Das Centre Francais de Berlin hat einen Austausch für Garteninitiativen aus Berlin und Paris organisiert. Auch Gärtner:innen aus dem Wedding waren kürzlich in Frankreich, um sich auszutauschen und andere Garten-Lösungen zu erkunden. Zu lernen gibt es für beide Seiten viel.
Etwas Erde in Hochbeeten, ein paar Samenkörner oder Jungpflanzen, Wasser zum Gießen und eine Hand, die die Gießkanne hält. Diese Kombination im öffentlichen Raum mal X macht einen Gemeinschaftsgarten aus. Denkt man. Doch wer sich näher mit der Thematik beschäftigt, merkt: in einem Gemeinschaftsgarten geht es oft nur nebenbei ums Gärtnern. Viel mehr im Fokus steht das Zusammenkommen der pflanzenden, gießenden und erntenden Nachbarschaft sowie der Austausch untereinander. Das Centre Francais de Berlin in der Müllerstraße hat vor fünf Jahren einen der vielen Gemeinschaftsgärten in Berlin gegründet, die Roten Beete. Jetzt hat das Team den Gedanken von Gemeinschaft und Austausch am Beet bis nach Paris ausgedehnt. Gerade ist eine Gruppe von Gartenaktivist:innen aus Berlin von einem Austausch mit franzöischen Gärtner:innen in Paris wiedergekommen. Im Herbst folgt der Gegenbesuch in Berlin.
Andere Gärten, gleicher Kampf?
Der Austausch stand unter der Überschrift „Paris-Berlin – gleicher Kampf? Ein deutsch-französischer Austausch der Zivilgesellschaft rund um die Praxis des Urban Gardening“. Vom 19. bis 24. Mai waren Vertreter:innen von sieben Berliner Gemeinschaftsgärten zu Gast im Paris, um sich mit sechs französischen Stadtgarten-Projekten auszutauschen, Horizonte zu erweitern und sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene zu solidarisieren. Mit dabei waren Gärtner:innen von den Roten Beeten und der Wilden 17 im Wedding sowie von den Berliner Projekten Ton Steine Gärten, Prinzessinnen Garten Kollektiv, KubiZ Garten, Kiezgarten Schliemannstrasse und Allmende Kontor.
Alexandre Bocage ist im Centre Francais für internationale Projekte und lokale Entwicklung zuständig. Er berichtet vom Austausch: „Auf dem Programm standen der Besuch von sechs (der 150) Gemeinschaftsgärten, die sich größtenteils im 18., 19. und 20. Arrondissement befinden, Präsentationen (von Gärtner:in zu Gärtner:in) der Strukturen, in denen die Gärten angesiedelt sind.“ Besprochene Themen gab es so viele wie Pflanzen in einem Gemeinschaftsgarten wachsen. „Die Gärten waren ausgewählt worden, um die ebenso unterschiedlichen wie relevanten Situationen, die Soziologien der Viertel zu veranschaulichen“, erklärt Alexandre Bocage.
Wie eine Klassenfahrt mit viel Programm
Auf dem Programm der Paris-Reise standen Begegnungen mit lokalen Politiker:innen und die Begegnung mit der Pariser Verwaltung, die für das Programm ‘Main Verte’ (Grüner Daumen) zuständig ist. Auch die Entdeckung des Garten-Netzwerks von Graine de Jardins, eine deutsch-französische Debatte über die Herausforderungen des urbanen Gärtnerns, gutes Essen, selbstorganisierte Picknicks, ein partizipativer Mosaik-Workshop, der Bau von Sozialwohnungen für Wildbienen, gesellige Aperitifs gehörten zum Programm. „Das waren schöne Gelegenheiten, um ein Maximum an Fragen, Inspirationen, Bildern und Aufwertungen zu sammeln, die in beide Richtungen gehen, auch für die Pariser Gärten, die ebenfalls eingeladen waren, diese Gelegenheit zu nutzen, um sich gegenseitig zu besuchen und die lokalen Beziehungen zu festigen“, sagte Alexandre Bocage. Das sei nicht immer selbstverständlich, wenn man in seine eigenen Problematiken und seine wöchentlichen Aktivitäten als Stadtgärtnerverein vertieft ist.
