Das Nordufer des Plötzensees umsäumten lange die kirchlichen Friedhöfe. Neben der Weddinger St. Paul Gemeinde bestatteten dort die Moabiter St. Johannis- und die Heilandsgemeinde sowie die Kaiser Friedrich-Gedächtnis-Gemeinde aus dem Hansaviertel. Jetzt läuft als Einleitung der Entwidmung für den letzten Friedhof die Pietätsfrist. Und dann?
St. Johannis III und Heiland
Seit Jahrzehnten schon liegen weite Teile der einst größten landeseigenen Friedhofsfläche in einem Dornröschenschlaf. „Grüne Nachnutzung“ heißt das in Fachkreisen. Hundeauslaufplatz im Wedding. Die Zeugnisse der Vergangenheit wurden geräumt, geschreddert, bestenfalls versetzt. Einer Vergangenheit, die damit begann, dass die St. Johannis-Gemeinde 1892 von der Königlichen Regierung Potsdam zur Oberförsterei Tegel gehörendes baumloses Heideland als Bestattungsfläche angeboten bekam.
St. Johannis ist die protestantische Muttergemeinde Moabits. Alle anderen evangelischen Kirchen auf der Insel gingen aus ihr hervor. Ihr ursprünglicher Friedhof, St. Johannis I, liegt noch heute in Alt Moabit hinter der Kirche, St. Johannis II als Erweiterung an der damals noch unbefestigten Seestraße. Witwe Schultze aus der Waldstraße war 1866 die erste, die dort bestattet wurde. Ein Vierteljahrhundert später wurde auch hier der Platz knapp. Die Kirchengemeinde pachtete die ihr angebotenen Flächen am Plötzensee vor den Toren der Stadt und machte sie nutzbar als Friedhof St. Johannis III.
St. Paul am Gesundbrunnen folgte mit ihrem neuen Friedhof nur wenige Jahre nach St. Johannis am gegenüberliegenden Seeufer. Als sich die Heilandsgemeinde 1896 aus der Muttergemeinde St. Johannis heraus gründete und Bestattungsflächen brauchte, grenzte deren Friedhof ab 1898 östlich an St. Johannis III. Zwischen dem Heilandsfriedhof und dem von St. Paul lag ab 1901 zudem die vergleichsweise kleine Bestattungsfläche der Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Gemeinde, die sie 1902 noch um Promenierwege und Schmuckplätze erweiterte. Ab 1903 wurden die Friedhöfe der Heilandsgemeinde und der Kaiser-Friedrich Gedächtnis-Gemeinde zusammen verwaltet und betrieben. Die einzelnen Bestattungsflächen der Gemeinden waren durch Zäune getrennt und durch Pforten verbunden. Diese führten aber häufig zu einem die Kirchhofsruhe störenden Durchgangsverkehr in die Rehberge und zum Schießstand im Dohnagestell. Sie wurden deshalb verschlossen und aufgrund von Protesten stets wieder geöffnet
1920 wurde das Gelände in die Stadt Berlin eingemeindet. Die Pachtverträge und die Rechte an Gebäuden, Pflanzen, Bänken gingen damit über an sie. Diese plante umgehend gegen Landaustausch eine von Norden kommende Straße durch das Friedhofsgelände, die zwar nie gebaut wurde, das dafür auserkorene und nun brach liegende Land ging aber nicht an die Gemeinden zurück. Stattdessen mussten 1938 weitere 1,4 ha für Erweiterungen von Kasernenbauten am Dohnagestell abgetreten werden. Trotzdem blieb die Gesamtfläche der Friedhöfe um den Plötzensee mit etwa 16,3 ha der größte landeseigene, kirchlich genutzte Friedhof Berlins.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die Friedhofsgebäude größtenteils zerstört. Der Wiederaufbau zog sich hin und noch Mitte der 1960er Jahre rangen Friedhofsverwaltungen um Mittel, Wege und Genehmigungen der Stadt. Berlin verlängerte die noch bis 1965 gültigen Pachtverträge aber nicht, da der Plötzensee mit seinem Strandbad und den angrenzenden Rehbergen verstärkt als Naherholungsgebiet für die Berliner Bevölkerung in den Blick gefasst wurde. Sie erklärte sich aber bereit, etwa 10 ha der nicht direkt an den See grenzenden Fläche von St. Johannis III für 6 DM/qm an den Berliner Stadtsynodalverband zu verkaufen. Die Fläche sollte Bestattungsort bleiben und fortan durch die St. Johannis- und die Heilandsgemeinde gemeinsam mit der Berliner Stadtsynode verwaltet werden.
