Das Jahr 2040. 20 Jahre sind vergangen, seit Melissa, Rias beste Freundin, spurlos verschwunden ist. Ria kehrt an diesem schmerzerfüllten Jahrestag wieder zurück an den Ort, wo Melissa das letzte Mal gesehen wurde – und trifft sie dort plötzlich wieder.
Eine Fortsetzungsgeschichte von Nethais Sandt und Ruben Faust
(Teil 1 zum Nachlesen) (Teil 2 zum Nachlesen)
Bevor mir schwarz vor Augen wird, sehe ich Ria aus dem Laden wieder herauskommen, in der Hand eine Tüte mit dem Thriller drin. Ich höre ihre verwirrte Stimme, wie sie erst leise, dann immer lauter meinen Namen ruft. Aber sie kommt nicht auf mich zugerannt, denke ich in einem letzten bewussten Moment, Es ist beinahe so, als würde sie mich gar nicht sehen.
(Teil 1)
Ich schreie in die Schwärze rein, so laut wie ich kann. Kein Licht, kein oben, kein unten, und doch liege ich am Boden. Ein Gefühl, als würde man in der Matrix sein. Meine Stirn schmerzt weiterhin und es ist schwierig, die Augen offen zu halten. Ich schreie noch einmal so laut ich kann um Hilfe: Nach Ria, nach meiner Mutter und nach meinem Freund Erik. Und dann plötzlich: Straßengeräusche, wie zuvor. Es wird immer lauter, dann falle ich hin. Und plötzlich ist der Kopfschmerz weg.
Ein Mann in einem Anzug hat sich neben mich hingekniet. Besorgt schaut er aus seinen traurigen, alten Augen. “Geht es Ihnen gut? Sind Sie verletzt? Kennen Sie Ihren Namen?” Er kommt gar nicht mehr aus dem Fragenstellen heraus. Ich versuche mich aufzurichten, während sich immer mehr und mehr Leute um mich herum versammeln. “Ria. Wo ist Ria?”, frage ich ihn. Er schaut mich verwirrt an. Ich beschreibe ihm, wie sie aussieht, während er aufsteht und nach ihr sucht. Ich merke, dass irgendwas nicht stimmt. Etwas ist anders. Der Boden, so selten ich ihm auch so nahe bin, ist heller und sauberer. Bei genauerem Hinschauen tragen die Leute auch komische Sachen.
Nach einer Minute kommt zwischen dem Gemurmel der Menge und den Geräuschen der restlichen Straße eine Antwort: “Hier bin ich. Ich bin Ria!” Eine Frau, die vage aussieht, wie ich mir eine ältere Ria vorstellen würde, sieht mich entsetzt an. Dann fällt sie auf ihre Knie. Wie aus einem Wasserfall strömen ihr Tränenflüsse das Gesicht hinunter und zwischen dem damit einhergehenden Schluchzen kommt die Frage: “Melissa?” aus ihren Lippen hervor.
Wer ist diese Frau denn jetzt? Und warum fängt sie an zu weinen? Das ist nicht Ria. Nach ihr habe ich nicht gesucht. Ich setzte mich auf und fahre mir durch die Haare. Nach einem komischen Gefühl sehe ich Blut in meiner Hand. Verdammt. Ich rufe noch einmal nach Ria. Sie wüsste bestimmt, was ich jetzt tun soll. Und auch mir fallen die ersten Tränen vom Kinn. Ich atme tief ein und aus. Die Frau wiederholt, dass sie Ria sei und fragt mich nach meinem Namen: “Melissa?” Als Antwort vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen.
Tief in mir spüre ich, dass sie es ist. Ihre Stimme würde ich überall wieder erkennen. Aber wie soll das Ria sein? Meine Ria? Meine beste Freundin. Ich schaue wieder auf. Die Leute um uns herum sind mindestens so verwirrt wie ich. Ich kneife die Augen zusammen und drücke meine Finger gegen meine Schläfe um erstmal einen klaren Gedanken zu fassen.
Der Mann fragt mich, ob er den Notruf rufens soll. Ich winke jedoch ab und sage, es ginge mir gut. Die Leute gehen langsam weiter ihrem Tag nach und ich bedanke mich bei dem Mann für seine Hilfe. Er nickt und geht dann auch.
