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Abschied nach 40 Jahren:
Weltladen schließt, fairer Handel bleibt

22. Oktober 2022
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Hand­ge­schöpf­tes Nepal­pa­pier steht neben tau­ben­blau­er Kera­mik aus Viet­nam. Im Regal war­ten Wein, Kaf­fee, Tee aus süd­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern, es riecht ganz leicht nach Räu­cher­stäb­chen. Im Ein­gangs­be­reich der Kaper­naum­kir­che in der See­stra­ße gibt es seit vie­len Jah­ren einen Welt­la­den. Doch die­ser Text hat kein Hap­py­end, denn der Welt­la­den Wed­ding schließt zum Jah­res­en­de. Der Abver­kauf hat bereits begonnen.

Kurt Schmich vor einem Regal im Weltladen. Foto: Hensel
Kurt Schmich vor einem Regal im Welt­la­den Wed­ding. Foto: Hensel

„1992 wur­de der Welt­la­den auf Initia­ti­ve des dama­li­gen Pfar­rers eröff­net. Er hat­te sich das gemüt­lich vor­ge­stellt, mit einem Café“, erzählt Kurt Schmich. Schmich hilft seit 38 Jah­ren ehren­amt­lich, den Welt­la­den zu betrei­ben, hält den Laden seit vie­len Jah­ren am Lau­fen. Das es mit dem ursprüng­lich ange­dach­ten Café nichts wur­de, wun­dert ihn nicht. „Dafür bräuch­te man eine Kli­ma­ti­sie­rung, einen Was­ser­an­schluss und eine Toi­let­te“, sagt der 73-Jäh­ri­ge. Das ist alles nicht der Fall im Ein­gangs­be­reich der Kir­che, nur eine Hälf­te des zwei­ge­teil­ten Ladens ist über­haupt beheizbar.

Einsatz für gerechte Handelsbeziehungen

Drit­te-Welt-Läden, Eine-Welt-Läden, die spä­ter zu Welt­lä­den wur­den, ent­stan­den in den 1970er Jah­ren. Sie set­zen sich für einen fai­ren Han­del ein, für mehr Gerech­tig­keit zwi­schen den Län­dern des glo­ba­len Südens und dem Nor­den. Fai­re Prei­se für die Pro­du­zen­ten, gute Arbeits­be­din­gun­gen, Bil­dung und Umwelt­schutz sind eini­ge der Punk­te, für die Welt­lä­den ein­ste­hen. „Anfang der 1980er Jah­re gab es nur eine hand­voll Welt­lä­den in West­ber­lin. Der Welt­la­den Wed­ding war einer davon“, erzählt Kurt Schmich. Bis auf einen ent­stan­den alle im Umfeld der Kir­chen. Schnell gab es einen regel­rech­ten Boom und in Ber­lin, es ent­stan­den bald 20 die­ser Läden in Westberlin.

Inzwi­schen ist die Hoch­zeit der Welt­lä­den vor­bei. Ob das dar­an liegt, dass fair gehan­del­te Waren heut­zu­ta­ge im nor­ma­len Han­del und in den Bio­lä­den auch zum Stan­dard gehö­ren? Das Anse­hen der fair gehan­del­ten Waren hat auf jeden Fall gewon­nen. „Damals, in den Anfangs­jah­ren wur­den wir in die lin­ke Ecke gestellt, weil es hieß, wir unter­stüt­zen Kom­mu­nis­ten in Süd­ame­ri­ka“, sagt Kurt Schmich. Er selbst hält den Welt­la­den aber nicht für ein poli­ti­sches Pro­jekt: „Es geht uns nur um die Art der Pro­duk­ti­on und um den Men­schen, der dahin­ter steht“. In heu­ti­gen Zei­ten klingt das wirk­lich fast wie eine Selbstverständlichkeit.

Bezirk Mitte ist seit 2014 Fairtrade Town

Gera­de in Mit­te ist der Gedan­ke des fai­ren Han­dels inzwi­schen gut ver­an­kert. So ist der Bezirk seit 2014 eine der Fair­trade Towns, das Bezirks­amt unter­stützt Initia­ti­ven des fai­ren Han­dels. Im Welt­la­den kann jeder bei­spiels­wei­se eine Kar­te mit Anlauf­stel­len für fai­ren Han­del im Bezirk mit­neh­men, die vom Bezirks­amt her­aus­ge­ge­ben wur­de. Dar­auf ver­tre­ten sind vor allem die gro­ßen Ein­kaufs­märk­te mit ihren fai­ren Pro­duk­ten, aber auch loka­le Läden wie Blu­men Gold­beck oder die KAWA Kaf­fee­ma­nu­fak­tur. Der Welt­la­den Wed­ding war von Anfang an dabei, den fai­ren Han­del in Mit­te vor­an­zu­trei­ben und auch nach dem Aus für den Welt­la­den will Kurt Schmich sich wei­ter in den Gre­mi­en engagieren.

