Mehrgenerationenhäuser gibt es in Deutschland seit Anfang/Mitte der 2000er Jahre, mittlerweile sind es über 530 Häuser, die in den Kommunen fest verankert sind und mehr-generationell soziale Veranstaltungen und Offene Treffs vor Ort anbieten.
An der Müllerstraße gibt es das Zukunftshaus Wedding (ZHW). Irma Leisle, die seit Ende 2011 am Paul-Gerhard-Stift tätig ist, leitet das Familienzentrum, das später um das Stadtteilzentrum und die derzeit genutzten Räume erweitert wurde. Es sind etwa 10 Hauptberufliche beschäftigt.
Das Zukunftshaus ist regional mit zahlreichen anderen Einrichtungen wie z.B. der Schillerbibliothek, der VHS Mitte, dem Sprengelhaus vernetzt und vertreten in zahlreichen Gremien wie z.B. dem Kulturellen Bildungsverbund Parkviertel, der RAG §78 Parkviertel, dem Arbeitskreis Stadtteilarbeit. Darüber hinaus nutzen zahlreiche, selbstorganisierte Gruppen die Räume.
Marianne Kristen und Gudrun Greiner, zwei der Freiwilligen vom Sprachcafé
Frau Leisle, wie viele Freiwillige sind bei Ihnen tätig?
Derzeit sind es etwa 55 Freiwillige verschiedener Generationen bei uns tätig. Die Einsatzbereiche sind vielfältig. Sie gestalten verschiedene Angebote wie Digitalpatenschaft, Hausaufgabenhilfe, Sprachcafé, Sprachtreffs, Mobile Bücherbox, Stadtteiljury für die Stadtteilkasse, sowie Veranstaltungen wie Flohmarkt, Kreativmarkt, Frühlingswochen usw. Das freiwillige Engagement im Zukunftshaus Wedding bietet eine wichtige Plattform für Begegnung verschiedener Menschen, die Lust haben, den Wedding gemeinsam zu gestalten.
Irma Leisle, Leiterin des Zukunftshauses (MGH) Wedding
Was bieten Sie Menschen, die ihre Sprachkenntnisse verbessern möchten?
In der Jahresmitte 2022 startete das Sprachcafé mit dem Schwerpunkt auf der gesprochenen Sprache. Marianne Kristen und Gudrun Greiner haben sich von Beginn an freiwillig im Sprachcafé engagiert.
Dieses wird im Rahmen des Projektes „Generationen verbinden“ umgesetzt. Zentrales Ziel dieses Projektes ist u.a. Senior:innen durch freiwilliges Engagement eine aktive, soziale Teilhabe in der Gestaltung der Nachbarschaft zu ermöglichen. Das Projekt „Generationen verbinden“ wird durch die Deutsche Fernsehlotterie finanziert.
Was hat Sie beide, Marianne Kristen und Gudrun Greiner, zum Sprachcafe geführt?
Marianne Ich war von Anfang an dabei. Ich kam, um nach altersgerechten Wohnen zu fragen, und war gleich überzeugt dabei, weil ich vom Ehrenamt im Sprachcafé begeistert war.
Gudrun Ich hatte von einer Bekannten erfahren, dass man ehrenamtlich Mitwirkende sucht. Sprache war schon immer mein Interesse, ich hatte dazu früher auch an der HU studiert. – Nun bin ich hier mit Feuereifer dabei. Vor allem mag ich die durchgehend freundliche Atmosphäre im Paul-Gerhardt-Stift, eine echte Willkommenskultur, die hier von allen, auch von den Hauptberuflichen, von Herzen gelebt und geteilt wird.
Wie empfinden Sie das Zusammensein mit den Teilnehmenden im Sprachcafé, das ein offener Treff ist und auch oft spontane Besuche mit sich bringt?
Marianne Die Vielfalt der Besucherinnen und Besucher ist angenehm. Viele verschiedene Sprachen machen mit. Man bekommt auch etwas zurück, zum Beispiel durch den Austausch über die Kultur und viel Dank und herzliche Umarmungen. – Das Zuhören ist mir sehr wichtig.
Gudrun Die Stadtteilmütter kommen auch zu uns. Sie sind sehr wichtige Vermittlerinnen und Koordinatorinnen zwischen Müttern, die oft kein deutsch sprechen und Familien einerseits sowie den Behörden andererseits. Sie kommen zu uns, um ihre Sprachkompetenz bei diesen Aufgaben zu verbessern. Hier sind oft das Arabische, das Persische und das Ukrainische gefragt.
