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Eine Weihnachtsgeschichte der besonderen Art:
Weihnachten in Havelwood

25. Dezember 2022

Die Sor­gen und Nöte älte­rer Men­schen sind sel­ten The­ma bei den Jün­ge­ren. Und doch ist es unver­meid­lich: Auch sie wer­den eines Tages alt sein. Wie könn­te das Weih­nachts­fest 2062 aus­se­hen, wenn die heu­te jun­gen Digi­tal Nati­ves selbst alt sind? Eine opti­mis­ti­sche und zuver­sicht­li­che Geschich­te aus der Zukunft. 

Weih­nach­ten im Jahr 2062

Altern schützt vor‘m Leben nicht, und auch die Alten müs­sen mit der Zeit gehen. Vor allem sind sie es, die jetzt schon Mehr­hei­ten in der Bevöl­ke­rung bil­den. Und weil sie älter denn je wer­den, man­che sogar als Super­cen­ta­na­ri­ans mit 110 Jah­ren und älter, wer­den sie sich intel­li­gen­te Nischen suchen, Unter­stüt­zung und Orte und sozia­len Raum erhal­ten müs­sen. Und die Unmen­ge an Frei­zeit, die die Mensch­heit sich geschaf­fen hat, neben dem unfass­ba­ren Über­fluss, brach­te erst­mals viel Chan­cen auf Fit­ness und Lebens­freu­de bis ins hohe Alter.

Was das Fei­ern von Weih­nach­ten angeht, war es in den 2020ern schon so weit gekom­men, dass „das Fest“ unter­halt­sa­mer, exal­tier­ter und kir­mes­ar­ti­ger denn je gewor­den war, die christ­li­chen Krip­pen­spie­le sel­te­ner auf­ge­führt und eben­so die Krip­pen mit Maria, Joseph und dem Jesus­kind nicht mehr über­all in die­ser win­ter­li­chen Zeit auf­ge­stellt wur­den. Auch die tra­di­tio­nel­len Weih­nachts­lie­der zurück­hal­ten­der auf­ge­spielt, fast ver­siegt, zumin­dest die Super­märk­te hiel­ten sich mitt­ler­wei­le zurück mit den dau­er­du­deln­den Lied­chen in End­los­schlei­fe in den letz­ten Adventswochen.

Wie wer­den es die­je­ni­gen fei­ern, die heu­te noch Ker­zen­lich­ter am Weih­nachts­baum ken­nen, in ihrer Kind­heit vom Christ­kind beschert wur­den und Gedich­te über Knecht Ruprecht auf­sa­gen mussten?

Eine Senio­ren-City: Havel­wood im Jahr 2062 im Weihnachtsrausch

Die heu­te 70-Jäh­ri­gen wer­den es als dann 112-Jäh­ri­ge kaum mehr erle­ben, aber die um 1980 Gebo­re­nen mög­li­cher­wei­se schon, denn im Jahr 2062 spielt die­se Fan­ta­sie. Es soll nicht nur um die Träu­me von Har­mo­nie an einem schö­nen Fest gehen, son­dern auch von Ver­än­de­run­gen erzählt wer­den, wie sie sich bis in die­se Zukunft ent­wi­ckelt und bege­ben haben können.

Die im Jahr 2062 etwa 80-Jäh­ri­gen, die heu­te um die 40 Jah­re alt sind, kann­ten noch die bren­nen­den Wachs­ker­zen, die die Urgroß­el­tern und Groß­el­tern damals (mehr oder weni­ger alter­na­tiv­los) an den Fest­baum klem­men konnten.

Trotz­dem die Ker­zen „out“ waren, erin­ner­ten sich so man­che der Jung­ge­blie­be­nen an die klei­ne unschein­ba­re Geschich­te von den vier Advents­ker­zen und an den Zusam­men­hang die­ser ganz gro­ßen Begrif­fe, die in der Weih­nachts­zeit geschätzt waren. Die­se Wer­te wur­den in den 2020ern in Fami­li­en noch immer hoch gehal­ten, da sie eine gute Anschau­ung waren und für alle see­li­schen Not­fäl­le eine nach­hal­ti­ge Erzäh­lung boten. Dazu später!

