Die Sorgen und Nöte älterer Menschen sind selten Thema bei den Jüngeren. Und doch ist es unvermeidlich: Auch sie werden eines Tages alt sein. Wie könnte das Weihnachtsfest 2062 aussehen, wenn die heute jungen Digital Natives selbst alt sind? Eine optimistische und zuversichtliche Geschichte aus der Zukunft.
Weihnachten im Jahr 2062
Altern schützt vor‘m Leben nicht, und auch die Alten müssen mit der Zeit gehen. Vor allem sind sie es, die jetzt schon Mehrheiten in der Bevölkerung bilden. Und weil sie älter denn je werden, manche sogar als Supercentanarians mit 110 Jahren und älter, werden sie sich intelligente Nischen suchen, Unterstützung und Orte und sozialen Raum erhalten müssen. Und die Unmenge an Freizeit, die die Menschheit sich geschaffen hat, neben dem unfassbaren Überfluss, brachte erstmals viel Chancen auf Fitness und Lebensfreude bis ins hohe Alter.
Was das Feiern von Weihnachten angeht, war es in den 2020ern schon so weit gekommen, dass „das Fest“ unterhaltsamer, exaltierter und kirmesartiger denn je geworden war, die christlichen Krippenspiele seltener aufgeführt und ebenso die Krippen mit Maria, Joseph und dem Jesuskind nicht mehr überall in dieser winterlichen Zeit aufgestellt wurden. Auch die traditionellen Weihnachtslieder zurückhaltender aufgespielt, fast versiegt, zumindest die Supermärkte hielten sich mittlerweile zurück mit den dauerdudelnden Liedchen in Endlosschleife in den letzten Adventswochen.
Wie werden es diejenigen feiern, die heute noch Kerzenlichter am Weihnachtsbaum kennen, in ihrer Kindheit vom Christkind beschert wurden und Gedichte über Knecht Ruprecht aufsagen mussten?
Eine Senioren-City: Havelwood im Jahr 2062 im Weihnachtsrausch
Die heute 70-Jährigen werden es als dann 112-Jährige kaum mehr erleben, aber die um 1980 Geborenen möglicherweise schon, denn im Jahr 2062 spielt diese Fantasie. Es soll nicht nur um die Träume von Harmonie an einem schönen Fest gehen, sondern auch von Veränderungen erzählt werden, wie sie sich bis in diese Zukunft entwickelt und begeben haben können.
Die im Jahr 2062 etwa 80-Jährigen, die heute um die 40 Jahre alt sind, kannten noch die brennenden Wachskerzen, die die Urgroßeltern und Großeltern damals (mehr oder weniger alternativlos) an den Festbaum klemmen konnten.
Trotzdem die Kerzen „out“ waren, erinnerten sich so manche der Junggebliebenen an die kleine unscheinbare Geschichte von den vier Adventskerzen und an den Zusammenhang dieser ganz großen Begriffe, die in der Weihnachtszeit geschätzt waren. Diese Werte wurden in den 2020ern in Familien noch immer hoch gehalten, da sie eine gute Anschauung waren und für alle seelischen Notfälle eine nachhaltige Erzählung boten. Dazu später!
Also, werden wir nicht mehr nur auf dem Trend der pietätvollen Feiern und der familiären Feste sein, sondern liegen im Trend, wenn wir die Dekoration und ihre Effekte in der Weihnachtszeit als Zukunftsmusik vermuten. Und mit diesem Hintergedanken schaue ich einmal in die Zukunft.
Havelwood inmitten der Weihnachtsvorbereitungen
Am Rand einer Metropole lebten Senioren in einer kleinen Siedlung für Ältere, die nicht abgeschottet, aber behütet an den Waldessaum geschmiegt angesiedelt war. Und auch Spaziergänge in den nahen Wald und bis zu den Seen ließ diese gute Lage zu. Die etwa 500 alten Menschen waren dort auf 50 barrierefreie tiny houses mit etwa je zehn Personen und Gemeinschaftshäuser verteilt, trafen sich in der mittig liegenden Parkanlage, sommers wie winters. Dort lebten sie in einem fast idyllischen Wohngebiet, und man unterschätze nicht, wie sehr die Alten schon hybride und mit digitalen Geräten ausgestattet waren!
