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Zwischen mehr und scheinbar mehr: Neue Regeln fürs Bürgerwort

24. November 2016
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Die Leitlinien zu Beteiligung in Mitte stehen zur Diskussion. Foto Andrei Schnell.
Die Leit­li­ni­en zu Betei­li­gung in Mit­te ste­hen zur Dis­kus­si­on. Foto: And­rei Schnell

Da gehört der Bezirk Mit­te ein­mal zur Spit­zen­grup­pe. Als eine der ers­ten Kom­mu­nen in Deutsch­land gibt sich der Bezirk Regeln, wie Bür­ger in Zukunft mit­ent­schei­den kön­nen. Es besteht die Hoff­nung, dass die Leu­te bald mehr zu sagen haben wer­den. Es liegt ein ers­ter Ent­wurf der neu­en “Leit­li­ni­en für gute Bür­ger­be­tei­li­gung” vor. Die­se neu­en Regeln kön­nen am 25. Novem­ber in einer so genann­ten Bür­ger­werk­statt im Rat­haus dis­ku­tiert wer­den. Die­ser Arti­kel nennt Punk­te, an denen sich ent­schei­det, ob damit ein erns­tes Ange­bot im Raum steht oder ob sich die Ver­wal­tung nur mit einer wei­te­ren büro­kra­ti­sche Hür­de selbst beschenkt. Wer am 25. zur Bür­ger­werk­statt geht, der hat es in der Hand.

Leitlinien für Bürgerbeteiligung in Mitte

Der BVV-Saal befindet sich im Rathaus in der Karl-Marx-Allee. Foto Andrei Schnell.
Der BVV-Saal befin­det sich im Rat­haus in der Karl-Marx-Allee. Foto: And­rei Schnell

Ein hoff­nungs­vol­les Zei­chen ist, dass in dem Ent­wurf das Wort ver­bind­lich auf­taucht. Immer­hin zehn Mal. Die Ergeb­nis­se einer soge­nann­ten Bür­ger­be­tei­li­gung sol­len künf­tig nicht als blo­ße zeit­rau­ben­de Anhö­rung ver­stan­den werden.

Posi­tiv ist auch, dass die Anläs­se für Mit­spra­che nicht aus­schließ­lich von Poli­tik oder Ver­wal­tung benannt wer­den kön­nen. Auch die Bür­ger selbst kön­nen laut Ent­wurf beschlie­ßen, dass sie mit­re­den wollen.

Neu ist, dass ein soge­nann­tes Büro für Bür­ger­be­tei­li­gung ein­ge­rich­tet wer­den soll. Im Ent­wurf ist unklar, ob die­ses Büro frei schwebt wie die unzäh­li­gen Beauf­trag­ten (für Daten­schutz, Inte­gra­ti­on, Gleich­stel­lung und und und). Eben­falls schwam­mig ist, auf wel­cher Trep­pen­stu­fe beim Weg zu einem Beschluss das neue Büro ein­greift. Hat das letz­te Wort also der Bür­ger­meis­ter, die Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung, die Ver­wal­tung – oder das neue Büro?

Im Ent­wurf fin­det sich nir­gend­wo der Satz, dass die “Ver­wal­tung Dienst­leis­ter für den Bür­ger” ist.  Auch der Begriff “ler­nen­de Ver­wal­tung” fehlt. Im Hand­buch zur Par­ti­zi­pa­ti­on, das der Ber­li­ner Senat 2012 für die Ver­wal­tung geschrie­ben hat, sind dage­gen bei­de For­mu­lie­run­gen zen­tral. Sie müss­ten im Ent­wurf der Leit­li­ni­en ins “Kapi­tel 2 Ver­ständ­nis von guter Bür­ger­be­tei­li­gung” ein­ge­fügt werden.

Ein belieb­tes Argu­ment der Ver­wal­tung, um Bür­ger­be­tei­li­gung kalt zu stel­len, ist bekannt­lich, dass die Bür­ger sich zu einem frü­hen Zeit­punkt nicht inter­es­siert hät­ten. Hier schreibt der Ent­wurf nicht ein­deu­tig fest, dass auch noch zu einem spä­te­ren Zeit­punkt, wenn die Trag­wei­te eines Beschlus­ses deut­lich wird, noch eine Bür­ger­be­tei­li­gung mög­lich ist.

Wie Bürgerbeteiligung etwas Neues sein kann

Office, Büro, Verwaltung. Foto Andrei Schnell.
Office, Büro, Ver­wal­tung. Foto: And­rei Schnell

Im Bezirk Mit­te kön­nen Bür­ger an vie­len Stel­len schon heu­te mit­re­den – oder zumin­dest anwe­send sein. In einem Kon­zept zur Bür­ger­be­tei­li­gungs­kul­tur vom Sep­tem­ber 2015 wer­den sei­ten­wei­se Mög­lich­kei­ten genannt, wie Bür­ger schon heu­te mit­re­den kön­nen. Genannt wer­den Stadt­teil­ver­tre­tun­gen, das Bau­plan­ver­fah­ren oder auch Kin­der­ju­rys und vie­les mehr. Aller­dings wer­den gera­de die­se bekann­ten Mög­lich­kei­ten der Mit­spra­che bis­wei­len kri­ti­siert. Der Vor­wurf lau­tet, bei die­sen For­men han­de­le sich um Schein­be­tei­li­gung. Len­ken wür­den im Hin­ter­grund jene, die aus jah­re­lan­ger Erfah­rung wis­sen, wie der Hase läuft.

