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Der Bezirk mit dem rebellischen Herzen:
Wedding: Vom Schmuddelkind zum Schmuddelbezirk?

20. Februar 2025
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Meinung Es gab eine Zeit, da war der Wedding ein rauer, aber ehrlicher Arbeiterbezirk, der in Berlin oft nur belächelt wurde. "Da willste doch nicht hinziehen!", hieß es lange Zeit, wenn jemand eine günstige Wohnung suchte. Die Mieten waren niedrig, die Kieze bodenständig, die Eckkneipen legendär. Doch die Zeiten haben sich geändert – und mit ihnen der Wedding.

Foto: Samuel Orsenne

Heute ist der Stadtteil längst kein Geheimtipp mehr. Die günstigen Mieten? Geschichte. Mittlerweile zahlt man hier fast genauso viel wie in Prenzlauer Berg oder Friedrichshain. Der Wedding ist nicht mehr Berlins unentdeckte Insel für Individualisten, sondern einfach nur noch ein Stadtteil unter vielen. Selbst das Stadtmagazin tip hat seinen Sitz mittlerweile hier. Ein deutliches Zeichen: Wedding ist normal geworden.

Wo früher kleine, inoffizielle Spätis die Nächte bestimmten, haben heute Bioläden und durchgestylte Bars Einzug gehalten. Es gibt gute Restaurants, Latte Art und selbstverständlich vegane Optionen. Natürlich ist es gut, dass es solche Angebote gibt. Aber selbst wenn der Wedding noch ein bisschen kantiger wirken mag als Charlottenburg: Seine raue Authentizität geht langsam verloren.

Ein Paradebeispiel für diesen Wandel ist der Plötzensee. Einst ein Insider-Tipp für Eingeweihte, ist der kleine See (ob am Steingarten, im Strandbad oder anderswo) mittlerweile überlaufen. Wer an einem heißen Sommertag einen ruhigen Platz am Wasser sucht, sollte sich besser woanders umsehen. Plastikflaschen, Grillreste, Glasscherben – ein trauriger Anblick, der den einstigen Charme des Sees und vor allem seine Ufer zerstört.

Doch nicht nur am Plötzensee zeigt sich die Kehrseite der Veränderung. Während Wedding früher oft als das "Schmuddelkind" Berlins galt, das nur Eingeweihte mit seinem rohen Charme zu schätzen wussten, hat sich das Bild verschoben: Heute ist der Bezirk nicht mehr einfach nur "unfertig" oder "anders" – an manchen Orten ist er schlicht verwahrlost. Auch wenn gegengesteuert wird: Die Probleme mit Drogenhandel und Suchtkranken, die man einst vor allem mit anderen Stadtteilen verbunden hat, haben sich längst auch am Leopoldplatz und rund um den U-Bahnhof Osloer Straße festgesetzt. Szenen, wie man sie früher nur vom Bahnhof Zoo kannte, sind hier keine Seltenheit mehr.

Foto: Andaras Hahn

Insgesamt steht der Wedding heute an einem Wendepunkt: Er ist nicht mehr das unterschätzte Arbeiterquartier mit dem rebellischen Herzen, aber auch nicht das aufgehübschte, durchgentrifizierte Vorzeigeviertel. Er ist weder das eine noch das andere – sondern irgendwas dazwischen. Angepasst, aber nicht aufgehübscht. Angleichung statt Einzigartigkeit.

Es gibt sie aber noch, die Ecken, an denen man den alten Wedding spüren kann – dort, wo Menschen mit unprätentiösem Charme zusammenkommen, wo die Wände nicht frisch gestrichen sind und die Mieten vielleicht gerade noch bezahlbar bleiben. Aber diese Orte werden weniger. Und so bleibt die Frage: Was bleibt vom Wedding, wenn alles Besondere geht?

