ti­on des Ver­fah­ren als sol­ches! Wenn jetzt aus den Feh­lern gelernt wird, muss es end­lich sach­lich weitergehen.

Damit auch wirk­lich fach­lich fun­dier­te Namens­vor­schlä­ge zum Zuge kom­men, die kei­ne zwei­fel­haf­ten Per­so­nen mehr beinhal­ten, sol­len wis­sen­schaft­li­che Stel­lung­nah­men ein­ge­holt wer­den. Dazu kann jede Frak­ti­on eine Wis­sen­schaft­le­rin bzw. einen Wis­sen­schaft­ler vor­schla­gen. Hof­fent­lich sind dies­mal aus­ge­wie­se­ne His­to­ri­ker dabei. Die­se Stel­lung­nah­men wer­den öffent­lich vor­ge­stellt. Bezü­ge zur deut­schen Kolo­ni­al­ge­schich­te wer­den beson­ders gewer­tet – eini­ge der von der Jury vor­ge­schla­ge­nen Per­so­nen hat­ten näm­lich damit abso­lut nichts zu tun. Eine neue Jury soll es aber nicht geben.

Was dem Aus­schuss auch wich­tig ist: für die Anwoh­ne­rin­nen und Anwoh­ner und die Gewer­be­trei­ben­den soll es ein mög­lichst unkom­pli­zier­tes Pro­ze­de­re (best-Prac­ti­ce-Erfah­run­gen) bei den erfor­der­li­chen Ummel­dun­gen geben. Hier wird end­lich nach­ge­bes­sert und ein­ge­stan­den, dass die Anwoh­ner beson­ders belas­tet wer­den. Bit­te die Betrof­fe­nen auch zu Betei­lig­ten machen!

Jetzt wäre es auch schön, wenn bei den Vor­schlä­gen auch dar­auf geach­tet wird, dass es dies­mal bei den neu­en Namen kei­ne his­to­ri­schen Unklar­hei­ten gibt. Viel­leicht ist der ein oder ande­re Vor­schlag aus den Rei­hen der Anwoh­ner doch noch einen zwei­ten Blick wert. Außer­dem soll­te unbe­dingt auch noch ein­mal dar­über nach­ge­dacht wer­den, ob es wirk­lich eine klu­ge Idee war, nur Per­so­nen als Namens­ge­ber zuzu­las­sen. Zu ris­kant ist es, dass die Taten und Wor­te des Namens­ge­bers oder der Namens­ge­be­rin erneut Anlass für Strei­tig­kei­ten sind und kei­ne Ruhe in die Debat­te kommt.

Dar­um fin­de ich: Namen von Volks­grup­pen (wie die Here­ro), Städ­ten oder Län­der­na­men (wie Nami­bia) soll­ten end­lich die wich­tigs­te Dis­kus­si­ons­grund­la­ge sein.”

Autor: Joa­chim Faust

 

6 Comments Leave a Reply

  1. Herr Schep­ke bringt hier Ursa­che uns Wir­kung erheb­lich dirch­ein­an­der. Die Debat­te ist doch gera­de wegen der feh­len­den Öffent­lich­keit so hef­tig! Die Grü­nen, sonst in Sachen Bür­ger­be­tei­li­gi­ung qua­si die Robin Hoods der Par­tei­en­land­schaft, ver­wei­gern gera­de den betrof­fe­nen Anwoh­nern eine ihnen zuste­hen­de Mit­wir­kung. Bür­ger­be­tei­li­gung also nach dem Mot­to: Nur wenn wir sie wol­len, und wie wir sie wol­len! Die Grü­nen haben ich selbst entlarvt!

  2. Ja super – gera­de ein Dani­el Gol­l­asch ( Grü­ne Wed­ding ) schreibt nun hier sein Statement !
    Bei mei­nem Besuch im Grü­nen­bü­ro Wed­ding in der Mal­plaquetstras­se zu die­ser The­ma­tik “Stras­sen­um­be­nen­nung ” stritt er vehe­ment ab, an die­sem Pro­zeß betei­ligt zu sein bzw. mit­zu­ma­chen ! Er sei da nicht zustän­dig und auch nicht der rich­ti­ge Ansprech­part­ner ( Obwohl er und ein Herr Urbatsch mit einem Foto ganz aktu­ell auf der Internetseite:“Gruene Mit­te ” zu sehen sind, wie bei­de ein neu­es Namens­schild über das Namens­schild Lüde­ritz­stras­se hal­ten- unglaub­lich – aber eben doch wahr ! Die Quit­tung dafür wird es dann im Sep­tem­ber bei den Wah­len geben.…
    Da hat der Grü­ne Moritz Ber­ger Recht( sie­he Kom­men­tar 12.06. 2017 ) daß bei den Grü­nen “Alz­hei­mer um sich greft ” !

  3. Dan­ke für die umfang­rei­che Dar­stel­lung des Verfahrens.
    Die selbst gewähl­te Ver­trau­lich­keit über die Mit­glie­der der Jury ist mehr als ver­ständ­lich, wenn man sieht, wie teil­wei­se die Debat­te geführt wird.
    Eine mas­si­ve exter­ne Beein­flus­sung der Mit­glie­der woll­ten die­se damit verhindern.

    • Bür­ger­be­tei­li­gung ist doch letzt­lich in vie­len Bereich nur ein Lip­pen­be­kennt­nis oder ??
      Und Bür­ger­be­tei­li­gung ist lei­der nicht nur ein Lern­pro­zess für die Poli­ti­ker son­dern auch für die Bür­ger oder?
      Dass heißt ganz konkret:
      Wer kennt sei­nen Abge­ord­ne­ten in der BVV oder im Abge­ord­ne­ten­haus oder im Bundestag?
      Und wer war ein­mal im Bür­ger­bü­ros der jewei­li­gen Abgeordneten?
      Dass heißt wenn wir Bür­ger­be­tei­li­gung wol­len, dür­fen wir nicht dar­über reden, son­dern müs­sen uns selbst beteiligen.

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