Etwas Neu­es wür­den die Leit­li­ni­en schaf­fen, wenn das Ungleich­ge­wicht zwi­schen Ver­wal­tung und Bür­ger aus­ge­gli­chen wür­de. Bis­her tref­fen Men­schen, für die Vewal­tung Beruf ist, auf Men­schen, die sich in ihrer Frei­zeit auf kom­ple­xe Fra­gen und noch kom­pli­zier­te­re Ver­wal­tungs­we­ge ein­stel­len. Der Ent­wurf gibt immer­hin den Wunsch an, dass Bür­ger­be­tei­li­gung ergeb­nis­of­fen sein sol­le. Regeln, die die Bür­ger in einer Aus­ein­an­der­set­zung stär­ken wer­den, sind im Ent­wurf noch nicht benannt.

Etwas Neu­es wäre es übri­gens auch, wenn sicher gestellt wird, dass nicht Berufs­nörg­ler das Heft an sich rei­ßen. Auch muss bedacht wer­den, dass es The­men gibt, wo die meis­ten Leu­te nichts dazu bei­tra­gen wol­len – die Leit­li­ni­en soll­ten als Ange­bot für den Fall der Fäl­le for­mu­liert sein.

Schwieriges Verhältnis: Bürger und Verwaltung

Die ler­nen­de Ver­wal­tung ist in Ber­lin erklär­tes poli­ti­sches Ziel wie es im oben bereits erwähn­ten Hand­buch im Jahr 2012 heißt. Aus­drück­lich heißt es, die Ver­wal­tung sol­le ler­nen, für die Bür­ger Dienst­leis­ter zu sein. Der dama­li­ge Sena­tor für Stadt­ent­wick­lung (heu­te Regie­ren­der Bür­ger­meis­ter) Micha­el Mül­ler schrieb der Ver­wal­tung ins Stamm­buch: “Par­ti­zi­pa­ti­on lohnt sich”. Denn offen­bar hat weni­ger die Poli­tik als viel­mehr die Ver­wal­tung Berüh­rungs­ängs­te mit dem mit­re­den­den Bür­ger. Im Hand­buch heißt es, die Ver­wal­tung sähe “an vie­len Stel­len” in der Ein­bin­dung von Bür­gern “einen Fremd­kör­per oder ein stö­ren­des Ele­ment, eine Art Luxus, den man sich aus­nahms­wei­se leis­tet, oder gar ein not­wen­di­ges Übel”.

Die­ses Urteil bestä­tigt sich aktu­ell. So for­der­te die Ver­wal­tung – zum Glück ver­geb­lich – , die neu zu erar­bei­ten­den Leit­li­ni­en müs­sen zunächst von den Fachäm­tern geprüft wer­den. So steht es im Pro­to­koll. Mit ande­ren Wor­ten: Die Ver­wal­tung wünscht sich, dass sie zunächst ent­schei­det und anschlie­ßend der Bür­ger zustimmt. Hier muss die Ver­wal­tung, die nicht durch Wah­len legi­ti­miert ist, noch viel lernen.

Hintergrund: Warum werden die Leitlinien erarbeitet

Der Deut­sche Städ­te­tag hat am 7. Novem­ber 2013 ein The­sen­pa­pier zur Wei­ter­ent­wick­lung loka­ler Demo­kra­tie beschlos­sen. Dort heißt es “die Ein­be­zie­hung der Bür­ger in die Auf­ga­ben der ört­li­chen Gemein­schaft ist der Kern kom­mu­na­ler Selbst­ver­wal­tung”. Der Bezirk Mit­te ver­sucht nun, die­ses Ziel zu errei­chen. Die Begrün­dung, war­um die­ses Ziel wich­tig ist, erklärt mit vie­len lau­ni­gen For­mu­lie­run­gen und mit ver­ständ­li­chen Wor­ten Claus Leg­ge­wie in sei­nem Büch­lein Die Kon­sul­ta­ti­ve. Mehr Demo­kra­tie durch Bür­ger­be­tei­li­gung. Leg­ge­wie begrün­det, wie durch Mit­spra­che an kon­kre­ten Fra­gen der soge­nann­ten Poli­tik­ver­dros­sen­heit (er sagt nicht Ver­wal­tungs­ver­dros­sen­heit) begeg­net wer­den kann.

Bei bis­lang drei Ter­mi­nen haben Bür­ger, Poli­tik und Ver­wal­tung in Mit­te einen umfang­rei­chen Vor­schlag auf­ge­schrie­ben, wie künf­tig in Mit­te Bür­ger bei Ein­zel­fra­gen mit­ent­schei­den sol­len. In der Prä­am­bel heißt es, das Ziel sei es “Bür­ger­be­tei­li­gung zu ver­tie­fen, zu ver­bes­sern und zu stärken”.

