In der Koloniestraße 129 haben Anne Klein und Gerd Minor an jedem Werktag den Quartiersladen aufgeschlossen. Wenig später fing ihre wichtigste Aufgabe an: Die beiden Kiezläufer drehten ihre Runde durch den Soldiner Kiez. Sie befüllten die sechs Hundekotbeutelspender, meldeten illegale Müllhaufen, verteilten Plakate und Flyer im Stadtteil, sahen bei den Kiezeinrichtungen nach dem Rechten und erinnerten Hundehalter an den Leinenzwang. Zwischen Koloniestraße, Prinzenstraße, Soldiner Straße, Panke-Grünzug, Franzosenbecken und Osloer Straße sind Anne Klein und Gerd Minor in den vergangenen drei Jahren zusammen mehr als 3000 Kilometer unterwegs gewesen. Pro Jahr hat jeder von beiden dabei etwa die Strecke von Berlin-Mitte nach Aachen zurückgelegt. Sie kennen den Kiez wie kaum jemand sonst. Vor einem Monat liefen ihre Stellen aus, im Kiez werden sie seitdem von vielen vermisst.
„Das ist eine sinnvolle Arbeit. Man kommt viel in Kontakt mit den Leuten“, sagt Gerd Minor. Bei jedem Wetter geht er mit seiner Kollegin durch den Kiez. „Die Arbeit muss doch gemacht werden, auch wenn es regnet oder schneit“, sagt Gerd Minor, der zur Not eben einen großen Regenschirm einpackt. An jeder Ecke werden die beiden mit den Kiezläufer-Westen freundlich gegrüßt, Anwohner machen sie auf Probleme aufmerksam, bitten um Hilfe. Eines der Probleme: In der Nacht hat jemand einen Kombi-Kühlschrank neben die Panke geworfen. Anne Klein notiert, meldet es später an die Behörden weiter. Nahe der Soldiner Straße hängt ein Zettel am Baum: Wieder einmal sind Hunde aus dem Stadtteil verschwunden. Das passiere oft, und über den Verbleib der Vierbeiner werde viel spekuliert. „Kein Tag ist wie der andere, es ist sehr abwechslungsreich“, sagt Gerd Minor, der noch schnell einen Stapel Flyer fürs Kiezfest am 6. September in der Grundschule in der Gotenburger Straße vorbei bringt.
Manchmal hatten die beiden Kiezläufer auch ungewöhnliche Aufgaben zu erledigen. Bei einem schweren Verkehrsunfall in der Koloniestraße/Ecke Soldiner hat sich die zierliche Anne Klein zum Beispiel auf die Kreuzung gestellt und den Verkehr geregelt bis die Polizei kam. „Wir kümmern uns um den Kiez. Wenn wir es nicht machen, dann macht es doch niemand“, sagt Anne Klein. Mehrmals hat sie in den drei Jahren an der Panke gefundenes Diebesgut in der Polizeiwache abgegeben, hat Drogenkonsumenten vom Spielplatz und Exhibitionisten vor der Kita vertrieben.
Das Kiezläufer-Projekt gibt es im Bezirk Mitte seit 2003. Langzeitarbeitslose sollen an sozialen Brennpunkten einen Beitrag zur Verbesserung des Stadtbildes und des sozialen Miteinanders leisten. Aus ganz verschiedenen Fördertöpfen werden die Kiezläufer bezahlt, die aus Sicherheitsgründen immer mindestens als Zweierteam unterwegs sind. Anne Klein und Gerd Minor hatten dabei Glück und Pech zugleich. Drei Jahre lang wurden sie über das Förderprogramm Bürgerarbeit finanziert, was ihnen die Arbeit als Kiezläufer überhaupt ermöglichte. Weil das ganze Programm jedoch endet, ist auch ihre Zeit als Kiezläufer nun vorbei. Schon vor einer Woche machten die beiden ihren letzten Rundgang durch den Soldiner Kiez. Viele Anwohner und Initiativen werden die beiden freundlichen und engagierten Kiezläufer sicher vermissen.
Der Abschied fällt der gelernten Krankenschwester Anne Klein und dem ehemaligen Feuerspucker vom Zirkus Roncalli Gerd Minor schwer. Sie mögen den Kiez, sind durch ihre Unterstützung von Kiezprojekten in den Soldiner Kiez hineingewachsen. Die beiden engagierten sich von Anfang an auch nach Dienstschluss. Beide sind Fördermitglieder beim Sozialverein „Menschen helfen Menschen“, Anne Klein ist zusätzlich Mitglied beim Verein panke.info. Auch wenn ihr Vertrag endet, wollen der Weddinger und die Reinickendorferin bei ihren Kiezvereinen bleiben. Während Gerd Minor nun eine Weiterbildung beginnt, hofft Anne Klein noch, dass sie mit Geld aus einem anderen Fördertopf im Soldiner Kiez bleiben kann. Als Kiezläuferin an der Panke.
Der Text wurde uns von unserem Kooperationspartner Berliner Abendblatt zur Verfügung gestellt.
Text/Foto: Dominique Hensel