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Tiere im Wedding: der wilde Wedding

21. März 2015
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Ganz früh, kurz nach Son­nen­auf­gang unter­wegs ist er, vor mei­ner Haus­tür. Sein krat­zi­ges Haar­kleid gibt ihm nicht viel Selbst­si­cher­heit, ängst­lich erstarrt der klei­ne Igel zu einer ver­meint­lich leb­lo­sen Sta­chel­ku­gel, wenn sich ein Mensch nähert. In den Gär­ten hin­ter dem Haus wohnt er in einem Laub­hau­fen. Nachts jagt er Insekten.

Füchse im Sprengelkiez (C) Ware Schönheit
Füch­se im Spren­gel­kiez © Ware Schönheit

Ein ganz ande­res Kali­ber Raub­tier ist hin­ge­gen der Fuchs, sogar das am wei­tes­ten ver­brei­te­te auf der Erde. Nicht nur im vor­städ­ti­schen Rei­ni­cken­dorf – wo er das Wap­pen­tier ist – streunt er durch die Stra­ßen. Auch im dicht besie­del­ten Wed­ding woh­nen Füch­se, am Hum­boldt­hain, in den Reh­ber­gen, wer­den aber auch fern­ab gro­ßer Parks im Spren­gel­kiez gesich­tet. “Die wich­tigs­ten Grün­de für das häu­fi­ge­re Auf­tre­ten des Fuch­ses sind das reich­hal­ti­ge Nah­rungs­an­ge­bi­ot der Weg­werf­ge­sell­schaft, kein Jagd­druck sowie ein gewis­ses Zutrau­en zum Men­schen“, erklärt die Senats­ver­wal­tung für Stadt­ent­wick­lung zur Häu­fung von Wild­tie­ren in Ber­lin. Sie weist eben­falls dar­auf hin, dass Füch­se trotz­dem scheu sind und Men­schen nicht grund­los angreifen.

Wildschweine Rehberge(C)Kate Seabrock
Wild­schwei­ne Reh­ber­ge © Kate Seabrock

Es ist nicht mehr zu über­se­hen, die wil­den Tie­re erobern die Groß­städ­te zurück. Nur hier ist das Nah­rungs­an­ge­bot noch grö­ßer als im Wald oder auf land­wirt­schaft­lich genutz­ten Flä­chen. Selbst in kana­li­sier­ten Gewäs­sern wie der Pan­ke kön­nen Stadt­be­woh­ner mühe­los Grau­rei­her beob­ach­ten, und sogar ein Eis­vo­gel fin­det hier genü­gend Fische und Insek­ten für sei­nen Spei­se­zet­tel. Gefahr droht ihnen durch die Men­schen in der Groß­stadt meis­tens nicht. Auch Biber und Wasch­bä­ren las­sen sich vom Groß­stadt­tru­bel nicht ver­trei­ben und wer­den an den Ufern der Wed­din­ger Gewäs­ser regel­mä­ßig gesich­tet. In den Reh­ber­gen gab es sogar eine Rot­te Wild­schwei­ne, die den Park­be­su­chern (und letzt­lich auch der Schuss­waf­fe eines Poli­zis­ten) zu nahe kamen.

Schildkröten am Plötzensee (C)musketussi
Schild­krö­ten am Plöt­zen­see © musketussi

Auch wenn der sie­ben Hekt­ar gro­ße Plöt­zen­see im Som­mer von Hun­der­ten Men­schen umla­gert ist, scheint das eine Schild­krö­ten­fa­mi­lie nicht im Gerings­ten zu stö­ren. Eigent­lich kommt in der Natur Deutsch­lands nur eine Sumpf­schild­krö­ten­art vor, doch ein Natur­fo­to­graf hat im Jahr 2011 gan­ze elf Rot­wan­gen-Schild­krö­ten im Plöt­zen­see aus­fin­dig gemacht. Und beim ers­ten Son­nen­strahl muss man am Ufer nicht lan­ge suchen, um die uri­gen Rep­ti­li­en auf einem im Was­ser trei­ben­den Baum­stamm beob­ach­ten zu können.

Fledermäuse (C)Berliner Unterwelten
Fle­der­mäu­se © Ber­li­ner Unterwelten/Holger Happel

Parks und Gewäs­ser sind für Tie­re natür­li­che Rück­zugs­or­te, die den Aus­gangs­punkt für Erkun­dungs­gän­ge und –flü­ge durch die Groß­stadt dar­stel­len. Doch auch die von Men­schen errich­te­ten Bau­wer­ke und ver­sie­gel­ten Flä­chen bie­ten vie­len Tier­ar­ten Obdach! So schick­te uns der Ver­ein Ber­li­ner Unter­wel­ten Fotos von Fle­der­mäu­sen, die sich in der Flak­bun­ker­rui­ne im Hum­boldt­hain häus­lich ein­ge­rich­tet haben.

