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Glanz und Gloria einer vergangenen Zeit:
Kinowelten uff’n Wedding und Gesundbrunnen

13. Oktober 2019
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Die Wie­ge des Kinos lag im Win­ter­gar­ten des Hotel Cen­tral. Bald schos­sen Anfang des 20. Jh. spe­zi­el­le „Kine­ma­to­gra­phen-Thea­ter“ wie Pil­ze aus dem Boden, auch uff’n Wed­ding. 1909 schrieb Alfred Döb­lin vom Kin­topp als dem „Thea­ter der klei­nen Leu­te“. Unse­re Groß­el­tern wer­den die­se Kinos noch gekannt haben. In unse­ren dama­li­gen Bezirk gab es 75 Kinos. Heu­te gibt es noch zwei: Das Mul­ti­plex-Kino Cine­plex Alham­bra und das City Kino Wedding.

Wo heute noch Filme flimmern

Das Mul­ti­plex-Kino,  frü­her nur als „Alham­bra“ bekannt, in der Mül­ler-/See­stra­ße zeigt ange­sichts der Bevöl­ke­rungs­struk­tur regel­mä­ßig auch tür­ki­sche und ara­bi­sche Fil­me in der Ori­gi­nal­ver­si­on. Das City Kino Wed­ding befin­det sich im Cent­re Fran­cais de Ber­lin in der Mül­lerstra­ße 74. Vor dem Haus kün­det immer noch ein Mini-Eif­fel­turm vom Ruhm der Gran­de Nati­on. Am 30.1.2019 berich­te­te „Der Tages­spie­gel“ von der 69. Ber­li­na­le. Sie star­te­te erst­mals im Jah­re 1951. Die Ber­li­na­le „Goes Kiez“ fand im City Kino Wed­ding statt. Erst­mals lief eine Aus­stel­lung zum Film­fest im Wed­din­ger Kul­tur­quar­tier „Silent Green“. Das The­ma war die Digi­ta­li­sie­rung von Fil­men, bei der halb ver­ges­se­ne Schät­ze aus den Archi­ven auf­tauch­ten. Die Bei­trä­ge waren auf Lein­wän­den und Instal­la­tio­nen zu sehen. Das ehe­ma­li­ge Kre­ma­to­ri­um Wed­ding in der Gericht­stra­ße beher­bergt das „Silent Green“ seit Herbst 2015. Auf der Frei­licht­büh­ne Reh­ber­ge gibt es seit 2009 einen Betrieb als Frei­uft­ki­no Rehberge.

