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Relikte der Bestattungskultur:
Wenn der letzte Friedhof stirbt

14. September 2024
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Das Nordufer des Plötzensees umsäumten lange die kirchlichen Friedhöfe. Neben der Weddinger St. Paul Gemeinde bestatteten dort die Moabiter St. Johannis- und die Heilandsgemeinde sowie die Kaiser Friedrich-Gedächtnis-Gemeinde aus dem Hansaviertel. Jetzt läuft als Einleitung der Entwidmung für den letzten Friedhof die Pietätsfrist. Und dann?

St. Johannis III und Heiland

Seit Jahrzehnten schon liegen weite Teile der einst größten landeseigenen Friedhofsfläche in einem Dornröschenschlaf. „Grüne Nach­nutzung“ heißt das in Fach­kreisen. Hunde­aus­lauf­platz im Wedding. Die Zeugnisse der Ver­gangen­heit wurden geräumt, geschreddert, besten­falls versetzt. Einer Ver­gangen­heit, die damit begann, dass die St. Johannis-Gemeinde 1892 von der König­lichen Regierung Potsdam zur Oberförsterei Tegel gehörendes baum­loses Heide­land als Bestat­tungs­fläche ange­boten bekam.

St. Johannis ist die protes­tantische Mutter­gemeinde Moabits. Alle anderen evan­gelischen Kir­chen auf der Insel gingen aus ihr hervor. Ihr ursprüng­licher Friedhof, St. Johannis I, liegt noch heute in Alt Moabit hinter der Kirche, St. Johannis II als Erwei­ter­ung an der damals noch unbe­fest­igten Sees­traße. Witwe Schultze aus der Wald­straße war 1866 die erste, die dort bestattet wurde. Ein Viertel­jahr­hundert später wurde auch hier der Platz knapp. Die Kirchen­gemeinde pachtete die ihr angebo­tenen Flächen am Plötzen­see vor den Toren der Stadt und machte sie nutzbar als Friedhof St. Johannis III.

St. Paul am Gesundbrunnen folgte mit ihrem neuen Friedhof nur wenige Jahre nach St. Johannis am gegen­über­lie­genden See­ufer. Als sich die Heilands­gemeinde 1896 aus der Mutter­gemeinde St. Johannis heraus gründete und Bestat­tungs­flächen brauchte, grenzte deren Fried­hof ab 1898 östlich an St. Johannis III. Zwischen dem Heilands­friedhof und dem von St. Paul lag ab 1901 zudem die ver­gleichs­weise kleine Bestat­tungs­fläche der Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Gemeinde, die sie 1902 noch um Pro­menier­wege und Schmuck­plätze erwei­terte. Ab 1903 wurden die Fried­höfe der Heilands­gemeinde und der Kaiser-Friedrich Gedächt­nis-Gemeinde zu­sam­men verwaltet und betrieben. Die einzel­nen Bestattungsflächen der Gemeinden waren durch Zäune getrennt und durch Pforten verbunden. Diese führten aber häufig zu einem die Kirchhofsruhe störenden Durchgangsverkehr in die Rehberge und zum Schießstand im Dohnagestell. Sie wurden deshalb verschlossen und aufgrund von Protesten stets wieder geöffnet

1920 wurde das Gelände in die Stadt Berlin eingemeindet. Die Pachtverträge und die Rechte an Gebäuden, Pflanzen, Bänken gingen damit über an sie. Diese plante umgehend gegen Landaustausch eine von Norden kommende Straße durch das Friedhofsgelände, die zwar nie gebaut wurde, das dafür auserkorene und nun brach liegende Land ging aber nicht an die Gemeinden zurück. Stattdessen mussten 1938 weitere 1,4 ha für Erweiterungen von Kasernenbauten am Dohnagestell abgetreten werden. Trotzdem blieb die Gesamtfläche der Friedhöfe um den Plötzensee mit etwa 16,3 ha der größte landeseigene, kirchlich genutzte Friedhof Berlins.

Im Zweiten Weltkrieg wurden die Friedhofsgebäude größtenteils zerstört. Der Wiederaufbau zog sich hin und noch Mitte der 1960er Jahre rangen Friedhofsverwaltungen um Mittel, Wege und Genehmigungen der Stadt. Berlin verlängerte die noch bis 1965 gültigen Pachtverträge aber nicht, da der Plötzensee mit seinem Strandbad und den angrenzenden Rehbergen verstärkt als Naherholungsgebiet für die Berliner Bevölkerung in den Blick gefasst wurde. Sie erklärte sich aber bereit, etwa 10 ha der nicht direkt an den See grenzenden Fläche von St. Johannis III für 6 DM/qm an den Berliner Stadtsynodalverband zu verkaufen. Die Fläche sollte Bestattungsort bleiben und fortan durch die St. Johannis- und die Heilandsgemeinde gemeinsam mit der Berliner Stadtsynode verwaltet werden.

