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Der Wedding im Wandel:
Zwischen Sehnsucht und Hoffnung

Mal könnte man den Wedding umarmen, so wunderbar die Begegnungen dort sein können, mal möchte man ihn am liebsten wie Teflon an sich abperlen lassen, so schnoddrig und schmuddelig er manchmal ist.

Und oft ist er auch alles zugleich. Die Erfah­rung zeigt aber auch, dass die Din­ge im Wed­ding meis­tens irgend­wo dazwi­schen liegen .

Jetzt gera­de ist wie­der so ein Moment, wo ich die Sehn­sucht nach dem guten alten Wed­ding ver­ste­hen kann. Hach, die Mül­lerstra­ße, ganz im Nor­den bekannt für ihren iko­ni­schen Eif­fel­turm, über das Schil­ler­park­cen­ter mit­samt rie­si­gem real-Markt und Bow­ling­bahn bis hin­un­ter zum Kar­stadt, wo man bis ein Ein­kaufs­ver­gnü­gen haben konn­te, wie es das sonst nir­gend­wo in die­sem Stadt­teil mit sei­ner rau­en Scha­le gab. Und heu­te? Der Eif­fel­turm ist nur noch ein nied­ri­ges Gerüst, das ohne­hin schon klo­bi­ge Kauf­haus am Leo­pold­platz wirkt in sei­nem Netz ein­ge­spon­nen wie mumi­fi­ziert. Es ist alles zwar irgend­wie noch da, aber ohne Leben.

Oder neh­men wir das Park­ca­fé Reh­ber­ge. Das war frü­her nun wirk­lich kei­ne Schön­heit, aber gehör­te irgend­wie zum Inven­tar des Wed­ding – wie ein Ver­eins­haus in Eiche rus­ti­kal zum Klein­gar­ten­ver­ein gehört. Nun ver­sucht eine Initia­ti­ve seit Jah­ren, den Ort irgend­wie zu ret­ten, aber es ste­hen so vie­le Schwie­rig­kei­ten im Weg, dass man den Glau­ben dar­an fast verliert.

Doch je län­ger ich dar­über nach­den­ke, des­to kla­rer wird mir: Ver­än­de­rung ist im Wed­ding selbst schon immer ange­legt. Wie vie­le Neu­an­kömm­lin­ge aus der gan­zen Welt hat­ten hier ihre ers­te klei­ne bil­li­ge Woh­nung mit Koh­len­hei­zung, bevor sie etwas Bes­se­res in einem ande­ren Bezirk gefun­den haben? Viel­leicht spricht man im Wed­ding auch in ihrer Mut­ter­spra­che, sodass das Ankom­men etwas leich­ter fällt. Und in dem glei­chen Maß, wie der Stadt­teil plötz­lich als nor­ma­ler Teil der Innen­stadt (mit den dazu­ge­hö­ri­gen hohen Mie­ten) ange­se­hen wird, schie­ßen auch vega­ne Cafés, hip­pe Craft Beer-Braue­rei­en und neue Kitas aus dem Boden – für Leu­te, die frü­her nie­mals im Wed­ding hät­ten woh­nen wollen.

Außer­dem gibt es wie­der Hoff­nungs­schim­mer: Bis Okto­ber soll der Eif­fel­turm, des­sen Ein­zel­tei­le im Moment von deut­schen und fran­zö­si­schen Jugend­li­chen wie­der zusam­men­ge­zim­mert wer­den, wie­der auf­ge­baut sein. Viel Geld haben die Wed­din­ger dafür gespen­det. Im noch immer vor sich hin gam­meln­den Schil­ler­park­cen­ter soll bald ein Kampf­sport-Cen­ter ein­zie­hen – wer weiß, viel­leicht ersteht auch die Bow­ling­bahn wie­der auf? Die Ver­si­che­rungs­kam­mer Bay­ern, der inzwi­schen das Kar­stadt-Gebäu­de allein gehört, soll dem Ver­neh­men nach nicht am Leer­stand des Gebäu­des bis zum Ende des Umbaus inter­es­siert sein – der Bezirk kann sich dort eine kul­tu­rel­le Zwi­schen­nut­zung und Flä­chen für Hilfs­an­ge­bo­te, unter ande­rem für Sucht­kran­ke, vor­stel­len. Das Park­ca­fé Reh­ber­ge sieht zwar immer noch her­un­ter­ge­rockt aus, aber die Initia­ti­ve bespielt die Flä­che davor uner­müd­lich mit Kul­tur – es ist also nicht alles im Nie­der­gang begrif­fen und hoffnungslos.

Und erin­nern wir uns: Schon man­ches Mal hat der Wed­ding nicht nur sei­ne Widerstands‑, son­dern auch sei­ne Anpas­sungs­fä­hig­keit bewie­sen! Aus der ver­wais­ten Frei­licht­büh­ne im Volks­park Reh­ber­ge ist 2010 ein anspruchs­vol­les Open-Air-Kino gewor­den. Selbst der alte Saal im alten fran­zö­si­schen Kul­tur­zen­trum wird schon seit Jah­ren wie­der als Pro­gramm­ki­no (City Kino) bespielt und ver­sorgt den Wed­ding mit anspruchs­vol­len Fil­men. Selbst das Main­stream-Pen­dant Alham­bra hat sich behaup­tet und ist seit Jahr­zehn­ten durch­aus erfolg­reich, auch als Mul­ti­plex­ki­no. Oder den­ken wir an das alte Lui­sen­bad, das zwar über kei­nen Bier­gar­ten mit “Kafé Küche” mehr ver­fügt wie um 1900 her­um, dafür aber den viel­leicht schöns­ten Biblio­theks­stand­ort in ganz Ber­lin bietet?

Ich gebe die Hoff­nung nicht auf. Der Wed­ding hat bis jetzt immer die Anpas­sung geschafft, und so wird es auch dies­mal sein.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

1 Comment

  1. Es ist doch rich­tig span­nend, mit­zu­er­le­ben, wie vie­le Orte ver­schö­nert wer­den. Und schließ­lich berich­tet Weddingweiser
    über alle wich­ti­gen Fort­schrit­te und Beson­der­hei­ten, die im Zeit­ab­lauf über die Such­mas­ke des wed­ding­wei­ser auch “goo­gel­bar” sind.

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