Der St. Johannis und Heiland-Friedhof, der jetzt geschlossen wird, war gegründet. Es kam dort unverzüglich zur Neuerrichtung der notwendigen Kapelle (1966) durch das Architektenteam Müller/ Heinrichs, die auch das Gemeindehaus der damaligen St. Johannisgemeinde entwarfen. Die Umsetzung des Verwaltungsgebäudes (1970) gestaltete sich schwieriger und der archivierte Schriftverkehr lässt auf harte Verhandlungen schließen, bei denen beide Gemeinden ihre „Hausarchitekten“ durchsetzen wollten. Schlussendlich wurde es wieder Müller/ Heinrichs, um beide Gebäude als architektonisches Ensemble zu präsentieren, das Elemente des Funktionalismus der 1920er Jahre aufgreift und dabei doch schon zukunftsweisend und denkmalwürdig in seiner Gestaltung ist.
Die restlichen Friedhofsflächen wurden nach Ablauf von Liegefristen, Umbettungen von Familiengräbern und Kriegsopfern sowie 10-jähriger Pietätsfrist 2001 entwidmet und zu Grünanlagen, in denen das alte Fachwerkhaus des Friedhofverwalters am Ende des Dohnagestells (siehe Bild) ein letztes Zeugnis der historischen Nutzung ist. Das Denkmal für Kriegsgefallene von Emil Cauer d. J. befindet sich heute auf dem ehemaligen Neuen St. Paul-Friedhof, dessen Fläche seit 2014 Kriegsgräberstätte am Dohnagestell ist.
Während 1966 noch 642 Beisetzungen auf dem St. Johannis und Heiland-Friedhof stattfanden, waren es 30 Jahre später durch ein Überangebot an christlichen Bestattungsstätten und vielleicht auch die schwierige Erreichbarkeit mit dem ÖPNV nur noch 83. Das Konsistorium fällte deshalb die Entscheidung einer beschränkten Schließung zum 1. Januar 1997 und keiner weiteren Bestattungen ab dem 1. Januar 2002. Nach dem Ablauf der Ruhezeiten wurde die Fläche 2022 für die Öffentlichkeit im Zugang gesperrt und das Land geräumt. „Das Gelände ist als Friedhof noch gewidmet, da die nach Berliner Landesrecht vorgeschriebenen 10-jährige Pietätsfrist nach Ablauf der letzten Ruhefrist noch bis 2032 läuft“, so Oberkonsistorialrat Dr. Arne Ziekow.
Der Countdown läuft somit. Was wird nach 2032 aus dem Gelände des Friedhofs St. Johannis und Heiland mit seinen Gebäuden und seiner Geschichte? So recht scheint das noch nicht geklärt zu sein. Zu beachten sind Natur-, Tier-, Denkmal- und Klimaschutz. Viel Verwaltung, viel Bürokratie, lange Ruhezeiten. Wahrscheinlich ist auch hier die aufwandsarme grüne Nachnutzung, vielleicht auch die Nutzung als Ruhestätte anderer Religionen? Bedenkenswert wäre für diese landschaftlich reizvolle Fläche mit altem Baumbestand auch eine weitere bedarfsorientierte Verwertung zum Beispiel für Tiny Housing als bezahlbarem Wohnraum. Das öffentliche Interesse ist da und könnte so positiv auf die Institution Kirche gelenkt werden, über die Zeugnisse der Geschichte Zukunft aufzeigen. Auf einer Fläche von 14 Fußballfeldern. Warum nicht?
Text/Fotos: Martina Knoll, Redaktion Gemeindeblatt evangelisch-in-tiergarten
Stimmt... ohne Sanitäranschlüsse direkt am Plötzensee "Tiny houses", also provisorische Lauben oder Baracken zu bauen, und das als alternative Wohnformen betrachten? Etikettenschwindel. Wir brauchen Mietendeckel und sozial verpflichtete Wohnungspolitik, nicht Zersiedelung mit Hipster- Etikett.
Tiny Housing - die Barackensiedlungen von vor 100 Jahren kommen in moderner Form wieder?
Anstatt den gemeinwirtschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungsbau wiederzubeleben, dem wir alle in Berlin Hundertausende bis heute bestehender Sozialwohnungen verdanken.
(Dass SPD und Linkspartei sie privatisiert haben und die Sozialbindung auslaufen ließen, dafür können diese günstig gebauten, bis heute bestehenden und bezahlbaren Wohnungen nichts.)