Altwerden ist nichts für Feiglinge betitelte Joachim Fuchsberger sein Buch, das 2014 erschien. Das Alter kann auch schön sein und noch viele gute Überraschungen bieten, vor allem, wenn man körperlich und auch seelisch gesund bleibt. Etliche empfehlenswerte Ratschläge dafür bieten sich an, solche, die nach einem langen Berufsleben und Jahren der Beanspruchung uns wieder bewusst werden sollten: die Achtsamkeit gegenüber uns selbst!
Im Wedding gibt es im Rahmen des Projekt #BerTA der “Die Wille gGmbH” eine Referentin, die in angenehmen Workshops über Gefühle, Wohlbefinden und Achtsamkeit im Alter spricht und dabei die Teilnehmenden einbezieht. Ein Gespräch mit Dipl.-Psych. Cornelia Benter, die seit einigen Jahren diese Workshops im Otawi-Treff und in der Luisenbadbibliothek anbietet.
Frau Benter, Sie geben Workshops zur Achtsamkeit im Alter. Was ist Ihre Motivation?
Es ist mein grundsätzlicher Wunsch, dass Menschen gesund und glücklich sind. Ich möchte meine Erkenntnis teilen, dass unser seelischer Zustand einen entscheidenden Einfluss auf unsere körperliche Gesundheit hat.
Welche Erfahrung machen Sie mit den Teilnehmenden in Ihren Kursen?
Die Teilnehmenden bereichern in bemerkenswerter Weise die Veranstaltungen mit ihren eigenen Lebenserfahrungen und Erkenntnissen. Ich freue mich über den regen Austausch und lerne ständig dazu.
Wo ist Ihre Tätigkeit für BerTA (Beratung und Teilhabe im Alter) und die älteren Menschen im Stadtteil angesiedelt?
2021 bin ich als freie Mitarbeiterin zu „Die Wille gGmbH“ und damit zur Johannesstift Diakonie gekommen. Im Jahr 2023 wurde ich eingestellt. Ich arbeite in zwei Berliner Seniorenprojekten mit, bei denen es um die Stärkung älterer Menschen geht. Unser grundsätzliches Anliegen ist die Verbesserung der Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner im Kiez.
Frau Benter, welche Ausbildung haben Sie, um Achtsamkeit für Ältere anzubieten?
Ich habe nach meinem Abitur den Beruf der Arzthelferin in einer internistischen Praxis erlernt und erst viele Jahre später Psychologie an der Freien Universität Berlin studiert. Dort habe ich im Rahmen des Diplom-Studiengangs u. a. zwei Semester Psychoneuroimmunologie studiert, was mir nun auch in theoretischer Form die Zusammenhänge zwischen unseren psychischen Zuständen und unserer körperlichen Gesundheit erklärte.
Wie erschloss sich Ihnen dann die Stressreduktion als Therapieform?
In der Phase der Abschluss-Prüfung im Fach „Klinische Psychologie“ beschäftigte ich mich intensiv mit zahlreichen Studien zur Wirksamkeit verschiedener achtsamkeitsbasierter Therapieformen – speziell zur Behandlung von Depressionen und auch Borderline-Störungen. Ich war von den Studien-Ergebnissen so begeistert, dass ich schon damals beschloss, eines Tages MBSR zur Stressreduktion zu erlernen.
Zunächst habe ich als frisch gebackene Diplom-Psychologin an einer Fachschule eine Zusatzausbildung in Lösungsorientierter Psychologie absolviert. Erst nach einigen Berufsjahren im April 2019 ist es mir gelungen, an einer MBSR-Fortbildung * teilzunehmen und von zwei sehr erfahrenen Lehrerinnen das Achtsamkeitstraining zu erlernen. Seitdem sind Achtsamkeitsübungen ein täglicher Bestandteil meines Lebens geworden. Die positiven Auswirkungen auf meinen eigenen gesundheitlichen Grundzustand sind unübersehbar. Ich bin aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass Achtsamkeit eine immer wichtigere Rolle im Gesundheitswesen spielen wird.
* MBSR („Mindfulness-Based Stress Reduction“) steht für Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion
Mit welcher Perspektive schauen Sie auf die Welt unserer Emotionen?
In meinen Vorträgen und Workshops behandele ich schwerpunktmäßig das Thema „Emotionen“ und welche wichtige Rolle sie in unserem Leben spielen. Es ist meiner Meinung nach ein Fehler, unseren Intellekt in den Mittelpunkt zu stellen, um persönliche und auch gesellschaftliche Probleme zu lösen. Um zu wirklich nachhaltigen guten Lösungen zu kommen, müssen Befindlichkeiten und Bedürfnisse immer mit einbezogen werden. Unsere Emotionen dienen uns als Kompass, um klar einschätzen zu können, worauf wir uns mental gerade (in jedem gegebenen Moment) zubewegen. Mit dieser Klarheit können wir dann bewusste Entscheidungen treffen, wohin die Reise für uns gehen soll.
Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, dass Menschen lernen, ihre Gefühle, also auch die leisen und subtilen Gefühle, wieder besser wahrzunehmen. Im Laufe des Erwachsenwerdens haben wir uns leider angewöhnt, sie immer seltener zu beachten, bis zu einem Punkt, an dem wir nur noch die lauten starken Gefühle wahrnehmen können.
Ich sage immer: „Alle Gefühle sind erlaubt und sollten nicht unterdrückt werden.“ Was nicht heißt, dass wir sie immer ausleben müssen. Wir sollten sie aber wahrnehmen und annehmen wie sie gerade sind und uns keinesfalls dafür kritisieren.
Ich selbst habe an einigen Ihrer Workshops in Otawi-Treff und Luisenbadbibliothek teilgenommen und bin beeindruckt von der Weite der Achtsamkeitsthemen und Ihrer freundlichen liebevollen Art, die Teilnehmenden inklusiv mitzunehmen in neue Gewohnheiten und gesündere Ansprüche an sich selbst. Wie machen Sie das?
Danke für die freundliche Beurteilung meiner Arbeitsweise. Mein Motto in allen menschlichen Beziehungen ist: Begegnung auf Augenhöhe. Mir ist ein gegenseitiger respektvoller Umgang sehr wichtig – bei aller individuellen Einzigartigkeit eines jeden Menschen. Ich bin zudem sehr interessiert an Menschen und ihren Lebensgeschichten.
Worauf legen Sie besonderen Wert bei der Vermittlung von Achtsamkeit bei Älteren?
Vor allem die Fähigkeit zur Gelassenheit und der Umgang mit Stress liegen mir am Herzen, weil viele Menschen mit dem Älterwerden eine zunehmende Alltagsängstlichkeit entwickeln. Stress und Angst sind hormonell gesehen der selbe körperliche Zustand. In diesem Zustand sind wir eingeschränkt und können langfristig keine guten Entscheidungen treffen. Zudem fällt das Zusammensein und die Kommunikation mit anderen schwerer.
** Die weiteren Termine 2024 zum Offenen Treff und zum Achtsamkeitstraining in Otawitreff bzw. Luisenbadbibliothek finden sich unter diesem Artikel.
Frau Benter, was ist Ihnen der wichtigste Rat fürs Altern in der City?
Eine Großstadt wie Berlin kann für ihre Bewohner manchmal zu Reizüberflutung und Überforderung führen – kurz gesagt Stress. Deshalb ist es wichtig, in regelmäßigen Abständen Möglichkeiten für Ruhe und Rückzug zu nutzen, um zu regenerieren und die Lebenskraft zu erhalten. Mein Rat fürs Altern in der City? Wir sollten bewusst auf die Vorzüge schauen, welche das Stadtleben mit sich bringt. Denn damit erhöhen wir unser Wohlgefühl und stärken unsere Gesundheit. Es ist nicht schwer, Vorteile zu finden und jedem einzelnen Pluspunkt ein Gefühl der Wertschätzung entgegenzubringen. Am besten fangen wir gleich heute Abend vor dem Einschlafen damit an, darüber nachzusinnen für was wir alles dankbar sein können.
Frau Benter, vielen Dank für dieses Gespräch!
Das Achtsamkeitstraining von Cornelia Benter findet immer mittwochs 11:00 bis 13:00 Uhr im Otawi-Treff (Otawistraße 46, 13351 Berlin) statt.
Für genaue Informationen zu Terminen und weiteren Angeboten im Otawi-Treff: 030 92252–142 (Beratung 60+ – Die Wille (johannesstift-diakonie.de).
Fotos: Renate Straetling
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Links und Hinweise
Weitere Termine 2024
Kostenloses Achtsamkeitstraining 2024 mit Cornelia Benter im Otawi-Treff, Otawistraße 46 (U Rehberge, nahe am Park)
04.09./ 18.09./ 25.09./ 02.10./ 23.10./ 30.10./ 06.11./ 20.11./ 27.11.24 – jeweils 11 bis 13 Uhr
Offener Treff mit Plausch bei Kaffee und Keksen im Rahmen von #BerTA für Ü 60 in der Luisenbadbibliothek mit Cornelia Benter: Luisenbadbibliothek (U Pankstraße), Badstraße 39 in der 1. Etage (Fahrstuhl):
05. 9, 17. 10, 14. 11. und 12.12. 2024 – jeweils 13 bis 15 Uhr
Kontakthinweise
BerTA; Beratung 60plus, Kontakt: [email protected]
Das neue #BerTA
Über die Seniorenbegnungsstätten im Wedding
Alle bisherigen Artikel der Kolumne Ü 60 – Sommer 2022 – Sommer 2024 in
einem Sammelband von Renate Straetling
https://www.epubli.com/shop/kolumne-ue-60-sommer-2022-sommer-2024–9783759847690