Ein Interview mit Paula Salomo zur Verstetigung* im Sprengelkiez
Ruhig ist es an diesem verhangenen Dezembervormittag im Brüsseler Kiez. In einer der verschlafenen Straßen wohnt Paula Salomo, Studentin der historischen Urbanistik an der Technischen Universität Berlin. Die gebürtige Bautzenerin bittet mich freundlich zur Tür herein und kocht einen frischen Kräutertee. Wir bleiben zum Interview gleich in der gemütlichen WG-Küche sitzen. In ihrer am 30. November 2015 eingereichten Masterarbeit beschäftigt sich Paula Salomo mit der Vernetzung zwischen verschiedenen Akteuren im Sprengelkiez. Diese Arbeit ist vor allem angesichts der bevor stehenden Verstetigung interessant. Auf dem vergangenen Markt der Ideen stellte Paula Salomo ihre Arbeit vor. Grund, noch einmal genauer nachzufragen.
Würdest du den Sprengelkiez nach Abschluss deiner Arbeit als ein sozial intaktes Gefüge betrachten?
Im Moment sind die Strukturen gut ausgeprägt. Es gibt mehrere Auffangnetze, durch die Leute aufgefangen werden können, wenn sie ein Problem haben. Aber es ist nicht sicher, ob es auch so erhalten bleiben kann wenn jetzt einige Angebote wegbrechen, die keine Förderung mehr bekommen. Alles dreht sich um ein paar Knotenpunkte. Und dann ist die Frage: Wenn die wegfallen, bleibt das Netzwerk so bestehen? Kommen dann andere Knotenpunkte hervor, die bisher nicht so stark waren? Im Moment ist das alles Spekulation. Die Leute merken selbst, dass alles im Wandel ist. Und sie sind unsicher, wie es weiter gehen kann. Trotzdem würde ich sagen: Gerade sieht es ganz gut aus.
Ist der Verstetigungsprozess des Quartiersmanagements ein zentraler Punkt bei diesem Wandel?
Ja, weil die finanziellen Mittel dran hängen. Hinzu kommt die Frage nach Stadtteilzentrum und Stadtteilkoordination. Wer übernimmt das nach der Verstetigung? Und woher kommen die Mittel? Bezüglich des neuen Verfügungsfonds: Wie viel Geld gibt es und für welches Gebiet? So kleinteilig wird sicher nicht mehr gefördert werden. Und damit steht und fällt vieles. Natürlich gibt es immer viel Ehrenamt, aber wenn man das nicht unterstützt, wird es irgendwann versiegen.
Als du deine Arbeit angefangen hast – war da schon klar, dass das QM verstetigt wird?
Genau, das Quartiersmanagement-Team wusste, dass verstetigt wird und das Gutachten vom Deutschen Institut für Urbanistik lag bereits vor. Daraus ging hervor, dass der Prozess der Verstetigung eingeläutet wird. Dafür hat das QM-Team selbst Interviews geführt, die auch einen Teil der Datenbasis meiner Arbeit bilden. Und dann hatten sie eben gedacht: ‘OK, alle unsere Fragen sind schon sehr subjektiv’ und wollten das gerne nochmal von außen betrachtet haben. Deshalb hatten sie ein Masterarbeitsthema ausgeschrieben, damit nochmal jemand externes einen objektiveren Blick reinbringt und eine Netzwerkanalyse durchführt. Das fand ich interessant und hab mich gemeldet.
Wann war das?
Im Oktober 2014.
Wann hast du mit der Arbeit angefangen?
Zuerst hab ich noch ein bisschen näher den Kiez kennengelernt. Ich bin rumgelaufen und hab mir alles angeschaut. Im Januar 2015 hab ich mit Literaturrecherche angefangen und dann im Frühjahr waren die ersten Interviews, da ging es richtig los.
Hast du mit dem QM über die ganze Zeit eng zusammen gearbeitet oder bist du mehr oder weniger selbstständig vorgegangen?
Grundlage einer wissenschaftlichen Arbeit ist Objektivität. Deshalb fanden wir es besser, wenn sich das nicht zu sehr vermischt und ich bin unabhängig vom QM vorgegangen. Aber ich konnte die Räume nutzen und z.B. die Projektübersichten der letzten Jahre einsehen. Die brauchte ich halt. Und natürlich die Interviews, die sie selbst geführt hatten. Außerdem war ich natürlich bei den Veranstaltungen zur Verstetigung dabei. Also, wir hatten schon immer Kontakt, aber nicht so, dass wir uns über die Ergebnisse die ganze Zeit ausgetauscht hätten, das nicht.
Was genau war die Fragestellung der Arbeit?
Wie geht es weiter im Sprengelkiez? Es gibt soziale Bedarfe, die durch ein eigenständiges Akteursnetzwerk gedeckt werden. Was gibt es an sozialer Unterstützung – Anlaufstellen für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Ältere, wenn sie irgendein Problem haben. Das können Probleme bei der Bewältigung des Alltags sein, Berufsberatung, medizinische Beratung und so weiter, aber Freizeiteinrichtungen gehören auch in dieses Akteursnetzwerk. Welche Bedarfe gibt es und wie werden sie heute und in Zukunft abgedeckt – das ist die zentrale Fragestellung.