Wie gehen Sie beim Sprechenlernen vor?
Marianne Unser Angebot ist auf Spontaneität und Alltagssprache aufgebaut. Ich gehe oft direkt auf das ein, was vor uns sichtbar ist, beispielsweise der hoch gehaltene Daumen als Einstieg für die Benennung der Handglieder oder die Gegenstände, die zwischen uns auf dem Tisch stehen. Wir sprechen spontan und weder wir noch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben eine Ausbildung als Sprachlehrer. Wir lehren keine Grammatik, sondern üben das Sprechen. Wir verwenden also keine Bücher, Fibeln oder Grammatikhefte, so dass man spontan einsteigen kann. Aber wir üben die Artikel der Substantive: der die das sagen wir immer an!
Diejenigen, die die gleiche Fremdsprache sprechen, können sich manchmal gut durch Erklärungen ergänzen, indem sie sich gegenseitig befragen und dann das Angebot, es auf Deutsch zu wiederholen, erklärter, vielleicht gefestigter aufnehmen. Verständigung ist ein wichtiger Beitrag zum Zusammenhalt in der Gesellschaft!
Gudrun Vor einiger Zeit habe ich zusätzlich einen Grammatikkurs angeboten. Dieser Kurs löste sich nach und nach auf, weil viele in Kursbesuche einstiegen, um Prüfungen abzulegen. Auch habe ich mit dieser Gruppe einen Ausflug in die Gärten der Welt gemacht: drei Kontinente und fünf Sprachen waren zu erleben.
Das Sprachcafé hat aber den Schwerpunkt auf der niedrigschwelligen Konversation, es geht um das Losschnacken. Viele haben schon Englisch – und Französischkenntnisse und ein Sprachgefühl auch für Deutsch. Und man kann mit kleinen Sätzen viel erreichen. Wir nehmen oft Bildwörterbücher zu Hilfe, um Themen auszusuchen. Auch Wimmelbilder sind eine gute Grundlage.
Wie ist es mit der Motivation der Gäste im Sprachcafé?
Gudrun Wer zu uns kommt, möchte weiterkommen im Sprechen. Manche der Frauen haben eine große Familie wie Kinder, pflegebedürftige Eltern und sind umso motivierter, einmal in der Woche einmal Zeit für sich in Anspruch zu nehmen. Manche Ehemänner schicken ihre Frauen sogar hierher, denn wer sollte ihnen sonst das Deutschsprechen beibringen?
Marianne So manches Mal führt das Sprachcafé auch zum Anfreunden und Vernetzen der Teilnehmenden. So haben heute zwei ihre Telefonnummern ausgetauscht, um sich einmal zu treffen. Wir sind etliche Freiwillige, die im Sprachcafé die Gäste betreuen, und auch wir selbst haben uns untereinander besser kennengelernt.
Gudrun Ja, einmal kam Marianne völlig heiser im Sprachcafé an. Sie berichtete mir von einem Basketballturnier, wo sie als Zuschauerin begeistert mitgebrüllt hatte, und so stellte sich heraus, dass wir beide gern Sportevents sehen. Nun gehen wir oft gemeinsam, zu den „Füchsen“ und auch zum Fußballplatz.
Was teilen Sie im Allgemeinen durch das Sprachcafé mit den Teilnehmenden?
Marianne Die Herzlichkeit und die Dankbarkeit, die wir erfahren, kennen wir als Deutsche nicht so ausgeprägt. Wir sind auch bei weiteren Aktionen im Zukunftshaus ehrenamtlich aktiv, beim Kuchenverkauf bei Stadtteilfesten oder auch an der Bar bei Konzerten: Da erlebt man gute Laune.
Was wünschen Sie sich noch?
Gudrun Sehr wichtig ist, dass solche Angebote gefördert werden, weil es grundlegend wichtig ist für unsere städtischen, multi-kulturellen Nachbarschaften!
Fotos: Renate Straetling
Zukunftshaus Wedding (MGH), Stadtteil- und Familienzentrum
Müllerstr. 56–58, 13349 Berlin
Tel: 030−45005−131
www.pgssoziales.de
https://vska.de/vska-berlin/projekte/berliner-stadtteilzentren
https://www.mehrgenerationenhaeuser.de