Vierzig Jahre nach unserer Zeit begab es sich, dass Schwärme von engagierten Menschen sich auf den Weg machten nach Havelwood, dieser hübschen Siedlung für die Alten am Rand einer Großstadt. Für diese alten Menschen und ihren Wunsch nach festlichen Events wollten sich die hierfür Erwählten in der dunklen Jahreszeit einsetzen.
Besondere Gratifikationen gab es für alle, die als ProCommoners zugeteilt worden waren. Diese bestanden aus einer Nebenwährung, die als Punkte gesammelt und in den Social Score einbezogen wurden, der für alle beruflich Tätigen in dieser Zeit wichtig auf dem Lebensweg geworden waren. Denn neben den Geldkonten gab es nun also auch Konten für Bonitäten, in denen nützliche Einsätze bewertet gespeichert wurden. Und jeder und jede musste wenigstens einmal im Leben eine gewisse Zeit einen nützlichen Dienst für die Allgemeinheit teilnehmen und konnte dabei BenePoints erlangen. Jedes Jahr wurde eine bestimmte Anzahl an Probanden unabhängig von Alter, Beruf und Stellung eingeladen und verbindlich eingeteilt. Wo die Engagierten zum Einsatz kommen sollten, bestimmten sie selbst oder das Los entschied.
Dies war eine beliebte Unternehmung geworden, weil die Gesellschaft zu spüren bekommen hatte, wie viel der vielfältigsten Erfahrungen plötzlich als Gutes, Weiterführendes und Konstruktives sich verbreitete und Sorgen zwischen den Menschen minimierte.
ProCommoners vor dem Tor
So waren es etwa 50 ProCommoners, die in Havelwood am 1. Advent, ein Sonntag Ende November, in kühler von Laubduft erfüllter Luft an der Pforte eintrafen. Sie hatten sie aus Erfahrung gute Gründe, weil sie an ihre Eltern oder Großeltern dachten, weil sie wussten, wie einsam oder alleine alte Menschen sein konnten, die wichtige Gefährten schon verloren hatten oder weil sie gern unmittelbar eine Freude bereiteten, und sie hatten vor, ihre schönsten Lieder und Sketches zu geben, um feierliche Stimmung in die gemütlichere der Jahreszeiten zu bringen.
Einige der Unterstützerinnen kamen sogar aus dem Entertainment. Die ProCommoners wussten, dass die Alten besondere Angebote in der Winterzeit und Begleitung willkommen sein würden, denn nicht alles ging so glatt und ohne Aufsicht oder Unterstützung, wie man sich das gewünscht hätte als alternder Mensch mit Smartphone, Datenbrille, Drohne und sogar GPS-gesichertem Rollstuhl, intelligenten, biegsamen Rollatoren, Exoskeletten und Humanoiden neben den menschlichen Pflegern, die 24⁄7 zur Stelle sein mussten.
Die Stimmung war heiter, als an jenem ersten Advent die Helferschar, die bis Neujahr bleiben sollte, in der Kulturhalle mit einer Rede angekündigt wurde. Viel Beifall wurde gegeben, als sich jeder einzeln in einem Satz mit drei Keywords und dem Vornamen vorstellte.
In Gruppen wurde dann ein Teil der spektakulären Ideen für die Weihnachtswochen angekündigt. Viele der Junggebliebenen jubelten. Es sollten Überraschungen dabei sein, vermutlich sogar aus dem internationalen Showbusiness, so war man am Waldrand in Havelwood nicht außerhalb der großen weiten Welt, einer Welt, die schon auf dem Mars residierte.
Für eine 10er-Altengruppe war jeweils ein ProCommoner eingeteilt. Und gleich stieg die Stimmung, denn frischer Wind kam auf: Endlich konnten neue Softwaretipps ausgetauscht und ausprobiert und fast vergessene Wünsche nochmals gewünscht werden.
Wer bekommt die Stelle des Weihnachtsmanns?
Aber schauen wir uns die fortschreitende Fröhlichkeit und die gewisse Aufregung um die Vorbereitungen der Feierlichkeiten in diesem Advent in Havelwood genauer an.
