Ein eigenartiges Schauspiel unter der Bösebrücke. Zwei rot-gelbe S‑Bahnen fahren nebeneinander, nur für ein paar Sekunden, so dicht, dass sich die Fahrgäste zuwinken könnten, doch trennt eine Betonmauer sie voneinander. Alle anderthalb Minuten wird bei der einen Bahn die Türschließung betätigt, und etwas zu schnell für die enge Kurve fährt sie auch. Die andere hingegen fährt am Bahnsteig ohne Halt vorbei. Die Züge nehmen unterschiedliche Richtungen, eine verschwindet im Ostteil, die andere im Westteil Berlins. Die Episode zeigt: unter all den Absurditäten, die die Teilung der Stadt ab 1961 mit sich brachte, nahm der Bahnhof Bornholmer Straße eine herausragende Stellung ein.
Der Ort war zu Mauerzeiten eine Nahtstelle zwischen Ost und West, ein Grenzübergang zwischen den Bezirken Prenzlauer Berg und Wedding, überspannt von der über 100 Jahre alten Bösebrücke. Diese spielte beim Mauerfall am 9. November 1989 die Hauptrolle. Bilder der Brücke gingen um die Welt. Auf der Südseite der Brücke wurde 1935 ein Haltepunkt in die bestehenden S‑Bahnstrecken hinzugefügt. Das fünfeckige Empfangsgebäude (Architekt: Richard Brademann) ähnelt seinem siebeneckigen Bruder, dem Bahnhof Humboldthain, der wenige Monate zuvor eingeweiht worden war. Brademann arbeitete an der Bornholmer Straße jedoch mit mehr Glas und hellen Keramikplatten; auch ein Turm mit dem S‑Bahn-Signet krönt das Zugangsgebäude. Die Architektur hat expressionistische Anklänge, das Gebäude ist aber auch ein Vertreter der Moderne. Unten gab es (wie heute) zwei Bahnsteige, aber nur drei Gleise: die S‑Bahn-Strecke zur Schönhauser Allee kam erst nach dem Krieg hinzu.
S‑Bahn zwischen den Mauern
Nach dem Bau der Mauer teilte die Deutsche Reichsbahn nämlich das S‑Bahn-Netz und kappte Ost-West-Verbindungen. Doch hier an der Bornholmer Straße, wo ab dem 13. August 1961 keine Züge mehr halten durften, kamen sich die beiden Netze für einige Meter ganz nahe. Aus der einstigen Stammlinie mit mehreren Verästelungen waren nun zwei separate, sich nur auf Sichtabstand berührende Strecken geworden. Die Ost-Züge fuhren ohne Halt auf einer neuen S‑Bahn-Strecke zwischen Schönhauser Allee und Pankow, gingen mit dem Westen bis auf einige Meter Abstand auf Tuchfühlung. Um Fluchtversuche zu verhindern, mussten die Züge mindestens 40 Stundenkilometer in der engen Kurve fahren. Wiederholt schlossen die Fahrer die Türen während der Fahrt durch Druckluftverriegelungen. Aus gutem Grund: nur hier fuhren die Bahnen zwischen Vorder- und Hinterlandmauer, kamen DDR-Bürger dem Westen so nah wie sonst nirgends.
Doch nach dem Mauerfall wurde die Station plötzlich wieder gebraucht. 1990 eröffnete die BVG auf der Nordseite der Bösebrücke ein modernes Zugangsbauwerk, das aber nicht in Konkurrenz zu seinem historischen Pendant auf der Südseite tritt. Züge der West-Linien hielten als erste wieder an der Bornholmer. Die Ost-Linien, die baulich vollkommen getrennt verliefen, bekamen provisorische Seitenbahnsteige. Das bedeutete lange Fußwege für Fahrgäste, die zum Beispiel von Pankow nach Gesundbrunnen möchten, aber immerhin war ein Umsteigen jetzt wieder möglich. Es sollte noch bis 2001 dauern, bis die Holzkonstruktion abgerissen wurde und der Bahnhof wieder seine Funktion als praktischer Umsteigepunkt erhielt, diesmal mit vier Gleisen.