Oft hört man den Satz: „Wichtig ist der Blick nach vorn.“ Man will damit ausdrücken, es gäbe die (wenn auch ungewisse) Chance, dass es in der Zukunft besser sein wird. Man sagt dies so, obwohl doch gewiss ist, das vorn, also in der Zukunft, nur eines sicher wartet: der Tod. Aber ausgerechnet auf den wird selten geblickt, wenn nach vorn geschaut wird. Öffnet man die Augen, dann sieht man: Auch im Wedding wird gestorben. Zum Beispiel im Lazarus-Haus in der Bernauer Straße im Brunnenviertel. In diesem Text geht es um ein irgendwie unsichtbares Haus, obwohl es unübersehbar an einer prominenten Kreuzung steht.
„Mauer-Cafe“ heißt es im Erdgeschoss. Es gibt hier natürlich Milchkaffee, aber es ist kein Milchkaffee-Café. Der Zweck des Cafés ist es, Menschen mit Behinderungen eine Arbeit zu geben. Der gute Zweck ist es, der das „Mauer-Café“ gegenüber des S‑Bahnhofs Nordbahnhof zu einem der vielen Bestandteilen des Lazarus-Hauses macht. „Nichts und niemanden aufgeben“ ist der Wahlspruch des Gesundheitsstandortes, zu dem neben Gästehaus und Diakonissen-Wohnheim auch eine Ausbildungsschule für Soziale Dienste gehört. Und – für den kirchlichen Träger Hoffnungstaler Stiftung Lobetal wichtig – eine eigene Kapelle, die täglich geöffnet ist. Den größten Platz auf dem zwei Hektar großen Gelände nehmen jedoch altersgerechte Appartments (genannt „Wohnen mit Service“), eine Pflegeeinrichtung und das Hospiz ein.
Es ist ein schönes Gelände – mit historischen Gebäuden und gelungenen, modernen Bauten. Im Hinterhof ist sogar ein kleiner Park. Aber: Es wird eben auch gestorben hier. Das ist der Zweck eines Hospizes: Ein Ort zum sterben sein.
Ein Krankenhaus fehlt heute. Dabei war vor 150 Jahren ein durch Großspenden ermöglichtes Krankenhaus der Anfang des Lazarus-Hauses. Pfarrer Wilhelm Boegehold begann den Betrieb 1865 – vor der Industrialisierung noch vor den Toren Berlins – mit 15 Betten. Die in den 1990er Jahren errichteten Bauten neben dem Altbau waren noch als Krankenhaus geplant. Verschwenderisch, aber einfach schön wirkt das großzügige lichtdurchflutete Atrium, um das herum die heutigen Pflegezimmer beinahe versteckt sind. Wer in der Lobby steht, fühlt sich wie auf einem Flughafen, in einem Hauptbahnhof oder in einem modernen Rathaus.
Wichtig ist der Geschäftsführung des Lazarus-Hauses, sich nach außen zu öffnen. Beim Basar am 31. Oktober konnte man die Einrichtung unverbindlich kennen lernen. Es gibt regelmäßige öffentliche Vorträge zu Pflegethemen. Die Adventsfeiern am 2. und 3. Dezember stehen Bewohnern und Anwohnern gleichermaßen offen. Man wird dann allerdings alte und schwache Menschen sehen – eben das, was man sieht, wenn man nach vorn blickt.
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Lazarus-Haus
Text und Fotos: Andrei Schnell
Lieber Andrei,
danke für den guten Hinweis.
Leider verdrängen viele den Tod und sind überrascht, wenn er vor der eigenen Tür steht.
Mit Mitte 50 bin ich in einem Alter, wo die Eltern-Generation stirbt. Als “Kinder” ist man mit dem Papierkram und den Regelungen für Pflege, die oft vor dem Tod stehen oft überfordert.
Viele Grüße von Susanne
Liebe Susanne, so ein alter Beitrag – und doch aktuell. Immer aktuell.
[…] Schnell hat sich für den Weddingweiser ein Hospiz in der Bernauer Straße angeschaut. Der Beitrag „Sterben im Wedding“ stellt das Lazarus-Haus vor und hätte gerne auch noch ein bisschen ausführlicher ausfallen […]