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Warum sich das Erinnern lohnt

15. September 2014

25JahreMauerfallAls ich auf der Redak­ti­ons­sit­zung des Wed­ding­wei­sers vor­schlug, zum 25. Jah­res­tag der Öff­nung der Ber­li­ner Mau­er eine Arti­kel­se­rie zu star­ten, ern­te­te ich zunächst gelang­weil­te Bli­cke. Es scheint nun mal zum guten Ton zu gehö­ren, sich der Erin­ne­rung anläss­lich von Jah­res­ta­gen zu ent­zie­hen. Zu Unrecht…

Vorurteile leben länger

Weddingerinnen im Gespräch
Auf dem Net­tel­beck­platz (Foto: J. Faust)

Dabei ist es durch­aus sinn­voll, sich gera­de im Wed­ding mit der Mau­er zu befas­sen. Immer­hin ist das Selbst­ver­ständ­nis, das durch­aus auch im Wed­ding­wei­ser gepflegt wird, mit die­sem Bau­werk auf Engs­te ver­bun­den. Ohne Mau­er und deren Ver­schwin­den gäbe es die schö­ne Wort­schöp­fung des Prime­time-Thea­ters, das die Debat­ten auf den Punkt bringt – näm­lich die „Pren­zel­wich­ser“-  nicht. Die­ser Begriff beschreibt tref­fend die Feind­bil­der, die erst durch die Lang­zeit­wir­kung der Tei­lung ent­stan­den sind und nun einen zen­tra­len Bestand­teil der „Wed­ding-Iden­ti­tät“ bil­den: „Mit­te ist Schit­te, Prenz­lau­er Berg ist Pet­ting“. Vor dem Hin­ter­grund einer sol­chen Abgren­zung lässt es sich schön ein­rich­ten – sogar ohne sicht­ba­re Gren­ze.  Der Stadt­so­zio­lo­ge wür­de dazu etwas ver­kürzt sagen: Raum­be­grif­fe sind sozia­le Kon­struk­tio­nen, die der Durch­set­zung poli­ti­scher Zie­le die­nen. Wie hät­te sich der Wed­ding wohl ohne die Mau­er entwickelt?

Wohnungen auf dem Mauerstreifen?

Zugang zum Mauerpark (Foto: D. Hensel)
Am Mau­er­park (Foto: D. Hensel)

Dass sich das Ver­hält­nis des Wed­ding zu den Sperr­an­la­gen der DDR etwas kom­ple­xer dar­stellt, soll hier an eini­gen Bei­spie­len aus dem Brun­nen­vier­tel gezeigt wer­den. Denn die Mau­er ist im unse­rem All­tag bis heu­te prä­sent und vor allem die Rea­li­tät, die sie geschaf­fen hat. So schreibt Regi­na Mönch am 10.08.2014 in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung, dass die Ber­li­ner Mau­er heu­te als letz­tes Argu­ment gegen die Gen­tri­fi­zie­rung her­hal­ten müs­se. Damit traf sie im Übri­gen den Nagel auf den Kopf. Denn dort, wo im Innen­stadt­ge­biet Woh­nun­gen errich­tet wer­den, kön­nen sich die Men­schen, die heu­te dort woh­nen, die Mie­ten in die­sen Neu­bau­ten nicht leis­ten. Ande­rer­seits wer­den Erschlie­ßungs­stra­ßen für die­se Häu­ser dort ange­legt, wo sich Res­te der Ber­li­ner Mau­er befin­den. Das gilt auch für den Wed­ding. Hier ist mit der Gleim-Oase ein ein­zig­ar­ti­ges Zeug­nis der Geschich­te der ein­ge­mau­er­ten Stadt vom Abriss bedroht. An des­sen Stel­le soll die Zufahrt zur künf­ti­gen Mau­er­park­be­bau­ung mit 400 bis 600 Fahr­zeug­be­we­gun­gen am Tag entstehen.

 

Die Gleim-Oase ist ein Denkmal

Gleim-Oase elferrWich­tig ist aber auch die zwei­te Bot­schaft, denn auf der Insel sind Wer­ke des Künst­ler­ehe­paars Car­li­ni auf­ge­stellt wor­den. Die Künst­ler setz­ten sich schon damals kri­tisch mit dem Städ­te­bau der 1950er bis 1970er Jah­re aus­ein­an­der. So ste­hen die mit Ran­ke­pflan­zen ver­se­he­nen Sche­ren­schnit­te aus Metall­ros­ten für den Über­gang zu einer an grü­nen und öko­lo­gi­schen Inhal­ten ori­en­tier­ten Gesell­schaft. Die Mit­tel­in­sel aus dem Jah­re 1983 – damals waren die Grü­nen erst­mals im deut­schen Bun­des­tag ver­tre­ten – ist folg­lich das ers­te Denk­mal der Grün-Alter­na­ti­ven Bewe­gung in Berlin.Dass ein Nach­den­ken gegen­über die Geschich­te sinn­voll ist, zeigt sich an der durch Bür­ger­hand begrün­ten Gleim-Oase. Denn in vier Jah­ren ehren­amt­li­cher Arbeit durch eine Initia­ti­ve war nicht fest­zu­stel­len, wer die Oase ange­legt hat oder gar für sie zustän­dig ist. Um der Erin­ne­rung auf die Sprün­ge zu hel­fen, hat Frank Bert­mann von den Grü­nen hier­zu in der BVV Mit­te (Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung) eine klei­ne Anfra­ge gestellt.

