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In der geteilten Stadt:
Die Geschichte der Straßenbahn im Wedding

7. Mai 2015
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Foto: Hen­sel

“Als Kind fuhr ich am liebs­ten mit der Linie 3”, erzähl­te mir vor ein paar Jah­ren ein älte­rer Kol­le­ge, der in der Nähe der Oslo­er Stra­ße auf­ge­wach­sen ist. Damals war gera­de die Tram­tras­se in der Mit­te der Oslo­er- und der See­stra­ße als “Linie 23” wie­der­eröff­net wor­den. Die his­to­ri­sche Ring­li­nie 3 besaß durch die Tei­lung der BVG schon seit 1951 einen West- und einen Ost­ast. Bei­de Äste began­nen bzw. ende­ten an der Oslo­er Stra­ße / Grün­ta­ler Stra­ße. Ab dem Mau­er­bau 1961 war für die Ost-Linie 3 schon vor der Böse­brü­cke Schluss, wo 1962 an der Björn­son­stra­ße eine Wen­de­schlei­fe ein­ge­rich­tet wur­de. Letzt­end­lich “über­leb­te” die Linie 3 aber nur im Ost­teil der Stadt: Im Wes­ten wur­de die Stre­cke auf der Oslo­er- und der See­stra­ße näm­lich am 1. August 1964 still­ge­legt, das Lini­en­en­de am Fehr­bel­li­ner Platz war nur noch mit Bus und U‑Bahn erreich­bar. Das ist bald 60 Jah­re her – doch die Geschich­te die­ser Stre­cke nahm noch einen inter­es­san­ten Verlauf.

Noch heu­te ist Ber­lin in Sachen Tram qua­si zwei­ge­teilt: im West­teil wur­de ab 1954 begin­nend mit den Ku’­damm­li­ni­en die Stra­ßen­bahn ein­ge­stellt und bis 1967 über­all durch U‑Bahnen und Bus­se ersetzt. Wie in ande­ren euro­päi­sche Metro­po­len, in denen die Stra­ßen­bah­nen eben­falls abge­schafft wur­de, woll­te man in West­ber­lin “modern” sein. Die Stra­ßen­bahn wur­de als ver­al­te­tes Ver­kehrs­mit­tel ange­se­hen. Der stark wach­sen­de Auto­ver­kehr sei durch die Stra­ßen­bah­nen behin­dert, argu­men­tier­te man. Die unab­hän­gi­gen Gleis­tras­sen in der Stra­ßen­mit­te wur­den in wei­te­re Fahr­spu­ren umge­wan­delt. Von die­ser Poli­tik wird inzwi­schen wie­der abge­wi­chen. Doch nur zöger­lich wer­den nun wie­der ein­zel­ne Stre­cken auch im West­teil Ber­lins gebaut. 

U‑Bahn und Bus statt Tram

Foto: Sula­mith Sallmann

Am 3. Mai 1956 wur­de aus­ge­rech­net im Wed­ding die ers­te U‑Bahn-Neu­bau­stre­cke nach 26 Jah­ren von See­stra­ße bis Kurt-Schu­ma­cher-Platz eröff­net. Als dann auch noch die Erwei­te­rung vom Kurt-Schu­ma­cher-Platz bis Tegel am 1. Juni 1958 in Betrieb ging, wur­de der Stra­ßen­bahn­be­triebs­hof Mül­lerstra­ße geschlos­sen. Neue Auto­bus­li­ni­en über­nah­men teil­wei­se die Auf­ga­ben der Stra­ßen­bahn­li­ni­en 28, 29, 41 und 68, wäh­rend die Linie 25 eine neue Lini­en­füh­rung zur Ber­nau­er Stra­ße erhielt. Aus dem alten Stra­ßen­bahn­de­pot Mül­lerstra­ße wur­de am 1. Juni 1960 ein Betriebs­hof für Bus­se. Am 1. August 1964 war dann auch auf der See- und auf der Oslo­er Stra­ße Schluss mit dem Tram­ver­kehr – die tra­di­ti­ons­rei­che Linie 3 war in West­ber­lin Geschichte.

Rückkehr der “Elektrischen”

Das über 150 Jah­re alte Ver­kehrs­mit­tel Stra­ßen­bahn (1865 fuhr die ers­te Pfer­de­bahn in Ber­lin) ist längst wie­der in den Wed­ding zurück­ge­kehrt – in den ers­ten Bezirk des alten West­ber­lin, wo es 28 Jah­re kei­ne Stra­ßen­bahn­li­nie gege­ben hat­te. 1995 wur­de die Neu­bau­stre­cke zwi­schen Born­hol­mer Straße/Björnsonstraße (wo die Ost-Linie 3 ende­te) und Loui­se-Schroe­der-Platz in Betrieb genom­men. Die Ver­län­ge­rung zum Virch­ow-Kli­ni­kum folg­te dann zwei Jah­re spä­ter. 2006 wur­de die Linie M10 von ihrer vor­he­ri­gen End­hal­te­stel­le Ebers­wal­der Stra­ße durch die Ber­nau­er Stra­ße in Gesund­brun­nen wei­ter zum Nord­bahn­hof in Mit­te ver­län­gert. Auch die­se Erwei­te­rung der Stra­ßen­bahn in den West­teil Ber­lins liegt teil­wei­se auf dem Gebiet des ehe­ma­li­gen Bezirks Wed­ding. Im Dezem­ber 2014 ist mit der Stre­cken­er­wei­te­rung bis zum Haupt­bahn­hof ein klei­nes Stück im West­teil hin­zu­ge­kom­men, das gera­de bis zum U‑Bahnhof Turm­stra­ße wei­ter­ge­baut wird. 

Heu­te ist die Stra­ßen­bahn aus dem Wed­ding nicht mehr weg­zu­den­ken. Zwar pas­sie­ren auf der moder­nen und mit hoher Geschwin­dig­keit befah­re­nen Stre­cke an der Oslo­er und der See­stra­ße rela­tiv vie­le, manch­mal sogar töd­li­che Unfäl­le, meist mit unauf­merk­sa­men Fuß­gän­gern. Die enor­me Beför­de­rungs­leis­tung die­ses – lan­ge Zeit unge­lieb­ten – Ver­kehrs­mit­tels ist jedoch unbe­strit­ten. Im Berufs­ver­kehr fah­ren die gelb-wei­ßen Züge der Lini­en M 13 und 50 auch an den end­lo­sen Staus der Auto­bahn­zu­brin­ger­stre­cken vor­bei – dem eige­nen Gleis­kör­per in der Stra­ßen­mit­te sei Dank. Und wie bis 1951 kann man mit der Stra­ßen­bahn von West nach Ost fah­ren – und zurück.

Mehr zur Stre­cke zur Turmstraße

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

1 Comment

  1. Auch heu­te weh­re ich mich,den Begriff Tram für die Stra­ßen­bahn zu verwenden.Tram fährt in Süd­deutsch­land aber nicht in Berlin.
    Mei­ne Oma ver­wen­de­te sogar noch die Bezeich­nung „ die Elek­tri­sche“ sicher noch ein Begriff als es auch noch Pfer­de­bah­nen gab.

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