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

15 Comments Leave a Reply

  1. wedding war mal schön bin 2008 hier her gezogen. Es war noch einigermaßen sauber. Heute? Einer der verdeckten und zu gekakten Stadtteil. Was is das für ein faules Pack , die die Hinterlassenschaften des Hundes 🐕 einfach liegen lassen.Jeder hat ein Hund , aber null Verantwortung. pfui. Wedding ....Es wird immer schlimmer. Ich zieh jetzt zur Ostsee, da ist es gesünder u schöner.

  2. Ich wäre nicht Der_Eiskalte_KneipenKelte_Der_Aus_Der_Kälte_Kam wenn ich hier nicht meinen Senf dazugeben würde. Was für ein Volltreffer. Natürlich habe ich auf dem ersten Foto meine älteste noch existierende Stammkneipe erkannt. Ich bin leidenschaftlicher Kneipengänger berlinweit und bin stolz am pulsierenden Kneipenherz Berlins zu leben. Der Wedding - die Perle unter Berlins Bezirken. Titelte schon Horst Evers, der unweit der nicht benannten Kneipe im Eulerkiez unterwegs war um dort "Urlaub" zu machen. Ja. Nein. Vielleicht ist es auch der Bellermann-Kiez oder was auch immer. Wurscht. Durscht. Proscht.

  3. Mein Erlebnis:
    Ich lese jedes Jahr von dem eklatanten Mangel an Kita-Plätzen in Berlin.
    Vor ein paar Tagen sah ich in dem Döner-Laden in meiner Nähe hier im Wedding einen Aushang: "Kitaplatz frei!" Kurz darauf in der Schiller-Bibliothek mehrere Aushänge "Kitaplätze frei!"
    Wäre doch ein Grund in den Wedding zu ziehen.
    Warum tun das so wenige junge Familien?

    • Liebe Eva, Kitaplätze gibt es zur Zeit Berlin weit. In allen Bezirken sind frei Plätze in Kitas zu haben. Da stellt der Wedding für junge Familien keinen besonderen Ort mehr dar. Zudem halte ich den Wedding, mit allen seinen Problemen, nicht für einen guten Ort für Familien. Ich denke, solange die Probleme, der Vermüllung, der Drogen und der sichtbaren sozialen Benachteiligung nicht nachhaltig behoben werden, ist der Wedding auch weiterhin ein Problembezirk.

    • Liebe Eva, es stimmt, es werden viele KITA Plätze frei. Das Problem sind die hohen Mieten. Wer ein zweites Kind bekommt und eine größere Wohnung braucht, muss wegziehen. Das macht sich in den Kitas bemerkbar.

    • Als Familie aus'm Wedding (seit drei Jahren mit Kind, seit 14 Jahren im Wedding):

      1. Kita-Plätze sind aufgrund des Geburtenrückgangs überall aktuell frei (sagt die Presse ebenso wie meine Elterngruppen auf Telegramm und WhatsApp).

      2. Der Text sagt es ziemlich passend: Die Mieten sind fast so teuer wie im Prenzelberg. Wir haben einen gutes Gehalt und sind jetzt nach knapp 3 Jahren Wohnungssuche (wir wollen unbedingt hier bleiben, da Freunde/Kita/Garten/etc) erst fündig geworden, weil wir eben nicht 1,8-2,5k für 4 Zimmer zahlen wollen.

      3. Es ziehen ziemlich viele junge Familien in den Wedding. In unserer Siedlung sterben die Suchtkranken und Alten und es ziehen so gut wie immer junge Familien ein. Gleiches zeigt sich bei Spielplatz- und Kita-Gesprächen: Zuzug während Familienplanung.