Da war doch was? Ja, es hatte innerhalb weniger Tage laute Worte gegeben unter den jungen ProCommoners, die doch so mutig und rührig dabei sein wollten. Die Stimmen der streitenden Jungen waren eindeutig unterscheidbar von den Alten, die nur noch selten wagten, sich auseinanderzusetzen. Und wenn, dann geschah dies über Sozial-Admins, die den Zank strikt vertraulich über Messages und Skype mediatierten, und das ging eben sehr leise vonstatten, wenn man nicht stumm geschaltet und ermahnt und auf Wiedervorlage gestellt werden wollte.
Am eigensinnigsten verlief der Clinch zwischen zwei jungen Leuten, die unterschiedlicher nicht sein konnten: Die eine war beliebte Moderatorin und der andere ein junger Mann, der als Student schon in jedem Wintersemester die Kinder persönlich vor Ort nach den Wünschen der Eltern und mit Geschenken beglückt hatte. Die eine stand auf Lieder, der andere auf Gedichte und – nicht zu unterschätzen als quasi Erste Hilfe unterm Tannenbaum – Gebrauchsanweisungen der neuesten Schreis!
Der Streit war schnell beigelegt, denn man wetteiferte um die beste Stelle, nämlich den Leitenden Weihnachtsmann, also dem- oder derjenigen, die den gesamten Advent über die zentrale Anlage für die Alten leitete und bespaßen sollte. Um keine weiteren Zerwürfnisse, lauten Zank oder hartnäckigen Stunk aufrecht zu erhalten, wurde schlicht und ergreifend dem Los die Entscheidung überlassen.
Aber gefragt war mittlerweile viel Digitales und Esprit für die Feierlichkeiten, und darum ging der nächste Streit. Sollten die Androiden beim Chorsingen dabei sein oder die gute alte Zeit des Singens mit dem Dirigenten hoch gehalten werden?
Aber wer interessierte sich noch für den in Reimen bedichteten Winterwald, durch den der Wind fegt und Eistropfen blinken, wenn man schon Jahre im Rollstuhl saß oder in Exoskeletten trainiert hatte? Waren nicht die Kurzfilme und durch KI kompilierte Mixes viel reizvoller, jedenfalls origineller oder abwechslungsreicher?
Seit den 2030er Jahren kursierten immer neue Ideen für „das Fest“, das sich noch immer anlehnte an die Menschennähe, die Gefährten, die Familie und das dem Sozialen geneigte Leben und was davon in den Zeiten der Marsbesiedelung übrig geblieben war. Die Gesellschaft forderte flexible Anwesenheiten, jedoch umso mehr das jederzeitige Mitdenken und mentale Präsenz, was nicht immer zuträglich war, wenn gemeinsame Stunden verbracht sein mochten, und zerstörerisch, wenn Zeit zusammen verbracht werden musste. Noch mehr Menschen richteten es sich umständlich als Single, aber erwerbstauglich ein. Die, die diesen Trend mitgemacht hatten, waren zur computertauglichsten Generation geworden und diejenigen, die in 2062 die aktive KI bändigen konnten, denn sie hatten die Welt der digitalen Zaubersprüche, also der Algorithmen im Eff-Eff erlernt.
Eine große Bestellung wird aufgegeben
Aber werden wir konkreter, was die Party in Havelwood an Heiligabend in 2062 angeht. Die Siedlung der Alten war angelegt wie ein Halbring um einen innen gelegenen Garten herum. Man erfreute sich immer wieder auch der Partys mit Rollstühlen in der Mitte des Rasens, denn trotz Rollatoren, Exoskeletten, mit denen man sich stabilisiert bewegen konnte und der Geh- und Wanderstöcke, gab es den ein oder anderen Alten, der oder die gelegentlich auf einen Rollstuhl angewiesen war, aber das war alles kein Problem mehr. Die Alten waren mittlerweile in ihren Erfahrungen unübertroffen divers und viele beherrschten mehrere Sprachen, so dass man sich rundum verständigen konnte.
