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Obdachlos – eine Ausstellung mitten im Wedding

27. Oktober 2018
Einer der vielen leerstehenden Läden rund um die Müllerstraße (c) Foto von Susanne Haun
Einer der vie­len leer­ste­hen­den Läden rund um die Mül­lerstra­ße – doch eine Zwi­schen­nut­zung für die Aus­stel­lung war nicht mög­lich. Foto: Susan­ne Haun

Obdach­lo­sig­keit gehört auch im Wed­ding dazu, die Obdach­lo­sen vom Leo­pold­platz erin­nern jeden Tag dar­an. Doch gespro­chen wird über die­ses The­ma sel­ten. Nach lan­ger Pla­nung fin­det am 2. Novem­ber ab 19 Uhr die Eröff­nung der Aus­stel­lung “Quer­brü­che – Obdach­los” im Café Mot­te  statt.  Die Orga­ni­sa­ti­on der Aus­stel­lung war nicht ein­fach, umso mehr freu­en sich die bei­den Künst­le­rin­nen über die Hil­fe vom Bezirk Mitte.

Obdachlos mit einer Ausstellung

Die Künst­le­rin­nen Gabrie­le D.R. Guen­ther und Susan­ne Haun began­nen schon vor einem Jahr, sich Gedan­ken über die Aus­stel­lung zu machen. Bei­de Künst­le­rin­nen woh­nen und arbei­ten im Wed­ding und die hohe Anzahl an Obdach­lo­sen beson­ders um den Leo­pold­platz ist ein alt­be­kann­tes The­ma im Kiez.

Die eigent­li­che Idee der bei­den war, einen der vie­len leer­ste­hen­den Läden für eine Woche zu mie­ten und aus ganz Deutsch­land Künst­ler ein­zu­la­den, um mit ihnen zu die­sem The­ma zu arbei­ten. Dar­aus wur­de nichts. Die bei­den frag­ten von Anfang des Jah­res bis in den August hin­ein bei Ver­mie­tern und Immo­bi­li­en­mak­lern an, kei­ner war bereit, Räum­lich­kei­ten für die Aus­stel­lung zur Ver­fü­gung zu stel­len. So waren die bei­den Künst­le­rin­nen mit ihrer Aus­stel­lung selbst sozu­sa­gen obdachlos.

Der Wedding hilft

Schon letz­tes Jahr bewar­ben sich die bei­den Künst­le­rin­nen um eine För­de­rung durch den Gebiets­fond 2018. „Mit dem Gebiets­fonds kön­nen für das Akti­ve Zen­trum Mül­lerstra­ße klei­ne und gro­ße Ideen, Pro­jek­te, Aktio­nen unter­stützt wer­den, die posi­ti­ve Effek­te für das “Akti­ve Zen­trum” Gebiet Mül­lerstra­ße haben. Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, akti­ve Inter­es­sier­te, Enga­gier­te und Neu­gie­ri­ge kön­nen ihre Ideen ein­rei­chen und so span­nen­de Pro­jek­te sowie die Ent­wick­lung vor der eige­nen Haus­tür mit­ge­stal­ten. Nach dem Auf­ruf ent­schei­det eine Jury über die Pro­jek­te, die im dar­auf­fol­gen­den Jahr aus För­der­mit­teln des Akti­ven Zen­trums mit 50 Pro­zent der Kos­ten unter­stützt wer­den.“ heißt es auf der Inter­net­prä­sen­ta­ti­on der Mül­lerstra­ße zum Gebiets­fonts, auf der auch die ande­ren geför­der­ten Pro­jek­te des Jah­res 2018 bekannt­ge­ge­ben wurden.