  4. Der Wedding ist bunt und vielfältig, das gefällt mir. Aber die Vermüllung ist inzwischen erschreckend. Das liegt nicht allein an den Bewohner: innen, die schon eine leere Zigarettenschachtel einfach hinter sich fallen lassen und nur „Nööö“ sagen, wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass sie gerade was verloren haben. Es liegt auch an der schlampig arbeitenden Stadtreinigung BSR. Die Reste der Sylvesterraketen werden hier seit Jahren erst im Februar beseitigt. Das Herbstlaub vom letzten Jahr wird jetzt gerade erst zusammengekehrt und dann in einem riesigen Berg von 10 Metern Länge und 3 Metern Breite an der Londoner Str. zwischengelagert. Und die drei Fahrradleichen am City Point in der Müllerstr. sind auch nach einem Jahr und 3 Meldungen beim Ordnungsamt noch nicht beseitigt worden! So gewöhnt sich sich die Einwohnerschaft an den verdreckten Zustand und sieht es nicht ein, dass vielleicht jede:r etwas zur Sauberkeit beitragen könnte. Das ist der „Broken Windows“ Effekt: wenn ein Fenster eingeschlagen ist, dann werden bald auch die nächsten Fenster am leerstehenden Haus zerschlagen.

    • Broken-Window-Effekt, gut zu beobachten in der Burgsdorfstr., die auch ohne die Ruine eine Schmuddelstraße ist.
      Ebenfalls zu beobachten an der Baustelle Lynarstraße/ Ecke Müllerstr. Die Ecke verkommt mit jeder Woche mehr. Es wird höchste Zeit, dass dort der Neubau endlich steht, mit dann hoffentlich sauberem Bürgersteig und sauberen Baumscheiben.

  5. Hat da jemand den Winter-Blues? Was ist denn mit dem Motto des Weddingweisers „Die schönen Seiten des Wedding“ geworden? Ja, manchmal wird einem der Wedding zu viel, gerade im Winter. Dann muss man mal wieder in das türkische Cafe an der Ecke gehen, ein Schwätzchen im Syrischen Fallaffel-Imbiss führen und abends auf eine Veranstaltung im silent green, im mastul oder im Paul Gerhard Stift gehen. Steht alles in eurem tollen Veranstaltungskalender.
    Kopf hoch, Joachim 🙂

  6. Es ist halt ein zweischneidiges Schwert. Verdrängung durch Aufwertung ist ein Problem aber gleichzeitig sind die Bioläden, die Cafés und die Poller die die Autos fernhalten sollen auch echt was schönes wenn man eine Familie großzieht. Alles Symptome von Gentrifizierung aber wenn man Kinder hat stört einen der ganze Siff, Müll und Autolärm nochmal anders.
    Wer hat denn nun um Ende das Recht zu bestimmen was richtig und falsch ist, was kommen und was bleiben soll?

    • Sollte die gute grüne Verkehrspolitik in Mitte, die zum Glück noch dem Fokus auf die Radinfrastruktur und Verkehrsberuhigung hat, ein Ende nehmen oder gar rückabgewickelt werden von anderen politischen Kräften, ist das für mich als Vater ein absoluter Grund über den zeitnahen Wegzug mit der Familie zu denken.
      Allein das immer größer werdende Müllproblem ist schon belastend genug. Wenn nun auch noch die Zeit zurückgedreht wird hin zu mehr Autoverkehr, soll der Wedding mit seinen Kiezen zurecht vor die Hunde gehen. Mit Lebensqualität hat das dann nichts mehr zu tun.

      • Der Schaden ist leider schon angerichtet. Unsere CDU geführte Regierung hat erreicht dass Massen an Fachkräften für Verkehrsplanung in den Behörden freiwillig gekündigt haben. Der Aufbau solch einer Expertise dauert viele Jahre aber ich denke genau das war auch der Plan.

  7. "Es gibt sie aber noch, die Ecken, an denen ... die Mieten vielleicht gerade noch bezahlbar bleiben" --- ??
    Also leider sind meine Erfahrungen andere.

    Durch die Gentrifizierung wirds nicht besser!
    Gesoffen wurde im Wedding schon immer, die Säufer sind nix Neues. Vielleicht saufen heute mehr auf dem Platz als in den paar verbliebenen Stampen.
    Wenn die Leute - wir alle!! - an den Stadtrand und ins Umland vertrieben werden, dann wird es wie in Paris - und die Rache kommt mit dem Gelbwesten!

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