Ein digitaler Adventskalender war seit Jahren schon die Pflichtkür für die Pfleger und die Alten, denn die Anregungen wollte sich niemand mehr entgehen lassen. Nämlich zur Weihnachtszeit gab es immer alles, was das Herz begehrte. Das war das offene Geheimnis der Geschichte des Festes in den vergangenen Jahrhunderten. In der Weihnachtszeit wurde der Markt überschwemmt mit allem, was man so haben und verschenken mochte. Den Adventskalender gab es in verschiedenen Kategorien, die man vorab auswählen konnte, oder man wählte einen Mix aus allen Themen wie Gymnastik, Lose, Rabattangebote, Marsgeschichten oder oder und erhielt jeden Morgen zur Weckzeit eine kleine Show als Hologramm. So kam es morgendlich zu einer entspannten und entzerrten Frühstücksrunde mit munteren Ideen unter den aktiven Alten von Havelwood.
Es ergab sich, dass man wegen der Vielfalt an Engagierten einen Adventsablauf festgelegt und für den 24. Dezember gemeinsam ein Julklapp vorgesehen wurde. Unterdessen hatte der Leitende Weihnachtsmann die Organisation des Julklapp schnell verstanden, alle Bestellungen und Lieferdienste in diesen bunt dekorierten Tagen aufgenommen und rechtzeitig bei Megazon das gewünschte Event mit Zeitfenster in der Variante All inclusive geordert.
Alle, die daheim in Havelwood bleiben würden, hatten ihre Wünsche in einen anonymen Pool von Bestellungen für Geschenke eingegeben und ihre Auswahl für sich behalten, denn ein Julklapp ist als ein Event voller Überraschungen gedacht.
Als alles entschieden, abgehakt und die Gemeinschaftsbestellung versandt war, löste sich die Runde nach dem Applaus, den Vorschusslorbeeren an die Helferschar, erst einmal gemütlich auf.
Wer erinnerte sich an die Vier-Kerzen-Geschichte?
Der wichtigere Teil der gemeinsamen Adventsstunden würde es sein, den Wunschzettel an die lokale Politik im Plenum fertig zu stellen, denn das taten sie jedes Jahr! Auf diese Weise kam es zu diesen persönlichen Meetings mit den Vertretern aus dem Senat.
Und da konnte man was erleben! Denn viele kamen aus den Jahrzehnten der restriktiven Sozialpolitik, damals als es miese Transfers und schäbige Tätigkeiten gab, für deren Verweigerung, solche Jobs quasi-vertraglich auszuführen, man sogar bestraft wurde wie ein Kind ohne Taschengeld.
Manche unter ihnen konnten das nie verwinden oder vergessen. Ein Trost immerhin war, dass die Renten ab und an durch gleich lautende größere oder kleinere Festbeträge an alle Rentner erhöht wurden, was zu einer gewissen Nivellierung führte und etwas versöhnlicher stimmte, denn das Altern schützt vorm Leben nicht – und schon gar nicht vor Träumen und eben auch teuren Medikamenten und vielen kleinen oder einem sehr großen Wunsch!
Die alten Menschen waren nun eine mächtige Gruppe unter den Bewohnern der Städte und alles, was vielleicht nicht transparent, selbst-erklärend oder robust funktionstüchtig war, ob Gebrauchsgegenstände oder Verkehrsregeln, konnten sie leicht mit Mehrheiten vom Tisch wischen.
So vergingen die Tage im Advent. Der leitende Weihnachtsmann stellte jedem, der es wünschte, morgens ein Hologramm mit Weckinfos durch, das neben dem Bett oder an der Kaffeetheke pulsierte und Musik machte.
Die Alten trafen sich zu liebenswürdigen Gesprächen, Gym, Qigong und Spielen und was sie gern taten.
Und wie der Zufall so will, wurden auch die fast vergessenen Kerzenlichter angesprochen, denn fast jeder hatte eine andere abenteuerliche Geschichte zu diesen nostalgischen Erlebnissen zu erzählen.
Nur eine alte Dame erinnerte sich an die Geschichte vom Kind, das die entzündeten Lichter am Adventskranz beobachtet hatte und plötzlich enttäuscht die erloschenen drei Kerzen benannt Frieden, Glaube und Liebe vorfand.
