Auch auf der Weddingweiser-Pinnwand wird rege diskutiert – in der Regel respektvoll und wertschätzend, aber zum Teil auch beschimpfend und beleidigend. Viele beklagen seit längerem, dass unsere Gesellschaft durch Smartphones und Soziale Netzwerke verroht. Das Atze Musiktheater in der Luxemburger Straße 20 nimmt das nicht einfach so hin und führt Stücke mit Gegenwartsbezug für Grundschulkinder auf. Die Heranwachsenden erfahren mehr über Hate Speech, Fake News oder darüber, wie wichtig Empathie ist. Auch die neueste und bislang größte Produktion “Albirea – Nur ein Kind kann die Welt retten” kommt erstaunlich aktuell daher. Die Hauptdarstellerin erinnert sehr an die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Ein anderes Stück widmet sich der elfjährigen Malala Yousafzai, die einem Taliban-Attentat zum Opfer viel. Ich möchte mehr erfahren und besuche “die Atzen” vor Ort.
Wie den Trumps und Johnsons dieser Welt begegnen?
Ich treffe Tom Müller-Heuser, der die Kommunikation des größten deutschen Musiktheater für Kinder im Grundschulalter verantwortet. Erst jetzt werden mir die Dimensionen vom Atze Musiktheater bewusst. Über 90.000 Zuschauer zählen die Weddinger im Jahr, zudem organisieren sie ausgedehnte Gastspielreisen im ganzen Bundesgebiet. Ich darf Mäuschen spielen und wir betreten die laufende Aufführung “Des Kaisers neue Kleider”. In dem Stück gaukeln Betrüger dem eitlen Kaiser vor, dass sein Gewand nur von treuen und intelligenten Gefolgschaft gesehen werden kann. Ein Kind spricht das aus, was die Günstlinge und “Ja-Sager” nicht wagen: Der betrogene Kaiser habe keine Kleider an! Das Publikum ist begeistert, geht mit und lernt zudem, auch mal kritische Fragen zu stellen: Sind wir zum Beispiel in Zeiten von Instagram & Co. zu sehr mit dem bloßen Schein beschäftigt? Drehen wir uns nur um uns selbst? Für Müller-Heuser schwingt auch die Frage mit, wie wir mit den Trumps und Johnsons dieser Welt umgehen.
Ein junges Mädchen schickt sich an, die Welt zu retten
Wir ziehen weiter in den Großen Theatersaal, in dem 480 Besucher Platz finden. Hier wird gerade für “Albirea” geprobt, dass mit einem Kammerorchester und einer grafischen Leinwand aufwartet. Die Premiere ist für Samstag, den 26.10.2019 geplant und bereits restlos ausverkauft. In der Inszenierung geht es um eine mythische Welt, in der drei Geister das Gute, das Böse und den Ausgleich verkörpern. Als das Gefüge auseinander bricht, betritt das geheimnisvolle Mädchen Albirea die Bühne, um die Welt zu retten. Wieder sehe ich eine Parallele zu Greta. Das Stück vermittelt aber auch, wie wichtig Empathiefähigkeit und die individuelle Freiheit ist und wie die Kinder mit Hate Speech und Fake News umgehen können. Tom Müller-Heuser bietet mir das Du an.
Wenn neuköllnische Stadtteilmütter mit Nacktheit konfrontiert werden
Was Tom sehr gut kann: Geschichten erzählen oder zu neudeutsch “Storytelling”. Er berichtet von kopftuchtragenden Stadtteilmüttern, die sich im Theater mit dem Thema Nacktheit konfrontiert sahen. Doch wie ist es dazu gekommen? Die “Integrationslotsen” haben sich die Kindertheater-Produktion “Darüber spricht man nicht” angeschaut. Die Inszenierung spricht über Mädchen und Jungs, Liebe, Schamgefühl und das Kinderkriegen. “Die Atzen” erreichen alle Bevölkerungsschichten und können so auch vermeintliche Tabuthemen auf die Tagesordnung bringen. “Unser Publikum kann anderen dabei zuschauen, wie sie über zum Teil sensible Inhalte sprechen.” erzählt Tom und ergänzt: “Es ist eine Einladung zum Nachdenken, die unsere Zuschauer mit nach Hause nehmen können.” So kann man auch die Kinder von AfD-Wählern erreichen, die – im Klassenverband als Publikum gekommen – mit neuen Emotionen und Impulsen auf den Heimweg gehen können.
Rebellion in der Legebatterie
Tom muss los. Die anstehende Albirea-Premiere führt bei ihm zu einen vollen Terminkalender. Doch für eine Geschichte hat er noch Zeit. Er erzählt von der Hühneroper, in der ein kleines Hühnchen fliegen und goldene Eier legen will. Auch die 3.333 erwachsenen Legehennen fangen nun an, von einem freien, artgerechten Leben zu träumen und verlassen zusammen mit dem Nachwuchs die Hühnerfarm. Doch draußen warten der Fuchs und der kapitalistische Farmverwalter. Der wird dann nicht etwa klischeehaft bestraft, sondern durch einen cleveren Deal zum Umdenken gezwungen. Und Und wieder denke ich gerade an Greta, deren Omnipräsenz ich mich wohl gerade nicht entziehen kann.
Autor: Andreas Oertel
Fotos: ATZE Musiktheater
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