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Eine echte Weddingerin – Frau Krüger

18. August 2014
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Es gibt sie tat­säch­lich – Men­schen, die man wirk­lich als Ber­li­ner bezeich­nen kann. Wie Frau Krü­ger, die schon seit 70 Jah­ren im Wed­ding lebt. Wie die meis­ten Ber­li­ner ist auch sie nicht in Ber­lin gebo­ren, zuge­zo­gen ist auch sie. 1945 kam sie aus Schle­si­en in den Sol­di­ner Kiez und hat viel erlebt und kann viel erzäh­len. Es macht Spaß ihr zuzu­hö­ren, wie sie von frü­her spricht, ohne ihre Sät­ze mit „Frü­her, da war noch alles bes­ser…“ anzufangen.

Groß War­ten­berg ist nicht War­ten­berg, aber dazu spä­ter. Groß War­ten­berg liegt in Nie­der­schle­si­en und ist der Geburts­ort von Frau Krü­ger. 2009 hat sie die ehe­ma­li­ge Grenz­stadt zu Polen, die sich tief im heu­ti­gen Polen befin­det und seit dem 12. Jahr­hun­dert Sycow heißt, noch ein­mal besucht. Die Schu­le, die Mol­ke­rei, das Schloß, es hat sich viel ver­än­dert. Aber sehen woll­te sie die Res­te ihrer Kind­heits­or­te, die nach dem Krieg im Som­mer 1945 nie­der­ge­brannt wur­den, noch einmal.

Zeitzeuge Frau Krüger
Zeit­zeu­ge Frau Krüger

Ers­te Jah­re im Sol­di­ner Kiez

Am 22. Janu­ar 1945 ging der letz­te Zug von Bres­lau nach Ber­lin ab. Ein Schwein hat­te die Fami­lie trotz der nahen­den Front gera­de geschlach­tet, als sie sich in letz­ter Sekun­de noch zur Flucht ent­schloss. Der Zug geriet unter Beschuss rus­si­scher Trup­pen, doch die Fami­lie erreich­te glück­lich und unbe­scha­det den Schle­si­schen Bahn­hof (heu­te Ost­bahn­hof). Die Fami­lie, das sind die Vier­zehn­jäh­ri­ge, ihre drei Schwes­tern (10 Jah­re, 2 Jah­re und 2 Mona­te) und die Mut­ter. Der Vater gilt zu die­sem Zeit­punkt als vermisst.

Glück hat die Fami­lie in den har­ten 40er Jah­ren in Ber­lin, die vie­len Men­schen in der Groß­stadt Hun­ger brach­ten. Ver­wand­te unter­stütz­ten sie mit Lebens­mit­teln. Es sind die Kar­tof­feln vom Onkel, die aus­hel­fen. Frau Krü­ger erin­nert sich noch heu­te an den Schre­cken als sie mit­be­kam, was ihre Freun­din­nen aßen.

Gut erin­nert sich an die Zei­ten, als die Fami­lie mit 5 Köp­fen ein ein­zi­ges Zim­mer zur Unter­mie­te hat­te: 4 Mona­te in der Zech­li­ner Stra­ße, dann in der Kolo­nie Stra­ße, dann in der Bad­stra­ße. Immer nur ein „Zim­mer mit Küchen­be­nut­zung“ wie die in der Not ent­stan­de­nen Wohn­ge­mein­schaf­ten damals genannt wur­den. Und ab 1948 hat­te die Fami­lie die ers­te eige­ne Woh­nung: in der Gro­pi­us­stra­ße 6. Eine Stu­be, Küche, Kor­ri­dor. Immer noch waren sie zu fünft.

Und der Vater? Der war zwei Jah­re in Frank­reich geblie­ben. Hat dort beim Bau­ern aus­ge­hol­fen. Sagt sie knapp.

Eige­ne Familie
1951 hei­ra­tet sie. Gera­de 21 war sie gewor­den. Und sie fin­det eine Hilfs­stel­le in der Mar­ga­ri­ne­fa­brik Dr. Stol­ze in der Hus­si­ten­stra­ße. Heu­te hat Mar­ga­ri­ne einen schlech­ten Ruf, doch sol­che Beden­ken ver­steht Frau Krü­ger nicht.

1952 kommt das ers­te von fünf Kin­dern. Jetzt zieht sie in die Oude­nar­der Stra­ße, der nahe Schil­ler­park ist für die Kin­der gut. Stu­be, Küche, 3. Quer­ge­bäu­de, Hin­ter­hof. Ihr Mann arbei­tet bei der BVG im Betriebs­hof Use­do­mer Stra­ße im Brun­nen­vier­tel. Pro Stun­de ver­dien­te der Wagen­wä­scher eine Mark fünf­und­vier­zig. Spä­ter wur­de er Fahrer.

Frau Krü­ger lernt Ver­käu­fe­rin bei Lie­se­ke in der Sol­di­ner Stra­ße. Sei­fen wer­den dort ver­kauft. Jah­re spä­ter arbei­tet sie in der Bäcke­rei Gast in der Ramlerstraße/Ecke Brun­nen­stra­ße. Doch dann wird sie dem Wed­ding untreu und ver­kauft 21 Jah­re lang in der Neu­köll­ner Karl-Marx-Stra­ße 236 Bröt­chen und Kuchen. Der Lohn war da bes­ser. Und Hand­nä­he­rin war sie zwi­schen­zeit­lich auch. Abend­klei­der. 1961 bis 1964 in der Neu­köll­ner Flug­ha­fen­stra­ße. Und die kur­ze Arbeits­epi­so­de in der Gewürz­fa­brik Ber­nau­er Ecke Brun­nen­stra­ße, von wo aus man die wei­ßen Laken sah, an denen die Flücht­lin­ge aus dem Fens­ter der Miet­häu­ser raus die Mau­er über­wan­den. Das war schlimm, sagt sie bewegt.