Doch der Austausch lohnt sich und so saßen im Mai Berliner Stadtgärtner:innen im Alter von 25 bis 70 Jahren im Zug, um ihre Pariser Kolleg:innen zu treffen. „Für sie war es eine Art Klassenfahrt, sie belächelten die Erfahrung des gemeinsamen Reisens, freuen sich aber mindestens genauso sehr darauf! Die meisten sind zutiefst dankbar für diese einmalige Chance, dass eine Reise für sie organisiert wird, für normale, aber leidenschaftliche Bürger:innen, die sich seit langem ehrenamtlich engagieren und keine Gegenleistung erwarten, außer dass ihre Projekte wachsen und blühen und vor allem, angesichts der Veränderungen in der Metropole Berlin, bestehen bleiben“, beschreibt Alexandre Bocage.
Kann ein Gartennetzwerk auch Berliner:innen helfen?
Welche Einblicke und Einsichten haben die Berliner Stadtgärtner:innen aus Paris mitbegracht? „Hier ist eine der vielen Erkenntnissen, die wir aus diesem Austausch gezogen haben: Ein starkes Netzwerk zwischen den Gärten und auch zwischen den Vereinen auf lokaler Ebene sind die Schlüssel zur Widerstandsfähigkeit der Gärten. Allein können die Gärten nicht auf alle Herausforderungen reagieren, denen sie sich stellen müssen (Umwelt, Soziales, Humanressourcen) – angefangen bei dem Umgang mit der Stadtpolitik, die die Grundlage für ihr Dasein ist“, so Alexandre Bocage. Die Erfahrung aus Paris ist auch für Berlin wertvoll: Die Vernetzung der Projekte ist der Schlüssel. In der französischen Hauptstadt wurde 2003 unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und den Stadtverwaltungen das Programm “Main Verte” entwickelt. Darauf fußt eine Stadtpolitik, die es ermöglicht, Grundstücke und Ressourcen für Gartenvereine zur Verfügung zu stellen. Die Vereine verpflichten sich gleichzeitig, einem flexiblen und weit gefassten Pflichtenheft zu entsprechen.
Erste Schritte in Berlin – 20 Jahre nach Paris
Auch in Berlin gibt es erste Bewegungen in diese Richtung. Alexandre Bocage: „Der Berliner Senat hat 2020 eine Reflexionsgruppe ins Leben gerufen, die ein ähnliches Gemeinschaftsgartenprogramm erarbeiten soll, um die Entwicklung von Gärten zu fördern und die bereits bestehenden (manchmal seit mehr als 20 Jahren!) zu sichern. Dieser Gesetzesentwurf befindet sich derzeit, 2022, in der Konsultation des Senats.“ Paris, eine der am dichtesten besiedelten und bebauten Städte Europas, ist in dieser Hinsicht 20 Jahre weiter als Berlin!
In der deutschen Hauptstadt gibt es noch viel zu tun, viele Fragen zu beantworten: Was wünschen wir uns als Lebensraum Stadt? Welche Stadt werden wir unseren Kindern hinterlassen? Wie können wir den sozialen Zusammenhalt in den Stadtvierteln fördern und den Jüngsten ein vernünftiges Umweltbewusstsein vermitteln? Wer gestaltet den öffentlichen Raum und macht ihn lebenswert und für alle zugänglich? „Dies sind die Fragen, die von der Stadtpolitik gestellt werden können und müssen, wobei den Bewegungen, die die Projekte der Gemeinschaftsgärten tragen, ein gewisser Spielraum und Authentizität gelassen werden muss!“, ist Alexandre Bocage überzeugt. Diese Fragen sollen auch beim Gegenbesuch des Gartenaustauschs vom 29. September bis zum 4. Oktober in Berlin vertieft werden. „Es gibt nichts Besseres, als jungen Europäer:innen praktische Aktivitäten anzubieten und sie in der Idee zu bestärken, dass der notwendige Wandel nicht vom Himmel fällt, sondern dass jede:r Jugendliche Akteur:in sein kann”, ist Alexandre Bocage vom Centre Francais de Berlin überzeugt.
Interkultureller Gartenaustausch als Dokumentarfilm
Das Projekt wird in einem Dokumentarfilm der Anthropologin Violeta Ramirez festgehalten, der über den Austausch und die besuchten Gärten und ihre Geschichten berichtet. Das Centre Francais de Berlin als Organisator dankt dem Deutsch-Französischen Bürgerfonds und dem Edible Cities Network Berlin für die finanzielle Unterstützung sowie den Städten Paris und Berlin für ihre Beteiligung an der Umsetzung des Projekts. Alexandre Bocage ergänzt: „ Wir danken natürlich auch unseren Freunden:innen in den Gemeinschaftsgärten auf der ganzen Welt! Gemeinsam sind wir die Architekten und Akteure von sozialen, ökologischen, pädagogischen, nährenden und vielen weiteren Experimentierfeldern!“
Text: Alexandre Bocage, bearbeitet von Dominique Hensel