Zu Besuch im Treffpunkt in der Groninger Straße: Geschichten, Gespräche und Begegnungen
Die AWO hat die ein und andere Begegnungsstätte im Wedding, wie in der Barfussstraße, mit Sportschwerpunkt für Ältere und stellt damit eine der drei großen Weddinger Begegnungsstätten für Seniorinnen und Senioren.
Ein besonders schöner und bewährter Treffpunkt ist der Frauenladen in der Groninger Straße 28, direkt bei den Osramhöfen, wo seit 1983 Ausländerinnen, vor allem Türkinnen und Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien, neuerdings auch Ukrainerinnen zusammenfinden. Die lange Geschichte und die Erlebnisse und Zusammenkünfte habe ich bei einem Besuch dort erfragt.

Eigentlich sollte dieses Gruppengespräch sinnvollerweise schon zum Frauentag, dem 8. März und publiziert werden, aber Glatteis, Urlaub und andere Verhinderungen brachten Aufschub.
Nun war auch die Übersetzerin, Esra Akbunar, zum verabredeten Termin da, eine der drei Angestellten neben Anne Haken und Roya Vahedi, die sich zwei Stellen im AWO-Frauenladen teilen, um ein großes Gespräch mit allen Feinheiten führen zu können. Viele der Frauen sprechen mittlerweile Deutsch, aber die Einzelheiten wollen doch richtig verstanden und ohne Missverständnisse ausgetauscht sein.
Als ich eintraf, war wie an jedem Mittwochmittag ein wunderschönes Buffet arrangiert und die Frauen hatten sich rund um die lange Tafel niedergelassen. Man bot mir nicht nur ein Glas Tee an und die Übersetzerin stellte mich der Gruppe vor und umgekehrt.
Weddingweiser Wie ist die Geschichte des Frauenladens? Wann, wo und wie begann alles?
Anne Haken von AWO Der Frauenladen wurde am 3. November 1983 in der Oudenarder Str. 32 eröffnet. Die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung ergab sich aus der Einsicht, dass die sog. Gastarbeiter*innen, die in den Jahren und Jahrzehnten vorher nach Deutschland gekommen waren, nicht nur für eine gewisse Zeit hierbleiben würden, sondern nach und nach ihre Familie nachgeholt hatten. Von Beginn der ersten Gastarbeiter*innenwelle an war die AWO besonders für Jugoslaw*innen und Türk*innen zuständig und reagierte auf den Bedarf an Beratungsstellen für Menschen aus diesen Ländern, und insbesondere für Frauen und ihre Kinder, die von ihren Ehemännern und Vätern nachgeholt wurden, mit der Eröffnung des Frauenladens.
Weddingweiser Wer ist heute noch dabei?
Aktuell sind alle 3 Stellen im Frauenladen neu besetzt. Im letzten Jahr haben wir eine langjährige Kollegin in die Rente verabschiedet, die tatsächlich von Anfang an dabei war.


Weddingweiser Was waren die ersten inhaltlichen Schwerpunkte des Zusammenkommens?
Der Frauenladen hatte von Anfang an ein gemischtes Konzept aus Beratung und Freizeitprogramm. Schwerpunkt und Ziel war die Integration migrantischer Kinder und ihrer Mütter. Durch den Frauenladen sollten die Frauen einen Ort des Miteinanders bekommen, an dem sie in Ruhe lernen und sich austauschen konnten. Zu Beginn gab es Alphabetisierungs-, Deutsch- und Nähkurse, Treffen und Ausflüge, alles mit Kinderbetreuung. Die Beratung fand in den damals relevanten Sprachen Deutsch, Türkisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch statt. Das gemischte Konzept bewirkte eine starke Integration, da im gemeinsamen Freizeit- und Kulturbereich die Umgangssprache Deutsch die gemeinsame Sprache blieb, die die Besucherinnen in einem geschützten Raum sprechen und verbessern konnten.
Weddingweiser Aus welchen Ländern kommen die Frauen in den Laden?
Zu uns kommen grundsätzlich Frauen aus allen Ländern. Nach wie vor kommen viele Frauen aus der Türkei und aus dem ehemaligen Jugoslawien zu uns, was mit den Ursprüngen des Frauenladens und den damals eingerichteten Gruppen und Angeboten zu tun hat. Ansonsten haben wir viele Frauen aus afrikanischen und arabischen Ländern und in den letzten Jahren natürlich auch einige aus der Ukraine.