Die längs­te Zeit ver­leb­te sie in der Gleim­stra­ße 71. Von 1959 bis 1994 wohn­te sie an der  Ecke Swi­ne­mün­der Stra­ße dicht beim Gleim­tun­nel. Durch die­sen geht sie aber bis heu­te nicht mehr, weil sie 1960 von ost­deut­schen Gren­zern ver­haf­tet wur­de. Man glaub­te, sie wol­le Repu­blik­flucht bege­hen, weil in ihrem Aus­weis War­ten­berg steht statt Groß War­ten­berg. Der klei­ne Feh­ler ist ihr zuvor nicht auf­ge­fal­len. Erst nach Wochen darf sie zurück aus dem ost­deut­schen Gefängnis.

Zeit­ge­schich­te

Und da war der Tag, an dem ihr Mann, der  als Fah­rer auf der Bus­li­nie 71 auf der Ber­nau­er Stra­ße fuhr, nach Hau­se kam mit den Wor­ten: „Die bau­en eine Mauer“.

Und wie sieht sie die Flä­chen­sa­nie­rung im Brun­nen­vier­tel? Die vie­len schö­nen Geschäf­te ver­misst sie. Das Kauf­haus Bil­ka über zwei Eta­gen in der Ram­ler- Ecke Brun­nen­stra­ße. Und den Flei­scher. Und wir hat­ten alles, sagt sie. Aber auch: Die Rat­ten in den Alt­bau­ten. Das war dann doch zuviel. Sie meint, da konn­te kei­ner mehr woh­nen. In Büchern liest man, dass sich die West­ber­li­ner Pro­test­be­we­gung gegen die Kahl­schlag­sa­nie­rung auch im Brun­nen­vier­tel ent­wi­ckelt hat. Aber dar­an kann sich Frau Krü­ger nicht erin­nern. Aber an die Ofen­hei­zung in ihrer Woh­nung in der Gleim­stra­ße. Bis 1981. Und dar­an, wie zügig damals in den 60er Jah­ren gebaut wurde.

Frau Krü­ger mischt sich ein. Das mit den Rat­ten nimmt sie nicht hin, wen­det sich ans Gesund­heits­amt. Und erneut geht sie zum Gesund­heits­amt, als bei den Neu­bau­ten stin­ken­der Kle­ber für die Däm­mung ver­baut wird.

Auch als Eltern­ver­tre­te­rin an der Schu­le ihrer Kin­der scheut sie kei­ne Aus­ein­an­der­set­zung, erin­nert sich noch an das Tref­fen mit Gerd Löff­ler im Schö­ne­ber­ger Rat­haus. Gerd Löff­ler? Ja, da war­tet sie noch heu­te auf Ant­wort von ihm, sagt sie spitz­bü­bisch. Wegen der vie­len Aus­fäl­le an der Schu­le. Aber wer war denn Gerd Löff­ler? Na, der Schul­se­na­tor der SPD von 1970 bis 1975. Das ist doch klar.

Ihr Mann stirbt 1989. Das Leben hält immer wie­der merk­wür­di­ge Wen­dun­gen für Frau Krü­ger bereit; als sie 1994 mit einem ande­ren Mann zusam­men zie­hen will, stirbt die­ser fast genau am Tage des Umzugs am Schlaganfall.

Seit 1994 ist sie Rent­ne­rin. Aber von einem Leben nach her­ge­brach­ter Art alter Men­schen hält sie nicht viel. Die sol­len nicht so viel meckern. Sie gehe ein­fach auf die Men­schen zu. Im Brun­nen­vier­tel­ver­ein macht sie trotz eines schwe­ren Unfalls 2001 wei­ter­hin mit. Will eine Schlie­ßung des Gleim­tun­nels errei­chen. Und ist gegen die Ver­län­ge­rung der Stra­ßen­bahn­li­nie M10 über die Ber­nau­er Stra­ße. Sie erin­nert sich noch zu gut an das Quiet­schen der Bah­nen in der Ram­ler­stra­ße (Linie 128 nach Tegel). Ihr Kampf war nicht erfolg­reich, es ist anders gekom­men. Doch das stört sie nicht wei­ter. Es ist eben anders gekommen.

Seit 2004 ist sie in der Ver­ga­be­ju­ry des Quar­tiers­ma­nage­ment. Mit­ma­chen muss sein. War­um zuhau­se sitzen?

Frau Krü­ger erzählt gern aus ihrem Leben, hat schon Inter­views für das Zeit­zeu­gen­ca­fe gege­ben oder bei einem Pro­jekt einer Jour­na­lis­ten­schu­le mit­ge­macht. Es macht ihr ein­fach Spaß zu erzäh­len, so dass man gern den Rah­men, den man als hyper­lo­ka­ler Redak­teur hat, für sie überdehnt.

Text: And­rei Schnell

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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