Also, wer­den wir nicht mehr nur auf dem Trend der pie­tät­vol­len Fei­ern und der fami­liä­ren Fes­te sein, son­dern lie­gen im Trend, wenn wir die Deko­ra­ti­on und ihre Effek­te in der Weih­nachts­zeit als Zukunfts­mu­sik ver­mu­ten. Und mit die­sem Hin­ter­ge­dan­ken schaue ich ein­mal in die Zukunft.

Havel­wood inmit­ten der Weihnachtsvorbereitungen

Am Rand einer Metro­po­le leb­ten Senio­ren in einer klei­nen Sied­lung für Älte­re, die nicht abge­schot­tet, aber behü­tet an den Wal­dessaum geschmiegt ange­sie­delt war. Und auch Spa­zier­gän­ge in den nahen Wald und bis zu den Seen ließ die­se gute Lage zu. Die etwa 500 alten Men­schen waren dort auf 50 bar­rie­re­freie tiny hou­ses mit etwa je zehn Per­so­nen und Gemein­schafts­häu­ser ver­teilt, tra­fen sich in der mit­tig lie­gen­den Park­an­la­ge, som­mers wie win­ters. Dort leb­ten sie in einem fast idyl­li­schen Wohn­ge­biet, und man unter­schät­ze nicht, wie sehr die Alten schon hybri­de und mit digi­ta­len Gerä­ten aus­ge­stat­tet waren!

Vier­zig Jah­re nach unse­rer Zeit begab es sich, dass Schwär­me von enga­gier­ten Men­schen sich auf den Weg mach­ten nach Havel­wood, die­ser hüb­schen Sied­lung für die Alten am Rand einer Groß­stadt. Für die­se alten Men­schen und ihren Wunsch nach fest­li­chen Events woll­ten sich die hier­für Erwähl­ten in der dunk­len Jah­res­zeit einsetzen.

Beson­de­re Gra­ti­fi­ka­tio­nen gab es für alle, die als Pro­Com­mon­ers zuge­teilt wor­den waren. Die­se bestan­den aus einer Neben­wäh­rung, die als Punk­te gesam­melt und in den Social Score ein­be­zo­gen wur­den, der für alle beruf­lich Täti­gen in die­ser Zeit wich­tig auf dem Lebens­weg gewor­den waren. Denn neben den Geld­kon­ten gab es nun also auch Kon­ten für Boni­tä­ten, in denen nütz­li­che Ein­sät­ze bewer­tet gespei­chert wur­den. Und jeder und jede muss­te wenigs­tens ein­mal im Leben eine gewis­se Zeit einen nütz­li­chen Dienst für die All­ge­mein­heit teil­neh­men und konn­te dabei Bene­Points erlan­gen. Jedes Jahr wur­de eine bestimm­te Anzahl an Pro­ban­den unab­hän­gig von Alter, Beruf und Stel­lung ein­ge­la­den und ver­bind­lich ein­ge­teilt. Wo die Enga­gier­ten zum Ein­satz kom­men soll­ten, bestimm­ten sie selbst oder das Los entschied.

Dies war eine belieb­te Unter­neh­mung gewor­den, weil die Gesell­schaft zu spü­ren bekom­men hat­te, wie viel der viel­fäl­tigs­ten Erfah­run­gen plötz­lich als Gutes, Wei­ter­füh­ren­des und Kon­struk­ti­ves sich ver­brei­te­te und Sor­gen zwi­schen den Men­schen minimierte.

Pro­Com­mon­ers vor dem Tor

So waren es etwa 50 Pro­Com­mon­ers, die in Havel­wood am 1. Advent, ein Sonn­tag Ende Novem­ber, in küh­ler von Laub­duft erfüll­ter Luft an der Pfor­te ein­tra­fen. Sie hat­ten sie aus Erfah­rung gute Grün­de, weil sie an ihre Eltern oder Groß­el­tern dach­ten, weil sie wuss­ten, wie ein­sam oder allei­ne alte Men­schen sein konn­ten, die wich­ti­ge Gefähr­ten schon ver­lo­ren hat­ten oder weil sie gern unmit­tel­bar eine Freu­de berei­te­ten, und sie hat­ten vor, ihre schöns­ten Lie­der und Sket­ches zu geben, um fei­er­li­che Stim­mung in die gemüt­li­che­re der Jah­res­zei­ten zu bringen.

