Es gibt ein Thema, das im Weddingweiser oft und prominent angekündigt wird. Die Rede ist von Bars und Restaurants. Dass man in vielen Bars und Restaurants Live-Musik hören kann, geht aber gut und gerne an den meisten vorbei. Erste Anlaufstelle ist die kiezweit bekannte Kleinkunst-Oase Ernst. Musik spielt aber nicht nur dort. Die letzte gute Gelegenheit hervorragende Live-Konzerte zu erleben, bot sich im Rahmen der unverblümt-Expeditionen durch den Weddinger Kulturdschungel. Start- und Endpunkt lagen im ehemaligen Krematorium an der Gerichtstraße. Das in silent green Kulturquartier umgetaufte Projekt öffnet in regelmäßigen Abständen seine weltlichen Pforten und kuratiert mithilfe engagierter Freiwilliger Nachwuchsbands und die hiesige Künstlerszene.
Wer dort war, kann sich glücklich schätzen, ein besonderes Bandprojekt miterlebt zu haben. Denn Yunas Orchestra betreten musikalische Pfade, die bis jetzt nur wenige betreten. Aushängeschild der Gruppe sind die bühnenzentrierten, locker arrangierten Live-Produktionen elektronischer Musik. Was den einen jetzt sofort an satte Bässe und einen geraden four-to-the-floor-Beat träumen lässt, offenbart sich in Wirklichkeit als Kollektiv, das seine Musik irgendwo zwischen Nu-Jazz, Funk und dem Soundtrack eines 80er-Jahre-Detektivfilms ansiedelt. So fließend wie die drei momentanen Bandmitglieder Genres interpretieren, so fließend verhält es sich letztendlich mit den eigenen Grenzen der Band.
Jonas – Initiator der Projekts – mag sich produktionstechnisch weder auf ein enges Songkorsett festschnüren, noch würde er die Band als eigentliche Band bezeichnen. Ja, es gibt wohl einen operativen Kern, der aus dem Wahlweddinger Jonas Nordholt (Synthesizer, Trompete), Stephan Zunhammer (Synthesizer), Christian Wieland (Gitarre) besteht. Aber wie es sich für jazzaffine Musiker gehört, wäre es schade, sich ausschließlich auf den eigenen ausgetrampelten Pfaden zu bewegen. Manchmal braucht es neue Wegbegleiter und andere Perspektiven. Yunas Orchestra könnte man deswegen auch als musikalische Pfadfinder verstehen. Variation bleibt maßgebendes kreatives Element. Was seinen Ursprung in gemeinsamen Jam-Sessions fand, hat sich mittlerweile zu zwei EP’s materialisiert. Gerade weil die „Band“ damit noch lange kein ganzes Konzert bestreiten könnte, bleiben die Live-Variationen ein essentielles Element in der musikalischen Praxis.
Trotzdem motiviert die Herausforderung Plots in einer knackigen Songstruktur zu „erzählen“. So geschehen auf der aktuellen gleichnamigen EP Yunas Orchestra, aufgenommen in Jonas Weddinger Homestudio. Die enge Liebesbeziehung der Truppe zu ihren Keyboards, der Trompete, Percussions und dem takt- und maßgebenden Modularsynthesizer gebiert groovige Rhythmen, Krautrockbeats, sinistre Trompetenmelodien und weitläufige Pianoflächen. Ihre Leuchttürme im zeitgenössischen Jazzdickicht sind Künstler wie Sun Ra oder Produzent und Mäzen Gilles Peterson, der in seinen weltberühmten Radioshows regelmäßig neue Talente einem größeren Publikum zugänglich macht. All diese Einflüsse sind irgendwie zu hören, gleichzeitig fließt die Musik des Trios daran vorbei. Durch eigene Zugänge und versteckte Wege, wie Wasser, das sich durch ein trockenes Flussbett bewegt.
Hören und sehen kann man das Kollektiv wieder am 9. April. Allerdings nicht im Wedding, sondern in der Berghain-Kantine. Festivals und andere passende Gelegenheiten sollen folgen. Auch eine neue EP liegt in der Pipeline. Von den Konzertauftritten beflügelt, wurde das reine Studiogefummel dieses Mal live aufgenommen. Davor gehen aber erstmal die eigens für Yunas Orchestra EP produzierten Kassetten heraus. Es geht also ambitioniert weiter mit der Band, die keine ist.
Text: Sandy Stöckel, Fotos: Georg & Georg