Was würdest du als die drei wichtigsten Ergebnisse bezeichnen?
Erstens: Das Netzwerk an sich ist stabil. Zweitens: Es ist unklar, ob es auch so erhalten bleiben kann, wenn die Förderung wegbricht. Das ist ein Hauptergebnis. Drittens: Man kann sagen, warum das so unklar ist. Man kann nämlich nicht automatisch sagen: Förderung weg, alles futsch! Weil eben auch viel freiwilliges Engagement im Spiel ist. Es ist wichtig, dass sich Einzelpersonen sehr engagieren und hervortun, damit die Struktur überhaupt erst getragen wird. In Zukunft ist entscheidend – egal wie die Förderung ausfällt – dass es weiter Anlaufstellen gibt für Leute, die Probleme haben. Damit sie einfach wissen, an wen oder an welche Institution sie sich wenden können.
Außerdem soll die zukünftige Förderung ein größeres Gebiet abstecken. Da muss man schauen, ob und wie man mit anderen Institutionen, die außerhalb des Kiezes liegen, zusammenarbeitet. Auch die Stadtteilkoordination ist für ein größeres Gebiet gedacht.
Worum genau ging es in den Interviews, die das QM durchgeführt hat?
Da ging es darum, dass das QM den Verstetigungsprozess einleiten und in diesem Zusammenhang schauen wollte, wie es im Quartier aussieht. Wie ist der aktuelle Stand der eigenen Arbeit? Welche Hauptakteure und Netzwerke werden gesehen? Was sind die Stärken und Schwächen des Netzwerkes? Gibt es nach dem Quartiersrat weiterhin Interesse an einem Bürgergremium für den Kiez? Dies sind die zentralen Fragen aus den Interviews.
Wichtige Akteure wurden kontaktiert und befragt. Es waren 22 Interviews. Das war die Grundlage für mein Netzwerk, die Grafiken, die ich entwickelt habe. Ich habe mir angeschaut, welche Kooperationen es im Quartier gibt. Außerdem habe ich die Projektübersichten der letzten Jahre hinzugezogen. Das war die eine Grundlage. Zusätzlich habe ich selbst elf Interviews geführt. Da ging es konkret um den Bedarf an sozialer Unterstützung.
Das waren dann andere Interviewpartner als beim QM?
Vier haben sich überdeckt.
Du hast wichtige Knotenpunkte im Akteursnetzwerk definiert. Magst du zu dem einen oder anderen etwas sagen?
Die drei wichtigsten Knotenpunkte sind das SprengelHaus, der Nachbarschaftsladen und die Leo-Lionni-Grundschule. Integritude e.V. und bwgt e.V. sind auch wichtig in dem Sinne, dass sie eine Mittlerrolle übernehmen. Dass sie oft bei der Frage, wie verschiedene Akteure erreicht werden können, auf dem Weg dazwischen liegen.
Überraschend war, dass die Leo-Lionni-Grundschule ein Hauptakteur ist. Es ist eben nicht wie das SprengelHaus oder der Nachbarschaftsladen ein Anlaufpunkt, der Räume vermietet, sondern es ist eine Schule. Die Leo-Lionni-Grundschule liegt bei 40 Prozent aller kürzesten Verbindungen und die Brüder-Grimm-Grundschule bei 2 Prozent. Natürlich wurde die Leo-Lionni-Grundschule befragt und die Brüder Grimm Grundschule nicht, das muss man auch sehen. Aber die Anzahl an Kooperationen kommt ja auch dadurch zustande, was andere gesagt haben. Man muss es noch ein bisschen relativieren, aber es ist dennoch auffällig und in dieser Intensität untypisch für eine Schule.
Welche Rolle siehst du in Zukunft für das SprengelHaus?
Das ist schwierig zu sagen, weil die Finanzierung nicht geklärt ist. Das hat auch was mit den Aufgaben zu tun, die übernommen werden müssen. Ich denke, dass das SprengelHaus ein Knotenpunkt bleibt, einfach durch die Möglichkeit der Raumanmietung. Es bleibt wichtig, dass Akteure irgendwo Räume anmieten können, um sich zu treffen. Aber dennoch denke ich, dass man sich nicht nur auf das SprengelHaus und den Nachbarschaftsladen konzentrieren sollte. Es gibt eben viele Akteure, viele Institutionen, die nicht dort aktiv sind und trotzdem zum Netzwerk gehören. Deshalb würde ich eine Exklusivförderung nicht empfehlen. Es sollte dort breit oder zumindest akupunkturmäßig gefördert werden, wo die Institutionen sind, damit auch das Netzwerk bestehen bleiben kann. Dennoch sind SprengelHaus und Nachbarschaftsladen eminent wichtig. Das merkt man ja auch an den Personen, die dort arbeiten. Die spielen eine große Rolle, auch in der Wahrnehmung, und das unterstreicht ja, dass sie einfach wichtig sind.