Eini­ge der Unter­stüt­ze­rin­nen kamen sogar aus dem Enter­tain­ment. Die Pro­Com­mon­ers wuss­ten, dass die Alten beson­de­re Ange­bo­te in der Win­ter­zeit und Beglei­tung will­kom­men sein wür­den, denn nicht alles ging so glatt und ohne Auf­sicht oder Unter­stüt­zung, wie man sich das gewünscht hät­te als altern­der Mensch mit Smart­phone, Daten­bril­le, Droh­ne und sogar GPS-gesi­cher­tem Roll­stuhl, intel­li­gen­ten, bieg­sa­men Rol­la­to­ren, Exo­ske­let­ten und Huma­no­iden neben den mensch­li­chen Pfle­gern, die 247 zur Stel­le sein mussten.

Die Stim­mung war hei­ter, als an jenem ers­ten Advent die Hel­fer­schar, die bis Neu­jahr blei­ben soll­te, in der Kul­tur­hal­le mit einer Rede ange­kün­digt wur­de. Viel Bei­fall wur­de gege­ben, als sich jeder ein­zeln in einem Satz mit drei Key­words und dem Vor­na­men vorstellte.

In Grup­pen wur­de dann ein Teil der spek­ta­ku­lä­ren Ideen für die Weih­nachts­wo­chen ange­kün­digt. Vie­le der Jung­ge­blie­be­nen jubel­ten. Es soll­ten Über­ra­schun­gen dabei sein, ver­mut­lich sogar aus dem inter­na­tio­na­len Show­busi­ness, so war man am Wald­rand in Havel­wood nicht außer­halb der gro­ßen wei­ten Welt, einer Welt, die schon auf dem Mars residierte.

Für eine 10er-Alten­grup­pe war jeweils ein Pro­Com­moner ein­ge­teilt. Und gleich stieg die Stim­mung, denn fri­scher Wind kam auf: End­lich konn­ten neue Soft­ware­tipps aus­ge­tauscht und aus­pro­biert und fast ver­ges­se­ne Wün­sche noch­mals gewünscht werden.

Wer bekommt die Stel­le des Weihnachtsmanns?

Aber schau­en wir uns die fort­schrei­ten­de Fröh­lich­keit und die gewis­se Auf­re­gung um die Vor­be­rei­tun­gen der Fei­er­lich­kei­ten in die­sem Advent in Havel­wood genau­er an.

Da war doch was? Ja, es hat­te inner­halb weni­ger Tage lau­te Wor­te gege­ben unter den jun­gen Pro­Com­mon­ers, die doch so mutig und rüh­rig dabei sein woll­ten. Die Stim­men der strei­ten­den Jun­gen waren ein­deu­tig unter­scheid­bar von den Alten, die nur noch sel­ten wag­ten, sich aus­ein­an­der­zu­set­zen. Und wenn, dann geschah dies über Sozi­al-Admins, die den Zank strikt ver­trau­lich über Mes­sa­ges und Sky­pe media­tier­ten, und das ging eben sehr lei­se von­stat­ten, wenn man nicht stumm geschal­tet und ermahnt und auf Wie­der­vor­la­ge gestellt wer­den wollte.

Am eigen­sin­nigs­ten ver­lief der Clinch zwi­schen zwei jun­gen Leu­ten, die unter­schied­li­cher nicht sein konn­ten: Die eine war belieb­te Mode­ra­to­rin und der ande­re ein jun­ger Mann, der als Stu­dent schon in jedem Win­ter­se­mes­ter die Kin­der per­sön­lich vor Ort nach den Wün­schen der Eltern und mit Geschen­ken beglückt hat­te. Die eine stand auf Lie­der, der ande­re auf Gedich­te und – nicht zu unter­schät­zen als qua­si Ers­te Hil­fe unterm Tan­nen­baum – Gebrauchs­an­wei­sun­gen der neu­es­ten Schreis!