Verschwundene Kinos

Eine Neubauecke, früher Kinowelten
Utrech­ter Ecke Turi­ner Stra­ße heute

Eini­ge weni­ge der damals vor­han­de­nen Kinos möch­te ich noch in Erin­ne­rung brin­gen. Viel­leicht denkt so man­cher Hei­mat­freund an die Zei­ten, wo er span­nen­de Fil­me gese­hen hat.
 Der Mer­ce­des-Palast (Ufa-Palast), Utrech­ter-/Tu­ri­ner Stra­ße, wur­de 1926 auf den Grund­mau­ern einer ehe­ma­li­gen Eisen­gie­ße­rei erbaut. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­de er wei­ter­hin als Kino benutzt. Seit 1965 erfolg­te die Nut­zung als Super­markt. 1987 erfolg­te der Abriss des Palas­tes. Am 27.7.1933 erhielt die Utrech­ter Stra­ße nach einem Hit­ler­jun­gen den Namen Wag­nitz­stra­ße, Rück­be­nen­nung am 31.7.1947. Mit der Namens­än­de­rung der Utrech­ter Stra­ße ging auch die Umben­nen­nung des Kinos in „Ufa-Palast“ ein­her. Die in Pots­dam-Babels­berg ansäs­si­ge Uni­ver­sum Film Akti­en­ge­sell­schaft (Ufa) wur­de bereits am 18.12.1917 gegrün­det. Ihr Kür­zel ist über Jahr­zehn­te zum Mythos gewor­den. Gene­ral Erich Luden­dorff hat­te ange­sichts der dro­hen­den Nie­der­la­ge im Ers­ten Welt­krieg fest­ge­stellt, eine neue gro­ße Film­ge­sell­schaft muss her, der Pro­pa­gan­da für Deutsch­land wegen. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs folg­ten zahl­rei­che Pro­pa­gan­da­fil­me mit Durch­hal­te­pa­ro­len. Nach Kriegs­en­de wur­de die Ufa von den vier Besat­zungs­mäch­ten zer­schla­gen, im rus­si­schen Sek­tor ent­stand die Defa. Im Wes­ten begann die alte neue Ufa 1956 wie­der in Pro­duk­ti­on zu gehen. Eben­so beein­fluss­ten fran­zö­si­sche Fil­me den Ber­li­ner All­tag. Aus einer Spiel­plan­an­kün­di­gung des Bezirks­am­tes Wed­ding im Janu­ar 1946 ist zu ent­neh­men, dass der fran­zö­si­sche Film­ver­leih Ber­lin in ver­schie­de­nen Kinos im Bezirk Wed­ding sie­ben deut­sche und sechs fran­zö­si­sche Fil­me anbot. Die fran­zö­si­schen Fil­me wur­den meis­tens in deut­scher Fas­sung gezeigt. Im Mer­ce­des-Palast wur­den nicht nur Fil­me gezeigt, son­dern auch poli­ti­sche Ver­an­stal­tun­gen durchgeführt.

Von 1954–1962 bestand das Sca­la-Film­thea­ter in der Mül­lerstra­ße 53/ Tür­ken­stra­ße. Hier befand sich zuvor die Gast­wirt­schaft „Olden­bur­ger Hof“, das Haus gehör­te in den 1920er Jah­ren dem „Ver­ein für die Armen“. 1952 wur­de der Gast­hof für den Kino­neu­bau abge­ris­sen. Es war wohl das ältes­te, urkund­lich beleg­ba­re Häus­chen des alten Wed­dings.
 Das Thea­ter des Wed­dings, Sel­ler-/Mül­lerstra­ße, wur­de von 1910–1962 als Kino genutzt. Heu­te steht ein präch­ti­ges For­schungs­ge­bäu­de des Bay­er-Kon­zerns (vor­her Sche­ring) an die­ser Stelle.

Das Welt ‑Thea­ter (1905−1944) in der Mül­lerstra­ße 67 war das ers­te orts­fes­te Kino im Wed­ding. Es wur­de im Zwei­ten Welt­krieg zer­stört. Hier befand sich ursprüng­lich das Palais Fürst Blü­cher mit Tanz­lo­kal. 1883 wur­de dar­aus das Ver­eins­haus „Schrip­pen­kir­che“, 1902 Umzug in die Acker­stra­ße. In Ball­schmie­ders Kas­ta­ni­en­wäld­chen in der Bad­stra­ße 16 wur­den ab 1915 die ers­ten Fil­me gezeigt.
 Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­den dort noch bis 1950 im Rio-Tages­ki­no Fil­me vor­ge­führt. Seit 1929 befin­det sich zudem an die­ser Stel­le ein Wool­worth-Kauf­haus, das sein Haus 1950 erweiterte.

Standort von Kinowelten an der Lichtburg
Hier stand einst die Lichtburg

Die Licht­burg am Bhf. Gesund­brun­nen wur­de 1929 errich­tet. Im Zwei­ten Welt­krieg erheb­lich zer­stört, erfolg­te 1947 die Wie­der­eröff­nung als Cor­so-Thea­ter. 1962 wur­de es geschlos­sen und 1970 abge­ris­sen. Am 20. April 1948 trat hier Bul­ly Buhlan in einem Bene­fiz­kon­zert auf und sang den alten, durch Glenn Mil­ler berühmt gewor­de­nen Song „Chat­ta­noo­ga Choo Choo“ inter­pre­tiert, in abge­wan­del­ter Form: Verzeih’n Sie, mein Herr, fährt die­ser Zug nach Kötz­schen­bro­da?“ Wor­aus dann dank Udo Lin­den­berg der „Son­der­zug nach Pan­kow“ wur­de. 1962 mode­rier­te Hans Rosen­thal noch sei­ne Quiz­sen­dung „Spaß muss sein“.