Bussard (C) Berliner Unterwelten / Holger Happel
Bus­sard © Ber­li­ner Unter­wel­ten / Hol­ger Happel

Auch ein Bus­sard nutzt das Wer­be­schild eines Super­markts am Gesund­brun­nen regel­mä­ßig als Beob­ach­tungs­pos­ten. Man­che Nutz­tie­re haben sich eben­falls die Städ­te als Rück­zugs­raum aus­er­ko­ren: so fin­den gera­de Wild- und Honig­bie­nen, die welt­weit ein gra­vie­ren­des Arten­ster­ben erle­ben, in Ber­lin wei­te Ver­brei­tung. Kein Wun­der, gibt es hier doch weni­ger Pes­ti­zi­de und Insek­ti­zi­de als auf dem Land. Und Fein­staub und Abga­se fil­tern die Bie­nen her­aus, so dass der Stadt­ho­nig nicht damit belas­tet wird – und sogar beson­ders schmack­haft ist. Im Schul-Umwelt-Zen­trum (Gar­ten­ar­beits­schu­le Wed­ding) an der Scharn­we­ber­stra­ße sind eini­ge Bie­nen­völ­ker zuhau­se, aber auch im inter­kul­tu­rel­len Gemein­schafts­gar­ten Him­mel­beet am Leo­pold­platz und im Mau­er­gar­ten wird geim­kert. Außer­dem wer­den die Mit­hel­fer und Kurs­teil­neh­mer im Him­mel­beet dafür sen­si­bi­li­siert, wie man bie­nen­freund­lich gärtnert.

Bis­lang war der Wed­ding nicht gera­de dafür bekannt, dass es hier beson­ders ein­sam zugeht. Aber neu­lich, als ich beim Abend­spa­zier­gang ganz lei­se war, da habe ich es gehört: auch hier sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht!

Die Infor­ma­tio­nen und Fotos zu die­sem Arti­kel haben die Lese­rin­nen und Leser des Wed­ding­wei­sers auf Face­book bei­gesteu­ert. Dafür vie­len Dank an alle Mitschreibenden!

Die Serie wird mit Haus- und ande­ren Tie­ren fortgesetzt.

Fak­ten zu Ber­li­ner Wild­tie­ren (Quel­le: Ber­li­ner Mor­gen­post, gekürzt)

Bis zu 4000 Wild­schwei­ne leben in Ber­lin. Wild­schwei­ne gra­ben den Boden auf oder drü­cken Gar­ten­zäu­ne hoch, um an Nah­rung in Kom­post­hau­fen oder Abfall­ton­nen zu gelan­gen. “Die Tie­re haben einen guten Geruchs­sinn und wit­tern Nah­rung in Form von Knol­len und Obst­res­ten in Gär­ten auch auf wei­te Ent­fer­nun­gen”, sagt Kat­rin Koch von der Wild­tier­be­ra­tung des Natur­schutz­bund Deutsch­land (Nabu). Um die Wild­schwei­ne vom Gar­ten fern­zu­hal­ten, sind min­des­tens 1,5 Meter hohe, sta­bi­le Git­ter­zäu­ne nötig. Außer­dem kön­nen soge­nann­te Wühl­blo­cka­den aus Beton in den Boden ein­ge­las­sen wer­den. Immer­hin: Wild­schwei­ne grei­fen Men­schen äußerst sel­ten an. Wich­tig ist, bei einer Begeg­nung Ruhe zu bewah­ren und dem Tier Rück­zugs­mög­lich­kei­ten zu geben.

Weit über 1000 Stein­mar­der leben in Ber­lin – über­all in der Stadt ver­teilt. Stein­mar­der sind etwa so groß wie Kat­zen, wie­gen um die 1,5 Kilo­gramm und sind an ihrer lan­gen, strup­pi­gen Rute erkenn­bar. Beson­ders berüch­tigt sind die Tie­re für ihre “Mar­der­schä­den” an Autos – sie zer­bei­ßen Kabel oder Was­ser­schläu­che im Motor­raum. Die­ser dient ihnen als Unter­schlupf, Ver­steck für Nah­rung oder Spiel­platz ihrer Jun­gen. Sta­bi­le Kabelum­man­tel­lun­gen für gefähr­de­te Tei­le kön­nen die Mar­der­schä­den ver­hin­dern. Ob sich ein Mar­der in einem Haus ein­ge­nis­tet hat, kann man an sei­nem cha­rak­te­ris­ti­schen Kot erken­nen, der beson­ders lang und mit Beu­te­res­ten ver­setzt ist. Dau­er­haft las­sen sich die Tie­re nur fern­hal­ten, wenn es gelingt, sämt­li­che Ein­stiegs­mög­lich­kei­ten zu ver­schlie­ßen; etwa Mau­er­lö­cher, Belüf­tungs­schlit­ze oder locke­re Dachziegel.

