Ich habe Halloween vor sieben Jahren im Wedding kennengelernt. Davor wohnte ich im Friedrichshain und dort gab es damals kein Fest am 31. Oktober – oder ich war einfach zu ignorant. Heute ist der herbstliche Monatswechsel für mich ein fester Termin auf den sich die ganze Familie schon Wochen im voraus freut – fast wichtiger als der eigene Geburtstag.
Telefoniere ich mit meinen Eltern, dann höre ich die vertraute Töne. “Halloween ist amerikanisch”, “Halloween brauchen wir nicht”, “das nervt”, “warum müssen wir hier alles nachmachen?” In meiner eigenen Familie ist es genau umgekehrt. “Ist es schon soweit?” fragen die Allerkleinsten, die noch keinen Plan vom Ablauf der einzelnen Tage innerhalb der Woche haben und “Ich freu’ mich schon auf Freitag”, sagen die, die bereits über Terminplaner in Form von Hausaufgabenheften verfügen.
Halloween – ein Kinderfest
Als ich vor sieben Jahren ins Brunnenviertel zog, klingelte es eines Abends überraschend an der Wohnungstür. Ich fragte mich, wie der Besuch durch die gesicherte Haustür gekommen war. Aber es war kein Besuch, es waren Kinder, die verlegen lispelten, dass sie zum Betteln gekommen waren. Ich gab ihnen einen Apfel, worüber sie sich wunderten, worüber ich mich dann wieder wunderte. Was ist an einem Apfel nun wieder schlecht? Daraufhin erklärten mir meine eigenen größeren Kinder, warum es geklingelt hat. Und im nächsten Jahr zogen sie selbst los. So funktioniert Ansteckung.
Nachbarn im Brunnenviertel
Helikopter-Papa wird man nicht von einem Tag auf den anderen, dazu es braucht jahrelange Übung. Bei den Kleinsten meiner Familie gehe ich nun mit, wenn sie auf Klingeltour gehen. Das wäre mir bei den Großen nicht eingefallen. Komisch, alle anderen Kinder der Straße gehen in Rotte; ganz kleine und ganz coole Kinder in einem Haufen. Sie passen auf sich gegenseitig auf, sie benötigen keine Eltern. Dafür trage ich dem Sprößling die Süßigkeiten nach. In einem Stoffbeutel. Die Rottenkinder haben alle verpönte Plastiktüten. Und zwar richtig große. Damit viel reingeht. Ganz viel.
Ich lerne meine Nachbarn kennen. Der sogenannte Erstbezug, Menschen die seit 1980 im Viertel wohnen, hat keine Süßigkeiten für das schreckliche Gespenst, das mein Nachwuchs darstellt. Die etwas jüngeren Nachbarn tragen gerade ihr Bier heim und grummeln: Nix eingekauft. Oder es öffnet eine Dame mit dem Satz: “Ich kenne Sie gar nicht!” – “Wir wohnen einen Aufgang weiter!”, helfe ich dem verdutzten Gespenst aus (vielleicht doch gut, dass ich mitgekommen bin? Ich bin mir nicht sicher.) Daraufhin gibt es einen Bonbon. Aha.
An manchen Türen stehen zwei Männernamen. Hier hat das Gespenst Glück und bekommt einen Keks. An den Türen, wo ich die Namen nicht lesen kann, weil mehrere Konsonanten aufeinander folgen oder ungewohnte Umlaute auf ein c folgen, öffnen durchweg aufgeschlossene Menschen. Sie schmunzeln. Oder foppen das Gespenst: “Das sagen sie alle, da musst Du Dir etwas besseres überlegen!” Und halten schon die Tüte mit der Schokolade in der Hand. Eine große Tüte. Eine sehr große Tüte. Wahrscheinlich sind das die Eltern von den Rottenkindern. Weil sie wissen, mit welchen gigantischen Tüten ihre Kinder auf der Straße sind, haben sie in der Mall die Süßwarenabteilung leergekauft. Das Gespenst ist ein wenig erschrocken und sagt, dass es nur ein wenig Schokolade möchte.
Halloween in der Stadt
Gegen Mitternacht kommt die gesamte Familie wieder zusammen. Das heißt, die Letzten treffen ein. Sie erzählen, dass am U‑Bahnhof Voltastraße verkleidete Menschen standen. Nicht nur so ein bisschen, sondern Ganzkörpergrün oder mit perfekter Filmbemalung. Am Alexanderplatz sollen sogar ein Drittel aller Leute verwandelt gewesen sein. Das hätte ich nicht gedacht, ich kenne mich nicht mehr aus in Berlin. Als Vater bin ich mit der organisierten Ablenkung in Clubs und Bars nicht mehr vertraut, weil ich von der täglichen Ablenkung zuhause absorbiert bin. Ich bin also über diese Berichte erstaunt. Wie vor sieben Jahren als Halloween in mein Leben trat.
Text: Andrei Schnell, Foto: Dominique Hensel