Häuserzeile in der BadstraßeDie Hum­boldt-Licht­spie­le in der Bad­stra­ße 19 bestan­den von 1919 – 1984. In den Räu­men im Hof des Hau­ses befan­den sich ursprüng­lich Joseph Fran­kes Restau­rant und Fest­sä­le, es nann­te sich „Schirm’sche Eta­blis­se­ment“. Die letz­te Erbin die­ses Eta­blis­se­ments über­ließ die Nut­zung des Kino­saals 1962 der SED West­ber­lin im Gegen­zug für die Erlaub­nis, das Grab ihres Soh­nes auf dem Fried­hof zu pfle­gen, das jen­seits der Mau­er auf dem Grenz­ge­biet lag. Dadurch kam der Saal als „rotes Kino“ in Ver­ruf. Zwi­schen 1977 und 1982 war das Kino für tür­ki­sche Fami­li­en ein sozia­les Ereignis.

Der Kris­tall-Palast in der Prinzenallee/Badstraße wur­de 1926 als Groß­ki­no mit moderns­tem Kom­fort eröff­net. 1927 sang hier Clai­re Wald­off u.a. mit dem Lied „Roman­ze im Wed­ding“. Ihr wah­rer Name war Cla­ra Wort­mann. Sie spe­zia­li­sier­te sich auf Gas­sen­hau­er, Schla­ger und Chan­sons im Ber­li­ner Jar­gon, den sie auf Knei­pen­tou­ren gelernt hat­te. Mit ihrer Lebens­ge­fähr­tin Olga von Roe­der war sie zugleich Mit­tel­punkt des les­bi­schen Ber­lin. Ab 1933 hat­te sie für eini­ge Zeit ein poli­ti­sches Auf­tritts­ver­bot. Ein Miss­fal­len erreg­te eine im Volks­mund auf Her­mann Göring hin­zu gedich­te­te Stro­phe ihres Erfolgs „Her­mann heest er“: Rechts Lamet­ta, links Lamet­ta und der Bauch wird immer fetta…..“. Eine Sta­tue von ihr steht in der Fried­rich­stra­ße 107 (Mit­te). Im Zwei­ten Welt­krieg wur­de das Kino schwer beschä­digt und am 23. Dezem­ber 1955 wie­der eröff­net. Der Spiel­be­trieb ende­te 1980.