Der Streit war schnell bei­gelegt, denn man wett­ei­fer­te um die bes­te Stel­le, näm­lich den Lei­ten­den Weih­nachts­mann, also dem- oder der­je­ni­gen, die den gesam­ten Advent über die zen­tra­le Anla­ge für die Alten lei­te­te und bespa­ßen soll­te. Um kei­ne wei­te­ren Zer­würf­nis­se, lau­ten Zank oder hart­nä­cki­gen Stunk auf­recht zu erhal­ten, wur­de schlicht und ergrei­fend dem Los die Ent­schei­dung überlassen.

Aber gefragt war mitt­ler­wei­le viel Digi­ta­les und Esprit für die Fei­er­lich­kei­ten, und dar­um ging der nächs­te Streit. Soll­ten die Andro­iden beim Chor­sin­gen dabei sein oder die gute alte Zeit des Sin­gens mit dem Diri­gen­ten hoch gehal­ten werden?

Aber wer inter­es­sier­te sich noch für den in Rei­men bedich­te­ten Win­ter­wald, durch den der Wind fegt und Eis­trop­fen blin­ken, wenn man schon Jah­re im Roll­stuhl saß oder in Exo­ske­let­ten trai­niert hat­te? Waren nicht die Kurz­fil­me und durch KI kom­pi­lier­te Mixes viel reiz­vol­ler, jeden­falls ori­gi­nel­ler oder abwechslungsreicher?

Seit den 2030er Jah­ren kur­sier­ten immer neue Ideen für „das Fest“, das sich noch immer anlehn­te an die Men­schen­nä­he, die Gefähr­ten, die Fami­lie und das dem Sozia­len geneig­te Leben und was davon in den Zei­ten der Mars­be­sie­de­lung übrig geblie­ben war. Die Gesell­schaft for­der­te fle­xi­ble Anwe­sen­hei­ten, jedoch umso mehr das jeder­zei­ti­ge Mit­den­ken und men­ta­le Prä­senz, was nicht immer zuträg­lich war, wenn gemein­sa­me Stun­den ver­bracht sein moch­ten, und zer­stö­re­risch, wenn Zeit zusam­men ver­bracht wer­den muss­te. Noch mehr Men­schen rich­te­ten es sich umständ­lich als Sin­gle, aber erwerbs­taug­lich ein. Die, die die­sen Trend mit­ge­macht hat­ten, waren zur com­pu­ter­taug­lichs­ten Gene­ra­ti­on gewor­den und die­je­ni­gen, die in 2062 die akti­ve KI bän­di­gen konn­ten, denn sie hat­ten die Welt der digi­ta­len Zau­ber­sprü­che, also der Algo­rith­men im Eff-Eff erlernt.

Eine gro­ße Bestel­lung wird aufgegeben

Aber wer­den wir kon­kre­ter, was die Par­ty in Havel­wood an Hei­lig­abend in 2062 angeht. Die Sied­lung der Alten war ange­legt wie ein Halb­ring um einen innen gele­ge­nen Gar­ten her­um. Man erfreu­te sich immer wie­der auch der Par­tys mit Roll­stüh­len in der Mit­te des Rasens, denn trotz Rol­la­to­ren, Exo­ske­let­ten, mit denen man sich sta­bi­li­siert bewe­gen konn­te und der Geh- und Wan­der­stö­cke, gab es den ein oder ande­ren Alten, der oder die gele­gent­lich auf einen Roll­stuhl ange­wie­sen war, aber das war alles kein Pro­blem mehr. Die Alten waren mitt­ler­wei­le in ihren Erfah­run­gen unüber­trof­fen divers und vie­le beherrsch­ten meh­re­re Spra­chen, so dass man sich rund­um ver­stän­di­gen konnte.

