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Wedding-Jahresrückblick Februar 2014: Lästergold

10. Dezember 2014

Alle zwei Tage öff­net sich hier im Wed­ding­wei­ser ein sati­risch-lite­ra­ri­sches Monats­tür­chen in das ver­gan­ge­ne Jahr mit der Wed­din­ger Lese­büh­ne Brau­se­boys. Alle Tex­te wer­den nach Erschei­nen auf der Sei­te “Wed­ding­rück­blick” gesam­melt.

FEBRUAR 2014 

Läs­ter­gold – Olym­pia im Wed­ding (von Frank Sorge)

Wenn schon die Zuschau­er­rän­ge in Sot­schi leer­blei­ben, sind ja viel­leicht auch Quo­ten­plät­ze vor dem Fern­se­her frei. Dann kann ich den ja mal ein­schal­ten, bevor das gar kei­ner guckt.

Es kommt lus­ti­ge Vor­be­richt­erstat­tung über die Toi­let­ten in Sot­schi, es bleibt kei­ne Flie­se tro­cken. Emp­find­sa­me Sport­ler, die von unter dem Klo her­vor­sprin­gen­den Sala­man­dern erschreckt wor­den sind, dicke­re Sport­ler, die beim Hin­set­zen mit der Klo­schüs­sel umge­kippt sind, die nicht ver­schraubt war. Sowie in Kabi­nen ein­ge­sperr­te Sport­ler, einer muss­te sich durch kom­plet­tes Zer­le­gen der Tür frei­kämp­fen. Da läs­tert die deut­sche Hand­wer­ker­see­le, ver­tre­ten durch die ARD, kichert lei­se “Pfusch, Pfusch” und mosert über rus­si­sche Arbei­ter, bei denen ja auch immer – Gluck, Gluck – ein biss­chen Wod­ka im Spiel ist.
Schon die Eröff­nung wur­de so inten­siv beläs­tert, als gin­ge es um Läs­ter­gold. Nicht so groß wie da und dort, und vor allem nicht so spek­ta­ku­lär, wie sich das der fei­ne Herr Putin wohl vor­ge­stellt hat­te, funkt es auf allen Kanä­len. Und dann die gan­zen Pan­nen. Als er die Eröff­nungs­for­mel sprach, läs­ter­te der deut­sche Kom­men­ta­tor gleich: “Aber mehr als den einen Satz darf er nicht sagen.”
Beach­tens­wert auch die Gesangs­ein­la­ge von Sän­ge­rin Anna Netreb­ko. Sie sah her­vor­ra­gend aus in ihrer glän­zen­den Robe, nur hören konn­te man sie nicht so recht. Am Fern­se­her wur­de es bald etwas bes­ser, für die Zuschau­er vor Ort aber wohl nicht, was ein Schwenk auf die Gesich­ter der Rän­ge ver­riet. Der Applaus im Sta­di­on fiel so mäßig aus, als wür­de man ein über­flüs­si­ges Pau­sen­girl ver­ab­schie­den. Vie­le hät­ten sie wohl über­haupt nach der Musik­ein­la­ge erst erkannt, sag­te der Kom­men­ta­tor, wegen der Durch­sa­ge, dass sie gera­de gesun­gen hätte.
Heu­te sehe ich ein paar Halb­fi­nal­läu­fe von Snow­boar­dern in der Half­pipe. Das sieht sehr cool aus, in man­chen der Sprün­ge fast unmensch­lich. Ob da aber nicht doch schon Droh­nen sprin­gen, kann man nicht so genau sehen, weil alle Sport­ler dick über Kra­gen und Mund ein­ge­packt sind, und ihre rie­si­gen, ver­spie­gel­ten Hel­me bei der Punk­te­ver­ga­be nicht abneh­men. Sie sehen aus wie Robo­cop, den­ke ich: Robo­cop on Ice.
Irgend­et­was aber fehlt mir noch, das Olym­pia­gu­cken fühlt sich nicht rich­tig an. Rich­tig, ich hab gar kein Essen im Haus. Sport vor dem Fern­se­her zu gucken, ohne dabei gro­ße Fett- und Fleisch­men­gen zu ver­schlin­gen, brei­te Schüs­seln mit Knab­ber­zeug zu lee­ren und die Bier­kis­te, auf der man die Bei­ne hoch­le­gen kann – ohne das alles ist es wirk­lich zu öde. Ich könn­te eine Mohr­rü­be aus der Küche holen, aber bevor ich mit rohem Gemü­se Biath­lon gucke, kann ich ja auch gleich sel­ber Biath­lon machen.
Ich nut­ze für die Beschaf­fung das Fina­le der Rod­le­rin­nen. Denn hier ist die Span­nungs­kur­ve wirk­lich zum Gum­mier­wei­chen, da zer­reisst das Span­nungs­band aus purer Mate­ri­al­er­mü­dung. Denn die Zei­ten aus den Vor­run­den wer­den ver­rech­net und die Favo­ri­tin hat eine Sekun­de Vor­sprung. Ist also nicht ein­hol­bar, wenn sie so run­ter­fährt, wie sie vor­her run­ter­ge­fah­ren ist, und wenn die ande­ren so run­ter­fah­ren, wie sie run­ter­ge­fah­ren sind. Da es immer die glei­che Bahn ist, fah­ren alle ja genau gleich run­ter, das ver­ein­facht vie­les. Und selbst wenn die Favo­ri­tin jetzt so schlecht run­ter­fährt, wie die schlech­tes­te vor­her, ist sie nicht einzuholen.
“Da müss­te schon rich­tig etwas schief­ge­hen, damit das schief­geht”, sagt der Kom­men­ta­tor, und klopft hof­fent­lich wenigs­tens auf Holz dabei. So oft kann er aller­dings gar nicht klop­fen, wie er wei­ter unkt: “Nur, wenn sie aus der Bahn flie­gen wür­de” oder “da müss­te schon mäch­tig was pas­sie­ren”. Auch die Eltern der Rod­le­rin am Rand wir­ken ent­spannt, nur der Kom­men­tar muss sich an den aller­letz­ten Faden hal­ten, der noch Span­nung ver­spricht, den der Ari­ad­ne: “Ihre Ner­ven müs­sen zum Zer­rei­ßen gespannt sein. Aber wenn sie heil run­ter­kommt, wird sie es schaffen.”
Bevor ich also bei all dem Geun­ke doch noch dabei zuse­hen muss, wie sie wirk­lich aus der Bahn fliegt und an einem Beton­pfei­ler zer­schellt, nut­ze ich die Zeit lie­ber zur Jagd auf der Mül­lerstra­ße. Mit einem Rebel Bur­ger, Pom­mes, einem 4‑er Paket Donuts für spä­ter, sowie jeweils einem Paket Käse­flö­ten und Sta­pel­chips zur Sicher­heit, und einer kal­ten Fla­sche Becks Hüft­gold, guckt sich Olym­pia im Wed­ding gleich viel angenehmer.


Vom 11.12. bis 10.1. des neu­en Jah­res prä­sen­tie­ren die Her­ren Paul Bokow­ski, Robert Res­cue, Vol­ker Sur­mann, Frank Sor­ge und Hei­ko Wer­ning außer­dem an über 20 Ter­mi­nen ihre tra­di­tio­nel­le Jah­res­bi­lanz “Auf Nim­mer­wie­der­se­hen 2014″ im Come­dy­club Kooka­bur­ra (Schön­hau­ser Allee 184). Schau­en Sie auch dort hin­ein und hel­fen den Wed­din­ger Vor­le­sern dabei, den Prenz­lau­er Berg zu “degen­tri­fi­zie­ren”.

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