“Das Tattoo!”, sage ich. Wenn das Ria ist, dann hat sie noch das Tattoo: Die rechte Hälfte vom Schmetterling auf ihrem Arm. In einem Moment von Energie und Willensdrang greife ich ruckartig nach Ihrem linken Arm und streife den Ärmel hoch: Und da ist er: verziert mit Blütenblättern und vollständig ausgeheilt. Nein. Das ist Zufall. Das kann nicht Ria sein. Das Tattoo ist verheilt und alt – dabei waren wir doch erst vor ein paar Minuten im Tattoostudio. Aber wer sollte sonst ein genau passendes Tattoo haben? Ich atme tief ein und wieder aus. Es muss Ria sein.
Die Frau – Ria – schaut auf. Sie hat aufgehört zu weinen. Ungläubig schaut sie mich an. Ich zeige meinen Arm, der noch rot ist. Die andere Hälfte des Schmetterlings. Sie starrt einige Sekunden lang darauf: “Nein! Das kann nicht sein.” Und doch ist es so. Ich schaue ihr tief in die Augen. Sie hat Angst, sie ist traurig und trotzdem: Das ist Ria.
Sie fängt erst an zu kichern, und verfällt dann wieder ins Schluchzen. Tief ernst, schaue ich sie weiterhin an. “Bist du es wirklich?”, fragt sie. Und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher. Ich nicke trotzdem zustimmend und lächele sie an.
Ria hief sich hoch und hilft mir aufstehen. “Als erstes müssen wir diese Wunde versorgen.”, sagt sie. Sie scheint sich nicht entscheiden zu können, ob sie glücklich sein soll oder nicht. Sie bringt mich in eine Apotheke, und die Bedienung lässt uns in ein Behandlungszimmer hinter dem Tresen. Auf der Tür steht, dass dieser Raum zur Erste Hilfe-Leistung gedacht ist. “Wie ist das passiert?”, fragt sie mich. “Ich muss hingefallen sein.”, stammele ich. Die Apothekerin geht kurz raus und kommt mit einem kleinen gläsernen Gerät wieder. “Bitte kurz stillhalten.” Sie hält es über die Wunde und im Spiegel sehe ich einen blauen Strahl davon auf meine Wunde kommen. Es wird etwas warm um diese Stelle. “So das war’s auch schon. Trinken Sie viel Wasser und am besten keinen Alkohol”, sagt sie dann und nimmt das Gerät wieder weg. Ria kommt wieder rein und tippt auf einer Glasscheibe herum, während ich mir im Spiegel ansehe, dass die Wunde vollständig verheilt scheint.
Wir gehen still nebeneinander über den Leopoldplatz und setzen uns am Spielplatz auf eine der Bänke. Viele der Autos sind fahrerlos, wie mir beim genaueren Betrachten auffällt. Die Häuser sind alle in weiß oder in Grautönen gestrichen. “Das ist also die Zukunft, richtig?”, frage ich halb scherzhaft, halb eingeschüchtert. “Ja”, bekomme ich als Antwort. “Es scheint sich vieles verändert zu haben.” “Ja.” “Fahrerlose Autos, Handys aus Glas, die Busse sind jetzt blau…” “Ja, es hat sich einiges verändert. Du warst 20 Jahre lang einfach verschwunden und ich soll jetzt einfach mit dir Smalltalk führen?”, entgegnet Ria, “Ich kann nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert und dir jetzt erzählen was du verpasst hast.” “Du hast recht. Entschuldige bitte.”
Während wir still nebeneinander sitzen, schaue ich den Kindern beim Spielen zu. Das ist noch gleich geblieben. Kinder, die rumturnen. “20 Jahre also?”, frage ich. Ria nickt. “Und du wohnst immer noch hier?” – “Ich hab auf dich gewartet – Melissa. Du bist spurlos verschwunden.” – “Und jetzt bin ich wieder da. Aber ich kenne dich doch überhaupt nicht mehr. 20 Jahre. Du musst mir doch erzählen, was passiert ist!” – “Ich hab geheiratet. Und ich hab einen Sohn.” – “Das freut mich total!”
Wieder sitzen wir still da. “Was ist mit Erik passiert?”, frage ich sie. “Das erzähle ich dir lieber bei einer Tasse Tee zu Hause.” Damit stand sie auf und wies mich an, ihr zu folgen.
Fortsetzung folgt!
Alle Figuren und Namen sind rein fiktional und jede Übereinstimmung mit der Realität ist nur zufällig.
Wedding:2040 ist eine Weddingweiser-Textreihe von Ruben Faust und Nethais Sandt. Sie wird immer dienstags und freitags weitergeführt.