Als ich auf der Redaktionssitzung des Weddingweisers vorschlug, zum 25. Jahrestag der Öffnung der Berliner Mauer eine Artikelserie zu starten, erntete ich zunächst gelangweilte Blicke. Es scheint nun mal zum guten Ton zu gehören, sich der Erinnerung anlässlich von Jahrestagen zu entziehen. Zu Unrecht…
Vorurteile leben länger
Dabei ist es durchaus sinnvoll, sich gerade im Wedding mit der Mauer zu befassen. Immerhin ist das Selbstverständnis, das durchaus auch im Weddingweiser gepflegt wird, mit diesem Bauwerk auf Engste verbunden. Ohne Mauer und deren Verschwinden gäbe es die schöne Wortschöpfung des Primetime-Theaters, das die Debatten auf den Punkt bringt – nämlich die „Prenzelwichser“- nicht. Dieser Begriff beschreibt treffend die Feindbilder, die erst durch die Langzeitwirkung der Teilung entstanden sind und nun einen zentralen Bestandteil der „Wedding-Identität“ bilden: „Mitte ist Schitte, Prenzlauer Berg ist Petting“. Vor dem Hintergrund einer solchen Abgrenzung lässt es sich schön einrichten – sogar ohne sichtbare Grenze. Der Stadtsoziologe würde dazu etwas verkürzt sagen: Raumbegriffe sind soziale Konstruktionen, die der Durchsetzung politischer Ziele dienen. Wie hätte sich der Wedding wohl ohne die Mauer entwickelt?
Wohnungen auf dem Mauerstreifen?
Dass sich das Verhältnis des Wedding zu den Sperranlagen der DDR etwas komplexer darstellt, soll hier an einigen Beispielen aus dem Brunnenviertel gezeigt werden. Denn die Mauer ist im unserem Alltag bis heute präsent und vor allem die Realität, die sie geschaffen hat. So schreibt Regina Mönch am 10.08.2014 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass die Berliner Mauer heute als letztes Argument gegen die Gentrifizierung herhalten müsse. Damit traf sie im Übrigen den Nagel auf den Kopf. Denn dort, wo im Innenstadtgebiet Wohnungen errichtet werden, können sich die Menschen, die heute dort wohnen, die Mieten in diesen Neubauten nicht leisten. Andererseits werden Erschließungsstraßen für diese Häuser dort angelegt, wo sich Reste der Berliner Mauer befinden. Das gilt auch für den Wedding. Hier ist mit der Gleim-Oase ein einzigartiges Zeugnis der Geschichte der eingemauerten Stadt vom Abriss bedroht. An dessen Stelle soll die Zufahrt zur künftigen Mauerparkbebauung mit 400 bis 600 Fahrzeugbewegungen am Tag entstehen.
Die Gleim-Oase ist ein Denkmal
Wichtig ist aber auch die zweite Botschaft, denn auf der Insel sind Werke des Künstlerehepaars Carlini aufgestellt worden. Die Künstler setzten sich schon damals kritisch mit dem Städtebau der 1950er bis 1970er Jahre auseinander. So stehen die mit Rankepflanzen versehenen Scherenschnitte aus Metallrosten für den Übergang zu einer an grünen und ökologischen Inhalten orientierten Gesellschaft. Die Mittelinsel aus dem Jahre 1983 – damals waren die Grünen erstmals im deutschen Bundestag vertreten – ist folglich das erste Denkmal der Grün-Alternativen Bewegung in Berlin.Dass ein Nachdenken gegenüber die Geschichte sinnvoll ist, zeigt sich an der durch Bürgerhand begrünten Gleim-Oase. Denn in vier Jahren ehrenamtlicher Arbeit durch eine Initiative war nicht festzustellen, wer die Oase angelegt hat oder gar für sie zuständig ist. Um der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, hat Frank Bertmann von den Grünen hierzu in der BVV Mitte (Bezirksverordnetenversammlung) eine kleine Anfrage gestellt.