Aber die vierte Kerze, die die Hoffnung verkörpert, konnte mit ihrem Feuer die andern drei wieder entzünden. Es entspann sich ein langes Gespräch darüber, denn die Reihenfolge dieser lebendigen Lichter ist eine gute Frage.
Die Spannung steigt, der Festtag naht
Nun kam der Festtag! Die Geschenke waren bestellt und nichts wurde mehr mit Spannung und Neugier ersehnt als das Geheimnis des Events dieses Jahres mitzuerleben. Man hatte sich in den Adventswochen gemunkelt, ob doch nochmals Rentiere mit Schlitten kommen oder eine Schar Astronauten auftreten, die auf „Vom- Mars-da-komm-ich-her!“ machen würden. Man war sich nicht schlüssig und man wollte auch nicht zu viel der Erwartungen schüren. Die Aufgabe des Leitenden Weihnachtsmannes war es nun lediglich noch, die zu verteilenden Päckchen zu digital verschlüsseln und mit den Namen der Empfänger zu versehen, das war nach Zufallsprinzip geschehen, damit die Überraschungen umso größer sein würden.
Alle fanden sich im Garten zusammen, wie man konnte, mit Gehstock, mit Rollator, mit Rollstuhl oder wie auch immer, oder untergehakt ließ man sich gemächlich geleiten und nahm Platz. Das Wetter war gnädig, denn Regen, Schnee und Minusgrade waren ausgeblieben. Im Halbkreis saßen sie beieinander und wurden mit festlichen Getränken eingestimmt. In der Mitte loderte das Lagerfeuer, etwas, das sich die Alten weder im Sommer noch im Winter an langen Abenden nehmen ließen. Das war einfach zu schön. Man schwelgte in guter Laune! Und wie es dann kommen musste, überschallte eine gedämpfte Ansage die munteren Plaudereien: „Nun liebe Freunde des Festes, nähert sich unsere Flotte mit den Geschenken für den Julklapp!“
Mit Oh‘s und Ah´s wurde zum Himmel aufgeschaut und die Alten, die ProCommoners und die Gäste reckten die Köpfe.
„Auf 11 Uhr über dem Wipfelsaum unseres Winterwaldes kommen sie zu uns! Schauen Sie! Freuen wir uns gemeinsam auf diese Überraschung! Pünktlich! Was hätten wir von Megazon anderes erwarten dürfen! …. Großartig und schön illuminiert!“
Nun war das Staunen mit den noch sachten Ohs schnell beendet, denn Beifallsdonner setzte ein und hier und da machte ein freudiges Aufschreien die Runde.
Am Horizont zu sehen war eine lange Perlenschnur mit wellenförmig glimmenden Lichtern, die zügig heranflog, sich feierlich still aber golden scheinend näherte und direkt auf ihre Siedlung zukam. Die Formation der sternenartig leuchtenden Drohnen löste sich nun aus der Breite der Perlenschnur. Die Drohnen richteten sich übereinander auf zu einem grün-rot changierenden Tannenbaum, der an den Seiten seine Flanken und die Spitze rundum in Silber erstrahlen ließ. Sodann wandelte sich die Lichtskulptur zu 50 Sternen, die tanzten und sich türmten und sich erneut paarten und weitere Formen bildeten und die Farben wechselten … man konnte sich kaum satt sehen … und um immer wieder mit einem neuen Anblick während des Anfluges zu trumpfen.
„Da kann man nich‘ meckern!“, sagen die Berliner, wenn höchstes Lob gemeint ist, weil alles fulminant seinen Gang nimmt und freudiges Erstaunen nicht wegzudiskutieren war.
Was für eine Geschenkeschlacht!
Nein, glauben Sie nicht, dass ich jetzt eine der Drohnen ins Winterfeuer stürzen lasse. Ja, das wäre auch eine fetzige Wendung in der harmonisch gemeinten Erzählung, das könnte Ihnen so passen! Es geschah aber nicht. Vielmehr nahmen die Drohnen einen weiteren Tanz auf, schalteten sich auf Tannengrün um, formierten sich zu den Silhouetten von 50 Bäumchen und vollführten einen regen Tanz in langen Reihen.