Ein digi­ta­ler Advents­ka­len­der war seit Jah­ren schon die Pflicht­kür für die Pfle­ger und die Alten, denn die Anre­gun­gen woll­te sich nie­mand mehr ent­ge­hen las­sen. Näm­lich zur Weih­nachts­zeit gab es immer alles, was das Herz begehr­te. Das war das offe­ne Geheim­nis der Geschich­te des Fes­tes in den ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten. In der Weih­nachts­zeit wur­de der Markt über­schwemmt mit allem, was man so haben und ver­schen­ken moch­te. Den Advents­ka­len­der gab es in ver­schie­de­nen Kate­go­rien, die man vor­ab aus­wäh­len konn­te, oder man wähl­te einen Mix aus allen The­men wie Gym­nas­tik, Lose, Rabatt­an­ge­bo­te, Mars­ge­schich­ten oder oder und erhielt jeden Mor­gen zur Weck­zeit eine klei­ne Show als Holo­gramm. So kam es mor­gend­lich zu einer ent­spann­ten und ent­zerr­ten Früh­stücks­run­de mit mun­te­ren Ideen unter den akti­ven Alten von Havelwood.

Es ergab sich, dass man wegen der Viel­falt an Enga­gier­ten einen Advents­ab­lauf fest­ge­legt und für den 24. Dezem­ber gemein­sam ein Jul­klapp vor­ge­se­hen wur­de. Unter­des­sen hat­te der Lei­ten­de Weih­nachts­mann die Orga­ni­sa­ti­on des Jul­klapp schnell ver­stan­den, alle Bestel­lun­gen und Lie­fer­diens­te in die­sen bunt deko­rier­ten Tagen auf­ge­nom­men und recht­zei­tig bei Mega­zon das gewünsch­te Event mit Zeit­fens­ter in der Vari­an­te All inclu­si­ve geordert.

Alle, die daheim in Havel­wood blei­ben wür­den, hat­ten ihre Wün­sche in einen anony­men Pool von Bestel­lun­gen für Geschen­ke ein­ge­ge­ben und ihre Aus­wahl für sich behal­ten, denn ein Jul­klapp ist als ein Event vol­ler Über­ra­schun­gen gedacht.

Als alles ent­schie­den, abge­hakt und die Gemein­schafts­be­stel­lung ver­sandt war, lös­te sich die Run­de nach dem Applaus, den Vor­schuss­lor­bee­ren an die Hel­fer­schar, erst ein­mal gemüt­lich auf.

Wer erin­ner­te sich an die Vier-Kerzen-Geschichte?

Der wich­ti­ge­re Teil der gemein­sa­men Advents­stun­den wür­de es sein, den Wunsch­zet­tel an die loka­le Poli­tik im Ple­num fer­tig zu stel­len, denn das taten sie jedes Jahr! Auf die­se Wei­se kam es zu die­sen per­sön­li­chen Mee­tings mit den Ver­tre­tern aus dem Senat.

Und da konn­te man was erle­ben! Denn vie­le kamen aus den Jahr­zehn­ten der restrik­ti­ven Sozi­al­po­li­tik, damals als es mie­se Trans­fers und schä­bi­ge Tätig­kei­ten gab, für deren Ver­wei­ge­rung, sol­che Jobs qua­si-ver­trag­lich aus­zu­füh­ren, man sogar bestraft wur­de wie ein Kind ohne Taschengeld.

Man­che unter ihnen konn­ten das nie ver­win­den oder ver­ges­sen. Ein Trost immer­hin war, dass die Ren­ten ab und an durch gleich lau­ten­de grö­ße­re oder klei­ne­re Fest­be­trä­ge an alle Rent­ner erhöht wur­den, was zu einer gewis­sen Nivel­lie­rung führ­te und etwas ver­söhn­li­cher stimm­te, denn das Altern schützt vorm Leben nicht – und schon gar nicht vor Träu­men und eben auch teu­ren Medi­ka­men­ten und vie­len klei­nen oder einem sehr gro­ßen Wunsch!

