Es klingt nach einer genialen Hintertür. Mit dem gesetzlichen Vorkaufsrecht, das Gemeinden haben, ließe sich die Liberalisierung des Wohnungsmarkts rückgängig machen. Einfach dadurch, dass Städte, Dörfer oder in Berlin die Bezirke, in Kaufverträge eintreten. Statt zu Deals unter Konzernen käme es so zu einer Rekommunalisierung, also zu einer Rückkehr zur Verstaatlichung von Wohnraum. Möglich soll dies sein dank des Tricks Vorkaufsrecht, das im Baugesetzbuch geregelt ist. Dieser Artikel erklärt, was ein Vorkaufsrecht ist und wozu es da ist und warum das Gesetz auch die Abwendungsvereinbarung aufgenommen hat. Außerdem wird erklärt, wo rechtliche Fragen enden und politische Fragen beginnen. Anlass für diesen Beitrag ist der Fall AmMa 65 im Winter 2017/2018.
Was ist ein Vorkaufsrecht?
Ja, es gibt das Vorkaufsrecht für Kommunen. Der §24 des Bausgesetzbuches gibt den Gemeinden das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen bei Grundstücksgeschäften ein Vorkaufsrecht auszuüben. Das Recht beinhaltet, dass die Gemeinde in fertig abgeschlossene Kaufverträge eintreten kann. Sie wird zum lachenden Dritten, nachdem zwei andere über den Verkauf einer Immobilie verhandelt haben. (Da Berlin Stadt, Gemeinde und Bundesland in einem ist, nehmen die Bezirke das Vorkaufsrecht wahr.)
Das Vorkaufsrecht soll bewirken, dass die Gemeinden bei der Stadtplanung die Oberhand behalten. Denn sie besitzen selber nur wenige Grundstücke, wollen aber manche Ecken ihrer Stadt gestalten. Dazu erklärt die Gemeinde einen Teil ihrer Stadt zu einem besonderen städtebaulichen Gebiet. Zum Beispiel möchte eine Stadt in Brandenburg ihre historischen Altstadt mit dem schönen Markt bewahren. Dann hat sie mit dem Vorkaufsrecht einen Hebel, mit dem sie verhindern kann, dass Investoren den Stadtkern nach ihren Ideen “verschönern”. In Berlin ist ein Milieuschutzgebiet ein besonderes städtebauliches Gebiet. In diesen Gebieten kann der Bezirk einen Vorkauf in Anspruch nehmen.
Eine Besonderheit ist, dass für die Gemeinde der Hebel obendrein relativ billig ist. Denn sie muss beim Vorkauf nicht selber der einspringende Käufer sein. Sie kann auch für Dritte kaufen. Diese Möglichkeit gibt es im Baugesetzbuch erst seit 2013. In Berlin sollen diese Dritten die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sein. “Vorrang hat der Ankauf zugunsten von städtischen Wohnungsbaugesellschaften” und nicht zugunsten der Bezirke heißt es auf Seite 19 des Koalitionsvertrages zwischen SPD, Grüne und Linke aus dem Jahr 2016. Fast wortgleich formuliert es das Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten.
Der Vorkauf läuft so ab: Der Verkäufer des Grundstückes sucht einen Käufer und verhandelt mit ihm den Kaufvertrag aus. Doch in dem Moment, wo der Vertrag unterschrieben wird, sagt die Gemeinde Stopp und ruft: Ich kaufe. Das ist so, als ob jemand auf dem Flohmarkt ein altes Schmuckstück kaufen möchte, doch dann trägt plötzlich der Nachbar die schöne Antiquität nach Hause. Dem Verkäufer ist der Vorgang gleichgültig, denn er hat sein Geld bekommen, wenn auch vom Nachbarn. Auch der Käufer hat eigentlich keinen Schaden, ihm ist bloß die Rarität entgangen, die er auch vorher nicht besessen hat. Auch Geld hat er keines verloren. Aber es ist leicht einzusehen, dass er sich dennoch vorgeführt fühlt.
Was ist eine Abwendungsvereinbarung?
Um den Käufer zu schützen, gibt es Grenzen für das Vorkaufsrecht. Eine Gemeinde kann nicht nach Belieben in getätigte Grundstückskäufe eingreifen. Zum Beispiel muss das “Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigen”, was zum Beispiel beim Hochwasserschutz gegeben ist. Oder das Grundstück muss in einem Gebiet liegen, für den eine Bauleitplanung vorliegt. So weit so kurz für den Moment.
Eine weitere, wichtige Grenze ist der § 27 Baugesetzbuches. Der Käufer hat das Recht zu verhindern, dass ihm die Gemeinde vor seiner Nase ein Grundstück wegschnappt. Er schließt einfach eine Abwendungsvereinbarung mit der Gemeinde. Darin verpflichtet er sich, mit dem gekauften Grundstück die “Ziele und Zwecke der städtebaulichen Maßnahme” zu beachten. Die müsste er eigentlich sowieso beachten, aber er unterschreibt es noch einmal ausdrücklich.
Die Möglichkeit, dass Bezirk und Käufer (in Klammern: oft ein Investor) eine Abwendungsvereinbarung abschließen können, dient nicht nur dem Käuferschutz. Es will auch, dass politische Fragen politisch geklärt werden. Das Baugesetz will zwar, dass die Bürgermeister ihre Städte gestalten. Es will aber nicht vorschreiben, dass die Kommunen dazu Eigentümer ihrer Städte werden müssen. Ob das gewollt ist, das müssen die Leute in jedem Ort selbst politisch entscheiden.
Wohnungspolitik ist keine rechtliche Frage
Ja, auf den ersten Blick erscheint es widersinnig, dass das Baugesetz auf der einen Seite den Gemeinden ein Vorkaufsrecht in die Hand gibt und gleichzeitig die Möglichkeit der Abwendung hinterherschiebt. Man fragt sich: Was denn nun, soll die Gemeinde nun in den Markt eingreifen dürfen oder nicht? Wer so fragt, hat die Frage offenbar falsch gestellt. Es ist nicht gewollt, mit dem Baugesetz die Marktwirtschaft auszuhebeln. Oder anders gesagt: Die Idee des Baugesetzes ist es nicht, bei der Rekommunalisierung – also der Wieder-Verstaatlichung von Mietwohnungen – zu helfen. Das muss das Rathaus politisch beschließen.
Denn die Frage, wie viele staatlichen Wohnungen es in einer Gemeinde geben soll, das kann keine baurechtliche Frage wie die nach der Maximalhöhe eines Hause oder der Mindestgröße von Hinterhöfen sein. Wie viele staatliche, genossenschaftliche, selbstgenutzte und freie Wohnungen vorhanden sind, das ist keine Frage des Städtebaus, das ist eine politische Frage.
Text: Andrei Schnell, Fotos: Andrei Schnell, Sulamith Sallmann, Marcel Nakoinz, Toni Karge