Die Luft riecht nach nassen Haaren, nach Bier und Gras und Badehandtüchern. Irgendwo spielt jemand Gitarre, plötzlich platscht es laut im Wasser und dann wieder lacht eine Gruppe von Männern. Der Plötzensee ist an diesen magischen Sommerabenden voll mit kleinen Booten, Badetieren und Schwimmerinnen. Auf der Wiese beim Steingarten sitzen Gruppen von jungen Leuten, auf der anderen Seite FKK, und das Strandbad ist ohnehin immer voll. Später im November sind die Uferwege dann verlassen und es ist viel leichter, dort seine Laufrunden zu drehen. Und vom Sommer zu träumen. Donnerstags ein Erinnerungsfoto bei Instagram teilen. Und das ist alles?
Eine krasse Erfahrung
Anfang Dezember habe ich es zum ersten Mal gemacht. Ausziehen, Badekappe auf und ab in den See. „Ich schwimme einfach einmal rüber zum Steg und wieder zurück. Kein Ding.“ Nach zehn Metern bekomme ich keine Luft mehr und dann eine Todesangst, wie ich sie noch nicht in meinem Leben hatte. „Sofort zurück! Sofort zurück! Du Idiot!“ Wieder am Ufer schnappe ich noch immer unkontrolliert nach Luft. Nach einer knappen Minute bin ich aus dem Wasser, zitternd, und ganz still. „Irgendwie,“ werde ich später erzählen, „war das eine richtig krasse Erfahrung. Ich muss das unbedingt noch mal probieren.“
Jeden Samstag um 10:00 Uhr treffen sich die Ice Dippers Berlin. Es ist der selbe Steingarten am Ostufer des Plötzensees, an dem im Sommer so viele Leute baden gehen. Fünfzehn, manchmal zwanzig Leute kommen hier zusammen. Bei Schnee und Eis können es auch mehr werden. Am Anfang machen wir eine einfache Atemübung. Jonas, der die Gruppe 2017 mit Bastian ins Leben gerufen hat, sitzt auf dem Boden und gibt eine kurze Einführung für alle, die zum ersten Mal dabei sind. Die Atemtechnik stammt von Wim Hof, einem Niederländer, der alle möglichen Rekorde in frostigen Temperaturen hält, aber die Ice Dippers sehen sich nicht als Wim-Hof-Gruppe, sondern als eine selbstorganisierte Gruppe von Menschen, die einfach im Plötzsensee eisbaden. Jede/r ist willkommen. „Danach gehen wir ins Wasser. Ich würde euch bitten, weil es eine sehr meditative Erfahrung ist, möglichst ruhig zu sein und nicht zu reden, solang noch jemand im Wasser ist.“
“Es ist überhaupt nichts dabei”
Anders als bei meinem Alleingang im Dezember atme ich jetzt tief und gleichmäßig und nehme die Kälte einfach wahr. Manchmal kribbelt die Haut. Ich spüre meinen Herzschlag. Weh tut es nicht. Ich weiß, dass mein Körper mit dieser Situation klar kommt. Nach einer Minute kommt die Stille. Stell dir vor, du sitzt in der total überfüllten Ringbahn, mindestens fünf Leute schreien in ihre Handys, und mit einmal mal steigen einfach alle aus. Türen zu. Und du sitzt allein in der Bahn. Das ist es, was bei mir im kalten Wasser passiert. Auch nach dem Eisbaden bleibt die Stille noch für ein paar Tage. Inzwischen gehe ich jeden Tag in den See, samstags mit der Gruppe und sonst allein. Von Atemnot und Todesangst ist nichts mehr zu spüren. „Kann ich das auch?“ Die meisten meiner Freunde haben mich erstaunt angeguckt. Mitgekommen, um es selbst zu probieren, ist nur einer.
Natürlich kannst du das! Es ist überhaupt nichts dabei. Beim ersten Mal ist es sehr, sehr kalt und dein Körper bekommt einen ordentlichen Schreck: „Hilfe – was passiert hier?“ Aber selbst da wirst du mit Glückshormonen überflutet. Und dann wird es immer leichter. Die Hände und Füße werden unempfindlicher. Du wirst wach und klar und entspannt und stolz, dass du dich überwunden hast, Samstag morgen nicht im warmen Bett zu schlummern, sondern in den kalten See zu steigen. Du musst niemand Besonderes sein, um das zu tun – aber es ist etwas Besonderes, wenn du es tust. Jedes Mal. Ich jedenfalls habe den besten Winter meines Lebens. So glücklich und entspannt habe ich mich noch nie gefühlt, während die ganze Stadt wochenlang grau und trostlos ist. Nur auf den Frühling freue ich mich diesmal nicht so richtig.
Spenden für die Kältehilfe
Zum Schluss wird es dann richtig gesellig. Jonas hat eine riesige Thermoskanne mit heißem Ingwertee dabei. Genau das Richtige jetzt! Leute stellen Fragen, tauschen sich aus, geben Tipps, quatschen miteinander, verabreden sich. Um Mutproben und Bestzeiten geht es hier übrigens niemandem. Wenn ich Jakob, der als einer der letzten aus dem Wasser gekommen ist, frage, wie lange er heute drin war, zuckt er bloß mit den Schultern und lächelt mich an: „Hab nicht gestoppt.“ In einem Einmachglas werden Spenden für den Kältebus der Berliner Stadtmission gesammelt. 800 € sind so im Winter 2017⁄18 zusammengekommen. Die Saison geht noch bis Ende März. Im Juni riecht es dann wieder nach nassen Haaren, nach Bier und Gras und Badehandtüchern. Dann drehe ich meine Laufrunden oder schwimme rüber zum Steg und träume dabei vom Winter. In Wahrheit ist es hier immer schön und mehr als ein Handtuch braucht man nicht. Man muss es einfach machen – noch bis Ende März.
Text: Maurice Schmülling
Webseiten:
https://icedippers.com/
https://www.facebook.com/icedippersberlin/
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