Die alten Men­schen waren nun eine mäch­ti­ge Grup­pe unter den Bewoh­nern der Städ­te und alles, was viel­leicht nicht trans­pa­rent, selbst-erklä­rend oder robust funk­ti­ons­tüch­tig war, ob Gebrauchs­ge­gen­stän­de oder Ver­kehrs­re­geln, konn­ten sie leicht mit Mehr­hei­ten vom Tisch wischen.

So ver­gin­gen die Tage im Advent. Der lei­ten­de Weih­nachts­mann stell­te jedem, der es wünsch­te, mor­gens ein Holo­gramm mit Weck­in­fos durch, das neben dem Bett oder an der Kaf­fee­the­ke pul­sier­te und Musik machte.

Die Alten tra­fen sich zu lie­bens­wür­di­gen Gesprä­chen, Gym, Qigong und Spie­len und was sie gern taten.

Und wie der Zufall so will, wur­den auch die fast ver­ges­se­nen Ker­zen­lich­ter ange­spro­chen, denn fast jeder hat­te eine ande­re aben­teu­er­li­che Geschich­te zu die­sen nost­al­gi­schen Erleb­nis­sen zu erzählen.

Nur eine alte Dame erin­ner­te sich an die Geschich­te vom Kind, das die ent­zün­de­ten Lich­ter am Advents­kranz beob­ach­tet hat­te und plötz­lich ent­täuscht die erlo­sche­nen drei Ker­zen benannt Frie­den, Glau­be und Lie­be vorfand.

Aber die vier­te Ker­ze, die die Hoff­nung ver­kör­pert, konn­te mit ihrem Feu­er die andern drei wie­der ent­zün­den. Es ent­spann sich ein lan­ges Gespräch dar­über, denn die Rei­hen­fol­ge die­ser leben­di­gen Lich­ter ist eine gute Frage.

Die Span­nung steigt, der Fest­tag naht

Nun kam der Fest­tag! Die Geschen­ke waren bestellt und nichts wur­de mehr mit Span­nung und Neu­gier ersehnt als das Geheim­nis des Events die­ses Jah­res mit­zu­er­le­ben. Man hat­te sich in den Advents­wo­chen gemun­kelt, ob doch noch­mals Ren­tie­re mit Schlit­ten kom­men oder eine Schar Astro­nau­ten auf­tre­ten, die auf „Vom- Mars-da-komm-ich-her!“ machen wür­den. Man war sich nicht schlüs­sig und man woll­te auch nicht zu viel der Erwar­tun­gen schü­ren. Die Auf­ga­be des Lei­ten­den Weih­nachts­man­nes war es nun ledig­lich noch, die zu ver­tei­len­den Päck­chen zu digi­tal ver­schlüs­seln und mit den Namen der Emp­fän­ger zu ver­se­hen, das war nach Zufalls­prin­zip gesche­hen, damit die Über­ra­schun­gen umso grö­ßer sein würden.

Alle fan­den sich im Gar­ten zusam­men, wie man konn­te, mit Geh­stock, mit Rol­la­tor, mit Roll­stuhl oder wie auch immer, oder unter­ge­hakt ließ man sich gemäch­lich gelei­ten und nahm Platz. Das Wet­ter war gnä­dig, denn Regen, Schnee und Minus­gra­de waren aus­ge­blie­ben. Im Halb­kreis saßen sie bei­ein­an­der und wur­den mit fest­li­chen Geträn­ken ein­ge­stimmt. In der Mit­te loder­te das Lager­feu­er, etwas, das sich die Alten weder im Som­mer noch im Win­ter an lan­gen Aben­den neh­men lie­ßen. Das war ein­fach zu schön. Man schwelg­te in guter Lau­ne! Und wie es dann kom­men muss­te, über­schall­te eine gedämpf­te Ansa­ge die mun­te­ren Plau­de­rei­en: „Nun lie­be Freun­de des Fes­tes, nähert sich unse­re Flot­te mit den Geschen­ken für den Julklapp!“

Mit Oh‘s und Ah´s wur­de zum Him­mel auf­ge­schaut und die Alten, die Pro­Com­mon­ers und die Gäs­te reck­ten die Köpfe.