Heu­te Biblio­thek am Luisenbad

Die Mari­en­bad-Licht­spie­le in der Bad­stra­ße 3536 exis­tier­ten von 1908 – 1963. Die Brü­der Galusch­ki kauf­ten um 1870 die Grund­stü­cke Bad­str. 35 – 39. Carl Galusch­ki ent­wi­ckel­te hier in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten eine rege Bau­tä­tig­keit. In der Fol­ge­zeit ent­stand auf dem Gelän­de eine Bade­an­stalt. 18871888 wur­de das Ves­ti­bül-Gebäu­de mit dem Restau­rant “Mari­en­bad“ errich­tet. Er warb mit Ball­saal, einer Kaf­fee­kü­che, Kegel­bah­nen, Thea­ter- und Varie­té­ver­an­stal­tun­gen. Nach dem Tode Galusch­kis wur­de das Gelän­de ver­kauft. Aus dem hin­te­ren Teil des Gelän­des wur­de ein Ver­gnü­gungs­park, spä­ter ein Wochen­markt, der bis in die Nach­kriegs­zeit bestand. 1911 wur­de der Kon­zert- und Thea­ter­saal zum Licht­spiel­thea­ter „Mari­en­bad“ umge­baut.
 Aus dem Saal­ge­bäu­de des „Voigt-Thea­ter“ in der Bad­stra­ße 58 ent­stand 1923 das Alham­bra-Kino; das ab 1938 den Namen „Neu­es Alham­bra“ trug. Der Kino­saal war mit einer Wur­lit­zer-Orgel aus­ge­stat­tet. Am Gebäu­de ist eine Gedenk­ta­fel für Bernd Rose ange­bracht, der hier 1902 – 1906 sein ers­tes Rose-Thea­ter betrieb, bevor er mit dem Thea­ter nach Ber­lin-Fried­richs­hain zog. Das Neue Alham­bra wur­de nach dem Zwei­ten Welt­krieg nicht nur für Film­vor­füh­run­gen benutzt. Es war auch ein wich­ti­ger Schau­platz außer­halb des Rat­hau­ses für die Wed­din­ger Nach­kriegs­po­li­tik. Zwei­mal wöchent­lich tra­ten die Bezirks­ver­ord­ne­ten im Herbst 1946 dort auf, um für mehr Rück­halt bei der Bevöl­ke­rung zu wer­ben. Das Neue Alham­bra schloss am 30.6.1969. Übri­gens ist die Alham­bra eine bedeu­ten­de Stadt­burg auf einem Hügel von Gra­na­da in Spa­ni­en. Sie gilt als Inspi­ra­ti­on in Kunst, Musik und Literatur.

Mit der Wäh­rungs­re­form 1949 wur­den die Kinos in der Nähe der Sek­to­ren­gren­ze sub­ven­tio­niert, um Bür­gern der DDR den Besuch der west­li­chen Kinos zu ermög­li­chen. Erst zum hal­ben Preis in West­wäh­rung, ab 1951 dann zum Kar­ten­preis von 25 Pf. (West) gem. einer Wei­sung des „United Sta­tes High Commissioner“.

Autor: Bodo Körtge

Lite­ra­tur­nach­weis: – Lis­te der Kinos in Ber­lin Wed­ding und Gesund­brun­nen, Wiki­pe­dia v. 31.1.2019 – Ber­li­ner Stra­ßen, Bei­spiel Wed­ding, H. Joop, Ed. Hentrich Ber­lin 1987, S. 73 128 – Der Tages­spie­gel v. 18.12.2017, Ein Epos in sich, Thi­lo Wydra – Der Tages­spie­gel v.25.4.2013, Hier endet der alli­ier­te Sek­tor, Sven Gold­mann – Alli­ier­te in Ber­lin 1945 – 1994, Jeschon­nek, Rie­del, Durie, BWV 2007, S. 532 – 700 Jah­re Wed­ding, Bru­no Ste­phan, Süs­sen­guth Ver­lags­ge­sell­schaft Ber­lin, S. 46 – Bou­le­vard Bad­stra­ße, von Oerz­ten u. Jäger, Edi­ti­on Hentrich 1993, S. 103 ff. – Bro­schü­re: Biblio­thek am Lui­sen­bad 6.2.2019 – Der Tages­spie­gel v. 18.12.2017, Fern von Kötz­schen­bro­da, A. Con­rad, B. Buch­holz – Der Nord­ber­li­ner v.25.82011, Rechts Lamet­ta, links Lamet­ta und der Bauch wird immer fetta …,C + D Lau­dahn – Alham­bra, Wiki­pe­dia v. 4.2.2019

Der Bei­trag erschien zunächst in der Pan­ke-Pos­til­le, der Zeit­schrift des gemein­nüt­zi­gen Wed­din­ger Hei­mat­ver­eins e.V.

Gastautor

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1 Comment

  1. Zum Kino Scala:
    Im Kino­saal eta­blier­te sich nach der Schlie­ßung ein Beat Club —Can­non­ball—
    An die­ser Stel­le gab es spä­ter einen. Neu­bau mit Bankfiliale,was sonst auch anderes

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