Alle zwei Tage öffnet sich hier im Weddingweiser ein satirisch-literarisches Monatstürchen in das vergangene Jahr mit der Weddinger Lesebühne Brauseboys. Alle Texte werden nach Erscheinen auf der Seite “Weddingrückblick” gesammelt.
AUGUST 2014
Einladung von Schmidtski (von Frank Sorge)
Endlich wieder ein Brief vom Jobcenter, er duftet nach Lavendel. Es widerstrebt mir, beim Öffnen das erlesene, handgeschöpfte Papier aufzureißen. Nehme den Brieföffner aus Elfenbein und ziehe mir Handschuhe aus Seide über, um keine Fettflecken auf den Dokumenten zu hinterlassen. Eine Einladung, lese ich mit leuchtenden Augen, von Lord Schmidtski, meinem Herzog der Arbeit, zu vertraulichem Gespräche am Rande der üblichen Sommerfestivitäten, „…erlauben unterwürfigst, sich meiner Anwesenheit zu versichern.“
Eine Woche noch fern der Termin, Gänsehaut in Erwartung, freue mich wie eine Prinzessin auf den ersten Hofball. Was soll ich anziehen? Eine schillernde Weste und ein fein gewebtes Leinenhemd, passenden Fedora – wie soll ich das alles nur rechtzeitig zusammenbekommen? In der Nacht davor unruhiger Schlaf. Erwarte ich zuviel, werde ich mich überhaupt würdig und elegant zeigen können, gehörte ich überhaupt in diese Gesellschaft? Immer wieder Herumwälzen, wilde Träume. Wache viel zu früh auf und fühle mich krank. Reaktiviere mich durch starken Kaffee, und heftiges Schrubben in der Dusche, lege die neue Kleidung zurecht, entferne Fussel. Fast schon zu spät eile ich los, unedel auf dem Drahtesel, aber stelle ihn unweit des Jobcenters in den Schatten.
Vor den Toren spielen Gaukler, manche jonglieren, einer auf dem Einrad, ein anderer spuckt Feuer. Sicherheitskräfte im Smoking teilen erfrischende Cocktails aus. Von der Straße strömen Gäste hinein, schreiten an den Gauklern vorbei zum Empfang. Gegen die Sommerhitze sind große, bunte Tücher über die Straße gespannt. Der Zauber des Augenblicks paralysiert mich. Eine freundliche Dame des Hauses erspäht mich, wie ich verloren dort stehe, und geleitet mich hinein. “Der große Dichter – Lord Schmidtski sprach von Ihnen”, sagt sie knapp, lässt mich dann aber wortlos staunen. Drinnen wandeln Menschen aus allen Ländern in bunten Gewändern, dicht gedrängt im Empfangssaal, an dessen Querseiten spielen Kapellen, davor drehen sich Tanzpaare. In der Mitte ein steter Strom zur Haupttreppe hin, hoch zu den Galerien.
“Man erwartet sie schon gespannt”, sagt sie, fasst mir beruhigend an die Schulter und führt mich hinauf. Die stehende Gesellschaft teilt sich und Lord Schmidtski kommt in Sicht, winkt fröhlich vom Balkon der Galerie herüber. “Herr Sorge! Lange erwartet und doch genau zur rechten Zeit eingetroffen. Herüber, herüber mit dem Genius.” Umstehende erheben die Gläser und es erklingt: “Vivat, vivat.”
“Welche Ehre, Fürst Arbeitsvermittler Schmidtski, meinen unwürdigsten Dank”, gehe auf ein Knie.
“Herauf, herauf mit ihm!”, lacht Schmidtski, von den Seiten strömen Leute heran, greifen mich beherzt unter den Armen und stellen mich auf die Beine. Forderungen werden laut, ich solle ein Gedicht rezitieren, aber der Lord nimmt mich beiseite zum Balkon und ruft der Meute zu: “Erst die Arbeit…”
“Dann das Vergnügen”, antworten sie und brechen in Jubelrufen aus. Etwas abgeschirmt, am Geländer des Balkons, schaut mich Lord Schmidtski ernst an. “Lassen Sie sich nicht verunsichern, aber ich weiß, des Künstlers Seele ist nicht sanfter an sich, nur schnell überreizt wegen der größeren Antennen.”
Sein Tonfall überrascht mich. Neben all der Freundlichkeit scheint er noch mit den eigentlich wichtigen Worten zu ringen. “Sie wissen ja, wie sehr wir Ihre Dichtkunst und Ihre Werke schätzen, die ja große Verbreitung und Beliebtheit erlangt haben, und wie gerne wir im Dienste dieser Gesellschaft, die Sie verehrt, unseren Reichtum mit Ihnen teilen.” Verbarg sich da noch ein „Aber“?
“Nur müssen wir eben dann und wann, in Ihrem Fall bis zum Jahresende, unsere Bestrebungen zur Förderung der Kunst und Literatur intensivieren.”
“Intensivieren?”
“Von mehr kommt mehr – glauben Sie mir, leicht fällt mir das nicht, aber das große Werk ist ja von Ihnen, bei all unserer Begeisterung, noch nicht zu den Klassikern gestellt. Bis dahin, nun ja, muss jede Option erwogen werden, wie man Ihrer Muse – wie soll ich das sagen?”
“Meiner Muse?”
“Schwester der Muße”, ergänzte er spontan, grinst, “Wie man Ihrer Muse etwas Feuer unter dem Arsch machen kann, salopper gesagt. Hören Sie mir gut zu, bis zum Jahresende ist ein episches Feuerwerk zum Weihnachtsfest abgeschossen, und abgeschlossen, sonst…”
“Sonst?” Ich glaube meinen Ohren nicht.
“Da reden wir später drüber. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Ihnen da jetzt gar nichts – sie wollen das ja bestimmt nicht und ich will das auch nicht. Aber viel Zeit bleibt nicht, schmieden sie Ihre hübsche Feder recht bald zum funkelnden Schwert um und hacken ein bisschen richtiges Holz damit! Kapische?”
“Ja, verstanden.”
“Lord Schmidtski hat fertig, und jetzt eifrig ins Getümmel.”
Er taucht in die Menge und gerät außer Sicht. Schwer benommen taumle ich vom Balkon, ein paar hilfsbereite Seelen nehmen mich in die Mitte, tragen mich zu einer ruhigen Stelle und betten mich auf sanfte Kissen. Man bringt mir Wasser, Hanf und Wein, streichelt mich sanft wieder zu Kräften. Ich sitze bald wieder aufrecht, jemand schwingt einen Fächer und ich lausche einer Gitarrenspielerin. “Hat nicht Schmidtski Recht?”, denke ich, und formuliere schon erste Urlaute in mir für die kommende Hymne.
Der Tag gerät noch zum rauschenden Fest, und als ich am Tag danach wieder am Schreibtisch sitze, denke ich schon daran, wie wohl das nächste Mal sein wird. Der nächste Besuch beim Jobcenter ist doch immer der schönste.
Vom 11.12. bis 10.1. des neuen Jahres präsentieren die Herren Paul Bokowski, Robert Rescue, Volker Surmann, Frank Sorge und Heiko Werning außerdem an über 20 Terminen ihre traditionelle Jahresbilanz “Auf Nimmerwiedersehen 2014″ im Comedyclub Kookaburra (Schönhauser Allee 184). Schauen Sie auch dort hinein und helfen den Weddinger Vorlesern dabei, den Prenzlauer Berg zu “degentrifizieren”.