Nicht nur die finan­zi­el­le, son­dern auch die men­ta­le Unter­stüt­zung und nicht zuletzt auch Hil­fe bei der Suche nach einem Raum für die Aus­stel­lung waren ein Glück für Gabrie­le D.R. Guen­ther und Susan­ne Haun. Durch Ver­mitt­lung von Win­fried Pichier­ri von der Pla­ner­ge­mein­schaft wur­de die Aus­stel­lung durch Ver­schie­bung ande­rer Aus­stel­lun­gen in der Schil­ler-Biblio­thek auf­ge­nom­men. Da in der Schil­ler-Biblio­thek in der Regel kei­ne Ver­nis­sa­gen ver­an­stal­tet wer­den, sprang das Café Mot­te ein und beher­bergt die Arbei­ten der bei­den Künst­le­rin­nen für etwas über eine Woche. Özlem Özmen-Eren, Besit­ze­rin des Cafés Simit Evi, wird wäh­rend der Aus­stel­lung am Mitt­woch, den 7. Novem­ber ab 14 Uhr eine Sup­pen­kü­che für Obdach­lo­se einrichten.

Hier sieht die Lese­rin, der Leser wie­der: Der Wed­ding funk­tio­niert! Gemein­sam wur­de eine Lösung gefun­den, dass die Aus­stel­lung zwar in abge­speck­ter Form und ohne wei­te­re Künst­ler aus Deutsch­land, aber immer­hin statt­fin­den kann.

Im bunten Treiben rund um den Leopoldplatz werden die Schlafplätze der Obdachlosen oft übersehen, Foto von Susanne Haun
Im bun­ten Trei­ben rund um den Leo­pold­platz wer­den die Schlaf­plät­ze der Obdach­lo­sen oft über­se­hen. Foto: Susan­ne Haun

Über die Organisatorinnen

Susanne Haun, „Obdachlos - das Paradies kann warten“ Serie von 50 Zeichnungen, 2018, Tusche auf Büttenpapier, 20 x 30 cm
Susan­ne Haun, „Obdach­los – das Para­dies kann war­ten“, Serie von 50 Zeich­nun­gen, 2018, Tusche auf Büt­ten­pa­pier, 20 x 30 cm

Obdach­lo­sig­keit ist für Susan­ne Haun kein abs­trak­ter Begriff, sie ist der Auf­fas­sung, dass jeder betrof­fen sein kann. Die Aus­prä­gung der Obdach­lo­sig­keit reicht vom „Danach“ einer Räu­mungs­kla­ge bis zur allein­er­zie­hen­den Mut­ter, die mit ihren Kin­dern wie eine Noma­din von Mann zu Mann zieht, um nicht auf der Stra­ße leben zu müssen.

Die Künst­le­rin setzt sich seri­ell in ihren redu­zier­ten, linea­ren Zeich­nun­gen mit dem The­ma Obdach­lo­sig­keit aus­ein­an­der. In Inter­views mit Betrof­fe­nen stellt sie Fra­gen nach der Wich­tig­keit des Lebens, das Aus­kom­men mit dem weni­gen Besitz, der Kampf um den Schlaf­platz und die täg­li­che Mahl­zeit sowie nach dem Leben an sich, dem Glück oder Unglück der Ein­zel­nen bezie­hungs­wei­se des Einzelnen.

Gabriele D.R. Guenther, „Zersetzt |Verstoßen“, 2006, Blattkupfer/Acryl/Wachs/Draht/Mischtechnik auf Plastik/Holz/Papier/Metall, 112 x 110 x 60 cm
Gabrie­le D.R. Guen­ther, „Zer­setzt |Ver­sto­ßen“, 2006, lattkupfer/Acryl/Wachs/Draht/Mischtechnik auf Plastik/Holz/Papier/Metall, 112 x 110 x 60 cm

In ihrer Lyrik und Kunst befasst sich Gabrie­le D.R. Guen­ther mit The­men wie Obdach­lo­sig­keit, sozia­lem Umbruch und Tod und unter­sucht dabei aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln Ent­wick­lun­gen und Über­gän­ge. Poli­ti­sche wie auch emo­tio­na­le Aspek­te kom­men dabei zum Tra­gen. Mit küh­nem Auge wer­den zwi­schen­mensch­li­che Inter­ak­tio­nen beob­ach­tet und beleuch­tet. Zusam­men­bruch und Ver­lust wer­den mit erstaun­li­cher und sub­ti­ler Acht­sam­keit seziert.“ (K.C. Her­ceg, Lyri­ke­rin, USA) Schon als Kind in Japan wur­de sie mit dem Phä­no­men Obdach­lo­sig­keit kon­fron­tiert und war davon fas­zi­niert. (Sie­he „Out­cast“, in „This Could Be You Com­po­sing Me). Bereits damals merk­te sie, dass das Abrut­schen in die Obdach­lo­sig­keit erschre­ckend schnell gesche­hen kann.