Kahlschlagsanierung und Altbauerhaltung
Das Ganze spielt sich in einem Stadtteil ab, der aufgrund der Abrisssanierung, seiner Neubauten und der schwierigen Sozialdaten lange Zeit einen nicht allzu guten Ruf hatte. Unumstritten ist, dass dieser Totalabriss seinerzeit nur deshalb erfolgen konnte, weil dieser Teil des einzigen Arbeiterbezirkes in einem Halbkreis von der Berliner Mauer umgeben war.
Demgegenüber finden sich hier auch zahlreiche restaurierte Altbauten, die dem Abriss entgangen sind. Das liegt unter anderem am Engagement von Hardt-Waltherr Hämer. An den Häusern in der Putbusser Straße 29–31 rechnete er im Jahre 1968 zum ersten Mal vor, dass der Neubau von Häusern teurer ist als deren Instandsetzung. Hämer leitete 1987 die Internationale Bauausstellung IBA in Kreuzberg und setzte dort die behutsame Stadterneuerung durch. Das, was ihn zum „Retter von Kreuzberg“ machte, hatte er hier im Brunnenviertel, im Schatten der Mauer, entwickelt.
Zehn Jahre Taz im Wedding
Was nicht mehr viele wissen: Im Brunnenviertel lagen von 1979 – 1989 in der Wattstraße 11 die ersten Redaktionsräume der Tageszeitung Taz – vor ihrem Umzug in das Haus an der Kochstraße mit Blick auf den Axel Springer Verlag. Der Film „TAZ –Wir bauen ein Haus“, der vor drei Monaten zum 25. Jahrestages dieses Umzuges entstand, zeigt, wie im Wedding an dem einzigartigen Zeitungsexperiment gearbeitet wurde. Man kann sich die Frage stellen, wie gerade hier, an einem Ort, der von der Berliner Mauer umschlossen war, jenes Printmedium entstehen konnte, das die Medienlandschaft Deutschlands entscheidend verändert hat.
Mauergedenkstätte im Wedding
Und noch eine Frage lohnt sich angesichts des 25. Jahrestages der Öffnung der Mauer in Bezug auf das Brunnenviertel. Warum ging die Initiative zur Einrichtung der Gedenkstätte Berliner Mauer, die an die Teilung Berlins erinnert, nicht von Ost-Berlin, z.B. von Mitte aus? Warum startete eine solche Initiative auch nicht in Kreuzberg? Warum nahm dieser internationale Anziehungspunkt zur Geschichte der Berliner Mauer seinen Ausgang im Weddinger Brunnenviertel?
Es macht also Sinn, sich jenseits der auf beiden Seiten der einstigen Mauer gut geübten Vorurteilsproduktion gegenüber Wedding, Mitte und Prenzlauer Berg mit den Hintergründen und Folgen der Grenze im Wedding zu befassen.
Dies ist der Anfang einer geplanten Artikelserie des Weddingweisers zum 25. Jahrestag der Öffnung der Berliner Mauer. Wenn Ihr, die Leserinnen und Leser des Weddingweisers, Geschichten habt, die sich direkt oder indirekt um die Mauer ranken, schreibt sie auf und schickt sie der der Redaktion zu ([email protected]). Wir werden sie in einer Reihe zum 25. Jahrestag zur Öffnung der Berliner Mauer veröffentlichen.
Autor / Fotos: Eberhard Elfert
Links zum Thema
„Prenzelwichser“ – „Mitte ist Schitte, Prenzlauer Berg ist Petting“ http://www.taz.de/1/archiv/?id=archivseite&dig=2005/08/26/a0226
Artikel: Berliner Denkmäler ‑Heiße Mauer, Regina Mönch, FAZ 10.08.2014 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ein-neuer-uferweg-um-denkmaeler-des-geteilten-berlin-erregt-proteste-13090598.html
Gleim-Oase http://gleim-oase.de/
Der Film „TAZ –Wir bauen ein Haus“ http://www.taz.de/!p4844/#!vimeo=100498055/
Hardt-Waltherr Hämer http://www.brandeins.de/archiv/2006/ortsbestimmung/soziale-innovation-eine-serie-in-brand-eins.html
Gedenkstätte Berliner Mauer http://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/