Ist Ehrenamt ein Bestandteil deiner Arbeit?
Ja, zum Teil. Ich habe festgestellt, dass viele, die angestellt sind, länger arbeiten als sie müssten. Über die Zeit hinaus, die sie bezahlt bekommen. Deshalb ist das Ehrenamt auch ein wichtiger Träger für die Strukturen die jetzt da sind, auch wenn nicht “Ehrenamt” drauf steht. Und die Potentiale sind sehr groß. Viele junge Leute im Quartier sind bereit, zu unterstützen. Die wichtigste Herausforderung für künftige Tage ist, dass die Leute, die sich engagieren wollen, wissen, wo sie nachgucken können. Und dass es dann eine Stelle gibt oder eine Institution, die das verwaltet und die den Überblick hat.
Hast du den Sprengelkiez eigentlich schon vor deiner Arbeit gekannt?
Ich wohne nicht so weit weg und kannte das Gebiet ein bisschen. Ich bin öfters durchgefahren, war mal in ein, zwei Cafés. Natürlich habe ich es jetzt viel tiefer kennengelernt. Es gab früher schon Berührungspunkte und ich hatte auch ein Bild von der Gegend. Man macht sich ja immer ein Bild. Trotzdem war es meine Aufgabe, möglichst objektiv vorzugehen.
Und in welche Richtung hat sich dein Bild verändert?
Na ja, es kommt drauf an, von welcher Seite man das sieht. Für mich ist die Veränderung erstmal positiv. Es gibt schöne öffentliche Räume, zum Beispiel am Nordufer. Es gibt Grünanlagen, viele Cafés und viele Sachen, die man dort machen kann. Da gehen einfach auch viele Leute hin, da ist was los – von daher ist der Kiez für mich erst mal positiv besetzt. Negativ ist, dass es Verdrängungstendenzen gibt. Das war jetzt kein Hauptteil meiner Arbeit, die Beobachtung macht man eher “nebenbei”. Für diejenigen, die dann verdrängt werden, ist es natürlich blöd. Die ganzen Cafés und so, wenn man sich das nicht leisten kann, bringt einem das auch nichts.
Auch aus professioneller Sicht hat sich das Bild ein bisschen gewandelt. Ich dachte, es ist ein aufstrebender Kiez. Mir war nicht bewusst, das es hier wirklich so viel Engagement gibt und so viele Institutionen, die was machen. Und auch machen müssen, weil es noch genug Leute gibt, die Unterstützung brauchen. Auch wenn es vielleicht nicht mehr so sichtbar ist auf der Straße, es gibt sie trotzdem.
Was hast du mit deiner abgeschlossenen Arbeit vor?
Ich stelle sie dem QM zur Verfügung. Für mich ist das erst mal abgeschlossen und ich kann es sozusagen an andere weitergeben. Es sind ja in der Arbeit am Schluss Empfehlungen zu weiteren Forschungen, die man machen könnte.
Du selbst willst nicht anknüpfen?
Ich habe keine direkte Möglichkeit dazu und will jetzt auch nicht promovieren, von daher bin ich erst mal raus. Ich kann das nur übergeben.
Findest du die Grundlage, die du gelegt hast, weiter verfolgenswert?
Auf jeden Fall! Bei einer qualitativen Studie ermittelt man Ergebnisse, die verifiziert werden müssen. Das ist Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens und würde sich meines Erachtens lohnen. Andere müssten in meine Ergebnisse näher rein gehen und das auf breiterer Datenbasis noch mal untersuchen. Ich kann mit meiner Arbeit nur Anregung geben, erste Gedanken. Ich finde die Ergebnisse valide, aber es ist noch nicht absolut, weil die Datengrundlage nur einen Ausschnitt darstellt.
Wo geht’s hin mit dir? Was hast du nun vor?
Also ich weiß es noch nicht so genau. Im Januar/Februar bin ich für zwei Monate in Indien. Dann komme ich wieder und muss mal schauen. Ich will nicht an der Uni bleiben, sondern orientiere mich gerade in Richtung Verlag, Lektorat. Aber da ist noch alles offen. Ich komme erst mal wieder, bewerbe mich und schaue, was passiert.
Nähere Informationen zur Arbeit von Paula Salomo finden Sie hier.
Interview und Fotos: Johannes Hayner
Dieser Artikel ist zuerst auf der Webseite des Quartiersmanagement Sparrplatz erschienen.
*Verstetigung: Das Programm Soziale Stadt ist eine zeitlich und örtliche begrenzte Interventionsstrategie und nicht auf Dauer angelegt. Ist ein Gebiet erfolgreich stabilisiert, sodass die Regelversorgung des Bezirkes ausreichend ist, leitet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt die Beendigung des Quartiersmanagements in einem Gebiet ein. Dazu gibt es eine zweijährige Übergangsphase, damit bewohnergetragene Strukturen weiter gefestigt werden können.
“Ältere” sind auch “Erwachsene” .….… vgl. 6. Abschnitt.……