„Auf 11 Uhr über dem Wip­fel­saum unse­res Win­ter­wal­des kom­men sie zu uns! Schau­en Sie! Freu­en wir uns gemein­sam auf die­se Über­ra­schung! Pünkt­lich! Was hät­ten wir von Mega­zon ande­res erwar­ten dür­fen! …. Groß­ar­tig und schön illuminiert!“

Nun war das Stau­nen mit den noch sach­ten Ohs schnell been­det, denn Bei­falls­don­ner setz­te ein und hier und da mach­te ein freu­di­ges Auf­schrei­en die Runde.

Am Hori­zont zu sehen war eine lan­ge Per­len­schnur mit wel­len­för­mig glim­men­den Lich­tern, die zügig her­an­flog, sich fei­er­lich still aber gol­den schei­nend näher­te und direkt auf ihre Sied­lung zukam. Die For­ma­ti­on der ster­nen­ar­tig leuch­ten­den Droh­nen lös­te sich nun aus der Brei­te der Per­len­schnur. Die Droh­nen rich­te­ten sich über­ein­an­der auf zu einem grün-rot chan­gie­ren­den Tan­nen­baum, der an den Sei­ten sei­ne Flan­ken und die Spit­ze rund­um in Sil­ber erstrah­len ließ. Sodann wan­del­te sich die Licht­skulp­tur zu 50 Ster­nen, die tanz­ten und sich türm­ten und sich erneut paar­ten und wei­te­re For­men bil­de­ten und die Far­ben wech­sel­ten … man konn­te sich kaum satt sehen … und um immer wie­der mit einem neu­en Anblick wäh­rend des Anflu­ges zu trumpfen.

„Da kann man nich‘ meckern!“, sagen die Ber­li­ner, wenn höchs­tes Lob gemeint ist, weil alles ful­mi­nant sei­nen Gang nimmt und freu­di­ges Erstau­nen nicht weg­zu­dis­ku­tie­ren war.

Was für eine Geschenkeschlacht!

Nein, glau­ben Sie nicht, dass ich jetzt eine der Droh­nen ins Win­ter­feu­er stür­zen las­se. Ja, das wäre auch eine fet­zi­ge Wen­dung in der har­mo­nisch gemein­ten Erzäh­lung, das könn­te Ihnen so pas­sen! Es geschah aber nicht. Viel­mehr nah­men die Droh­nen einen wei­te­ren Tanz auf, schal­te­ten sich auf Tan­nen­grün um, for­mier­ten sich zu den Sil­hou­et­ten von 50 Bäum­chen und voll­führ­ten einen regen Tanz in lan­gen Reihen.

Sie san­ken dann wie­der her­ab im sanf­ten Anflug und bogen erneut geschraubt in den Him­mel hin­auf, wäh­rend ihre Stern­spit­zen in den schöns­ten sam­ti­gen Rot­tö­nen zwinkerten.

Nach der Melo­die von San­ta Claus is Comin‘ to Town beein­druck­te die himm­li­sche Cho­reo­gra­fie zu wirk­lich gro­ßer Stim­mung. Laut­hals mit­sin­gen, selbst mit den gebro­chens­ten Stim­men, war das Mindeste!

Es geschah ein­fach und war per­fekt! Vor dem fina­len Lan­de­an­flug der 500 fest­li­chen Droh­nen, die ihren Tanz nun zum Ste­hen brach­ten, und sich in einem kur­zen Moment für den Sink­flug ein­zu­stel­len, wur­de ein Begrü­ßungs­spruch aus dem Him­mel ver­kün­det, der mit einer fei­nen Melo­die unter­malt war.

Nun kam das fina­le Arran­ge­ment, was nicht ohne war, denn jedes Päck­chen soll­te punkt­ge­nau plat­ziert wer­den, in jeweils einem der vor­ge­se­he­nen Sta­pel vor den Tiny Hou­ses. Die Käst­chen waren in fest­lich deko­rier­tem Metal­lic ver­packt und durch Pass­wort ver­sie­gelt. Nur durch den Geheim­code vom Lei­ten­den Weih­nachts­mann konn­te man sie öffnen.