Sie sanken dann wieder herab im sanften Anflug und bogen erneut geschraubt in den Himmel hinauf, während ihre Sternspitzen in den schönsten samtigen Rottönen zwinkerten.
Nach der Melodie von Santa Claus is Comin‘ to Town beeindruckte die himmlische Choreografie zu wirklich großer Stimmung. Lauthals mitsingen, selbst mit den gebrochensten Stimmen, war das Mindeste!
Es geschah einfach und war perfekt! Vor dem finalen Landeanflug der 500 festlichen Drohnen, die ihren Tanz nun zum Stehen brachten, und sich in einem kurzen Moment für den Sinkflug einzustellen, wurde ein Begrüßungsspruch aus dem Himmel verkündet, der mit einer feinen Melodie untermalt war.
Nun kam das finale Arrangement, was nicht ohne war, denn jedes Päckchen sollte punktgenau platziert werden, in jeweils einem der vorgesehenen Stapel vor den Tiny Houses. Die Kästchen waren in festlich dekoriertem Metallic verpackt und durch Passwort versiegelt. Nur durch den Geheimcode vom Leitenden Weihnachtsmann konnte man sie öffnen.
Die Drohnen waren nun streng geschäftig, untermalt mit weiteren Songs im steilen Sinkflug und sich hochschraubenden Bahnen aus ihrer Aufstellung heraus unterwegs zu der Basis. Dort waren bunte Scharen und Grüppchen von Menschen, die bereits aufgestanden waren und sich mit Sekt, Fruchtpunsch und Cocktails gruppierten, denn die ProCommoners waren zur Stelle und die Humanoide, die über die Graswurzelballen im Dunkeln und in Eile gestolpert wären, verwalteten neben dem Gemeinschaftshaus die Teller und Tabletts und die Fässer und Flaschen.
Die Wünsche der Alten waren also wie bestellt eingetroffen und stapelten sich nun zu 50 weihnachtsbaumartigen mehr oder weniger hohen grünen, bunt blinkenden Pyramiden vor den Häusern.
Nun glauben Sie bestimmt, da es schon so lange dauert, dass ich nun noch die Transfers der Geheimzahlen schadenfroherweise schief gehen lasse. Ja? Glauben Sie das? Naja, wir wünschen allen Mitfeiernden doch ihren Spaß und wissen zudem um die Geduld und Ungeduld der ein oder anderen.
Man muss nicht lange nachdenken, um zu wissen, dass der Julklapp sofort weitergehen würde, denn auch die Beschriftung der Päckchen mit den Empfängernamen war perfekt für eine abrupt einsetzende Schlacht ums Auspacken, Zerfetzen der schönen Buntpapiere und dem Eingeben der vorab empfangenen PIN war sogleich im Gange.
Das Freuen und Bedanken in die Runde machte noch mehr herzerwärmende Laune, in höchsten Tönen wurde gelobt und mamche Sensationen marktschreierisch in die Runde gegeben.
Und hier und da gab es versöhnliche Töne. Oder auch da und dort Gegrummel und verhaltene Enttäuschung, was mit fröhlichem Lachen bedacht wurde.
Und da die Geschenke von jedem für jeden ausgesucht worden waren, gab es für die Folgetage noch viele spannende Miteinanders, da man doch gern die ein oder andere nicht so passende Gabe tauschen mochte. Manchmal waren es drei oder vier, die untereinander die Präsente kreuzten.
Da kamen wieder die nun recht entspannten ProCommoners zum Einsatz, die den alten Menschen mit Tabellen und Tratsch weiterhalfen. Das musste erst einmal arrangiert sein!
Und es war eine Erfahrung für viele neue Ideen für das nächste Fest in Havelwood. So wurde aus dem Heiligabend von Anno 2022 ein Tage anhaltendes stimmungsvolles quirliges Tun und Lassen – gegen Traurigkeit, gegen Mutlosigkeit, gegen Einsamkeit, für gelungene Gemeinschaft.
Und Neujahr 2063 war nur noch weitere acht Tage fern …
© Renate Straetling