Der BVV-Saal befindet sich im Rathaus in der Karl-Marx-Allee. Foto Andrei Schnell.

Mitreden

Dis­ku­tiert wird der Ent­wurf der neu­en Leit­li­ni­en am 25. Novem­ber im Rat­haus Mit­te von 16 bis 20 Uhr bei einer Bür­ger­werk­statt im BVV-Saal. Jeder ist dazu eingeladen.

Wer nur kom­men­tie­ren will, kann dies online auf mein.berlin.de tun.

LINKS
Der Ent­wurf der Leit­li­ni­en mit Mög­lich­keit zum Kom­men­tar bie­tet mein.berlin.de.
Die bis­he­ri­gen Doku­men­te zur Erar­bei­tung der Leit­li­ni­en fin­den sich auf Web­sei­te des Bezirksamts.
Das “The­sen­pa­pier zur Wei­ter­ent­wick­lung loka­ler Demo­kra­tie” ste­hen auf den Sei­ten des Deut­schen Städ­te­ta­ges.
Wie Städ­te und Gemein­den in Deutsch­land sich Leit­li­ni­en zur Bür­ger­be­tei­li­gung geben, doku­men­tiert das Netz­werk Bürgerbeteiligung.

Text und Fotos: And­rei Schnell

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

2 Comments Leave a Reply

  1. Mehr Bür­ger­be­tei­li­gung durch neue Leitlinien?

    Das ist aber sehr büro­kra­tisch gedacht. In allen ande­ren Bun­des­län­dern ist das poli­tisch schon weit­ge­hen­der gere­gelt. Da gibt es näm­lich in den Kom­mu­nen auch Orts- oder Stadt­teil­bei­rä­te. Zum Bei­spiel in Bochum, das mit 365.000 Ein­woh­nern nur wenig klei­ner als Ber­lin-Mit­te ist, aber sechs Stadt­be­zir­ke mit gewähl­ten Stadt­be­zirks­rä­ten vor­weist. Mün­chen (1,45 Mio Ein­woh­ner) hat 25 Stadt­tei­le mit gewähl­ten Anwoh­ner­ver­tre­tern. Stutt­gart (624.000 Ein­woh­ner) 23 Stadt­be­zir­ke, deren “Bezirks­bei­rä­te” vom Gemein­de­par­la­ment vor­ge­schla­gen und vom Ober­bür­ger­meis­ter bestellt wer­den. Leip­zig (560.000 Ein­woh­ner) hat 14 gewähl­te Ort­schafts­rä­te, Frank­furt am Main (733.000 Ein­woh­ner) 16 gewähl­te Orts­bei­rä­te, Han­no­ver (532.000 Ein­woh­ner) 13 gewähl­te Stadt­be­zirks­rä­te, Bre­men (557.000 Ein­woh­ner) 22 gewähl­te Stadtteilparlamente.
    Nur Ham­burg tanzt aus der Rol­le. Es hat bei 1,79 Mio Ein­woh­nern nur 7 Stadt­be­zir­ke, die alle etwas klei­ner sind als die Ber­li­ner Bezir­ke. Die dor­ti­gen Bezirks­ver­samm­lun­gen beru­fen “Regio­nal­aus­schüs­se” für ein­zel­ne Stadt­tei­le, die zur Hälf­te mit Bür­ger­de­pu­tier­ten besetzt sind, Ham­burg-Mit­te (280.000 Ein­woh­ner) hat zum Bei­spiel vier sol­cher Ausschüsse.

    Soll­te man nicht in Ber­lin-Mit­te nicht wenigs­tens die­sem Bei­spiel fol­gen und für die zehn Bezirks­re­gio­nen eige­ne Regio­nal­aus­schüs­se bil­den? Oder wen­gis­tens für die vier “Pro­gno­se­räu­me”. Dort könn­te dann auch dar­über ver­han­delt wer­den, wo kon­kret Ver­fah­ren zur Bür­ger­be­tei­li­gung ange­setzt wer­den sol­len. Die BVV Mit­te hat dazu gar nicht den Überblick!

    • Wenn wir den Koali­ti­ons­ver­trag rich­tig lesen, dann ist in den nächs­ten fünf Jah­ren nicht damit zu rech­nen, dass wenigs­tens die Bezir­ke mehr zu ent­schei­den haben wer­den. Auf noch klei­ne­rer Ebe­ne wird es wahr­schein­lich kei­ne gewähl­ten Bei­rä­te geben. Die Koali­ti­on will immer­hin die Sozi­al­räu­me (“Bezirks­re­gio­nen”) stär­ken – also Betei­li­gung statt Wah­len. Es ist aber nicht aus­ge­schl­so­sen, dass aus Betei­li­gung ein­mal gewähl­te Aus­schüs­se oder gewähl­te Bei­rä­te werden.

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