Neues Gesetz zwingt zur Schließung

Kurt Schmich kann nicht genau sagen, war­um es immer weni­ger Welt­lä­den in Ber­lin gibt. Doch der Trend weist für ihn ein­deu­tig nach unten. Wenn er nach­denkt, kommt er aktu­ell noch auf vier Welt­lä­den in Ber­lin. Zum Jah­res­en­de wird der Welt­la­den Wed­ding eben­falls sei­ne Türen schlie­ßen. Eine Geset­zes­än­de­rung ist der Grund. „Ab 1. Janu­ar 2023 gilt ein neu­es Gesetz, das von allen kirch­li­chen Gemein­den auf alle Ein­nah­men eine Umsatz­steu­er erho­ben wird. Egal ob dabei Gewin­ne erziehlt wer­den oder nicht“, erklärt Kurt Schmich. Gewin­ne erzie­le der Welt­la­den nicht. Wenn es in der Ver­gan­gen­heit doch­mal Gewinn gab, dann wur­de er an kirch­li­che oder ande­re wohl­tä­ti­ge Orga­ni­sa­tio­nen gespen­det. Kurt Schmich und sei­ne bei­den Mitstreiter:innen betrei­ben den Laden dabei kom­plett ehren­amt­lich, Kurz Schmich selbst inves­tiert etwa 15 Stun­den in der Woche für das Pro­jekt. Die Kir­che las­se sie gewäh­ren, aber wegen der neu­en Geset­ze drauf­zah­len wol­le man eben nicht. Des­halb schließt der Welt­la­den Wedding.

Auch Filzblumen sind im Angebot. Foto: Hensel
Auch Filz­blu­men sind im Ange­bot. Foto: Hensel

Kurt Schmich schließt den Welt­la­den mit dem Gefühl, in den ver­gan­ge­nen 40 Jah­ren ein wenig dazu bei­getra­gen zu haben, das Prin­zip des fai­ren Han­dels vor­an­zu­trei­ben und in die Mit­te der Gesell­schaft zu tra­gen. „Viel­leicht hal­ten sie uns jetzt für grö­ßen­wahn­sin­nig. Aber wir glau­ben schon, einen klei­nen Anteil an die­ser Ent­wick­lung bei­getra­gen zu haben“, schreibt er in einem Infor­ma­ti­ons­brief an sei­ne Kund:innen.

Abverkauf – mit Rabatt

Nun bleibt ihm nur noch, die noch vor­han­de­ne Ware zu ver­kau­fen. Wäh­rend der Öff­nungs­zei­ten ist dafür Gele­gen­heit – Mitt­woch von 16 bis 19 Uhr und Sams­tag von 12 bis 15 Uhr. Außer­dem will er im Dezem­ber zusätz­lich mon­tags von 16 bis 19 Uhr öff­nen. Wer möch­te, kann noch Gewür­ze, eine Djem­be-Trom­mel aus Gha­na, Ker­zen, Blu­men aus Filz, Son­nen­hü­te, Sei­fe, Scho­ko­la­de, Nudeln und vie­les mehr aus fai­rer Pro­duk­ti­on erwer­ben. Auf alles, was nicht ver­speist wer­den kann, gibt es dabei 30 Pro­zent Rabatt. Dabei gilt wei­ter­hin, was auf einem Zet­tel an der Wand steht „Im Welt­la­den ist nur Bar­zah­lung möglich“.

Schild des Weltladens an der Kapernaumkirche in der Seestraße. Foto: Hensel
Schild des Welt­la­dens an der Kaper­naum­kir­che in der See­stra­ße. Foto: Hensel

2 Comments Leave a Reply

  1. Das ist ja so scha­de. Aber so hoch kann doch die Umsatz­steu­er doch gar nicht sein? Da könn­te man doch spen­den. Ich wür­de es jeden­falls tun.

    • Lie­be Chris­tel, ich habe auch sofort an eine Soli­ak­ti­on gedacht. Aber es bräuch­te eigent­lich mehr, als ein wenig Geld für die Steu­er: eine Hei­zung für den Welt­la­den, eine grö­ße­re Unter­stüt­zung durch die Gemein­de und auch jün­ge­ren Nachwuchs…

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