Der St. Johannis und Hei­land-Friedhof, der jetzt geschlos­sen wird, war gegründet. Es kam dort unver­züg­lich zur Neu­errich­tung der not­wen­digen Kapelle (1966) durch das Archi­tek­ten­team Müller/ Heinrichs, die auch das Gemeinde­haus der damaligen St. Johannis­gemeinde entwarfen. Die Umsetzung des Ver­waltungs­gebäudes (1970) gestal­tete sich schwie­riger und der archi­vierte Schrift­ver­kehr lässt auf harte Verhand­lungen schließen, bei denen beide Gemeinden ihre „Haus­archi­tekten“ durchs­etzen wollten. Schluss­endlich wurde es wieder Müller/ Heinrichs, um beide Gebäude als archi­tek­tonisches Ensemble zu präs­en­tieren, das Ele­mente des Funktiona­lismus der 1920er Jahre aufgreift und dabei doch schon zukunfts­wei­send und denk­mal­wür­dig in seiner Gestal­tung ist.

Die rest­lichen Fried­hofs­flächen wurden nach Ablauf von Liege­fristen, Umbet­tungen von Fami­lien­gräbern und Kriegs­opfern sowie 10-jähriger Pie­täts­frist 2001 ent­widmet und zu Grünanlagen, in denen das alte Fach­werk­haus des Fried­hof­verwalters am Ende des Dohna­gestells (siehe Bild) ein letztes Zeug­nis der historischen Nutzung ist. Das Denk­mal für Kriegs­gefallene von Emil Cauer d. J. befindet sich heute auf dem ehe­maligen Neuen St. Paul-Friedhof, dessen Fläche seit 2014 Kriegs­gräber­stätte am Dohna­gestell ist.

Während 1966 noch 642 Beisetzungen auf dem St. Johannis und Heiland-Friedhof statt­fanden, waren es 30 Jahre später durch ein Über­angebot an christ­lichen Bestat­tungs­stätten und vielleicht auch die schwierige Erreich­bar­keit mit dem ÖPNV nur noch 83. Das Konsi­storium fällte des­halb die Ent­scheid­ung einer beschränk­ten Schließung zum 1. Januar 1997 und keiner weiteren Bestat­tungen ab dem 1. Januar 2002. Nach dem Ablauf der Ruhe­zeiten wurde die Fläche 2022 für die Öffent­lich­keit im Zugang gesperrt und das Land geräumt. „Das Gelände ist als Fried­hof noch gewid­met, da die nach Berliner Landes­recht vor­ge­schrie­benen 10-jährige Pietäts­frist nach Ablauf der letzten Ruhe­frist noch bis 2032 läuft“, so Oberkonsis­torial­rat Dr. Arne Ziekow.

Der Countdown läuft somit. Was wird nach 2032 aus dem Gelände des Fried­hofs St. Johannis und Heiland mit seinen Gebäuden und seiner Geschichte? So recht scheint das noch nicht geklärt zu sein. Zu beachten sind Natur-, Tier-, Denk­mal- und Klima­schutz. Viel Verwal­tung, viel Büro­kratie, lange Ruhe­zeiten. Wahrschein­lich ist auch hier die auf­wands­arme grüne Nach­nutzung, viel­leicht auch die Nutzung als Ruhestätte anderer Religionen? Beden­kens­wert wäre für diese land­schaft­lich reiz­volle Fläche mit altem Baum­bestand auch eine weitere bedarfs­orien­tierte Ver­wer­tung zum Beispiel für Tiny Housing als bezahlbarem Wohn­raum. Das öffent­liche Inter­esse ist da und könnte so positiv auf die Insti­tution Kirche gelenkt werden, über die Zeug­nisse der Geschichte Zukunft aufzeigen. Auf einer Fläche von 14 Fuß­ball­feldern. Warum nicht?

Text/Fotos: Martina Knoll, Redaktion Gemeindeblatt evangelisch-in-tiergarten

Gastautor

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2 Comments Leave a Reply

  1. Stimmt... ohne Sanitäranschlüsse direkt am Plötzensee "Tiny houses", also provisorische Lauben oder Baracken zu bauen, und das als alternative Wohnformen betrachten? Etikettenschwindel. Wir brauchen Mietendeckel und sozial verpflichtete Wohnungspolitik, nicht Zersiedelung mit Hipster- Etikett.

  2. Tiny Housing - die Barackensiedlungen von vor 100 Jahren kommen in moderner Form wieder?
    Anstatt den gemeinwirtschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungsbau wiederzubeleben, dem wir alle in Berlin Hundertausende bis heute bestehender Sozialwohnungen verdanken.
    (Dass SPD und Linkspartei sie privatisiert haben und die Sozialbindung auslaufen ließen, dafür können diese günstig gebauten, bis heute bestehenden und bezahlbaren Wohnungen nichts.)

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