Weddingweiser Wie machen sich die kulturellen Unterschiede bemerkbar?
Mehr als die Unterschiede sind es vor allem die Gemeinsamkeiten, die uns und den Frauen immer wieder auffallen und auch thematisiert werden. Egal, woher die Frauen kommen, sie alle haben letztlich dieselben Themen, die sie in ihrem Alltag beschäftigen, sowohl positiv als auch negativ.
Weddingweiser Wobei konnten sich die Frauen am meisten solidarisch beistehen?
Die Solidarität unter den Frauen entsteht in der Begegnung und im Austausch. In einer neuen Heimat einen Ort zu finden, an dem man auf andere Frauen mit den gleichen Erfahrungen, Erinnerungen und auch den gleichen Problemen trifft, war für viele unserer regelmäßigen Teilnehmerinnen damals etwas Besonderes und Wichtiges. Man hilft sich natürlich in Alltagsdingen, einige der Frauen haben sich über die Jahre auch außerhalb des Ladens angefreundet und es ist eine Frauengruppe entstanden, die sich nun seit fast 40 Jahren regelmäßig trifft.
Weddingweiser Wie entwickelte sich der Frauenladen in seinem Tätigkeitsfeld? Wie haben sich die Aufgaben im Laufe der Zeit verändert?
Praktisch hat sich unsere Arbeit verändert: Mit dem Umzug in die jetzigen Räume in der Groninger Straße 28 im Jahr 1999 mussten wir beispielsweise die Kinderbetreuung aufgeben, weil wir keinen Platz mehr hierfür haben.
Die Grundstruktur des Frauenladen-Angebots – ein Mix aus Beratung, Kursen, Gruppen und Ausflügen – ist gleichgeblieben, die Inhalte allerdings haben sich auch verändert, schon allein, da mittlerweile Frauen aus allen Ländern zu uns kommen.
Zu Beginn wurden vor allem Nähkurse gewünscht, jetzt sind es vor allem Mal- und Schwimmkurse. Daran sieht man, dass eine Art Kulturwandel stattgefunden hat. Früher ging es mehr um nützliche, alltagspraktische Fähigkeiten, jetzt sind es Kreativität und Sport, also mehr Dinge für die Frauen selbst. Anfangs gab es auch Alphabetisierungskurse, die schnell überflüssig wurden, da viele der Frauen, die den Frauenladen besuchten, schon aus der zweiten Generation der „Gastarbeiter*innenwelle“ stammten und damit schon in Deutschland zur Schule gegangen waren.
Die Anforderungen an unsere Beratungstätigkeit spiegeln immer die aktuellen Geschehnisse in der Politik und im Weltgeschehen wider. Sei es, dass wir plötzlich mehr Klientinnen aus Syrien oder aus der Ukraine haben, oder, dass wir immer mehr Beratungsanfragen zu Themen wie Wohnraumknappheit oder steigenden Preisen bekommen: Wiederholt sind es die Problemlagen, die uns alle beschäftigen, die auch für unsere Klientinnen existentiell sind. Nur dass diese stets stärker davon betroffen sind.



WeddingweiserWann hat die AWO die Trägerschaft übernommen und was war dann neu?
Der Frauenladen war von Anfang an eine Einrichtung der AWO, da hat sich insofern nichts verändert.
Weddingweiser Wie engagieren sich die Frauen ehrenamtlich im Laden?
Zurzeit haben wir vier ehrenamtliche Mitarbeiterinnen. Eine übernimmt seit neuestem die Leitung des Sprachcafés, und drei sind für die Begleitung der Ausflüge und der Offenen Treffs zuständig.
Weddingweiser Was erleben Sie gemeinsam?
Einmal wöchentlich veranstalten wir unseren Offenen Treff bei uns im Frauenladen. Da bringen die Frauen Frühstück mit und tauschen sich aus. Da sind wir Mitarbeiterinnen auch vor Ort und tauschen uns mit den Frauen aus. Früher haben wir außerdem auch die Ausflüge mit begleitet – Schifffahrten auf dem Müggelsee, Parkspaziergänge, Kino- und Ausstellungsbesuche –, das organisieren aber mittlerweile die Ehrenamtlichen.
Anknüpfungspunkte für ein Gespräch
Soweit also zum Konzept und zu den Aufgaben des Ladens, den Frauen seit Jahrzehnten mit mittlerweile bis zu 40 Jahre währenden Freundschaften bis ins Alter getragen und vor so mancher Unbill in der Fremde bewahrt hat.