Ausstellungsorte

Das Café Mot­te der Fami­lie Kott­mann gibt es seit Mai und es ist gleich­zei­tig Café, Bar und Gale­rie. Hier im Wed­ding­wei­ser erfahrt ihr mehr über die­ses unge­wöhn­li­che Kon­zept des Cafés. Die Aus­stel­lung im Café Mot­te ist vom 2. bis 11. Novem­ber zu besich­ti­gen. Öff­nungs­zei­ten sind von 12 bis 0 Uhr. Gleich­zei­tig wer­den Wer­ke zu die­sem bri­san­ten The­ma in der Schil­ler-Biblio­thek, Mül­lerstra­ße 149 in der Gale­rie im 1. Ober­ge­schoss vom 5. Novem­ber bis 28. Dezem­ber gezeigt. Ange­schaut wer­den kön­nen die Arbei­ten Mon­tag bis Frei­tag 10–19.30 und Sams­tag 10–14 Uhr.

Programm

Ankündigung Ausstellung Obdachlos in Schiller Bibliothek (c) Susanne HaunFrei­tag, den 2. Novem­ber, 19 Uhr: Eröff­nung im Café Mot­te, Naza­reth­kirch­stra­ße 40,  Ein­füh­rung in die Aus­stel­lung durch Mei­ke Lan­der, Kunsthistorikerin

Mitt­woch, den 7. Novem­ber, 14 Uhr:  Sup­pen­kü­che bei  Simit Evi, Café und Simit House,  Mül­lerstra­ße 147, 19 Uhr Dis­kus­si­on mit Betrof­fe­nen im Café Mot­te, Naza­reth­kirch­stra­ße 40

Frei­tag, den 9. Novem­ber, 17 Uhr:  Füh­rung durch die Aus­stel­lung,  Treff­punkt:  Schil­ler-Biblio­thek  zum Café Motte

Café Mot­te, Naza­reth­kirch­str. 40 Ecke Malplaquetstraße

 

Autorenfoto Susanne Haun

 

Susan­ne Haun fragt sich, ob wir  Scham emp­fin­den, wenn wir das Elend der Obdach­lo­sig­keit auf der Stra­ße näher betrach­ten? Schau­en wir ein­fach weg? Trau­en wir uns nur die lee­ren Schlaf­plät­ze und den Besitz der Obdach­lo­sen näher zu betrach­ten? Das sind Fra­gen, denen sie künst­le­risch nach­geht. Susan­ne Haun schreibt regel­mä­ßig zu The­men nicht nur zur eige­nen Kunst, son­dern zur Kunst, die im leben­di­gen Wed­ding in Gale­rien und Ate­liers zu fin­den ist.

 

Susanne Haun

Susanne Haun studierte Kunstgeschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Seit 2002 ist sie als Bildende Künstlerin und Autorin in Berlin aktiv.
Von 1993-2005 arbeitete sie als Systemanalytikerin und Entwicklerin für verschiedene ARD Sendeanstalten.

Als Autorin veröffentlicht sie seit März 2009 täglich Beiträge zur eigenen Kunst und Kunstgeschichte in ihrem Blog www.susannehaun.com und interagiert dort sowie auf weiteren Social Media Plattformen mit über 12.000 Follower. Zudem unterhält Susanne Haun einen Kunstsalon in ihrem Atelier. Hier werden regelmäßig aktuelle Themen zur Kunst von geladenen Gästen referiert und diskutiert.

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