Die Droh­nen waren nun streng geschäf­tig, unter­malt mit wei­te­ren Songs im stei­len Sink­flug und sich hoch­schrau­ben­den Bah­nen aus ihrer Auf­stel­lung her­aus unter­wegs zu der Basis. Dort waren bun­te Scha­ren und Grüpp­chen von Men­schen, die bereits auf­ge­stan­den waren und sich mit Sekt, Frucht­punsch und Cock­tails grup­pier­ten, denn die Pro­Com­mon­ers waren zur Stel­le und die Huma­no­ide, die über die Gras­wur­zel­bal­len im Dun­keln und in Eile gestol­pert wären, ver­wal­te­ten neben dem Gemein­schafts­haus die Tel­ler und Tabletts und die Fäs­ser und Flaschen.

Die Wün­sche der Alten waren also wie bestellt ein­ge­trof­fen und sta­pel­ten sich nun zu 50 weih­nachts­baum­ar­ti­gen mehr oder weni­ger hohen grü­nen, bunt blin­ken­den Pyra­mi­den vor den Häusern.

Nun glau­ben Sie bestimmt, da es schon so lan­ge dau­ert, dass ich nun noch die Trans­fers der Geheim­zah­len scha­den­fro­her­wei­se schief gehen las­se. Ja? Glau­ben Sie das? Naja, wir wün­schen allen Mit­fei­ern­den doch ihren Spaß und wis­sen zudem um die Geduld und Unge­duld der ein oder anderen.

Man muss nicht lan­ge nach­den­ken, um zu wis­sen, dass der Jul­klapp sofort wei­ter­ge­hen wür­de, denn auch die Beschrif­tung der Päck­chen mit den Emp­fän­ger­na­men war per­fekt für eine abrupt ein­set­zen­de Schlacht ums Aus­pa­cken, Zer­fet­zen der schö­nen Bunt­pa­pie­re und dem Ein­ge­ben der vor­ab emp­fan­ge­nen PIN war sogleich im Gange.

Das Freu­en und Bedan­ken in die Run­de mach­te noch mehr herz­er­wär­men­de Lau­ne, in höchs­ten Tönen wur­de gelobt und mam­che Sen­sa­tio­nen markt­schreie­risch in die Run­de gegeben.

Und hier und da gab es ver­söhn­li­che Töne. Oder auch da und dort Gegrum­mel und ver­hal­te­ne Ent­täu­schung, was mit fröh­li­chem Lachen bedacht wurde.

Und da die Geschen­ke von jedem für jeden aus­ge­sucht wor­den waren, gab es für die Fol­ge­ta­ge noch vie­le span­nen­de Mit­ein­an­ders, da man doch gern die ein oder ande­re nicht so pas­sen­de Gabe tau­schen moch­te. Manch­mal waren es drei oder vier, die unter­ein­an­der die Prä­sen­te kreuzten.

Da kamen wie­der die nun recht ent­spann­ten Pro­Com­mon­ers zum Ein­satz, die den alten Men­schen mit Tabel­len und Tratsch wei­ter­hal­fen. Das muss­te erst ein­mal arran­giert sein!

Und es war eine Erfah­rung für vie­le neue Ideen für das nächs­te Fest in Havel­wood. So wur­de aus dem Hei­lig­abend von Anno 2022 ein Tage anhal­ten­des stim­mungs­vol­les quir­li­ges Tun und Las­sen – gegen Trau­rig­keit, gegen Mut­lo­sig­keit, gegen Ein­sam­keit, für gelun­ge­ne Gemeinschaft.

Und Neu­jahr 2063 war nur noch wei­te­re acht Tage fern …

© Rena­te Straetling

Renate Straetling

Jg 1955, aufgewachsen in Hessen; ab 1973 Studium an der FU Berlin, Sozialforschung, Projekte und Publikationen.
Selfpublisherin seit 2011
www.renatestraetling.wordpress.com
Im Wedding seit 2007.
Mein Wedding-Motto:
Unser Wedding: ein großes lebendiges Wimmelbild ernsthafter Menschen!

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