Um nochmals auf den Tee, den ich anfangs erwähnte zurückzukommen. Wir saßen an der langen Tafel suchten nach einem Anknüpfungspunkt für ein alle interessierendes Gespräch. So erzählte ich über den Roman „Selam Berlin“ von Yade Kara (geb. 1965 in der Osttürkei), die das Berliner Leben eines jungen Türken namens Hasan beschreibt, der ab dem 9. November 1989 nach Berlin übersiedelt. Sein Vater betreibt ein Reisebüro in Westberlin, seine Eltern leben seit Jahren getrennt, da die Mutter in Istanbul im Leben schwelgt. Er streckt seine Fühler aus und es kommt ans Tageslicht, dass damals viele Türken, so wie der Vater des Protagonisten, eine Liebesbeziehung in Ostberlin unterhielt, aus dem Hasan ein Bruder erwuchs, den er zufällig kennenlernt, und der dann einen Dominoeffekt an familiärem Drama und Skandal hervorbringt, der den Roman erfüllt. Warum nun also musste es eine deutsche Wiedervereinigung geben, die also all diese Verhältnisse ans Licht brachte und die ein oder andere Ehe platzen ließ? Ja, wir haben alle reihum gelacht, über diese Ost-West-Ehen gemunkelt, und mehrfach wurde an der langen Tafel bestätigt, dass diese türkisch-ostdeutschen Transitbeziehungen damals wirklich, also wirklich weit verbreitet waren und bald ein offenes Geheimnis für die im Osten entstandenen Kinder war.
Einige Frauen erzählten von ihrem eigenen Leben in Berlin und den Besonderheiten ihrer Ehen und Lebensläufe.
So erzählt Huri, die seit 25 Jahren in der unmittelbaren Nachbarschaft lebt und sich noch heute mit 72 Altersjahren ehrenamtlich in drei Weddinger Seniorenbegegnungsstätten engagiert und dort gern kocht, von ihrer Übersiedlung nach Berlin. Als damals ihr Reisepass abgelaufen war, wurde dieser von der Polizei einkassiert und mit Hilfe von Barbara John, der damaligen Ausländerbeauftragten, konnte sie bleiben. Sie war mit einem Kind im Schlepptau nach Westberlin gekommen. Sie fand ihr großes Lebensglück bei einem deutschen Mann, der zum Islam konvertierte. Sie heirateten, und sie fand Arbeit bei der Polizei, dort, wo ihr einkassierter Pass deponiert war und bekam mit ihrem Mann eine Tochter. Noch heute, verwitwet, lebt sie voller Freude und besucht sehr gern die Frauentreffs.
Eine andere in der Tischrunde erzählt von ihrem Mann, ein Deutscher, der sie widersinigerweise gezwungen habe, ein Kopftuch zu tragen. Vermutlich lag es am Altersunterschied, sagt sie. „Er machte mich Gefängnis!“, sagte sie und gibt ihrer Beklommenheit im Alltag, die dann zielstrebig zur Scheidung führte, Ausdruck.
Viele ausländische Frauen haben ein Leben lang als Reinigungskraft gewirkt, manche sind nicht böse darüber und beziehen mittlerweile eine Altersrente aus dieser Tätigkeit.
Und an Ostern gehen die AWO-Frauen gemeinsam in eine große Show „in den Friedrichstadtpalast: glitter and glory für alle!
Gespräch und Fotos: Renate Straetling
Links und Hinweise
Kontaktdaten
https://www.awoberlin.de/service/frauenladen-treffpunkt-und-beratung
AWO Frauenladen, Groninger Str. 28, 13347 Berlin (direkt an den Osramhöfen)
Regelmäßige Termine, monatlich wechselndes Freizeitprogramm:
Sprachcafe, Malkurs, Offener Treffs, Tanz und Bewegung
Weitere Frauenläden der AWO
Bei der AWO Mitte gibt es verschiedene Angebote für Frauen. Neben dem Frauenladen gibt es
IsA-K – Straffälligenhilfe für Frauen, das Projekt BEFF – für Frauen die von Wohnungsnot betroffen sind und Frauenhäuser.
Einen anderen „Frauenladen“, der unter dieser Bezeichnung läuft, gibt es in der AWO nicht, aber es gibt eine Frauenberatungsstelle in Neukölln, die wie in der Groninger Straße 28 sowohl Beratung als auch Freizeitprogramm anbietet.