Kahlschlagsanierung und Altbauerhaltung

Putbusser Str_ElfertDas Gan­ze spielt sich in einem Stadt­teil ab, der auf­grund der Abriss­sa­nie­rung, sei­ner Neu­bau­ten und der schwie­ri­gen Sozi­al­da­ten lan­ge Zeit einen nicht all­zu guten Ruf hat­te. Unum­strit­ten ist, dass die­ser Total­ab­riss sei­ner­zeit nur des­halb erfol­gen konn­te, weil die­ser Teil des ein­zi­gen Arbei­ter­be­zir­kes in einem Halb­kreis von der Ber­li­ner Mau­er umge­ben war.

Dem­ge­gen­über fin­den sich hier auch zahl­rei­che restau­rier­te Alt­bau­ten, die dem Abriss ent­gan­gen sind. Das liegt unter ande­rem am Enga­ge­ment von Hardt-Walt­herr Hämer. An den Häu­sern in der Put­bus­ser Stra­ße 29–31 rech­ne­te er im Jah­re 1968 zum ers­ten Mal vor, dass der Neu­bau von Häu­sern teu­rer ist als deren Instand­set­zung. Hämer lei­te­te 1987 die Inter­na­tio­na­le Bau­aus­stel­lung IBA in Kreuz­berg und setz­te dort die behut­sa­me Stadt­er­neue­rung durch. Das, was ihn zum „Ret­ter von Kreuz­berg“ mach­te, hat­te er hier im Brun­nen­vier­tel, im Schat­ten der Mau­er, entwickelt.

Zehn Jahre Taz im Wedding

Ehemaliges Redationsräme der Taz im Wedding E ElfertWas nicht mehr vie­le wis­sen: Im Brun­nen­vier­tel lagen von 1979 – 1989 in der Watt­stra­ße 11 die ers­ten Redak­ti­ons­räu­me der Tages­zei­tung Taz  – vor ihrem Umzug in das Haus an der Koch­stra­ße mit Blick auf den Axel Sprin­ger Ver­lag. Der Film „TAZ –Wir bau­en ein Haus“, der vor drei Mona­ten zum 25. Jah­res­ta­ges die­ses Umzu­ges ent­stand, zeigt, wie im Wed­ding an dem ein­zig­ar­ti­gen Zei­tungs­expe­ri­ment gear­bei­tet wur­de. Man kann sich die Fra­ge stel­len, wie gera­de hier, an einem Ort, der von der Ber­li­ner Mau­er umschlos­sen war, jenes Print­me­di­um ent­ste­hen konn­te, das die Medi­en­land­schaft Deutsch­lands ent­schei­dend ver­än­dert hat.

Mauergedenkstätte im Wedding

Gedenkstätte Berliner Mauer E.ElfertUnd noch eine Fra­ge lohnt sich ange­sichts des 25. Jah­res­ta­ges der Öff­nung der Mau­er in Bezug auf das Brun­nen­vier­tel. War­um ging die Initia­ti­ve zur Ein­rich­tung der Gedenk­stät­te Ber­li­ner Mau­er, die an die Tei­lung Ber­lins erin­nert, nicht von Ost-Ber­lin, z.B. von Mit­te aus? War­um star­te­te eine sol­che Initia­ti­ve auch nicht in Kreuz­berg? War­um nahm die­ser inter­na­tio­na­le Anzie­hungs­punkt zur Geschich­te der Ber­li­ner Mau­er sei­nen Aus­gang im Wed­din­ger Brunnenviertel?

Es macht also Sinn, sich jen­seits der auf bei­den Sei­ten der eins­ti­gen Mau­er gut geüb­ten Vor­ur­teils­pro­duk­ti­on gegen­über Wed­ding, Mit­te und Prenz­lau­er Berg mit den Hin­ter­grün­den und Fol­gen der Gren­ze im Wed­ding zu befassen.

Dies ist der Anfang einer geplan­ten Arti­kel­se­rie des Wed­ding­wei­sers zum 25. Jah­res­tag der Öff­nung der Ber­li­ner Mau­er. Wenn Ihr, die Lese­rin­nen und Leser des Wed­ding­wei­sers, Geschich­ten habt, die sich direkt oder indi­rekt um die Mau­er ran­ken, schreibt sie auf und schickt sie der der Redak­ti­on zu ([email protected]). Wir wer­den sie in einer Rei­he zum 25. Jah­res­tag zur Öff­nung der Ber­li­ner Mau­er veröffentlichen.

Autor / Fotos: Eber­hard Elfert

Links zum Thema

„Pren­zel­wich­ser“ – „Mit­te ist Schit­te, Prenz­lau­er Berg ist Pet­ting“ http://www.taz.de/1/archiv/?id=archivseite&dig=2005/08/26/a0226

Arti­kel: Ber­li­ner Denk­mä­ler ‑Hei­ße Mau­er, Regi­na Mönch, FAZ 10.08.2014 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ein-neuer-uferweg-um-denkmaeler-des-geteilten-berlin-erregt-proteste-13090598.html

Gleim-Oase http://gleim-oase.de/

Der Film „TAZ –Wir bau­en ein Haus“ http://www.taz.de/!p4844/#!vimeo=100498055/

Hardt-Walt­herr Hämer http://www.brandeins.de/archiv/2006/ortsbestimmung/soziale-innovation-eine-serie-in-brand-eins.html

Gedenk­stät­te Ber­li­ner Mau­er http://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/

Gastautor

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