Der Fuchs ist berüch­tigt als Über­trä­ger der Toll­wut, die in Deutsch­land aller­dings seit 2006 nicht mehr bei den Tie­ren nach­ge­wie­sen wur­de. Auch der Fuchs­band­wurm spielt in Ber­lin kei­ne Rol­le. Im Stadt­ge­biet gibt es etwa 1400 Füch­se. Da sie kei­ne Gefahr dar­stel­len, wer­den sie in der Stadt nur in Aus­nah­me­fäl­len geschos­sen. Die Tie­re von Grund­stü­cken kom­plett fern­zu­hal­ten ist schwie­rig, da sie Mau­ern über­klet­tern kön­nen und sich unter Zäu­nen hin­durch­zwän­gen. Um sie nicht anzu­lo­cken, soll­ten Nah­rungs­mit­tel­quel­len wie Hun­de- oder Kat­zen­fut­ter ent­fernt und offe­ne Müll­ton­nen geschlos­sen wer­den. Fühlt sich ein Fuchs erst ein­mal im Gar­ten hei­misch, so gibt es meh­re­re Metho­den, ihn wie­der los­zu­wer­den: Da die Tie­re kei­ne mensch­li­chen Gerü­che mögen, wer­den spe­zi­el­le Mit­tel, die nach mensch­li­chem Schweiß rie­chen, im Fach­han­del ange­bo­ten. Auch Außen­lam­pen mit Bewe­gungs­sen­sor kön­nen abschre­cken. Schließ­lich geht es auch ganz ein­fach: Es kann rei­chen, den Gar­ten­schlauch in ihre Rich­tung zu halten.

Wer hät­te das gedacht: Wild­ka­nin­chen kön­nen ganz schön gefähr­lich sein: Sie legen weit­ver­zweig­te Höh­len­sys­te­me an, die die Sta­tik von Stra­ßen oder gar klei­nen Häu­sern gefähr­den kön­nen – ihre Grab­tä­tig­kei­ten kön­nen zudem Baum­wur­zeln zer­stö­ren. Im ver­gan­ge­nen Jahr wur­den des­we­gen etwa 800 Tie­re in Ber­lin getö­tet. Auf klei­nen Grund­stü­cken sind Schä­den aber glück­li­cher­wei­se sel­ten: Die Tie­re wer­den durch die stän­di­ge Anwe­sen­heit des Men­schen oder von Haus­tie­ren wie Kat­zen ver­trie­ben. Ein­mal im Gar­ten, sind die Nager aller­dings nicht wäh­le­risch und beschä­di­gen oft­mals sämt­li­che Stau­den und Gehöl­ze. Wer also auf Num­mer sicher gehen möch­te, kann Bee­te mit einem Draht­zaun umzie­hen, der min­des­tens 20 Zen­ti­me­ter tief in die Erde ein­ge­las­sen ist. Ein­zel­ne Bäu­me kön­nen mit Draht­man­schet­ten gegen die Bis­se der Kanin­chen geschützt werden.

Der Biber war fast aus­ge­rot­tet, seit etwa fünf Jah­ren gibt es ihn aber wie­der häu­fi­ger (100 Tie­re) in Ber­lin. Die nied­li­chen Nager mit der cha­rak­te­ris­ti­schen Biber­kel­le sind durch das Bun­des­na­tur­schutz­ge­setz streng geschützt. Sie erfreu­en aller­dings nicht unein­ge­schränkt: 45 Gehöl­zar­ten ste­hen auf ihrem Spei­se­plan, dar­un­ter auch Nadel- und Apfel­bäu­me. Vor allem im Win­ter, wenn sons­ti­ge Nah­rung rar ist, fällt der Biber auch Ufer­ge­bü­sche und Bäume.

Wasch­bä­ren fres­sen sel­te­ne Tie­re wie die Sumpf­schild­krö­te oder den Grau­rei­her, wüh­len Gär­ten um und nis­ten sich auf Dach­bö­den ein – sie sind eine inva­si­ve Art. Ursprüng­lich nicht in Ber­lin behei­ma­tet, gibt es mitt­ler­wei­le min­des­tens 1000 Wasch­bä­ren in allen Ecken der Stadt, und ihre Zahl steigt. “Wasch­bä­ren fern­zu­hal­ten ist nahe­zu unmög­lich – die sind eine ech­te Pla­ge”, sagt Wild­tier­be­ra­te­rin Koch vom Nabu. Die fünf bis zehn Kilo­gramm schwe­ren Tie­re ernäh­ren sich in Städ­ten von Essens­res­ten, klet­tern auf Obst­bäu­me, stö­bern auf Kom­post­plät­zen oder in Müll­ton­nen. Um das hei­mi­sche Obst gegen Wasch­bä­ren zu sichern, kön­nen min­des­tens einen Meter hohe Blech­rin­ge an den Baum­stäm­men ange­bracht wer­den. Müll­ton­nen soll­ten mit Spann­gum­mis gesi­chert wer­den. Damit Wasch­bä­ren nicht ins Haus gelan­gen, soll­ten alle Schlupf­lö­cher dau­er­haft ver­schlos­sen und der Schorn­stein durch ein Metall­git­ter gesi­chert werden.

 

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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